Regeltechnisch vorgegebene Benachteiligung weiblicher Charaktere ist in meinen Augen ein nicht wirklich geglückter Ansatz eine bessere Simulation einer recht subjektiv vom Regelautor wahrgenommenen Realität umzusetzen. Wenn man in Regelsystemen spielt, die weniger stark simulationsorientiert sind, dann kann man sich diese (die regeltechnisch motivierte) Fragestellung komplett schenken.
Insbesondere sollte man sich dann nämlich auch die Frage stellen, ob in solchen Regelsystemen Charaktere derselben Rasse Mensch (im Gegensatz zu eventuellen Aliens, Fremdrassen aus Fantasy oder Sci-Fi) in diesem System AUCH unterschiedlich behandelt werden, je nachdem, woher sie auf der jeweiligen Welt kommen? Z.B. Erde, 2005: Japaner haben tatsächlich eine deutlich geringere Durchschnittsgröße als z.B. Nord- oder Mitteleuropäer. Bekommen japanische Charaktere im Rollenspiel dann Reichweitenabzüge, geringere Toughness, weniger Hitpoints, was auch immer? Falls ja, dann hat man aber immer noch das Problem der Durchschnittsgröße: Kann das simulationsorientierte System dann auch noch die Sumotori, die japanischen wandelnden Muskelberge des Sumo-Ringens mit abbilden? Also statt durchschnittlich 1,52 m groß und 48 kg schwer eben 1,98 m groß und 195 kg schwer. Und das allein bei männlichen Charakteren!
Ich behaupte einfach mal, daß es keinen Sinn macht regeltechnisch männlichen und weiblichen Menschen-Charakteren unterschiedliche Attribute etc. zuzuweisen. Bei Aliens, bei denen das eventuell abhängig vom Hintergrund stimmig geregelt ist, kann es eigentlich auch egal sein. Man trifft ja diesbezüglich den Diskriminierungsnerv nur dann richtig, wenn es sich um menschliche Männer und Frauen handelt statt um gobolische Myrks und Morks, nicht wahr?
Aber es gibt ja nicht nur Regeln, sondern auch die Spielwelten.
Dort findet man oftmals haarsträubende Gleichmacherei von Männern und Frauen. Nicht Gleich-Berechtigung und Gleich-Wertigkeit sondern eine schlappe Gleich-Macherei: "Das ist Jo, die Schmiedin, eine Ex-Kavalleristin der Grünen Dragoner" - Oh, Gott! Da denke ich immer gleich an die hormonmutierten russischen Kugelstoßer"innen" mit tiefer Stimme und Brustbehaarung. So etwas finde ich schlecht.
Aber woher sollen es denn die Entwickler von Rollenspielen auch anders kennen? Man nehme Tolkien: Frauen gibts fast garnicht in seinen Männerfreundschaftsepen. Sie tauchen am Rande auf als wunderschöne Lichtgestalten, die aber so zerbrechlich und verehrungsbedürftig sind, daß sie nichts Rechtes in der Welt bewegen können (ja, Ausnahme - aber auch nicht wirklich - Eowyn). Da sind bei Conan wenigstens selbständige, selbstbewußte, persönlichkeitsstarke Frauenfiguren (auch als Bösewichte!) vertreten. Na, immerhin.
Das Frauenbild ist in den meisten Rollenspielen einfach das, was man für ein dem jeweiligen Setting (abgebildet auf unsere historische Zeitleiste) plausibles Frauenbild hält. Z.B. Hochmittelalter-Fantasy (King Arthur Pendragon): Frauen von Adel und Bedeutung werden (ah, Tolkien hat hier geklaut) verehrt und umhätschelt wie unselbständige Kleinkinder (außer sie sind böse Hexen). Die "anderen" Frauen tauchen auf dem Ausrüstungsbogen des Ritters auf! Sie haben einen Namen und genau EINE irgendwie produktive Fertigkeit mit der sie das Hab und Gut des aus Minne zu den wichtigen Frauen ausziehenden Ehemann pflegen und mehren können. Sie gebären ihm in regelmäßigen Abständen Kinder, von denen die meisten sterben, bis auch sie, die Ehefrauen, dereinst im Kindbett dahinscheiden, worauf sich der zumeist noch recht potente Ritter eine neue, frische Ehefrau für mehr Kinder und zur Hofverwaltung holt. Das in Kürze das Pendragon-Frauenbild. Es wird da sogar explizit empfohlen KEINE weiblichen Spielercharaktere zu spielen, da diese kaum irgendetwas Bemerkenswertes tun können. Ach ja, hier gibt es KEINE Frauen in Plattenrüstung. Weder bei den Christen, noch den Mauren und gleich gar nicht bei den heidnischen Sachsen. Wo käme man da hin?
Aber: Pendragon erhebt KEINEN Anspruch auf Fairness oder historische Genauigkeit. Ganz im Gegenteil! Pendragon erhebt Anspruch darauf genau solche Aventiure fahrender Rittersleute spielen zu können, wie sie in den literarischen Quellen von Pendragon aufgeführt sind. Und in diesen Quellen hat die Frau leider nicht viel zu melden.
Ich finde Pendragon ist eine GUTE Umsetzung von Mallorys Tod Arthurs etc. und macht viel Spaß zu spielen. Nur sollten die Spielerinnen sich mit dem Gedanken anfreunden können, einen männlichen Ritter und Ehefrauenverschleißer zu spielen. Wer sich daran stößt, der bekommt aus dem Hintergrund, aus der Spielwelt, dem Setting seine Diskriminierungsallergie. Für den ist das dann nichts.
Castle Falkenstein wurde genannt. Oje. Noch sowas. Die Wahrnehmung der Frau in dem etwas verklärt Viktorianisch angehauchten Castle Falkenstein ist auch ohne jeglichen Anspruch auf historische Genauigkeit oder Gleichstellung. Die Gesellschaft ist nicht nur patriarchalisch, sondern militaristisch-patriarchalisch. Da haben Frauen leider nur den untersten Rang: Zivilist. Und man wird kaum eine Königlich Bayerische Luftflotten-Offizierin finden. - Aber. - Trotzdem können die Frauen in CF viel bewegen. Warum? Weil es ja NICHT streng historisch ist (nicht so wie Midgard 1880, wo eine Frau um ein Studium machen zu dürfen fast eine Revolution anzetteln muß). Es soll ja in CF das Gefühl der überdrehten Prisoner of Zelda und ähnlicher Abenteurer-Romane erweckt werden, gemischt mit viel Steampunk und gentleman-like Magick. Das ist ein leichherziges Setting, bei dem man Frauen-Charakteren zum einen schon in der Setting-Beschreibung mit der Femme Fatale einen adäquaten Action-Heldinnen-Archetyp vorgesehen hat, und zum anderen trotzdem die Möglichkeit gibt ihren männlich-doof-ritterlichen Mitspieler-Charakteren durch In-Ohnmacht-Fallen das letzte bisschen Steifheit abzunötigen. Andererseits ist dabei aber trotzdem etwas Konvention für ein stimmiges Spiel vonnöten. Z.B. nach dem Dinner werden die Herren unter sich bleiben und ins Raucherzimmer gehen, während die Damen sich im Salon beschäftigen. Wenn da selbst eine Femme Fatale die Herren durch ihre Anwesenheit brüskiert, dann macht das Spielen in diesen durch das "viktorianisch" in der Beschreibung von Castle Falkenstein selbstauferlegte Spiel unter "erschwerten gesellschaftlichen Bedingungen" den anderen Spielern nicht mehr soviel Spaß. Hier ist keine so starke Abstufung der Kompetenz weiblicher Charakter zu finden wie in King Arthur Pendragon, aber es kann mit Recht erwartet werden, daß sich männliche wie weibliche Spielercharaktere innerhalb der Konventionen des Comme il faut bewegen. Alles andere würde die Atmosphäre stören.
Zeitgleich ist Deadlands als Horror-Steampunk-Spaghetti-Western-Rollenspiel angesiedelt. Hier ist eine regeltechnische und aus dem Setting begründete Gleichstellung beider Geschlechter vorhanden. Mit Ausnahmen. So gibt es z.B. nur sehr wenige weibliche Texas Ranger (in den offiziellen Materialien explizit erwähnt: genau eine!). Dafür sind aber Positionen wie Pinkerton Agentin, weibliche Marshals, Sherriffs oder Mad Scientists sehr üblich. Ich würde sagen, es gelten dort noch in manchen "Traditionalisten"-NSC-Köpfen die Ansichten von vor dem Bürgerkrieg (auch was die Gleichstellung der Schwarzen anbetrifft), aber insgesamt ist hier eine sehr weit von dem historischen Old West angesiedelte Fantasy-Weird-West-Kultur geschildert, die "modernes" Verhalten der meisten Charaktere toleriert. Und das bewußt aus dem Setting heraus begründet. So kann es durchaus funktionieren.
Das für mich allerbeste Beispiel für eine Gleichstellung von Frauen in einem Rollenspielsetting jedoch findet sich auf der seit den 60er Jahren entwickelten Welt Glorantha. Hier wurde anfangs nach eher simulationsorienterten RuneQuest-Regeln inzwischen nach stärker erzählorientierten HeroQuest-Regeln (früher mal HeroWars genannt) gespielt. - Warum ist das für mich das Beste? - Nun, weil hier z.B. in der Kultur der Orlanthi-Sturm-Kult-Barbaren Männer und Frauen gleich-wichtige, gleich-wertvolle, aber eben auch VERSCHIEDENE Rollen im Clangefüge haben. Frauen haben Rollen, die in der mythologischen Vorgeschichte des Clans definiert wurden und die ihnen Rechte in der Zeit des eigentlichen Spielens zusichern. Und auch Pflichten. Und Frauen können ECHTE HELDEN sein. Nicht die superstarke Schmiedin, sondern die energische Lenkerin des Clan-Rings, die ihrem Clan zu mehr Macht verhilft, ihn gegen Krieg, magische Katastrophen und dergleichen bewahrt. Ja, sie kann auch kämpfen. Doch ist ihre wesentliche Rolle anders definiert. Die Krieger im Clan haben andere Kulte und andere Aufgaben - vornehmlich sich schlagen. Und sie sterben. Bald. Die Frauen - anders als in Pendragon - sind hier ein stabilisierendes Moment, aber mit Energie. Eine der magischen Gaben der Änhängerinnen der Erdgottheit Ernalda ist: "Get Things Done". Dies wirkt insbesondere, wenn die Männer des Clans mal wieder herumberatschlagen, herumplanen und sich gegenseitig an waghalsigen Vorschlägen zu übertrumpfen suchen, aber nichts voranbringen. Man muß mal eine aus Spielerinnen und Spielern gemischte Gruppe beim Spielen nach HeroQuest-Erzählregeln auf Glorantha erlebt haben, um die Tiefe der Erleuchtung nachempfinden zu können.
Nachdem ich das bei Glorantha so erlebt habe, kommen mir tatsächlich die meisten anderen Fantasy-Welten sehr krude und viel zu modern "zerdacht" vor. Gloranthas Kulturen haben eine Wurzel in der Vorgeschichte, in der Erschaffung des Universums, so wie es die Charaktere im Spiel kennenlernen, und die Charaktere haben Beziehungen, zu ihrem Klan, zu ihren Verwandten, zu ihren Göttern, zu einander(!). Diese Beziehungen stärken sie und verpflichten sie zugleich. Zu wahren Helden wird man, wenn die geballte Macht, der Glaube, das Vertrauen eine ganzen Gruppe an Leuten hinter einem stehen, ihre Ideen, ihre Hoffnungen und ihr Schicksal(!) auf einen oder mehrere Helden fokussieren und diesen somit erst ermächtigen das Schicksal nicht nur der Welt, sondern des Universums, so wie es ist und wie es schon immer gewesen sein wird, zu ändern. Darin ist in der Macht eines männlichen oder weiblichen Charakters überhaupt kein Unterschied. Alle - auch alle Fremdrassen-Charaktere - leben in der Welt und mit der Welt und alle ihre Entscheidungen haben Folgen. Die Konsequenzen sind jedoch in den seltensten Fällen persönlich auf den Charakter begrenzbar. In einer mystisch durchdrungenen Welt wie Glorantha hängt alles mit allem zusammen und jede Anwendung von Macht hat Konsequenzen. In diesem Machtgefüge ist jeder Charakter gleich wert, gleich würdig, gleich wichtig. DAS ist es, was ich daran begeisternd finde.
Und die Frauen-Rollen in den Glorantha-Kulturen sind eben Rollen INNERHALB des Settings. Und auch da gibt es die patriarchalischen Kulturen oder die matriarchalischen oder die Magokratien oder die - eher modern anmutenden - erleuchteten Völker der Roten Göttin usw. Egal welche Rolle in einer Kultur den weiblichen Charakteren zukommt, sie ist in Glorantha wesentlich tiefer durchdacht (zumindest wirkt es so), als in den meisten anderen Fantasy-Welten, bei denen ich so etwas in der Regel als aufgesetzt empfinde.