AW: Warum eigentlich eigene Systeme und Settings?
Natürlich möchte jeder von uns der begnadete Rollenspielentwickler und Autor sein,
Wer ist "uns"? - Also ich möchte kein Rollenspielentwickler oder Autor sein, sondern ich bin es ganz einfach dadurch, daß ich selbst etwas "bastele" bzw. aufschreibe. - Du meinst hier vielleicht ein Spieleentwickler bzw. Autor, dessen Schöpfungen VERÖFFENTLICHT wurden.
Das ist aber schon ein großer Unterschied.
Etwas Schreiben kann wirklich jeder. Zum Autoren wird man im Handumdrehen.
Ob dann aber das eigene Geschreibsel auch vorzeigbar ist, ob es von jemand anders als veröffentlichbar eingeschätzt wird, das steht auf einem anderen Blatt.
Ich kann jedenfalls nicht glauben, daß alle hier unter "Selbstentwickelte Rollenspiele" an ihren eigenen Ideen Feilenden mit der Vorstellung herangehen, daß sie als Autoren ihrer hiesigen eigenen Rollenspiele in irgendeiner dieses Forum übersteigenden Form publiziert werden würden.
aber nur deshalb gehe ich doch nicht automatisch davon aus, dass ich es bin...
Eben. Und das tun hier auch die wenigsten. - ABER: Es gibt immer mal wieder die vor niederschmetternder Selbstüberschätzung triefenden Auftritte der Superinnovativen. Die leben ihre Phantasie, sie spielen ihre Rolle, und sie sind dann besonders verärgert, wenn jemand sagt: "Der Kaiser hat aber garnichts an!"
Normalfall ist das aber nicht, sondern eher die unrühmliche Ausnahme.
Irgendwo spielt halt auch mit rein, dass ich nur begrenzte Zeit habe...
Wer hat die nicht? - Die Frage ist weniger die nach der Menge an verfügbarere Zeit, sondern eher, was Du daraus machst, wo und wie Du sie investierst, ob es Dir Freude bereitet.
1. Irgendwie habe ich Angst davor etwas zu entwickeln, was es schon gitb (vielleicht besser?) und jemand komtm dazu und meint "Plagiat!".
Etwas Besseres geben es wird.
Na und?
Als ich mit meinen zwei linken Händen selbst einen Scheibenständer mittels lauter Höllenwerkzeug des freundlichen, weitläufigen Baumarkts um die Ecke zusammengeschuster hatte, da war mir zu jedem Zeitpunkt klar, daß ich mir das Blut und den Schweiß (keine Tränen - diesmal) hätte sparen können, wenn ich ein Fertigprodukt bequem per Online-Bestellung geordert hätte.
Aber ich WOLLTE das selbst machen.
Und so ist es auch mit manchen Dingen im Rollenspiel.
Ich MAG Fertigprodukte. Ich habe wenig Zeit. Ich habe auch nur begrenzt originelle Ideen. - Fertigprodukte nehmen mir ein wenig Arbeit ab und liefern mir die Ideen anderer Leute.
Doch verwende ich Fertigprodukte IMMER erst nach eigener Überarbeitung, nach Verbiegen, Zurechtschnippeln, Herumschrauben, bis sie zu mir und zu meinen Spielern passen. - Das ist ganz normal.
Wenn es keine Fertigprodukte gibt, dann bin ich auf Selbstgestricktes angewiesen. Auch da klaue ich zumindest die Ideen aus anderen Quellen (Rollenspielen, Film, Fernsehen, Comic, Roman).
Ich muß überhaupt nicht etwas Superoriginelles, etwas Niedagewesenes entwickeln.
Auch Flugzeuge werden schon lange Zeit professionell entwickelt und gebaut. Trotzdem hat ein guter Freund von mir sich selbst einen voll flugtauglichen Doppeldecker gebaut. - Der war nach einem alten Bauplan nachgebaut. Und es wird da niemand "Plagiat" schreien.
Auch bei Rollenspielen muß man nicht auf Krampf das Rad neu erfinden. Oft reicht für ein cooles Rollenspiel eine neue, eine interessante Kombination von Bekanntem aus. Beim Entwerfen von Regelsystemen ist die Wiederholrate quer durch die Fülle an Rollenspielen so hoch, daß man ja sogar auf dieser Basis MUSTER erkennen konnte: Design Patterns für Rollenspiele (siehe Artikel dazu hier im Forum). - Muster bilden sich nur dann heraus, wenn etwas OFT verwendet wird.
Wer sein eigenes Rollenspiel entwickelt, der sollte sich besser einen Überblick über das, was es gibt, verschaffen - in komprimierter Form anhand der Muster. Dann kann man sich aus vielen Gründen immer noch BEWUSST entscheiden, daß man ein bekanntes Muster verwendet, auch wenn es wirklich nicht innovativ ist (z.B. W%-würfele-niederiger-als-den-Fertigkeitswert - alles andere als eine Neuerung, aber bewährt und funktional).
2. Ebenso denke ich, dass es jedem von uns schwer fallen würde wenn der seine Arbeit jemand gibt und der sagt "Das ist Scheiße." (Man will trotzdem aber auch nicht angelogen werden, sondern eine ehrliche Rückmeldung.)
NIEMAND muß sein Selbstgebrautes zum Verkosten einer Öffentlichkeit preisgeben!
Man kann sein Privatsystem im eigenen Freundeskreis einsetzen. Klar werden manche Freunde nie ihre ehrliche Meinung zu diesem Privatsystem abgeben, weil es ihnen wichtiger ist, mit allen anderen zusammen eine gute Zeit zu verbringen, statt - wie ich z.B. - sich ständig mit Leuten zu zanken.
Was willst Du denn mit einer "ehrlichen Rückmeldung"?
Dein System besser machen?
Und wenn Du so mit Deinen Freunden und Testspielern richtig viel Spaß hattest, wozu sie dann zu einer Bewertung drängen?
Na gut, dann kann man ja immer noch sein Lieblingskaninchen unter die B!ösen Wölfe scheuchen, um mitanzusehen, wie sie es "auf Herz und Nieren und Kotlett" testen werden. *mjamm*
Und da gibt es die Zimperliesen.
Die können das nicht mitansehen, werden gleich pampig, nur weil jemand, der ja durch die hier öffentlich erfolgte Zurschaustellung des eigenen Herzenskindes gleichsam zur Kritik aufgefordert wurde, gesagt hat, daß ihm etwas daran nicht gefällt.
Wer die Wahrheit (oder zumindest die ehrliche, schonungslose Meinung anderer) nicht vertragen kann, der sollte besser nichts öffentlich vorstellen, was er lieber als makellos in Erinnerung behalten wollte.
Aber gehe mal besser davon aus, daß dieses Herumzicken eben NICHT "jedem von uns" liegt.
Manche von "uns" veröffentlichen ihre zarten Pflänzchen nicht einmal in diesem Forum. Andere nehmen die Kritik zur Kenntnis und ihr Blutdruck bleibt im normalen Bereich.
Wer seinen Schwanz herumzeigen möchte, der muß eben damit rechnen, daß er als zu kurz und zu schlaff befunden wird. Wer das nicht mag, oder wer diesen Befund nicht vertragen kann, der soll halt seinen Hosenstall geschlossen halten.
Ich habe über die Jahre und Jahrzehnte eine ganze Menge Ideen gehabt - die meisten nicht einmal gute Ideen - und meine wechselnden Gruppen damit genervt immer mal wieder etwas ausprobieren zu wollen. Oft ergaben sich TROTZDEM nette Spielrunden. Aber manchmal war es auch Scheiße. Und das Allerhärteste sind die wenigen Male gewesen, wo ich für meine "tollen, neuen" Regelungen beißenden Spott und Hohn noch im Laufe des Spiels eingefahren habe (Regenpunkte *brrr*).
Das hat mich weniger abgeschreckt, als mir aufgezeigt, was geht und was nicht geht. Und das hat ganz erheblich zur Bildung meiner aktuellen Vorlieben und meiner aktuell als Qualitätsmerkmale für "gute" Rollenspiele angesehenen Anforderungen an Rollenspiele beigetragen.
Man KANN aus dem Selbstbasteln eine ganze Menge lernen (und verstehen), wenn man nicht am einzelnen Bastelprodukt haftet, sondern das als ein Lernen durch Tun auffaßt.
In diesem Sinne kann ich das Selbstbasteln nur jedem empfehlen.
Und wenn Ihr Eure Basteleien hier zur Diskussion stellt, und falls sie interessant genug sind, daß ich dazu etwas mehr Zeit investieren mag, dann verreiße ich sie Euch auch. Versprochen.