[Karneval der Rollenspiel-Blogs] Wie dreht man an der Spannungsschraube?

Zornhau

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Der September-Karneval der Rollenspiel-Blogs startet heute mit dem Thema:

Wie dreht man an der Spannungsschraube?

In diversen Foren und auf Google+ gab es in letzter Zeit einige Diskussionen rund um Spannung im Rollenspiel, gefühlt zu wenig Spannung, wie man spannende Settings mit generischen oder nicht so generischen Regelsystemen adaptiert, etc.

Spannung ist offenbar ein wichtiges Thema für Rollenspieler. Daher hoffe ich auch darauf, daß zu diesem Thema rege Beteiligung in Form von Blog-Artikeln oder auch gerne hier im Forum erstellten Artikeln erfolgt.

Hier ist der STARTBEITRAG ZUM SEPTEMBER-KARNEVAL. Im RSP-Blogs-Forum gibt es zudem noch einen klassischen Foren-Thread zum Thema.
 
Spannung ist eine von vielen Atmosphären. Wie alle anderen Stimmungen sind sie empfindlich und sehr schnell zerstörbar.
Beispiele dafür sind
  1. Das Würfeln und Berechnen der Spielmechanik
  2. Intoleranz, oder sogar Unfriede, Unverträglichkeiten in der Gruppe
  3. Lachen und andere Störenfriede, Unruhe, unpassende Stimmung innerhalb der Gruppe, Offtopic-Gespräche
  4. Unpassende Beleuchtung
  5. je nach Gruppenzusammenstellung und Integration das Essen (& Trinken insbesondere Alk), uU. (früher auch) das Rauchen
der Atmosphäre dienlich können sein:
  1. Aromatisierung (Aromalampe, Rächerstäbchen)
  2. passende musikalische Untermalung
  3. Beleuchtung
  4. gute Sitzmöglichkeit
  5. gute diskrete Versorgung mit Lebensmitteln UND Sauerstoff ^^
  6. Offtopic in den Plot integrieren versuchen
Langjährige Rollenspieler dazu zu bringen, einen spannenden Moment zu erleben, ist sehr schwierig. Die meisten (er-)kennen viele Tropen sehr schnell, haben einen 6. Sinn entwickelt, weil sie halt auch handelnd in den Plot eingreifen können, wollen und sollen. Sie sind abgeklärt, cool, fokussiert und lassen sich von Gefahren - die ja DAS Spannungselement an sich darstellen - nicht mehr beirren. Das geht natürlich auf Kosten des Gruppen-Spannungsfeldes.

Was kann man tun, um Spannung in das Rollenspiel wieder einfließen zu lassen. Das System sollte . . .
  1. ...Tragödien zulassen. Den Charakteren und damit den Spielern muß es erlaubt sein, "verlieren" zu dürfen. Wenn zB. von vorherein klar ist, daß niemand "drauf gehen" wird, ist die Spannung dahin.
  2. ...dafür sorgen, daß die Spieler trotz ihres Verlustes, Spaß an der Geschichte haben. Das schließt jedoch quantitative Vergleichssysteme aus, die das Gros des Angebotes darstellen. Qualitative bzw. Erzählsysteme sind einfach nach wie vor eine Randerscheinung
  3. ...selbst der - wie auch immer strukturierten - Spielmoderation ermöglichen, den Plot frei zu geben, um selbst Überraschungen erleben zu können Beispiel wären Fate, PtA sowie andere eher freiere Erzählsysteme. Das Gegenteil davon wäre ein über Tage und Wochen erstellter Plot. Eine SL die auf einen vorbereiteten "Rail" besteht und am Ende enttäuscht feststellt, man konnte lediglich einen Bruchteil davon wirklich gebrauchen - totaler Stimmungstöter
Um abzuschließen, Spannung ist nur möglich, wenn eine Atmosphäre geschaffen wird, die bedroht werden kann und es (vorgestellt) etwas zu verlieren gibt. Gutes Beispiel wäre die Tagespolitik zur Zeit, das "Klima der Angst". Dieses Thema ließe sich bestimmt gut aufgreifen und für ein Spannungsfeld nutzen. Das zu verlieren wäre sogar für die Spieler ein realer Gewinn, könnte ich mir vorstellen ^^
 
Zuletzt bearbeitet:
  • Spiele sind aktiv und laden zum Interagieren, also Handeln ein. Anders also als bei rein narrativen Medien wie Film und Buch.
  • Rollenspiele nutzen insbesondere im ganz Besonderen das Mittel der Identifikation, indem man einen Charakter, einen Avatar spielt und lenkt. Dies in einer Art Kmapagnenmodus, bzw. endlosem Spiel, das somit einer Art "Leben", einer Quasi-Realität nachempfunden ist. Man arbeitet insofern nicht auf ein naheliegendes Spielziel hin. Handlungen können dadurch eine große Tragweite bekommen und wiegen mitunter gewissermaßen schwer.
  • Dazu kommt, dass es ein Gruppenspiel ist, in dem die Freiheit des einzelnen Charakters die der anderen Spielteilnehmer einschränken kann. Man muss seine Entscheidungen also nicht nur mit seinem eigenen Gewissen vereinbaren, sondern auch die Argusaugen der Mitspieler einkalkulieren. Dadurch erhält man zum einen soziale Interaktion, wird aber auch in Richtung der Integrität seiner Rolle gewiesen.
  • Fiktion und Fantastik lebt von einem gewissen Abstand zum Alltag, dem Streben zu neuen Erfahrungen, sense of wonder, experience, Exploration und Erkundungsverhalten.

Man nimmt also im Rollenspiel ein fiktionales/fantastisches Setting und fügt eine starke Identifikation sowie potenziell weit tragende Interaktion hinzu. Man erreicht dadurch maximale Immersion.
Über dieses Muster legen wir hier mal zum Beweis die Self Determination Theory, die drei Grundbedürfnisse des Menschen herausstellt: Kompetenz, Autonomie und soziale Eingebundenheit. Dadurch wird schnell sichtbar, wie intrinsisch motivierend Rollenspiele wirken...

...können.
Denn darum geht es ja hier. Wie hole ich das Maximum an Spannung heraus?

Veränderung resultiert in Spannung. Diese Veränderung kann vielfältig sein. Aus der Ästhetik des Settings heraus: Das Monumentale, das Exotische, das Archaische, das Anarchische. Aus Konflikten heraus: Kämpfe, Dilemmata, Verluste, Ränkespiele, Liebe. Narrativ kann hier unterstützend eingegriffen werden: unvorhergesehene Wendungen, Täuschungen, ins Ungewisse führen und eine ganze Palette an Erzählmechaniken.

Welche Instrumente der Spannung einer Gruppe oder einzelnen Spielern liegen ist individuell und dazu sicher auch noch dynamisch. In wie weit sich der Spielleiter hier zum Sklaven, Dienstleister, Inspirator oder Agitator der Spielrunde machen lässt, unterliegt den gleichen Bedingungen.

Wichtig bleibt dabei die Grundzüge des Rollenspiels in fantastischen Welten nicht auszubremsen. In erster Linie: die Kreativität der Handlungen zulassen und unterstützen und darüber hinaus emotionale Aspekte zu stützen und nicht nur rein kognitiv oder rein regeltechnisch zu lösende Hindernisse einzubringen.
Denn dann schließt sich der Kreis aus Theorie und Praxis. Dann nutzt man das Potenzial von Rollenspielen (im Vergleich zu anderen Spielen oder Medien) voll aus.
 
Veränderung resultiert in Spannung
Würde ich so nicht unterschreiben wollen. Sicherlich gibt es sogenannte "Zuspitzungen", die das Status Quo noch weiter bedrohen und dadurch für (weitere oder ) größere Spannung(en) sorgen, wenn aber erstmal die "Katze aus dem Sack ist", sprich der offene Kampf oder Krieg beginnt, ist es mit der Spannung gelaufen. Dann müsste man erst wieder die Spieler an eine Stimmung, ein Status Quo, gewöhnen, die sie erhalten wollen. Das kann natürlich dann auch ein Krieg sein, wenn die Spieler/Chars so drauf sind.

Andere Möglichkeit ist natürlich auch immer wieder in den klassischen Systemen die Bedrohung des Charakters, den man erhalten möchte. Simpel aber funktioniert eigentlich fast immer. Kann - wenn man es durchschaut hat - jedoch anstrengend, ermüdend und langweilig werden.

Ich glaube man darf Spannung nicht mit Überraschung, Schreck oder "Twist" verwechseln, denn dieser beendet einen Spannungsfaden, der aufgebaut wurde und zwingt zur Aktion.

UND es ist ein großer Unterschied, aus welcher Perspektive man Spannung wahrnimmt, ob als Spieler (Nutzer der Regelmechaniken), als die Figur oder als Zuschauer der Geschichte. Das ist alles möglich und in allen Perspektiven kann man Spannung aufbauen und nehmen.

Spannungen können auch zwischen den Spielern Outgame aufkommen, das kann auch interessant sein, stört aber die Leute, die Ingame erleben wollen und natürlich geht die Geschichte nicht weiter. An anderer Stelle geht jemand total auf seine Figur ab und die anderen stehen daneben. Oder die Geschichte ist faszinierend, aber für die Chars geht nix ab und die Spieler können nicht "würfeln"

Es kommt halt schon auf den Stil an, wo man Spannung(en) haben möchte und welche als angenehm bzw. unterhaltsam empfunden werden und welche Streßauslöser sind.

Muß sagen insofern hatte ich nie Probleme damit, Spannungen zu erzeugen, aber es war meist immer für irgendjemanden Stress ^^
 
Denn darum geht es ja hier. Wie hole ich das Maximum an Spannung heraus?
Wirklich das Maximum?

Also, je nach Setting und Genre, das bespielt wird, bin ich vom Spielertypus ein Taktiker. Ich MAG es, wenn Kampf- oder andere Konfliktsituationen UNSPANNEND verlaufen.

Als Taktiker möchte ich in einer unsicheren Situation die KONTROLLE übernehmen. Durch guten Ressourcen-Einsatz, überlegte Logistik, Ausnutzung aller Gegebenheiten zu meinem Vorteil, Angehen der Schwächen der Gegenseite, usw. - Ob das Old-School-D&D ist, das ja bekanntlich keinen "fairen Kampf" kennt, sondern wo Kampf = KRIEG bedeutet und man immer versucht Gegner in den absoluten Nachteil zu setzen, so daß das eigene Risiko minimiert ist, oder ob das neuere Settings wie Infinity RPG sind, wo man durch Hacken der gegnerischen Waffensysteme einen Kampf zum "Scheibenschießen" wandeln kann - es geht einem Taktiker darum das Risko zu minimieren, die Kontrolle über die Situation zu haben und damit möglichst WENIG Spannung aufkommen zu lassen.

Wenn alles so läuft, daß ich vollauf zufrieden bin, dann ist oft der SL wenig begeistert, weil mein toller Plan alle seine Ideen für seine NSCs ausgehebelt hat und ich total entspannt die Situation im Griff habe.

Als Taktiker wollte ich das auch nicht anders.

Aber ich spiele ja nicht ausschließlich solche Spiele und solche Settings, wo ich meine Lust auf Taktik ausleben kann, sondern eben auch "untaktische" Rollenspiele.

Ein "Maximum" an Spannung ist grundsätzlich NICHT erwünscht, denn alles auf 11 hochgeschraubt, das bedeutet, daß es an Nuancen, an der "Achterbahnfahrt" fehlt. Man kann nicht immer alles auf maximale Anspannung betreiben. - Spannung lebt vom AUFBAU und davon auch wieder RUNTERZUKOMMEN.
 
@Zornhau:

Du spielst da aber ein Rollenspiel und kein Wargame. Rollenspiel hat die von mir angerissenen anderen Möglichkeiten.

Beim Wargaming mögen alle Fakten auf den Tisch liegen und bei absoluter Regelkenntnis mag es hier auch die 100%-Taktik geben. Aber im Rollenspiel habe ich doch unbekannte Faktoren. Sei es zum Kampfplatz, zum individuellen Kampfverhalten der Gegner, spontaner Truppennachschub, oder das Wetter. Und nicht zu vergessen andere Spieler (und deren Dummheiten).

Magst du aber in einem Rollenspielkampf trotzdem alles im Griff haben, eben weil du top vorbereitet bist, weil dir da niemand mehr die Kontrolle abnehmen kann. Aber dann müsste doch deine Spannung in der Kampfvorbereitung von seiner frühesten Anbahnung bis zur Eskalation begründet liegen?

Dann sollte das Maxiumum an Spannung für dich eben da liegen. Auch das lässt sich im Rollenspiel ja einrichten.
 
Ich rede hier vom ROLLENSPIELER-Typus des Taktikers, nicht von taktischen Spielen wie Tabletop Wargames.

Ich spiele so gut wie keine Tabletop Wargames. Ich bin ROLLENSPIELER. Aber ich spiele gerne als Taktiker - sowohl in militärischen Settings, als auch in politischen Settings oder bei Heist-Movie-Settings als Mastermind/Planer. Ich mag es die Kontrolle über die Situation zu haben und das Risiko zu minimieren. Das reduziert aber auch die Spannung der jeweiligen Situation.

Wie gesagt, ich will KEIN "Maximum" an Spannung. Ich habe eine Aufgabe, die es zu lösen gilt. Spannung kommt durch Druck, Unwägbarkeiten, Erschwernisse auf. Diese gilt es auszuschalten, zu minimieren, damit die Aufgabe so glatt wie möglich gelöst wird. Spannung minimieren, Erfolg garantieren.

Das ist zumindest in meinem "Taktiker-Modus" ein ganz wesentlicher Spaßfaktor.
 
Ich kann das nachvollziehen. Wenn mir in einem System bestimmte Werkzeuge an die Hand gelegt werden, um damit Probleme zu lösen, dann werde ich diese natürlich auch nutzen, wenn es das erklärte Ziel des Spiels ist.
Bei Charakterstudien kann ich sehr gut mit "Sanktionen", Schwächen, Problemen oder ähnlichem leben, da sie das Erlebnis bereichern. Die SL darf dann aber auch nicht die Charaktere "veräppeln", sondern das Erlebnis muß sich ins Gesamtbild fügen. Wenn mir nachher die SL vorwirft, ich hätte doof gehandelt und hätte das doch so und so machen können, um zu "gewinnen", wird daraus kein Schuh
Aus der Beobachterperspektive lassen sich noch viel mehr Geschichten genießen, wenn man praktisch wie vorm Fernseher sitzt und die Figuren darin mitspielen kann. Selbst Farcen können zu hochspannenden Dramen ausarten. Das ist jedoch für alle extrem anstrengende Arbeit. Nach meiner Erfahrung ist man nach der Hälfte der Zeit eines normalen Spiels völlig ausgepumpt. Es ist praktisch Drehbuchentwicklung, Regie und Darstellung in einem.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Würfeln und Berechnen der Spielmechanik
Da widerspreche ich teilweise. Das Würfeln als solches kann im richtigen Maße auch ein Spannungselement sein, insbesondere dann, wenn der Spielleiter nicht der allerbeste Erzähler ist. Das gilt natürlich nur für bestimmte Würfe (Man kann nur einmal schießen, bevor der Entführer mit der Geisel außer Reichweite ist, der Patient mit der wichtigen Information stirbt, wenn der Heilzauber mißlingt, falls die Gruppe nicht an den Wachen vorbeischleichen kann, ist sie mit einer erdrückenden Übermacht konfrontiert), andere sind nicht förderlich (Feilschenprobe beim nächsten Einkauf).

Beim Berechnen der Spielmechanik stimme ich zu. Langes Blättern oder Zusammenzählen ist hinderlich, weshalb die Spieler zumindest den Grundmechanismus beim Würfeln kennen sollen.

Noch eine Überlegung der hinsichtlich Schwankungen im Spannungsbogen: Vielleicht sind Würfelproben ein gutes Werkzeug, um Spannung wieder abzubauen. Ein Szenario wäre z. B. bei einem Ausbruch: Nachdem die Spieler aus dem Kerker geflohen sind, die Wachen nach einer spannenden Verfolgungsjagd besiegt oder abggeschüttelt und ausreichend Abstand zur Burg des Schurken haben, ist die Überlebensprobe zur Suche eines geeigneten Lagerplatzes der Übergang zu einer weniger spannenden Phase.
 
Noch eine Überlegung der hinsichtlich Schwankungen im Spannungsbogen: Vielleicht sind Würfelproben ein gutes Werkzeug, um Spannung wieder abzubauen. Ein Szenario wäre z. B. bei einem Ausbruch: Nachdem die Spieler aus dem Kerker geflohen sind, die Wachen nach einer spannenden Verfolgungsjagd besiegt oder abggeschüttelt und ausreichend Abstand zur Burg des Schurken haben, ist die Überlebensprobe zur Suche eines geeigneten Lagerplatzes der Übergang zu einer weniger spannenden Phase.
Kommt SEHR auf das Regelsystem an. In einer Powered-by-the-Apocalypse-Runde kann JEDER Wurf zu massiven Komplikationen, "hard moves" seitens des SL führen, und ist daher auch immer für sich genommen spannend, weil wichtig. Unwichtiges wird da überhaupt nicht gewürfelt.
Ebenso bei Conan 2D20, da hier auch einfache Würfe trotz Erfolgs eine Complication einfahren können. Auch hier wird Unwichtiges gar nicht gewürfelt.

Will man also wirklich Spannung wieder abbauen, dann führt man die Spieler wieder auf den Bereich des Sicheren, der Kontrolle über die Umstände ihrer Charaktere - und läßt eben nicht Unsicherheiten durch den Zufallseinfluß auflösen.
 
Mehr Spannung durch mehr Railroading!
Das Paradox of Suspense und Rollenspiele

Dies ist ein Beitrag zum aktuellen Karneval der Rollenspiele mit dem Thema "Wie dreht man an der Spannungsschraube?".

Zunächst ist es mir ja ein bisschen peinlich, als offenkundig Erster das Definitionsfass aufzumachen. Mich interessiert aber tatsächlich, was denn unter dem Begriff der Spannung im vorliegenden Karneval überhaupt verstanden werden soll? Geht es um Neugier, Immersion (noch so ein schwammiges Ding), um Flow, um Stances oder um Suspension of Disbelief? Geht es um die Individual-, Gruppen- oder Taktikebene?

Mein Eindruck ist, dass mit "Spannung" im laufenden Karneval ungefähr der in der Literaturwissenschaft gebräuchliche Begriff der "Tension" gemeint ist. Vielleicht geht es aber auch um eine speziellere Form von "Tension" namens "Suspense". Irgendwann war mir dazu mal mehr oder weniger zufällig ein Text in die Hände gefallen mit einer Einteilung in verschiedene Arten von "Tension". Heute gibt es ja dankenswerter Weise Wikipedia. Da steht mehr drin, als ich selbst weiß, habe ich gerade gesehen. Bevor ich also unfundiertes Zeugs daherschwalle, sei auf die Unterscheidung von Surprise, Suspense und Mystery hingewiesen. Hier mehr dazu. Da finden sich dann im Folgenden unter dem Punkt der psychologischen Suspenseforschung nicht nur ein paar zusätzliche Details, die ich "spannend" fand, sondern auch Techniken zur Erzeugung von Suspense, etwa Mantik, Konflikt oder Überraschung.

Wenn wir aber mal beim Thema Suspense bleiben - definiert als Zustand der Unsicherheit bezüglich des Ausgangs eines Ereignisses - dann finde ich das "Paradox of Suspense" total interessant und zugleich relevant für Rollenspiele. Das verdrahtet sich nämlich ganz elegant mit dem aktuell sehr populären Thema des "Railroadings". Der Themenkreis, der sich daraus ergibt, ist durchaus bunt. Einen Aspekt möchte ich für den Karneval dabei besonders hervorheben: Viele Leute in Rollenspielforen äußern sich extrem aggressiv und abfällig gegenüber anderen Rollenspielern, welche Würfeldrehen oder geschientes Leiten in ihren Runde praktizieren. Sie werfen den "Railroadern" und "Würfeldrehern" allerlei unangehme Dinge an den Kopf und verneinen, dass unter Maßgabe von derlei Rahmenbedingungen überhaupt erst Spannung entstehen kann. Doch das ist ebenso voreilig wie uninformiert und erschließt sich wunderbar, wenn man sich dem Thema über den Winkel der "Spannung" nähert. Here we go:

In der Literaturwissenschaft ist das sogenannte "Paradox of Suspense" wohl bekannt. Wenn nämlich ein Zustand der Unsicherheit unabdinglich ist für das Gefühl von Suspense, warum empfinden Menschen dann Suspense bei einem Film, den sie bereits kennen? Dieses empirisch gut abgesicherte Phänomen - Spannung trotz Abwesenheit von Unsicherheit - ist nicht nur verblüffend, sondern kann uns auch für Rollenspiele Mehrwert bieten. Nämlich so ungefähr in dieser beispielhaften Richtung: Wie kann man Spannung empfinden, wenn doch die implizite Übereinkunft dahingehend herrscht, dass die SC eigentlich nicht sterben können bzw. das Überleben dadurch sichergestellt wird, dass der SL an den Würfeln dreht?

Dazu gibt es einen saucoolen Artikel von Aaron Smuts aus der Stanford Encyclopedia of Philosophy (praktischer Weise online verfügbar hier). Im Wesentlichen bricht Smuts die Existenz des Paradox of Suspense auf vier Erklärungsansätze herunter. Als da wären:

1. "Entertained Uncertainty": Hier liegt eine Art Selbsttäuschung vor, indem man sich selbst die Existenz von Suspense vorzugaukeln imstande ist. Das kann ich mir bei vielen Rollenspielrunden auch sehr gut vorstellen - insbesondere dürfte sich diese Strategie in Gruppen noch einmal gegenseitig verstärken.

2. "Desire-Frustration Theory of Suspense": Hier liegt der Grund für Suspense darin begründet, dass man keine Situationskontrolle hat, aber das Ergebnis bekannt ist. Dieser Ansatz passt sehr gut zu bekannten Stressmodellen, wo nachgewiesen wurde, dass Stress ebenfalls nicht als Ergebnis eines nicht zufriedenstellenden Soll-Ist-Vergleichs entsteht, sondern erst nachgelagert bei einer Bewertung des Vergleiches und der Feststellung, dass man nicht verändern kann. Aaaaaahhhhh! Die Konsequenzen fürs Rollenspiel sind wirklich höchst erstaunlich - schließlich entsteht hier die Spannung quasi erst aus dem Railroading, so dass ein mehr an Railroading mit einem mehr an Spannung einhergeht. Prügelt mich nicht dafür. Das ist die logische Schlussfolgerung :)

3. "Moment by Moment Forgetting": Hier täuschen wir uns selbst, indem wir Details vergessen und wieder rekonstruieren. Daraus entsteht Spannung. Für Rollenspieler irrelevant.

4. "Emotional Misidentification": Zu guter Letzt noch eine weitere Erklärung, die gut mit Rollenspielen einhergeht. Emotional misidentification unterstellt den Leuten nämlich, dass sie Suspense nicht trennen können von der Erwartung des Erwartbaren. Railroader erfreuen sich also am Spiel und verwechseln Spannung mit der Vorfreude auf das, was da noch kommt. Klingt auch sinnvoll.

Generell erschließt sich damit aber aus meiner Sicht ganz gut, weshalb viele railroadende und würfeldrehende Runden dennoch von höchsten Spannungserlebnissen sprechen. Insofern: gerade mit dem zweiten Punkt im Kopf empfehle ich für mehr Spannung: mehr Railroading. Yeah!
 
Zuletzt bearbeitet:
Das mag (für denjenigen) stimmen, ist jedoch in der Praxis aus zwei Gründen untauglich. Einmal muß man unheimlich viel vorbereiten, um Railroading zu betreiben. Soviel Arbeit machen sich die wenigsten und es ist frustrierend, wenn dann doch aus der Bahn geworfen wird. Zum anderen und wichtigerem Teil, kann man nicht in die Spieler hineinsehen. Diese Theorien gehen davon aus, daß ein Mensch so und so in seinem Innersten reagiert. Man steckt jedoch nicht in jedem Einzelnen und die Gruppe hat keinen Einfluss darauf - ergo für einen Tipp völlig unbrauchbar. Worin besteht denn dann der Unterscheid zwischen freiem Spiel und Railroading für diese Person? Kann sie das überhaupt noch unterscheiden?

Im Grund kann ich in jeder Situation Angst, Beklemmung, Spannung empfinden - ist halt die Frage, ist das überhaupt noch gesund und hat das irgendwas mit dem Umfeld zu tun und nicht zuletzt, ist es dann nicht sogar besser zu langweilen, also eine Heilung herbei zu führen anstatt es in einem Spiel noch zu stützen?

Extreme Ansicht. Das hat nichts mehr mit dem Spielen zu tun, sondern fördert eher eine Paranoia - kein Genuss für mich und auch keine Unterhaltung. Würde tatsächlich dann abbrechen.

In einem Spiel bedarf es immer der Freiheit, sich von dem Geschehenden distanzieren zu können, sonst unterscheidet sich der Stress nicht von dem aus dem normalen Leben. Es soll Spaß machen. Ein Genuss sein. Und wenn man genug hat, dann soll man sich auch trennen dürfen.
 
1. "Entertained Uncertainty": Hier liegt eine Art Selbsttäuschung vor, indem man sich selbst die Existenz von Suspense vorzugaukeln imstande ist. Das kann ich mir bei vielen Rollenspielrunden auch sehr gut vorstellen - insbesondere dürfte sich diese Strategie in Gruppen noch einmal gegenseitig verstärken.
Dürfte klappen. Es ist ja eine Quasi-Realität in der man da spielt. Warum also nicht auch eine Quasi-Spannung?
Ist ja auch die Frage, ob es für den Spieler oder den Charakter spannend sein muss? Vielleicht ist das nicht nur eine Frage der Immersion, sondern einfach verschiedener Abstaraktionebenen. Könnte sich evolutionär herausgebildet haben: Wenn Typ A das erlebt, könnte er Handlung B unternehmen. Mag beim Umgang mit Typ A helfen. Ist dann eher Empathie, die man für seine eigenen (Über)Lebenstaktik einsetzt.

2. "Desire-Frustration Theory of Suspense": Hier liegt der Grund für Suspense darin begründet, dass man keine Situationskontrolle hat, aber das Ergebnis bekannt ist. Dieser Ansatz passt sehr gut zu bekannten Stressmodellen, wo nachgewiesen wurde, dass Stress ebenfalls nicht als Ergebnis eines nicht zufriedenstellenden Soll-Ist-Vergleichs entsteht, sondern erst nachgelagert bei einer Bewertung des Vergleiches und der Feststellung, dass man nicht verändern kann. Aaaaaahhhhh! Die Konsequenzen fürs Rollenspiel sind wirklich höchst erstaunlich - schließlich entsteht hier die Spannung quasi erst aus dem Railroading, so dass ein mehr an Railroading mit einem mehr an Spannung einhergeht. Prügelt mich nicht dafür. Das ist die logische Schlussfolgerung :)
Kann schon passen. Z.B. "Warum guckt man Titanic?". Man ignoriert das bekannte Ende und will sehen, wie der Film dort hinkommt.
Andere Sache: Wenn ein Film z.B. so dermaßen gut gemacht ist, nutzt er sich (nicht so schnell) ab. So kann man Kultfilme mehrfach gucken und genießen, oder sich beim dritten Mal "The Ring" immer noch gruseln.

3. "Moment by Moment Forgetting": Hier täuschen wir uns selbst, indem wir Details vergessen und wieder rekonstruieren. Daraus entsteht Spannung. Für Rollenspieler irrelevant.
Naja, wir werden alle älter... ;)

4. "Emotional Misidentification": Zu guter Letzt noch eine weitere Erklärung, die gut mit Rollenspielen einhergeht. Emotional misidentification unterstellt den Leuten nämlich, dass sie Suspense nicht trennen können von der Erwartung des Erwartbaren. Railroader erfreuen sich also am Spiel und verwechseln Spannung mit der Vorfreude auf das, was da noch kommt. Klingt auch sinnvoll.
Scheint mir mit Punkt 1 Hand in Hand zu gehen. Es ist einfach auch spannend, was der Charakter erlebt, auch wenn der Spieler die Handlung schon kennt.

Und was Railroding und Spannung angeht: Es ist ja nicht so, dass sich das ausschießen muss. Offenen Spiel kann saulangweilig sein und gerailroadetes sauspannend. Gerade wenn man seine Gruppe gut kennt, kann man auch prima ins "Drehbuch" schreiben, diese Stationen alle unterbringen und trotzdem die Spieler nicht entmündigen. Geht alles.
 
Schaust du dir die obigen Argumente an, dann wirst du feststellen, dass Railroading zum Bezeichnen schlechten SL-Verhaltens genutzt werden kann. Oder zur Selbsterhebung über den (oder andere) SL genutzt werden kann.
Im Grunde genommen kann man sich aber vertrauensvoll in die Hände des (verantwortungsvollen) Railroader-SL begeben und viel viel Spaß haben. :)
 
Ich denke wir reden hier eher über eine vorbereitete Sitzung als übers Railroaden. Klar kann man vorbereitet einige Dinge besser überschauen, als wenn man sie im Spiel konstruiert. Das hängt aber stark von der Gruppe und deren Erlebniswunsch ab. Wie oft zog sich ein Abenteuer hin oder konnte sogar garnicht zu Ende gespielt werden, weil man von einer Station zur nächsten mußte und der SL nicht fähig war, von Start bis Ziel das Abenteuer zu überblicken und die Eier hatte, dementsprechend lebendig zu handeln, heißt auch mal von A nach C oder weiter noch bis F zu springen, um dann zwischendrin B, C, D und E zu lösen.

Also die Anspannung und die Erwartung an ein vorbereitetes Abenteuer mögen höher sein, nicht aber die Qualität. Da kann ich nur sagen, üben üben üben! Also viel spielen und wieder in den Flow finden.
 
Im Grunde glaube ich, dass Spannungen genauso wie Lacher oder andere Reize ausgelöst oder aufgegriffen werden können. Es bedarf nach meiner Meinung keiner Vorbereitung, sondern eher menschlichen Einfühlungsvermögens, Verständnisses, Toleranz, sodaß man Gefühle erleben darf, ohne sich dafür Peinigen zu müssen und sie deshalb unterdrückt hält. Das braucht vielleicht eine Weile, bis soviel Vertrauen aufgebaut wird. Manche sehnen sich auch vergeblich nach ihrer Jugendzeit zurück, wo sie solche Momente öfter erleben durften, weil man sich als junger Mensch halt noch nicht so im Griff hatte.

Ich stell mir das eher wie eine Klaviatur vor oder eine Palette eines Malers. Man mischt Farbtöne darauf zusammen und fängt an zu malen. Je nachdem was ich male, sind bestimmte Gefühle wahrscheinlicher als andere. Das funktioniert eigentlich ganz gut auch ohne Metagedanken im Hinterkopf.

Zusammen erleben und nicht experimentieren, also die Spieler nicht als Objekte betrachten. Schließlich wollen ja alle etwas mitnehmen. Vertrauen aufbauen, um sich gehenlassen zu können. Was denn letztlich erlebt wird ist schon beinahe egal. Ist eher wie ein Tanz oder so :headphone:
 
Funktioniert diese - vermutlich über länger Zeit erst aufbaubare - Vertrauensbasis-Voraussetzung dann überhaupt für kurzfristigst zusammengestellte Runden, wie z.B. Con-Runden, spontane Hangout-Runden und dergleichen?

Sind solche Runden mit lauter Fremden in der Spielgruppe dann von Grund auf "unspannend", weil hier die Vertrauensbasis einfach nicht dieselbe sein kann, wie in einer über viele Jahre in gleicher Besetzung gespielten Kampagnengruppe?
 
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