Sturmwind (Teil 2)

Elfchen

Die verlorene Tochter
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16. März 2004
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[die kürzer geratene Fortsetzung...]

Chion stand am Kai, betrachtete das Medaillon und lauschte der Musik. Abermals hörte er dieses seltsame Rufen und er sah gen Norden. Dann begabt er sich auf das Schiff, die Mannschaft erwartete ihn bereits. Siebenundzwanzig starke unerschrockene Männer hatte sein Vater zu seiner Begleitung ausgesucht, darunter der gesamte Rest der eigenen Mannen. Sie holten die Taue ein, zogen den Anker aus dem Wasser und setzten die Segel.
Chion stand am Bug des Schiffes und hielt sich die Hand leicht vor die Augen. Die Morgensonne schien ihm grell ins Gesicht. Das Schiff lief aus, und setzte langsam Kurs gen Nordosten, dorthin, wo Chions Herz sie führte.
Er blickte nicht zurück, selbst wenn er es täte, nach nur kurzer Zeit verschwand Maríc hinter ihnen und er hätte es nicht mehr gesehen. Chion atmete tief ein und eine salzige Brise wehte ihm um die Nase. Welch ein Gefühl, frei von jeglicher Fessel des Festlandes.

Jemand klopfte ihm auf die Schulter. Chion wand sich zu ihm. "Na, alter Freund?" - "Felegas?", er sah ihn verwundert an, "Felegas Arykson, mein Freund!"
Felegas nickte: "Ja, ich bin es. Deine Augen täuschen sich nicht." - "Ich wusste nicht, dass du zu meiner Mannschaft gehörst.", sagte er voller Erstaunen und Freude, "Wie kam es dazu, dass du bei einem Schiff angeheuert hast? Und dann ausgerechnet bei der Nemreth?", fragte Chion verwundert.
"Nun,", begann er, "dein Vater suchte nach freiwilligen für die erste Fahrt seines Sohnes. Viele erfahrene Seebären begleiten dich, und dass ist auch recht so. Jedenfalls traf ich ihn in der Taverne und er bat mich, dich zu begleiten. Unter so vielen unbekannten Gesichtern solltest du jemanden haben, der dir nahesteht, zumal er selbst nicht mitfahren durfte. er bat mich, auf dich achtzugeben, du seiest seit eurer letzten Begegnung sehr hitzköpfig geworden sein, Chion." Felegas sah Chion musternd an.
"Eine solch plötzliche Veränderung war es nun wahrlich nicht. Immerhin lagen sechs lange Jahre dazwischen. Zudem habe ich sehr lange und ausgiebig darüber nachgedacht und viel gezweifelt, aber letztendlich habe ich meine Wahl getroffen...", er hielt inne, "...findest du nicht, dass der Wind auffrischt?"
"Du siehst Gespenster...", lachte Felegas, "da ist nichts. Der Wind ist noch immer so angenehm, wie vor dem Ablegen."

Noch immer fröstelte es Chion und er sah unsicher nach Norden. "Mache dir nicht solche Gedanken darüber. Das ist nur deine Angst, immerhin ist es deine Jungfernfahrt. Das muss gefeiert werden!", rief Felegas. Die Mannschaft jubelte und einer von ihnen holte ein Faß Bier aus dem Lagerraum.
Sie stachen es an und versorgten jeden Mann mit einem Krug. Zuletzt bekamen Felegas und Chion ihre Krüge. "So, Kameraden,", begann Felegas feierlich, "da es die erste Fahrt des jungen Kapitäns Chion, dem Sohn Phesils und Nemreths, welche dem Schiff ihren Namen gab und der Galionsfigur zu Grunde stand, Gott möge sie selig haben, ist, wollen wir anstoßen, auf eine beschauliche Reise mit vielen Abenteuern und wenig Unwettern, denn eben dies ist, was dieses Schiff am wenigsten gebrauchen kann, nochmehr Wind!"
Die Mannschaft lachte und jubelte: "Auf Chion, unseren Kapitän!" - "Auf den Kapitän!" klang es von Deck. Dann begann Felegas wieder zu sprechen: "Freunde! Erhebt das Glas...", er wurde von einem alten Mann unterbrochen: "Mein Junge, nur der Richtigkeit halber, es sind Krüge, keine Gläser!"
Wieder lachte die gesamte Mannschaft, abgesehen von Chion, der sich schwer tat, auch nur ein Lächeln über seine Lippen zu bringen. Felegas wandte sich nun seinem Freund zu und hob seinen Krug: "Nun denn, Kapitän Chion...", wieder wurde er unterbrochen, denn alle Männer schrien nach einer Rede des Kapitäns.

"Na los, Chion. Du musst ihnen geben, wonach sie verlangen.", sagte Felegas und stieß seinen Freund nach vorne.
"Nun,", er brach ab, wandte sich zu Felegas um und flüsterte: "Ich fühle mich nicht imstande jetzt eine Rede zu halten..." - "Nur Mut, mein Freund. Sprich einfach aus, was dir in den Sinn kommt."
Er holte tief Luft und sprach nun aus voller Kehle zur Mannschaft: "Wenige eurer Gesichter sind mir bekannt, die meisten von euch kenne ich nicht, und dennoch bestreiten wir hier und heute einen gemeinsamen Weg und erstreben ein gemeinsames Ziel. Ich hoffe, dass den Tatsachen zum Trotz eine große Gemeinschaft zwischen uns allen entsteht und sich viele Freundschaften bilden mögen. Denn je besser das Verständnis, desto besser das Zusammenspiel und desto höher die Chance auf ein erfolgreiches Ende der Fahrt." Dann drängte sich Felegas wieder nach vorne: "Nun gut... erhebt eure Krüge...", er sah zu dem Alten herüber, "und lasst uns anstoßen, auf den besten Kapitän, und Sohn des wohl berühmtesten Seefahrers aller Zeiten. Möge uns der Gott der Meere wohlgesonnen sein." Sie stießen an und leerten ihre Krüge.

Chion erhob nun auch seinen Krug und stieß mit Felegas an, aber gerade in dem Moment, als die beiden Krüge aneinanderstießen, zerbrachen beide in tausend Stücke und fielen, so kam es Chion vor, wie in Zeitlupe zu Boden und barsten in noch kleinere Stücke. Er riss die Augen weit auf und sah entsetzt auf den Scherbenhaufen. Er war sich sicher, dass dies nichts Gutes zu bedeuten hatte.
In den folgenden drei Wochen war von keinen besonderen Vorkommnissen zu berichten. Die Mannschaft war emsig dabei, auf Kurs zu bleiben, während Chion immer öfter ein Gefühl von Unbehagen befiel und immer öfter dieses Frösteln auftrat.

"Felegas, mein Freund. Ich bin mir sicher, dass sich da draußen etwas zusammenbraut. Ich kann es nicht erklären, aber so sicher war ich mir nie irgendeiner Sache.", sagte Chion besorgt.
Felegas sah in nur verwundert an: "Schon bei unserer Abreise hast du dich seltsam verhalten. sieh doch,",
er zeigte gen Himmel, "keine einzige Wolke ist zu sehen."
Verzweifel redete er weiter auf ihn ein: "So glaube mir doch. Wir müssen alles auf seine Sicherheit überprüfen."
"Wenn du dann endlich zur Ruhe kommst. Aber nicht allzu auffällig, sonst könnte die Mannschaft auf dumme Gedanken kommen."
Die folgende Woche brachten Felegas und er damit zu, alles an Bord zu überprüfen, Taue, Segel, Ruder und Steuer. Ebenso den Schiffsrumpf und die Masten.
"Kapitän! Kapitän!!!", rief ein Mannschaftsmitglied, "Kapitän!!!", ganz außer Atem kam er zu Felegas und Chion, "Die Vorräte, sie sind alle verdorben und weit und breit kein Land in Sicht..."
Felegas und Chion sahen sich einen Moment an und folgten dem Mann in die Vorratskammer.
Der Zwieback war nurnoch eine weiche, schimmlige, ungenießbare Pampe, das Mehl war nass geworden und verklumpt, der Wein war ausgelaufen, das Bier war schal und Obst und Gemüse verdorben.
Als sie das Fleisch anschnitten, fielen unzählige Maden heraus, die sich auf dem Boden und im Fleisch wanden. Ein ekelhafter Geruch stieg von den Lebensmitteln auf, dass einjeder, der es roch mit sich zu kämpfen hatte, um sich nicht sofort zu übergeben.

"Was zum Teufel ist hier passiert?", fragte Felegas verärgert.
"Nun, wir wissen es nicht. Jedenfalls war es kein Kabauter, wir haben schon im Bug nachgesehen.", antwortete der Mann.
"Und was war es dann? Etwa Sabotage?", mutmaßte Felegas.
"Nein,", sagte Chion, "davon will ich nichts hören. Nicht auf meinem Schiff!"
Sie begaben sich wieder an Deck.
"Wir müssen noch die Beiboote überprüfen. Sie werden uns im Notfall sicher helfen.", sagte Chion nachdenklich.
"Wenn du meinst. aber diene Schwarzseherei macht mir nicht gerade Mut, Chion. So langsam aber beginne ich, dir jedes Wort zu glauben..."entgegnete Felegas und stieg in die Rettungsboote, um sie auf Löcher zu überprüfen.

Plötzlich, binnen Sekunden kam ein ungeheuer starker Wind auf. Riesige schwarze Wolken türmten sich am Horizont auf und bedeckten bald den gesamten Himmel. Blitze schossen aus der Wolkendecke und Donner grollten über dem Schiff. Erst spannten sich die Segel, aber dann rissen sie. Das Krähennest stürzte in die plötzlich tosende See. Taue rissen, und aus dem Rumpf hörte man die Mannschaft schreien, dass das Schiff Leck geschlagen sei.
Die Männer, die zur Mannschaft des Vaters gehörten, riefen alle durcheinander: "Diesmal ist es das Ende!!" - "So hatte es auch damals begonnen!!" - "Wir werden alle sterben!!!" - "Ein Fluch liegt auf diesem elenden Schiff und dieser verdammten Familie!!" - "Wäre dieser Bastard doch bei seiner Geburt gestorben, so wie es seiner Mutter zuteil wurde!!!"
Chion hörte sie und war zutiefst erschüttert. Wie konnten sie so etwas sagen? Wie konnten sie es wagen, so über seine Mutter zu reden? Erst nach einigen Sekunden fing er sich wieder, rannte zum Steuer und versuchte es herumzureißen, aber es bewegte sich kein Stück.

Auf ein Mal war alles um ihn herum still, kein Wind, keine Schreie, kein Donner. Wie bei den Krügen wurde alles langsamer und stockender.
Chion nahm nichts wahr außer Felegas, der sich verzweifelt an die Taue, die das Rettungsboot hielten, klammerte. Dann sah er, dass eines der Taue im Begriff war zu reißen. Er rannte los, die Treppen herunter, quer über das Deck zum Bug. Das Tau riss entzwei und das Beiboot raste hinunter. Felegas versuchte, sich vom Boot abzustoßen. Chion hing über der Reling und versuchte die Hand des Freundes zu ergreifen, doch es fehlten noch einige Zentimeter. Felegas stürzte ins Beiboot und blieb regungslos liegen. Chion sah, wie sich Blut im Rettungsboot ausbreitete. In diesem Moment fühlte er einen stechenden Schmerz in seiner Brust, tiefsitzender als jeder andere. Er schrie ihm nach, doch war kein Ton zu hören. Das Boot verschwand in den hohen Wellen.
Chion schaute nach hinten. Zwei der drei Masten waren umgerissen worden und begruben je etwa zehn Leute unter sich, aus dem Rumpf hörte er Hilfeschreie von Ertrinkenden. Einer der Masten versperrte den Ausgang. Chion hielt sich die Ohren zu und begann zu schreien. Er schrie und schrie und übertönte sogar den Sturm. Plötzlich brach auch noch der letzte der Masten. Chion sah ihn auf sich zukommen, konnte jedoch nicht mehr ausweichen und wurde von der Stange, an der das Segel befestigt war, von Bord geschleudert und fiel in die schäumende See....
 
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