Zu Iolet: Wenn die Spielregeln, wie Du schreibst, die Spielrealität beeinflussen, dann läuft etwas sehr Grundlegendes sehr, sehr falsch! Die Aufgabe der Spielregeln ist es dazu beizutragen, die Spielrealität ABZUBILDEN.
Ähm, ja...
Und das tun sie eben (wenn sie gut durchdacht sind) genau dann, wenn man sie richtig anwendet.
Wenn man sie falsch anwendet und nicht zufällig Glück dabei hat, dann sind diese Regeln dafür geeignet irgendeine ANDERE Spielrealität ABZUBILDEN (CAPSLOCK !!!1!!!!!11!eins) - aber eben nicht für diese.
Das was am Ende rauskommt ist das Abbild von irgendwas anderem als der Welt, die man bespielen wollte.
Dass es, um das Beispiel des "Roten Barons" aufzugreifen, in einer todernsten Horrorspielrunde eine dumme (oder zumindest verzweifelte) Idee ist, sich eine Treppe hinunter auf einen schussbereiten Kultisten zu stürzen, während dies in einer Pulp-inspirierten Runde eine derjenigen Aktionen darstellt, welche dieses Genre so attraktiv machen, muss der Spielleiter den Spielern vermitteln können, ohne dass diese die geringste Ahnung von den Regeln haben müssen!
Ja und nein.
Ja, du hast recht, aber nein:
Wenn der Spieler doch nachrechnet und feststellt "Ey, du eSeL, was tust du eigentlich immer so als wäre das ne total verrückte Aktion - so wie du die Regeln umsetzt, sollte das doch problemlos machbar sein. Also geht das jetzt oder nicht?", dann fände ich es doof zu sagen "Hör au den SL und vergiss die Regeln. Niemand darf die besser kennen als ich!"
Es darf NICHT von den verwendeten Regeln abhängen, welche Handlungsweisen einer Figur in einer bestimmten Situation möglich, sinnvoll oder erwünscht sind - dies muss sich aus den Eigenschaften der Figur, der Situation, der Spielwelt und dem gespielten Genre ergeben.
Das ist ja mal allgemein gesprochen, ne ziemlich käsige Aussage.
Ich verknüpf hier mal den BigBangTheory-Thread und diesem hier, indem ich sage, dass ich zumindest nerdig genug bin, dass ich sogar in der realen Welt die Regeln und Regelmäßigkeiten analysiere und Wahrscheinlichkeiten abschätze um darauf basierend Entscheidungen zu treffen.
Unterbewusst macht das wohl nahezu jeder.
("Ich konnte bisher in meinem Leben immer problemlos 3 Meter weit springen - zwischen den Häusern ist ein Spalt von 2,50m. => Das schaff ich.")
Wenn diese Regeln dann wild schwanken und/oder keiner erkennbaren Logik unterliegen, dann ist ein Leben in dieser Welt nahezu unmöglich, ein bespielen der Spielwelt ebenfalls. Und wenn die Regeln der Welt anders sind, als von Welt X (egal ob X für unsere Realität oder eine bestimmte Spielwelt steht), dann wird sich konsequent umgesetzt die Welt im Resultat auch anders anfühlen.
Wenn sich die Welt unabhängig von angewandten Regeln immer gleich anfühlt, dann ist der SL ein verlogener Schummel-Railroader und kann das Würfeln auch gleich bleiben lassen.
All das, was ich hier geschrieben habe, gilt natürlich für den Fall, den Iolet auch beschreibt, dass die Regeln im Hintergund bleiben; dass sie die verborgenen Kameras, Strippen und Laufschienen darstellen, welche von der Handlung so wenig wie möglich ablenken sollten, um den Spielern das Eintauchen in die Spielwelt und Erzählhandlung zu ermöglichen. Hier sehe ich überhaupt keine Probleme damit, wenn ein Spielleiter Regelprozeduren improvisiert!
Egal ob verborgen oder offensichtlich.
90% von dem was bei mir in der Runde gewürfelt wird, landet bei mir verdeckt hinterm Schirm.
GERADE verdeckte Würfe beeinflussen mMn die Welt meist viel mehr. Denn dies sind meist plotrelevante Dinge, die der SL eben wegen des ungewissen aber wichtigen Ausgangs nicht zeigen will.
Gewiss gibt es auch Runden, die bewusst nach Regeln spielen, und für die es zum Rollenspiel gehört, ihre taktischen Entscheidungen nach den Eigenheiten dieser Regeln auszurichten - das ist absolut das Gegenteil dessen, wie ich spiele, aber natürlich weiß ich, dass es dies auch gibt.
Gibt es auch noch - mein Fokus liegt wie gesagt woanders:
Jeder einzelne Würfelwurf hat eine Folge in der Spielwelt-Realität. Viele Folgen lassen vor den Spielern/SCs ein Bild entstehen, was in dieser Welt normal ist und was ungewöhnlich. Wenn die Regeln verzerrt und verschwommen sind, dann ist es auch das Bild.
Meine Spieler analysieren nicht meine Würfelwürfe. Sie versuchen nicht zu erraten welche Werte die NSCs haben.
Aber sie schätzen deren Fähigkeiten anhand deren bisherigen Leistungen ab, anhand der Ausgänge von Konflikten mit diesen und aus vielen kleinen Situationen.
Und wenn dem Prinzen der Stadt ständig und immer etwas gelingt, wobei die SCs immer wieder mal ein peinliches Ergebnis abliefern, dann denken sie, dass er darin sehr viel besser ist als sie selbst.
Und solche Beobachtungen und Folgerungen der Spielwelt-Realität sind nur möglich wenn diese durchgehenden Gesetzen unterliegt.
Und der SL muss diese kennen.
Ja, auch ich frage mal meine Spieler, wenn ich was nicht weiß - aber sehr immersionsfördernd finde ich es nicht, wenn z.B. die Schwerkraft andauernd als Ergebnis eines demokratischen Prozesses zustande kommt.
Die Regeln gehören jedenfalls NICHT zu einer Spielwelt und deren inneren Gesetzmäßigkeiten, sondern müssen sich denen unterordnen - oder sie ersetzen diese Gesetzmäßigkeiten halt, so wie im Regelspiel.
Wichtig:
Wenn ich "Regeln" sage, meine ich nicht "Alles was im Buch steht ist heilig - SO und NICHT ANDERS muss gespielt werden."
Ich meine mit "Regeln" ein SL-individuelles Produkt aus "by-the-book", Hausregeln, Eigeninterpretation, SL-Stil und gesunder Menschenverstand.
Der SL sollte einfach die Frage "Wie regle ich Situation X?" eine Antwort haben und wissen, warum er es so machen würde.
Und das dann auch konstant so machen - wenn die Umstände ebenfalls konstant sind.
Somit sind die Regeln durchaus auch Ergebnis der inneren Gesetzmäßigkeiten.
Oder umgekehrt -das ist auch Wurst.
Innere Gesetze und äußere Regeln sollten halt am Ende zum selben Ergebnis führen, sonst sind sie nicht passend aufeinander abgestimmt.
Zu Iolets Frage, was ich mit "Dramaturgie" meine, hier ein Buffy-Zitat: "The big moments are gonna come, you can't help that. It's what you do afterwards that counts. That's when you find out who you are."
achso...
Ich halt mich da mal raus. Wenn ich jetzt anfange das zu kritisieren, werd ich heut nicht mehr fertig.
Zumindest, wenn du damit mehr sagen willst als:
Wie es der "Rote Baron" anspricht, zählt zu den Aufgaben des Spielleiters nicht nur die Beschreibung der Szenerie und die Bereitstellung einer Dramaturgie, sondern auch die Regie der Erzählung, bestehend aus Szenen- und Tempowechseln um sicherzustellen, dass langweilige und uninteressante Geschehnisse mit nur dem minimal notwendigen Zeitaufwand behandelt werden, während interessante Ereignisse in das beste mögliche Licht gesetzt werden.
Denn das würde ich unterschreiben.