AW: Kritik von Spieler an Spieler
Mir scheint du vergisst vielmehr, dass das Reglementieren irgendeines ansonsten informellen Vorgangs diesem damit automatisch mehr Bedeutung und Gewichtung verleiht.
akzeptieren oder nicht und musst dich auch nicht rechtfertigen. Das war es was ich sagen wollte."
...
Wenn du diese Verschiebung der Gesprächsbedeutsamkeit akzeptieren kannst, ok. Aber so etwas empfinden manche - wie ich etwa - als steif, unangenehm und ganz einfach störend. Ich würde mich sehr unwohl in der Gegenwart von Leuten fühlen, die mir solche Dinge nicht einfach so mitteilen können.
Das trifft sehr genau den Punkt, warum eben FORMALISIERTE Kritik-Runden meines Erachtens sehr problematisch sind.
Wenn man mit Freunden, mindestens mal guten Bekannten spielt, und diese einem nicht EINFACH SO, d.h. nicht-formalisiert, sondern so informell, wie man einen fragt, ob er bitte die Chips-Tüte rüberreichen könnte, sagen kann, wenn er etwas an meinem Spiel nicht so berauschend oder gar WIRKLICH störend empfindet, dann hat mein eh shcon kein gutes Klima am Spieltisch.
Vor allem: wenn die formalisierte Kritik-Runde das Kritisieren, Feedback-Geben, oder einfach das beim Namen nennen von Störungen vor, nach und WÄHREND des Spielens nicht ersetzen sollte, dann bräuchte man sie ja überhaupt nicht, da während der Kritik-Runde auch nichts anderes gesagt werden KANN, als das, was informell ohnehin die Spieler miteinander austauschen.
Es ist schon so, daß die eingangs aufgestellten Behauptungen:
1. Im Grunde genommen denken doch die meisten Spieler, daß sie ihren Charakter gut ausspielen, sich in die Gruppe einfügen und alles in allem gute Rollenspieler sind, oder? (Obschon als Frage formuliert, ist es doch eine Behauptung einer Tatsache.)
2. Bei einer solchen Einstellung bleibt erstmal nicht viel Raum für Weiterentwicklung und damit man überhaupt weiß, ob und wie und worin man sich weiterentwickeln sollte oder könnte, muß man erstmal kritisiert werden.
UNBEWIESEN und sogar UNRICHTIG sind.
Ob sich "die meisten Spieler" wirklich so "überlegen" fühlen, wie die typischen "Elite-Rollenspieler" aus den Horror-Geschichten vom Spieltisch oder von Con-Runden wage ich mal zu bezweifeln. - Interessanterweise kenne ich jedenfalls in meinen Umfeld KEINEN dieser "elitären Besserspieler". Jeder spielt so gut er kann. Und heute mal flüssiger und mit mehr Elan als vielleicht das nächste Mal wenn Restalkohol oder Streß mit der Freundin für innere Ablenkung sorgen. - Und das macht noch nicht einmal irgendwem irgendetwas aus!
Die 2. Behauptung setzt die Richtigkeit der 1. Behauptung als "bei einer solchen Einstellung" voraus. - Diese Voraussetzung sehe ich schon einmal als NICHT gegeben an.
Die 2. Behauptung stellt fest, daß - eine "Elite-Rollenspieler"-Einstellung vorausgesetzt - nicht mehr viel Raum für Weiterentwicklung bleibt. - Da, wo TATSÄCHLICH eine ECHTE Überlegenheit, ein ECHTES Mehr an Können vorhanden ist, da ist der Raum für Entwicklung aus gutem Grund beschränkt: man ist eh schon so gut, wie man sein kann.
Da, wo - immer noch die "Elite-Rollenspieler"-Einstellung vorausgesetzt - eine offensichtliche Diskrepanz zwischen selbst geäußerter Kompetenz und dem gezeigten Vermögen vorherrscht, liegt KEINE Einschränkung des Raums für Entwicklung vor, sondern einfach eine etwas seltsame Selbstwahrnehmung, die weit von der Fremdwahrnehmung abweicht. - Aus welchen GRÜNDEN, ist noch nicht einmal einfach zu sagen. - Es könnte der klassische Taktiker und Buttkicker, der bislang in taktisch ausgerichteten Butt-Kicker Spieler-Gruppen der KING der Rollenspieler gewesen ist, in einer Stimmungs-Atmosphären-Jünger-Runde geraten sein (Con, Umzug, Kumpel hat ihn mitgeschleppt) und dort mit seinem WOHLBEGRÜNDETEN Selbstbewußtsein als erfahrener und "guter" Rollenspieler aufgetreten sein, und jeder dort hat diesen Anspruch nicht im Geringsten nachvollziehen können. - Manchmal ist ein "Elite-Rollenspieler" eben nur Elite für SEINE Art zu spielen und nicht für die anderer Leute.
Hier von einer grundsätzlichen Weiterentwicklungsunfähigkeit auszugehen, halte ich für schlichtweg unrichtig.
In der 2. Behauptung wurde noch festgestellt, daß es geradezu zwingend ZUERST einer Kritik bedarf, bevor ein Spieler überhaupt erkennen kann, daß und in welche Richtung er sich weiterentwickeln kann. - Das ist ebenfalls unrichtig.
Weiterentwicklung passiert VÖLLIG KRITIKFREI einfach so. - Nämlich durch NEUGIER. Dadurch, daß man mal etas anderes ausprobiert und dieses Andere dann einen selbst informiert. Die WIRKUNG des Spielens unterschiedlicher Rollenspiele auf einen Spieler ist hochinteressant. Wenn es Spiele sind, die der Rollenspieler aus welchem Grund auch immer GERNE spielt, mit denen er gute Spielerfahrungen verknüpft, dann fließt - so meine EIGENE Erfahrung im eigenen Spiel und dem in meinen Runden - AUTOMATISCH immer etwas von dem dort Erlebten, von der dortigen Spielweise, der Art, wie andere Gruppen so spielen, in das eigene Spiel ein.
Das ist ja gerade einer der Vorteile eines Rollenspielvereins. Man mischt sich in den Spielrunden nicht mit 5 sondern mit 50 Leuten! - Da erlebt man in ständig wechselnden Runden immer wieder neue "Gruppen-Chemie" und in ständig wechselnden Rollenspielen neue Darstellungs- und Abenteuer-Herausforderungen. - Durch dieses wechselintensive Klima (was man auch durch regen Con-Besuch herstellen kann), erhält man nicht etwa ständig "Kritik", sondern erlebt ständig, wie andere Spielen, kann über sein eigenes Gefühl in dieser oder jener Runde reflektieren und wird so von allen Seiten mit Ideen, Varianten, Möglichkeiten angeregt, SEINE EIGENEN zu finden.
Manchmal reicht für eine feststellbare Weiterentwicklung auch einfach, für ein Semester oder ein Jahr die Runde/Spielgruppe zu wechseln (aus welchem Grund auch immer - Praktikum, Job, Freundin des Spielleiters angebaggert, ...). Wenn man dann in die alte Besetzung zurückkommt, dann spielt man oft deutlich anders und nimmt auch die alten Spielerkumpels anders wahr.
Kritik ist somit überhaupt nicht nötig für eine Weiterentwicklung. Daher ist auch dieser Teil der 2. Behauptung unrichtig.
Ausgehend von einer unbewiesenen (und sehr wahrscheinlich nicht zutreffenden) 1. Behauptung und einer unrichtigen 2. Behauptung dann als "Lösung" für das "Problem" mit den Kritik-Runden anzukommen, löst, wie schon gesagt, das FALSCHE Problem.
Wenn man seine Mitspieler langweilig, eingefahren in immer dieselben Routinen, sich selbst und ihrer Fähigkeiten überschätzend, unflexibel, nicht aufgeschlossen, usw. empfindet, dann muß man ihnen nicht auch noch die erhöhte "Gewichtung" einer FORMALISIERTEN Kritik-Runde zumuten.
Dann sollte man mit ihnen einfach normal von Mensch zu Mensch reden.
Und weil man seine Mitspieler ja kennt, kann ein solches Reden betont einfühlsam und indirekt sein, oder direktes "Deinen Magier spielst Du scheiße! Wenn der nochmal einen Verbündeten von uns röstet, leg ich ihn um." - Wenn man mit seinen Mitspielern einen bestimmten (durchaus auch direkten) Umgangston gewohnt ist, dann wird sich niemand dadurch ERNSTHAFT aufregen. Und, klar kommt es dann eventuell zu heftigem Wortwechsel. Aber das kann es auch geben, wenn man die falsche Sorte Chips auf den Tisch tut oder das Bier noch lauwarm ist. - Das macht doch nichts.
Konflikte, gerade Konflikte unter Freunden, trägt man doch einfach so aus. - Wenn ich am Spieltisch, egal ob als Spieler oder Spielleiter, nicht haben will, daß einer seinen "inneren Serien-Mörder" ausspielt, dann sage ich ihm das ins Gesicht und zwar mitten in der Spielsitzung, wo es passiert. Ich sage ihm, daß ich gerne mit ihm Rollenspiele spiele, daß ich aber mit dem, was er da abzieht, nicht einverstanden bin und daß er das lassen soll, andernfalls er oder ich aus der Runde gehen (als Spielleiter fliegt er aus der Runde, als Spieler suche ich mir eine andere Runde). - Ich warte NICHT bis zur nächsten formalen Kritik-Runde und sage "Ich finde es beeindruckend wie konsequent und intensiv Du Deinen Charakter ausspielst.", "Ich finde, Du solltest etwas weniger Fokus auf das Ausspielen des langsamen Häutens entführter Kleinkinder legen, denn das mag ich nicht so.", "Versuche doch in Zukunft vielleicht nur sie zu erdrosseln, oder Erwachsene zu entführen und zu häuten."
ECHTE Konfliktgespräche MÜSSEN sein. - Kritik-Runden sind dafür nicht geeignet.
Kritik-Runden sind nur geeignet, wenn wirklich ALLE Teilnehmer sich etwas von einer solchen Form der Kritik versprechen. D.h. ALLE müssen irgendein persönliches Interesse an dem Gegenstand der Kritik haben. - Bei einer Theater-Gruppe, wo man versucht das bestmögliche Spiel für eine Vorführung hinzubekommen, ist das eine funktionierende (wenn auch nicht notwendigerweise formale) Möglichkeit sich gegenseitig zu besserer LEISTUNG zu bewegen.
Aber "Leistungs-Rollenspieler" gibt es nicht nur nicht so viele, sondern der Leistungsbegriff im Rollenspiel ist ja sogar noch schwammiger als im Schauspiel.
Und der ergänzte Punkt, daß sich ja ein Spieler erklären könnte, NICHT an der Kritik-Runde teilnehmen zu wollen, ist verlogen: Diese Kritik-Runde soll ja während des gemeinsamen(!) Essens stattfinden. Nun sitzt der eine dabei und muß seine Klappe halten, während der Rest das Ritual zelebriert?
Was ist mit dem hier nur allzu deutlichen GRUPPENDRUCK?
Der einzelne braucht da schon enormes SELBSTBEWUSSTSEIN, um gegen eine Gruppe, mit der er nachher noch ZUSAMMEN spielen will, zu stehen, denn das sich Heraushalten ist ja ein innerer Konflikt, ein Graben, der sich durch die Gruppe zieht und der auf ALLE Gruppenmitglieder WIRKT. - Ein einzelner "Separatist" stellt sich somit außerhalb der Gruppe. Das ist IMMER Streß. - Ist also STRESS die einzige Alternative für den Einzelnen: entweder er muß sich Sachen über sein Spiel von anderen ins erzwungenermaßen schweigende Gesicht sagen lassen, oder er stellt sich außerhalb der Gruppe und verliert somit die Kohäsion?
Das ist eine SCHEISS-Alternative!
Dann entscheidet sich der den Konflikt mit der Gruppe vermeiden wollende doch eher so, daß er bei der Kritik-Runde mitmacht und so-la-la mal irgendwelche Unverbindlichkeiten als "Kritik" an die anderen äußert und hofft, daß ihn die Kritik der anderen nicht zu sehr trifft und ihn nicht zu sehr ärgert ohne daß er den Ärger (und den damit im Hintergrund ausgelösten Konflikt) austragen darf.
Das ist auch eine Scheiß-Alternative!
Für jemanden, der die Kritik-Runde NICHT mitmachen will, weil er es nicht mag, nicht einsieht, nicht kritisiert werden will, für sein Hobby, welches er ohne jegliche LEISTUNGSZWÄNGE betreiben will, ist allein diese Einführung einer bedeutungsschweren, formalisierten Kritik-Runde eine klare Klimaverschlechterung im menschlichen Umgang in der GESAMTEN Gruppe.
Vielleicht spielen ja in der betreffenden Runde, wo diese Kritik-Runde eingeführt werden soll, nur Leistungs-Rollenspieler mit, die sich ständig miteinander und aneinander messen müssen, wer jetzt besser spielt. Dann könnte diese Kritik-Runde auf Leute treffen, die mental gegen den Streß und die Ängste und die Ausgrenzung abgehärtet sind. - Aber für andere Menschen sehe ich diese Methode eher als schädlich denn als nützlich an.
Formale Kritik hat ihren Platz und kann wirklich nützlich sein.
Aber der Platz ist NICHT eine Rollenspielrunde und sie nützt KEINEM Rollenspieler.