AW: Unsterblichkeit. Fluch oder Segen?
Ich habe mir selbst schon oft Gedanken dazu gemacht und denke, die Fluch-Segen-Ansicht würde, wie so vieles, bei den meisten einer Schwankung unterliegen. Mal ausgehend von Vampiren, erster Gedanke wäre wohl bei vielen: Wie cool, ich bin unsterblich und kann tolle, übernatürliche Sachen!
Danach käme wohl recht schnell eine Phase der Gewissenskonflikte wegen Nahrungsgewohnheiten und dem inneren Tier, das bisweilen zu unmenschlichen Taten drängt. Dazu der ständige Eiertanz zwischen Freunde und Familie behalten und nicht jedem auf die Nase binden, dass man ein Vampir ist.
Hat man sein Unleben erstmal soweit geregelt, dass man eine gewisse Routine hat (Nahrung gesichert, einige, wichtige Menschen eingeweiht, neue Arbeit und allgemein eine Existenz, die Vampir-kompatibel ist aufgebaut), wird es wieder besser und wahrscheinlich für eine ganze Weile gut gehen. So lange eben, bis einem nach Jahrzehnten klar wird, dass man Verwandte, Bekannte und Freund überdauert, dass man in der normalen Gesellschaft keinen festen Bezugspunkt haben kann und, dass für die Unsterblichkeit nicht mal eine Schildkröte ein angebrachter Weggefährte ist. Ob man als geistig 200-Jähriger dann Lust hat, zwischen den menschlichen Generationen zu springen und sich mit der neuen Jugend einzulassen, das wage ich noch zu bezweifeln.
Dann wird man wieder etwas finden, womit man sich arrangieren kann. Ein anderer Vampir vielleicht oder eine Familie, die über einen bescheid weiß, und die man über Generationen hinweg begleitet. Irgendwas. So lange, bis einem klar wird, dass nicht mal Städte, Länder und uralte Bauwerke mehr einr Orientierung bieten. Alles stürzt ein, die Welt wird immer schneller, bunter und abgedrehter. Städte, in denen man doch nur ein paar Jahrzehnte oder vielleicht ein Jahrhundert gelebt hat, werden abgerissen, Stück für Stück und verfremdet neu gebaut. Spätestens an diesem Punkt werden sich die meisten von der Welt der Sterblichen verabschieden. Insbesondere, weil man Jahrhunderte Zeit hatte, um sein Bild von "Menschlichkeit" neu zu definieren. Menschen schlachten ab, führen Krieg, foltern, demütigen und werden nicht müde, all diese Handlungen auf neue Spitzen zu treiben.
Danach wird wohl wieder eine Hoch-Phase kommen, aber an Perversionen der Moral stehen dem Vampir dann wohl alle Türen offen. Ein vorher eher schlechter oder neutral-pragmatischer Mensch wird wohl eher in Richtung der Pfade tendieren, die Menschen als niedere Tiere ansehen. Die guten Menschen kann man halt mögen, aber es gibt keinen grundsätzlichen Vorzug der Menschen vor irgendwelchen Raubtieren. Er wird die Menschheit ausbeuten und verlachen und wird eine jener seelenlosen, kalkulierenden Bestien, die den Vampiren ihren üblen Ruf verschafft haben und vielleicht wird er dadurch irgendwann in die Machtposition eines Ausbeuterstaates oder so kommen, wo er dann selbstzufrieden den Tyrannen spielt, bis die Welt zu Grunde geht.
Ein zuvor eher guter Mensch wird sich wahrscheinlich in Verzweiflung ob der Bosheit der Menschen in Isolation flüchten, nur noch wenigen, ausgewählten Individuen trauen und sich in irgendeine Arbeit vertiefen. Vielleicht erwacht er irgendwann aus seiner abgeschotteten Lethargie, um zu sehen, dass die Menschheit sich selbst vernichtet hat. Dann bleibt ihm nur noch die Frage, ob er lachen oder weinen soll. Wahrscheinlich wird er es selbst nicht wissen.
Insgesamt muss man halt sagen, die Geschichte der Menschheit wird nicht ewig wären, und was dann aus einem Unsterblichen wird, das kann ich mir wirklich nicht vorstellen. Davor, wie gesagt, ich vermute ein ewiges auf und ab, ob Fluch oder Segen hängt von vielen Faktoren ab. Ich würde erst mal zu Segen tendieren, aber da würd ich auch nicht viel drauf wetten, dass ich das im Ernstfall noch unterschreiben würde.