AW: Ist die Trennlinie zwischen Oldschool und Storytelling der Munchkinismus?
Ich finde es immer wieder interessant wie leichtfertig old-schooler von Leistung sprechen,
Ich habe den Eindruck, daß nur genau EIN "Old Schooler" von "Leistung" spricht.
Leistung kann ich jedenfalls nicht mit dem in Verbindung bringen, was ich unter "old schooligem" Rollenspiel verstehe.
Engagement, Einsatzfreude, Spielfreude, einfach die LUST am Spielen - das sind für mich eher Triebfedern "old schooliger" Spielweise.
Und diese Lust hält an, weil es ständig etwas zu tun, zu entdecken, zu erforschen, zu bereisen gibt. - Wo die Storyteller-Games sich oft an einem bestimmten Ort mit dessen Machtgefüge im detaillierten Ausspielen der politischen Verhältnisse befaßt haben, da hat "Old School" eher etwas von "Road Movie".
Nicht zuletzt ist ein prominenter Vertreter für diese "Geisteshaltung", diese "Spielhaltung" eben Traveller. - Da gibt es ein ganzes Universum zu erkunden. Man kann überall hingehen. Und immer dort, wo man gerade hingeht, da ist das Abenteuer!
Das trifft aber auch auf die alten Midgard oder D&D Rollenspiele zu - und erst recht auf Gamma World. Bei GW ist das Erkunden, das (Wieder-)Entdecken der Welt ja das Hauptthema.
Und hier gibt es keine "Leistung". Niemand mißt, wieviele Hex-Felder Landschaft man pro Tag, pro Woche, pro Monat erkundet hat. Das interessiert nicht.
Was interessiert ist, eine neugierig machende, aber in sich konsistente Welt zu erfahren. - Die Welt darf nicht langweilig sein, nicht zu geordnet. Wir haben damals IMMER selbst Spielwelten gebastelt. Da waren manche Spielleiter dabei allzu geordnete, allzu symmetrische, allzu vorhersehbare Spielwelten zu schaffen. Und diese waren LANGWEILIG!
Die WELT allein ist schon das Abenteuer!
Die Welten bei "old school"-igen Rollenspielen (auch modernen Produkten) sind interessant, spannend, machen neugierig sie zu erfahren, zu bereisen, dort zu "leben".
Die Abenteuer für den konkreten Spielabend ergeben sich als Detail dieser interessanten Spielwelten. - Hier spielen Plausibilitätsfragestellungen eine enorm wichtige Rolle. Je plausibler sich die beschriebenen Details in das Gefüge aus dem bisher gespielten und vom Spielleiter als Auge und Ohr der Spieler in Szene gesetzten Umfeld einpassen, desto stimmiger, desto solider fühlt sich die Spielwelt an. - Und mit mehr Solidität, mehr Glaubwürdigkeit der Spielwelt, werden auch die Charaktere solider, glaubwürdiger.
Klar hat man als 14-Jähriger auch total bescheuerte Knallchargen-Charaktere im per Zufallstabellen ausgewürfelten Dungeon verheizt. - Just for Fun!
Dafür gibt es heute jede Menge Computer-"rollen"-Spiele, die genau diese Interessenslage, die damals noch von P&P-Rollenspielen MITabgedeckt wurde, adressieren.
Was aber spätestens mit dem Wechsel an die Uni begann, waren Welten, EIGENE Welten, die als eigenes Werk den eigenen Ansprüchen (die nicht gerade gering waren) genügen mußten. - Hier galt es mit jeder neuen Spielrunde die Spieler, die z.T. schon viel gesehen und viel erlebt hatten, zu BEEINDRUCKEN.
Da steckte in jeder Kampagnenwelt, und war sie auch nur auf ein kleines A4-Blatt mit Hexfeldraster gemalt worden, jede Menge Kreativität, Herzblut und natürlich geklaute Ideen aus dem damals regelrecht boomenden Fantasy- und Sci-Fi-Taschenbuch-Angebot darin.
In den ausgehenden 70ern und beginnenden 80ern wurde man mit einer Fülle an Literatur in deutschen TB-Verlagen bombardiert. Da gab es Übersetzungen von Klassikern der 50er, 60er und natürlich auch von aktuellen Autoren. Und so gut wie jeder TB-Verlag hatte eine eigene Sci-Fi- und/oder Fantasy-Reihe. - Allein was wir damals gelesen hatten, wenn wir nicht gerade spielten, hat uns in immer wieder neue Welten geführt.
Ich habe selbst so einige dieser Sci-Fi-Welten in diversen Traveller-Runden umgesetzt. Ein Kumpel von mir, dessen Sci-Fi-Geschmack mehr in Richtung Science-Fantasy/Post-Apokalypse ging, hatte seine Ideen in Gamma World aber auch in Traveller einfließen lassen. In D&D kam von Tolkien Geklautes über jede Menge Sword&Sorcery bis hin zu den damals in Mode kommenden "Weiberhelden", stimmungsbetontere Romane von Autorinnen, deren Hauptfiguren weiblich waren - ganz ungewohnt für die männerbestimmte übliche Fantasy.
Wenn man soviel Input, soviele Kristallisationskeime für die eigene Phantasie bekommen hat, dann brauchte man KEINE 400-Seiten-Weltbeschreibungswälzer!
Da reichten Tips aus, die beschrieben, wie man seine Ideen in Spielwerte ablegt, wie man Karten zeichnet, wie man politische, geographische usw. Beziehungen notiert. Und das war ausreichend. - Sehr gutes Beispiel: Gamma World 1st Ed. Beim Lesen der Spielleiter-Abschnitte (beim Gesamtvolumen von 59 Seiten war das nicht mehr als 4 Seiten) hatte man SOFORT LUST seine eigene postapokalyptisches Mutanten-Welt zu entwerfen. - Hexpapier her. Buntstifte und Bleistift. Los geht's!
Diese Welten, die einen auf Trab halten (wörtlich!), die den Road Movie Charakter der meisten alten und auf jeden Fall der heutigen "old school"-igen Rollenspiele auf Touren kommen lassen, sind für mich neben der besonderen Rolle des Spielleiters im "Old School"-Spielen charakteristischer als die konkrete Regelausprägung.
Save-or-Die ist nicht eine zwingende Old-School-Eigenschaft. Man kann auch ohne solche "fatalen" Regeln "old schoolig" spielen. Das zeigen moderne Spiele wie Savage Worlds mit Soak-Würfen gegen den Schaden, das zeigt aber auch RuneQuest mit dem Arm-anklebe-Heilzauber, der die blutigen und verstümmelnden Effekte des RQ-BRP-Kampfsystems abzumildern vermochte. - Es geht NICHT NUR (aber natürlich auch) um harte Konsequenzen, sondern es geht um ERFAHRUNGEN (nicht Erfahrungspunkte! - die gab es bei Traveller nicht, bei RuneQuest nur die Learning-by-doing-Markierungen).
Erfahrungen des SPIELERS.
Man versetzte sich in seinen Charakter. Und dem wurde ein Bein amputiert! - Mann, wie krass! - Darüber hatte man sich anderntags im Bus zur Schule unterhalten und die Erwachsenen haben einen blöde angeschaut und einen für Idioten gehalten.
Ob der CHARAKTER nun besonders faul, oder mutig, oder geschwätzig ist, das waren Eigenschaften, die der Spieler stets selbst in der Hand hatte. Er war NIE GEZWUNGEN auf irgendetwas in dieser Richtung zu würfeln. Und DOCH wurde so etwas ausgespielt!
Die Entscheidungen, wie sich der Charakter in der konkreten Situation verhalten wird, hatte der Spieler immer selbst getroffen, und es war die Überlegung des Spielers, wie er durch die "Brille" des Charakters die Situationen, die Lokationen, die Ereignisse wahrnehmen mochte, und wie der Charakter darauf PLAUSIBEL reagieren würde.
Plausibilität war ein ungeschriebenes Gesetz für das gemeinsame Spielen. Die Plausibilitätsanforderung betraf den Spielleiter und auch die Spieler. - Inkonsistentes Spiel wurde sofort geahndet durch Genörgel der Gruppe bzw. der Mitspieler. Direktes, sofortiges Feedback.
Das Beachten der expliziten und der (eigentlich umfangreicheren) impliziten Regeln für das Miteinanderspielen hat aber nichts mit dem "Leistungs"-Gedanken zu tun. - Es war keine "Leistung" sich im Spiel so zu verhalten, daß man selbst und die anderen Spaß am Spielen hatte.