AW: Unbewaffneter Kämpfer
Ketzerischer Einwurf: im Fantasy Companion "Making Races" gibt es ja einen Rassenvorteil, der dem hier diskutierten Edge inhaltlich entspricht:
- Natural Weapons (Str+d6 with any two weapons or Str+d4 with all natural attacks)
Der kostet im FC nur +1 Vorteilspunkt !
Das ist eine ganz ANDERE Baustelle, als über die Konzeption von Talenten zu überlegen. Vor allem von Talenten, welche die Charaktere auch später noch LERNEN können sollen.
Der "Rassen-Baukasten" im Fantasy-Kompendium (oder Fantasy Companion oder den Toolkits) ist KEIN Baukasten für Edges/Talente!
Dort werden VIELE Eigenschaften mit +1 veranschlagt, die, vergleicht man quer über Savage Settings mal Edges/Talente mit gleichartigem Effekt, eigentlich ein "volles Talent" also einen vollen Aufstieg "wert" wären.
Solch einen Vergleich zu machen hilft aber nicht weiter. - Wieso ist +2 Charisma eine +2 Rassen-Eigenschaft, wenn totale Gift- und Krankheits-Immunität nur eine +1 Eigenschaft ist? Wieso ist +1" Reichweite im Nahkampf nur eine +1 Rassen-Eigenschaft, während man dafür in Settings wie Solomon Kane oder PotSM das Lunge Edge (leider im Fantasy-Kompendium FALSCH als "Stoßangriff" - was soll das denn überhaupt sein? - statt korrekt als "Ausfall" aufgeführt) nehmen muß?
Beim Erstellen von Edges sind erst einmal ANDERE Punkte zu beachten als beim Erstellen von SC-Rassen. - Vor allem haben die Rassen-Eigenschaften KEINE Rang-, Attributs-, Fertigkeits-Wert- oder Talent-VORAUSSETZUNGEN!
Eine SC-Rasse, die Parade +1 als Rasseneigenschaft erhält, erfordert nicht, daß ein Individuum dieser Rasse ÜBERHAUPT auch nur Kämpfen auf W4 beherrscht, sondern das kann JEDER dieser Rasse "einfach so". - Ein Talent, das Parade +1 gibt, braucht eine Einstufung in puncto Rang (meist sind solche Talente ab Fortgeschritten aufwärts eingestuft), in puncto Kategorie (als Kampf-Talent wäre das möglich, kann immer genommen werden, aber z.B. im "Paket" als Akrobat ist es ein Experten-Talent, das nur unter bestimmten Bedingungen genommen und angewandt werden kann - zudem sind Experten-Talente NICHT kumulativ mit anderen Experten-Talenten, Kampf-Talente schon), usw.
Der Rassen-Baukasten liefert eine etwas feinere Abstufung für einzelne Eigenschaften einer Rasse als die grobe Regelung in der SW-GE. Aber: Man kann den Rassen-Baukasten - wie ALLES im Fantasy-Kompendium - NICHT EINFACH SO für seine eigenen Entwicklungen heranziehen!
Also nicht das eigene Hirn abschalten und einfach stumpf die dort gelisteten Eigenschaften zu den dortigen Punkte-Werten nehmen und hoffen, daß das für die eigene Kampagne schon passen wird. "Ist doch Fantasy. Da muß doch alles aus dem Fantasy-Kompedium ohne Nachdenken verwendbar sein!"
Eine totale Gift- oder Krankheits-Immunität in einem Setting, welches sich gerade auf Bedrohungen durch Seuchen oder um Intrigen und Giftmorde dreht, ist nicht mehr nur ein +1 Rassen-Vorteil, sondern IN DIESEM SETTING mehr wert. - Natürliche Waffen in einem Setting, wo JEDER mit Schußwaffen und Körperpanzerung herumläuft, ist weniger wert, als in einem Setting, in welchem Metall-Waffen wie Schwerter selten sind (wie dem "Metallfresser"-Setting im Fantasy Toolkit) und man aber ständig in Nahkampfsituationen gerät.
Und das sind nur die Überlegungen zur Wertigkeit von Rassen-Eigenschaften bei SC-Fremdrassen-Konstruktion. Diese sollten FÜR DAS VORLIEGENDE SETTING gegeneinander ausbalanciert sein, so daß jede SC-Rasse einen überlebensfähigen, spielbaren und spielenswerten Charakter zu erstellen ermöglicht.
Bei Talenten zu einer bestimmten Individualisierungsrichtung, hier "Waffenloser Kampf", sind andere Überlegungen entscheidender. Und zwar der Vergleich mit anderen Individualisierungswegen wie einem bewaffneten Nahkämpfer, einem Zwei-Waffen-Experten, einem Fernkämpfer, usw. - Wieviele Talente erfordern diese Individualisierungswege, um das betreffende Charakterkonzept umzusetzen? Ein waffenloser Nahkämpfer sollte NICHT mit deutlich WENIGER Talent-Aufwendungen auskommen können.
Beispiel für einen echten "Griff ins Klo" bei solch einer Talentumsetzung ist im Fantasy-Kompedium das Experten-Talent "Adept". Dieses SCHENKT einem mit AH: Wunder bestückten, übernatürlich begabten Charakter den Extra-Schaden einer "natürlichen Waffe" von +W4, läßt den "unbewaffneter Verteidiger"-Bonus für seine Gegner wegfallen, UND erlaubt noch das Anwenden von Wundern als FREIE AKTION! - Allein letztere Eigenschaft ist schon ein komplettes Talent wert (wie man z.B. beim Hellfrost-Edge Disciple of Tiw sieht). - Das "Adept"-Talent wurde ja wegen seiner "no brainer, Weichnachtsgeschenk, Rundum-sorglos-Paket"-Unbalanciertheit im Pinnacle-Forum schon beim Erscheinen des Fantasy Companions völlig zurecht zerrissen. Aber es ist immer noch ein gutes Beispiel dafür, wie man es NICHT machen sollte!
Schaut man sich an, daß ein waffenloser Kämpfer NIEMALS mehr entwaffnet werden kann, daß er NIEMALS mehr als unbewaffneter Verteidiger gilt, daß er NIEMALS mehr eine Waffe ziehen bzw. bereitmachen muß, dann sind das schon HEFTIGE Vorteile, die auch OHNE einen Waffen-Schadenswürfel für unbewaffnete Angriffe gleich einmal mindestens ein Talent/einen Aufstieg wert sind.
Ein Waffenkämpfer MUSS seine Waffe ziehen. Wird er entwaffnet, dann ist er ein unbewaffneter Verteidiger und kann manche seiner Kampftalente nicht mehr anwenden (schieße dem Scharfschützen seine Pistole aus der Hand und sein Talent Scharfschütze nutzt ihm nichts mehr). - Das bedeutet, daß diese bewaffneten Kämpfer entweder auch in ein Talent investieren müssen, das ihnen den Nachteil unbewaffneter Verteidiger zu sein erspart (Martial Artist in DL:R z.B.) und/oder in ein Talent wie Schnellziehen (und weitere Waffen), die eine Wiederbewaffnung schnell erlauben.
Ich halte daher von solchen "Paketierungen", die zusätzlichen Schadenswürfel (egal ob W4 oder W6) mit "gilt als bewaffnet" und gar noch mit einer "Immunität gegen Überzahl" verbinden für in den allermeisten Settings MISSLUNGENE Umsetzungen. So etwas paßt nur in Settings, wo auch die anderen Charaktere entsprechende Paketierungen bekommen wie die Waffenlosen (mal aus dem Ärmel eine Paketierung für ein Old-West-Professional Edge: "Gunslinger" - enthält Quickdraw für Sixguns, Feuerraten-Erhöhung durch Fanning auf RoF 3 (Rock&Roll! reduziert die Full-Auto-Penalty), und Speedload mit der Sixgun (bei Settingregeln zum verlangsamten Nachladen, statt der normalen SW-Nachlade-Regelung)).
Zwei Talente - eines um "immer bewaffnet" zu sein, ein weiteres für mehr Schaden als nur den "nackten" Stärkewürfel - ist m.E. für die meisten Settings ausgewogen genug. - Besser fände ich ein wenig Überlegung aus dem Spielwelthintergrund, ob sich nicht so etwas wie die unterschiedlichen waffenlosen Kampfstile von DL:R umsetzen ließen. Diese führen in der Praxis schon zu stilistisch deutlich unterschiedlich agierenden Waffenloskämpfern, was ich als Bereicherung empfinde.
So könnte eben der harte Straßen-Schläger nur +W6 Schaden machen, während der versierte Konter-Boxer +1 Parade bekommt, aber nur +W4 Schaden macht. Der Ringer macht seinen Schadensbonus nur im Ringkampf, bekommt zum Grifffassen aber +2 auf seinen Kämpfen-Wurf und macht im Ringen dann +W6 Schaden. Der Savate-Kämpfer bekommt zwar waffenlos nur +W4 Schaden, kann aber im Kampf mit einem leichten Stock (La Canne,STR +W4 Schaden) oder mit einem Langstock (Grand Baton, STR+W6, KEINE Reichweite 1") ohne Mehrfachaktionsabzug einen waffenlosen Tritt-Angriff in derselben Aktion ausführen (mit anderen Waffen kostet das wie üblich -2 MAA auf ALLE Aktionen). usw.
So etwas räumt natürlich den Kampfkünsten breiten Raum ein und könnte somit aus dem Setting heraus einfach zu viel und zu breit sein. Bei DL:R paßt das, aber im 08/15-Fantasy-Setting braucht es meist diese Unterschiede nicht. - Sobald man aber mit "Fechtschulen" auch in Fantasy-Settings anfängt, dann sollte man sich wirklich überlegen auch dort die waffenlosen Stile aufzuwerten.
An sich haben derartige Fechtschulen schon allein aufgrund der kulturellen Voraussetzungen wenig bis nichts in typischen Fantasy-Welten zu suchen. Wo immer sie vorkommen, rücken sie jedoch den Blick mit mehr Details und Besonderheiten auf die Fechter unterschiedlicher Ausprägung, während die Schützen und die Waffenlosen gegenüber den Fechtern blass aussehen. Und das paßt m.E. für ein Mantel&Degen-Setting gut, aber NICHT für ein Fantasy-Setting mit Waldläufer-Bogenschütze, Wikinger-Axtwerfer, asiatischem Kampfmönch, usw. - Bei PotSM sind die Fechtschulen sinnvoll, weil es eben in diesem Setting WENIGER Möglichkeiten für UNTERSCHIEDE im kämpferischen Stil gibt, als in einem Fantasy-Setting.
Nicht die Tatsache, DASS die Fechtschulen im Fantasy-Kompendium aufgenommen wurden, ist irgendwie problematisch (ich finde das sogar gut!), sondern der NUTZER des Fantasy-Kompendiums MUSS hier wirklich genau ÜBERLEGEN, was er denn alles an Kompendiums-Bausteinen übernehmen möchte, und in welcher Form! Und welche FOLGEN das für seine Spielwelt und die Balance zwischen den Spielercharakteren hat, das gilt es gut zu bedenken. Wie gesagt: Fechtschulen und waffenlose Kampfstile vertragen nicht alle Fantasy-Settings.