Die ersten zwanzig Minuten sind die absolute und sichtbare Realität. Babydoll hat ihre Mutter verloren. Ob ihr Stiefvater sie umgebracht hat oder nicht, bleibt ungeklärt, liegt aber aufgrund der Erbschaftsgeschichte recht nahe. In jedem Fall ist er ein Schwein und will auch Babydoll und ihrer Schwester Schmerzen zufügen. Er schließt Babydoll ein, um sich an der schwächeren Schwester zu vergehen. Sexuell oder nicht spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Babydoll will ihre Schwester schützen. Sie entkommt dem Zimmer, schnappt sich die Waffe. Babydoll schießt auf ihren Stiefvater, verfehlt ihn und trifft ihre Schwester. Es ist ein Unfall, aber das spielt keine Rolle, denn die Schuld, die Babydoll für diese Tat empfindet ist letztendlich Dreh- und Angelpunkt des ganzen Films und gefällt mir personlich etwas mehr, als wenn der Stiefvater die Rolle des Täters übernimmt. (Auch möglich, aber nicht meine erste Wahl, da es in meiner Version dramatischer, grausamer und letztendlich das Ende auch als Happy End für Babydoll zu bewerten ist. Aber dazu komme ich noch.)
Babydoll wird von ihrem Stiefvater in die Klappse gesteckt. Er besticht die Ratte, den Pfleger, damit er die Unterschrift der polnischen Ärztin/Psychologin fälscht und Babydoll von einem Arzt, der sich auf das Lobotomisieren von schweren Fällen versteht, permanent ausgeknippst wird. Wahrsceinlich, um zu vertuschen, dass er die Mutter getötet hat. Und aus Rache. Der Arzt soll in ein paar Tagen eintreffen. Babydoll trifft im "Theater" auf andere Insassen. Die polnische Ärztin/Psychologin will hier versuchen, den geistig verwirrten Mädchen zu helfen.
Der Film macht einen Sprung. Wir sehen, dass der mittlerweile anwesende Arzt Babydoll mit dem Meissel das Hirn ausknippsen will. Kurz, bevor es dazu kommt, spielt sich noch einmal alles, was zwischen ihrer Ankunft im Irrenhaus und dem Augenblick kurz, bevor der Hammer den Meissel in ihr Hirn treibt, geschehen ist.
Babydoll trifft Rocket, Amber, Sweet Pea und Blondie im Theater und schließt Freundschaft. Möglicherweise sind Rocket, Amber und Blondie auch einfach nur Hirngespinst. Sweet Pea in jedem Fall nicht. Das spielt ohnehin keine Rolle, denn von nun an verlassen wir die Realität und sehen den größten Teil des Films die Realität, die sich entweder Babydoll selbst oder aber die anderen Mädchen ausgedacht haben. Wir befinden uns nun quasi auf einer Ebene mit dem Bewusstsein der Protagonistinnen. Ich vermute, dass Babydoll durch die Schuldgefühle und den Tod ihrer Schwester sich in jedem Fall freiwillig in diese Realität flüchtet. Die anderen Mädels sind jedenfalls schon länger da. Sweet Pea ist allerdings - wie auch Babydoll -, noch Teil der wirklichen Realität. (Auch das ist wichtig.)
Auf dieser Ebene der Realität sind die Mädchen Huren (eigentlich immer noch Insassen), die für die Ratte arbeiten. Wie alle anderen Insassen und Arbeiter auch, inklusive der Ärztin/Psychologin, die auf dieser Ebene ebenfalls eine Hure ist und keine wirkliche Macht besitzt. (Und tatsächlich auch nicht in der tatsächlichen Realität, da die Ratte ihr den ganzen Film lang auf der Nase herumtanzt, bis zu dem Punkt, an dem sie es dank der kopierten Unterschift endlich rafft.) Dies alles verdeutlich letztendlich, dass die Ratte der wahre Herr des Hauses ist. Der Pimp eben. Babydoll erfährt, dass in fünf Tagen der "High Roller" anrückt und ihr, also dem Neuzugang, mal den Meissel in ihr Allerheiligstes rammen wird, denn dafür wurde die Ratte (der Lude/der Pfleger) fürstlich bezahlt. (In der Realität ist der "High Roller" natürlich der Arzt, der an Babydoll die Lobotomisierung durchführen wird. Aber Babydoll ist bereits zu sehr in der Hurenrealität, als das es eine tatsächliche Rolle spielt. Der "High Roller" ist einfach die Deadline, bis das Ende gekommen ist.)
Die Mädchen fassen den Plan, aus dem Hurentheater (der Anstalt) zu fliehen. Jeder wird dafür Gründe haben - Sweet Pea und Rocket wollen zu Mutti, Babydoll will vielleicht einfach nicht lobotomisiert werden. Dazu brauchen sie das Feuerzeug, die Karte der Anstalt, ein Messer und den Hauptschlüssel, der alle Türen öffnet. Auf der Hurenebene und in der Realität. Babydoll erhält diese Informationen vom alten Mann - ihrem Guide, dem Unterbewusstsein, Gott oder was ihr wollt, der Typ spielt erst wirklich eine Rolle am Ende des Films und ist da aller Wahrscheinlichkeit nach auch zum ersten mal wirklich real und wirklich bloß Busfahrer. Letztendlich muss man aber kein Gehirnchirurg sein, um all diese Gegenstände kombiniert miteinander als die Gegenstände zu identifizieren, die sie in die Freiheit führen können, also gehe ich persönlich stark davon aus, dass "der Guide" einfach bloß ein Geistesblitz von der bereits auf der Hurenebene denkenden, diese Realität als die ihre annehmenden Babydoll ist. Die Puppe hat sich auf die Ebene zurückgezogen, um der Realität zu entfliehen, will aber trotzdem noch frei sein. Babydoll kann sich entweder ihrem Schicksal ergeben oder für ihre Freiheit kämpfen und entschliesst sich für letzteres. (Freiheit ist auch etwas, das ein ziemlich starkes Wort im Film ist und extreme Wirkung am Ende hat, aber eigentlich bloß am Rande mal erwähnt wird. Das hat mir gefallen.)
Babydoll nutzt höchstwahrscheinlich ganz einfach ihren Sex Appeal und ihre neu entdeckten Tanzsküllz - auf der Hurenebene ganz sicher, in der Realität sicherlich auch, Männer sind auf jeder Ebene sabbernde Idioten -, um für Ablenkung zu sorgen, während ihre Mitverschwörerinnen die notwendigen Gegenstände beschaffen. Das klappt bei der Karte hervorragend, beim Feuerzeug auch. Beim Messer geht etwas schief - das Radio schließt kurz, die Musik stoppt, der fette Koch wird aufmerksam. Rocket opfert sich für ihre Schwester, Sweet Pea, und stirbt durch einen Unfall, als der Koch sie ersticht. Ausserdem hat Blondie gepetzt und alles scheint verloren, denn die Ratte kennt nun ihre Ausbruchspläne. (Sowohl auf der Hurenebene als auch in der Realität.) Amber gelingt es dennoch, dass Messer zu entwenden.
Was auch immer mit Amber und Blondie in der Realität passiert, wird nicht wirklich geklärt. In der von den Mädchen erschaffenden Hurenebene werden beide von der Ratte als Strafe für ihren Ungehorsam umgebracht. Vermutlich passiert das in der Realität auch, allerdings bezweifle ich, dass sie dort erschossen werden. Wahrscheinlich lässt er sie auf andere Art und Weise verschwinden. Kann er ja, die Anstalt kennt ohnehin weder Gerechtigkeit noch Gesetz, wie wir spätestens aus Einer flog über das Kuckucksnest wissen. Sweet Pea wird bereits vorher auf die Stille Treppe in Einzelhaft gesteckt. Die Ratte, der ohnehin ziemlich scharf auf Babydoll ist, will sich an ihr vergreifen, wird aber mit dem von Amber erbeuteten Messer niedergestochen. Babydoll schnappt sich den Schlüssel der Ratte und befreit Sweet Pea. Die beiden sind die letzten, die noch übrig sind. (Auf beiden Ebenen.)
Mit der Karte können sie den Aufgang erreichen. Mit dem Feuerzeug legen sie Feuer. Das Messer hat seinen Dienst bereits getan und dienste auch nur dazu. Der Schlüssel öffnet die Türen. Es gibt aber noch einen fünften Gegenstand, ohne den die Freiheit nicht erlangt werden kann.
Babydoll.
Babydoll realisiert, dass sie nicht fliehen kann. Es geht hier nicht um sie, es geht um Sweet Pea. Sweet Pea ist die Einzige, die nicht komplett den Verstand verloren hat. Babydoll selbst kann nicht fliehen, denn sie wird immer Schuld tragen am Tod ihrer Schwester. Das sagt sie nicht, aber ich gehe jede Wette ein, dass sie das in dem Augenblick realisiert und wieder ein kleinen Schritt zurück in die Realität zulässt. Es spielt keine Rolle, wie weit sie rennt. Es gibt ohnehin nur eine Möglichkeit, endlich frei zu sein.
Wie Babydoll sagt, ist Sweet Pea die Stärkste von ihnen. Diejenige, die in der Realität leben und überleben kann. Diejenige, die den ganzen Film über realistisch geblieben ist. Die nicht geträumt hat. Die besorgt war und verankerter mit der Wahrheit war, als alle anderen. (Vielleicht hat sie auch nur auf der Hurenebene mitgespielt. Ohnehin nicht an einen Erfolg geglaubt, aber mitgespielt.) In jedem Fall gehört sie nicht ins Irrenhaus. Sie muss nach Hause. Es geht und ging nur um Sweet Pea und ihre Freiheit. Also sorgt Babydoll für Abwechslung, damit Sweet Pea entkommen kann.
Und das ist der Augenblick, in dem wir zurückgerissen werden und Babydoll vom Meissel das Hirn zerschmettert wird. Der Arzt ist bestürzt, denn wie er sagt, hat Babydoll ihn sogar dankbar angeschaut. Er bespricht dies mit der Ärztin/Psychologin, und beide sind sich einig, dass Babydoll nicht hätte lobotomisiert werden müssen. War ja auch die Schuld der Ratte, der ihre Unterschrift gefälscht hat. Ausserdem erfahren wir in dieser Szene, dass all das, was wir die ganze Zeit angeschaut haben, tatsächlich Realität war. Nur die Hurenebene hat die Realität verzerrt. Und sie wollten nicht dem Hurentheater, sondern der Anstalt entfliehen. Aber der Rest? Alles Realität.
Warum aber ist Babydoll nun dankbar? Ganz einfach: Sie ist frei. Frei von Schuld und Vorwürfen. Sie hätte nicht davor fliehen können, dass sie ihre eigene Schwester getötet hat. Also mussten alle Gedanken....ausgelöscht werden. Babydoll, so wie Sweet Pea, hat ihre Freiheit erlangt.
Die Ratte wird erwischt. Vermutlich wird er den Stiefvater verpfeifen. Spielt keine große Rolle für Babydoll mehr. Sie ist frei. Kein Indianer, der sie mit 'nem Kissen erstickt, aber das nächstbeste.
Frei von Gewissen und Schuld und was auch immer ihr noch angetan wurde, dem sie nicht entfliehen konnte. Happy End, Babydoll.
Und Sweet Pea? Die entkommt. Mit dem Bus. Der "Guide" tritt noch einmal als Busfahrer auf. Ich möchte annehmen, dass wir - wieder in der Realität -, davon ausgehen können, dass er hier faktisch und körperlich zum ersten mal auftaucht. Eben die Retter Metapher. Als "Guide" ist er derjenige, der sie weitermachen lässt. Die Willenstärke und Motivation der Mädchen, aus ihrem Gefängnis zu entkommen. Als Busfahrer rettet er Sweet Pea, in dem er ihr ein Alibi verschafft und sie dann in Sicherheit bringt. In die Freiheit. Zu Mutter. Und wir wissen, dass Sweet Pea überleben kann und wird. Auch in der Realität. Sie war von Anfang an die Einzige.
Was ist nun eigentlich mit den ganzen pornomäßigen Kampfsequenzen? Habt gedacht, diese für den Plot absolut unwichtige Kleinigkeit vergesse ich, was?
All diese Sequenzen sind die dritte Ebene. Sie dienen lediglich der optische Versinnbildlichungsgehirnholocaust dessen, was passiert. Der Kampf mit den Samurai ist Babydolls Realisierung, dass sie kämpfen und entkommen möchte. Der Kampf mit den Soldatenzombies, dem Drachen und auch im Zug sind einfach die kunstvoll eingefangene Stimmung der Situation an sich. Des Tanzes von Babydoll. Und auch der Gefahr, die auf den beiden anderen Ebenen der ständige Begleiter der Mädchen ist. Ich würde nicht einmal behaupten, dass Zack Snyder damit irgendwas anderes tun wollte, als uns, den Zuschauer, komplett zu hirnficken und zu unterhalten. Genausogut hätte er uns zeigen können, wie Babydoll tanzt, für Ablenkung sorgt während Amber das Feuerzeug klaut. Aber ein Drache und Orks sind geiler. Er hätte sich die Zombiesoldaten sparen können und einfach zeigen können, wie Babydoll tanzt und Sweet Pea die Karte stiehlt. Grabenkampf und Mecha sind aber geiler. Und er hätte den Zug und die Roboter links liegen lassen und einfach zeigen können, wie Babydoll tanzt, wie Sweet Pea versucht, das Messer zu stehlen, wie das Radio einen Kurzschluss bekommt und Rocket sich opfert....und tatsächlich hat er das in diesem Fall sogar. Rocket stirbt im Zug mit den Robotern. Rocket stirbt auf der Hurenebene. Und sicherlich stirbt sie auch in der Realität.
All die Effekt Scheisse und das Martial Arts war unnötig für den Plot, das stimmt absolut. Aber es war die allergeilste Art und Weise, Stimmung einzufangen, aufzublasen bis einem die Augen aus dem Kopf fallen und sie dann Zack Snyder-mäßig in Zeitlupe und mit optischer Bildgewalt ins Gehirn der Zuschauer zu rammen.
Es war pure Situation. Pure Stimmung. Die Stimmung, die Gefahr, die auf den Mädchen gelastet hat. Wie gesagt glaube ich gar nicht, dass es Snyder darum ging, irgendwie mehr damit auszusagen als "Boah, die Mädchen sind gerade voll auf Adrenalin. Damit ihr das irgendwie nachvollziehen könnt, schaut euch die krasse Scheisse hier an. Dann wisst ihr in etwa, was sie gerade in diesem Augenblick durchmachen!"
Die Effekte waren für uns. Augenschmaus. Weil Drachen, Zombiesoldaten, Roboter, Samurairiesen, Orks und Martial Arts einfach die nervenzerfetzende Stimmung der Mädchen, all diese Verbote zu übertreten, besser ausdrücken konnte, als es eine tanzende, blonde einsfuffzich Püppi und 'ne zitternde Hand Richtung Messer/Feuerzeug/Karte je gekonnt hätte. Und als Babydoll den Schlüssel grabscht und sich am Ende opfert, da hat sie's einfach drauf. Da ist sie drin. Ist cool. Abgeklärt. Hat alles erlebt. Nichts kann ihr mehr was anhaben. De Ratte ist einfach nur noch 'ne Ratte, der man das Messer in die Schulter schiebt, um den Schlüssel zu klauen. Und wir brauchen keine Effekte mehr, um zu erahnen, wie schnell ihr Herz pocht. Es pocht normal. Babydoll hat die Angst endgültig besiegt. Gekämpft und gewonnen.