AW: Gute Stimmung im Rollenspiel
IMHO ist das Hauptproblem bei Horror generell immer einerseits die unheimliche Stimmung zu halten und andererseits dabei den Spaß am Spiel nicht zu vergessen. Es mag einige Runden geben die drauf stehen, aber für viele gilt das fürchte ich nicht. Länger als ein, zwei oder maximal drei Abende klappt Horror-Stimmung in meinen regulären Runden einfach nicht. Die sind dafür meist einfach zu sehr mit Spaß-Orientierte Chaoten besetzt. Es ist nicht so, dass man mit denen kein ernstes und/oder unheimliches Setting spielen könnte, aber halt nicht auf Kraft und nicht ständig. Das gilt denke ich für viele Runden. Also zuerst mal muss die Grundstimmung in der Runde stimmen.
Die ganze Geschichte mit im Dunkeln und bei Kerzenlicht spielen... naja. Wer's mag.
Das kann meiner Ansicht nach eine unheimliche Stimmung zwar unterstützen, aber nicht schaffen. Erstmal muss die Linie des Spiels stimmen. Um sich die SpielerInnen dann noch gelegentlich bei merkwürdigen Geräuschen erschreckt umgucken zu lassen sind Musik und Kerzenlicht sicher hilfreich. Aber damit sollte man meiner Ansicht nach nicht anfangen.
Meiner Ansicht nach ist die Schwierigkeit speziell bei Leuten die schon länger Rollenspiel spielen die Einstellung „das kriegen wir schon“ oder besser „schaun wir mal“. Man hat inplay schon eine Menge mitgemacht, also kann einen das hier auch nicht wirklich schocken. Unheimliche Beschreibungen sind eine Sache. Schreckliche Ereignisse eine Andere. Das reicht meiner Ansicht nach aber nicht. Natürlich dreht der Charakter wahrscheinlich durch, eventuell sogar gut gespielt, aber für einen erfolgreichen Spielabend muss man auch die Leute am Tisch erreichen. Natürlich bekommen die nur einen Bruchteil von den Emotionen mit, die ihre Charaktere haben. Das ist ja auch gut so. Trotzdem muss ich bei einem unheimlichen Setting Mittel und Wege finden das sich offplay gegruselt wird.
Dann also zu dem was ich mit "Linie des Spiels“ meinte. Gute Erfahrungen habe ich immer damit gemacht die gewohnten Handlungsweisen von Charakteren (und damit oft auch der SpielerInnen) zu brechen. Wenn die 0815-Herangehensweise inplay ist, Probleme mit Gewalt aus dem Weg zu räumen, dann darf das halt nicht funktionieren. Ebenso wenn Probleme üblicherweise sozial gelöst werden, auch wenn das etwas schwieriger ist. Wichtig ist: Das brechen der Handlungsstrukturen darf nicht innerhalb des üblichen Operationsrahmens versucht werden, sondern muss ganz anders klappen.
Als Beispiel: Natürlich rechnet der gestandene Abenteurer damit, dass sein Schwert am Gegner zerbricht oder einfach hindurch geht. Auch ein Cyberpunk wird kaum geschockt sein, wenn seine 12mm-Taschenflak keinen Schaden anrichtet. Muss halt ein Geist oder ein neues Implantat sein. Da wird sich schon ein magisches Schwert oder eine Teflon-Kugel gegen finden lassen. Wenn die Charaktere schon wenig beeindruckt sind, wie sieht es dann am Tisch aus?
Geschockt wird der Abenteurer eher sein, wenn er den Gegner mit einem Schlag tot haut, der ihn aber mit aus dem Mund quellendem Blut auslacht, das Schwert aus seiner Brust zieht, und tot umfällt, um eine Stunde später (eventuell mit stärkeren Werten) wieder da zu sein. Amt Tisch macht sich die Ansicht breit: „Klar - dem muss man den Kopf abhauen.“ Bei dritten Mal hat er dann halt 'ne große Narbe am Hals, lässt sich aber immer noch gut „wegmachen“.
Beim vierten Mal ist er der dann vielleicht mit einem "Hast du mich vermisst?" wieder da.. Dieses Mal als Straßenräuber in einer vermeindlichen Zufallsbegegnung. Also lässt man einen Räubekameraden von dem Kerl am Leben und verdrischt ihn für Informationen über den unheimlichen Typen. Aber alles was man erfährt ist, dass der schon länger in der Bande war als der Scherge selbst. Wir steigern den Druck. Spätestens jetzt sollte am Spieltisch wenigstens Ratlosigkeit einsetzen. Das ist der Moment um das Licht runter zu dimmen und unauffällig ("Ich mach' mal bisschen Musik an.") ’ne CD einzulegen, während halb inplay, halb offplay gerätselt wird was das denn wohl für ein Typ sein kann.
Etwas später, inplay am Ziel der Reise angekommen, ist der Kontaktmann dann der unheimliche Kerl. Völlig unvermittelt. Fast hatte man ihn vergessen. Bisher war er ja immer nur „Weghau-Gegner“. Wenn die Charaktere ihn in die Mangel nehmen, kriegen sie Schwierigkeiten mit der Stadtwache, der Händlergilde, ihrem Auftraggeber... aber Infos bekommen sie keine. Jedenfalls nicht auf den "üblichen Wegen". Der Kontaktman tut ihnen auch nichts, aber paranoid sind sei jetzt mit Sicherheit. Solche Spielchen kann man ziemlich weit treiben. Die "Lösung" muss schon logisch sein, aber erstmal außerhalb des normalen Operationsrahmens der Charaktere liegen. Also nichts mit "Ich gehe dann mal in die Tempelbibliothek und gucke nach ob ich was über solche Typen finde." Aber auch hier nicht per: "Nö, du findest nichts", sondern eher wie "Nach langem Suchen in den Folianten hast du einiges Gefunden. Ein Geist oder Widergänger könnte es sein, aber die sind eigentlich ortsgebunden. Auch ein Formwandler käme in Frage, aber du findest nichts darüber, ob eine Enthauptung bei ihnen Narben hinterlässt. Außerdem sahen dir die Wunden viel zu menschlich dafür aus. Einige Hinweise führen in den verschlossenen Teil der Bibliothek. Vielleicht lässt dich der Vorsteher ja hinein, wenn du ihm den Fall darlegst." Also auf zum Vorsteher. Er soll irgendwo da hinten sein. Und rate mal, wem der forschende Charakter dann ganz alleine zwischen den verstaubten Regalen im Halbdunkel der Bibliothek ganz alleine gegenüber steht... Klar geworden? (Hey, da habe ich als Beispiel ja gerade mal ein cooles Abenteuer ersonnen. Gleich mal notieren.
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Das raubt den Spielern einerseits nicht die Handlungsmöglichkeiten, baut aber Druck auf und zwar einen dem nicht mit den üblichen Verfahren entgegen gewirkt werden kann. Wichtig ist IMHO das man dieses Brechen der Handlungsmuster nicht durch beugen/brechen der Regeln und vor Allem nicht per "geht nicht weil gibt's nicht" erreicht. Es gibt meistens eine innerweltlich und innerhalb der Regeln funktionierende Möglichkeit. Alles andere führt schnell nur zu Resignation und die Stimmung zerstörendem Zynismus.
Horrorplots in Abgeschiedenheit funktionieren deshalb (vor Allem in Filmen und Büchern) so gut, weil eines unserer normalen Handlungsmuster ist, Hilfe zu rufen. Da Rollenspielcharaktere seltener Hilfe rufen, ist Abgeschiedenheit bei denen eventuell eher hinderlich. Wie im Beispiel oben schon beschrieben, ist es vielleicht viel erschreckender das man plötzlich nicht der Held ist. Das niemand einem Gratuliert, weil man die Straßenräuber umgelegt hat, sondern einen die Stadtwache erstmal in den Kerker sperrt, weil man des Mordes am Tempelvorsteher verdächtigt wird.
Ein nettes Beispiel ist vielleicht "Walking Tall" (?), wo der ExMarine vor Gericht erst nicht der Held ist, weil er die Bösewichter verkloppt hat. Nope. Natürlich hat er seinem Land gedient. Deshalb wird man sein Post-Traumatisches-Stressyndrom auch bedenken und nur geschlossene Psychatrie und nicht Knast fordern.
Wenn man es mit etwas horrormäßigem zu tun hat, werden alle in der Umgebung die Ursache des Problems erstmal in einem selbst sehen. Alles andere wäre ja verrückt. So bist nur du verrückt, das passt besser in ihr Weltbild.
Fazit: Bloß nichts übers Knie brechen. Handlungsmuster und Erwartungen durchkreuzen und Druck aufbauen, dem man nicht einfach "wie üblich" entgehen kann. Das mit unheimlichen Orten, stimmungsvollen Beschreibungen und etwas Offplay-Brimborium kombinieren.
Auch wichtig: Das Alles nicht zu ernst nehmen. Gruseln macht gemeinsam deshalb so viel Spass, weil man so zwischendurch immer mal Spannung abbauen kann. Auch mal bei den üblichen Anlässe kurz Offplay rumblödeln lässt den nächsten Schock nur noch besser sitzen.