AW: Fremde Kulturen als Fantasy-Setting - Was gibt es nicht?
In meiner Perspektive der Dinge und meiner persönlichen Erfahrung sind unglaublich viele Klischees eben nicht wertfrei, sondern ganz im Gegenteil, oft sehr abwertend verwendet worden, was sehr wohl die gewollte Einfachheit einer Spielwelt, nicht aber die komplexe Interaktion zwischen den Mitgliedern einer Spielrunde bedient.
Wenn man nach der Empfindung der Mitglieder einer Spielrunde von Klischees als POTENTIELL abwertend geht, dann ist prinzipiell ALLES in Film, Funk, Fernsehen, Buch, Comic, Roman, Computerspiel ABWERTEND verstehbar.
Mit solch einer globalen Sicht auf Klischees als "nicht wertfrei" ist ja gleich auch die implizite Aufforderung der NICHTVERWENDUNG dieser "nicht wertfreien" Klischees verbunden.
Damit würde man gleich GANZE GENRES aus dem, was möglicherweise am Spieltisch die "komplexe Interaktion zwischen den Mitgliedern einer Spielrunde" nicht belastet, streichen müssen. - Bei solch einem freiwillig selbstzensierenden Ansatz blieben dann nur noch Rollenspiel-Genres wie "Teletubby-Land" oder andere, garantiert niemals auf real existierende Bevölkerungsgruppen beziehbare, völlig unverfängliche Genres übrig.
Genres ohne "political correctness" wie Fantasy, Western, Sci-Fi, Pulp, etc. fielen dabei natürlich vollkommen heraus.
Bei einem Pulp-Rollenspiel könnte sich ja am Spieltisch jemand aus China von der Darstellung der sinistren chinesischen Gangster-Klischees (Dr. Fu Manchu) beleidigt fühlen. - Bei einem historisch-viktorianischen Rollenspiel könnte sich eine Spielerin von der herabwürdigenden Behandlung von Frauen in der viktorianischen Gesellschaft beleidigt fühlen. - Bei einem Western-Rollenspiel könnte sich jemand von der reinen Feindbildzeichnung der Mexikaner in einem Alamo-Szenario in seinen Gefühlen verletzt fühlen.
Klar KÖNNTE das passieren.
Wenn ich Dich jetzt richtig verstehe, dann lehnst Du jegliche Verwendung von Klischees in Medien, insbesondere aber in Rollenspielen, ab. - Und zwar, weil Klischees zwar die Darstellung in Szenarien, Filmen, Serien erleichtern und durch ihre Detailarmut ein schnelles Erkennen beim Zuschauer ermöglichen, sie aber nicht rundum wertfrei und "political correct" sind, so daß es dazu kommen kann, daß sich jemand in seinen Gefühlen verletzt und beleidigt fühlen kann, wenn er ein solches Klischee auf der Leinwand, im Comic oder in der Spielwelt im Rahmen eines Rollenspielszenarios präsentiert bekommt.
Habe ich das so korrekt wiedergegeben?
An welcher Stelle fällt Dir denn die Trennung zwischen dem zwangsläufig vergröbernden SPIELELEMENT "Klischee", z.B. in Pulp-Detective-Stories "der bestechliche, korrupte Bulle", und der wirklichen Person des Spielers, der im Berufsleben vielleicht tatsächlich Polizeibeamter ist, schwer?
Muß sich der Polizist-im-wirklichen-Leben denn durch die Konfrontation mit einem "bestechlicher, korrupter Bulle"-NSC "herunterreduziert" fühlen? - Oder erst, wenn er selbst einen "bestechlichen, korrupten Bullen" als Spielercharakter spielt?
Also, ICH spiele sehr gerne Rollenspiele, in denen ich einen schnellen Spielstart mittels Archetypen habe (der schmierige Reporter, der ALLES für eine gute Story macht; der harte Südstaaten-Marshal, dem sein eigenes Gerechtigkeitsgefühl über den Buchstaben des Gesetzes geht; der französische Archäologe, dem kein Grabmal zu heilig ist, um endlich den großen Fund zu machen; usw.). Je nach Genre PASSEN diese Klischees nämlich IMMER BESTENS in die Spielwelt. Die anderen Spieler ERKENNEN diese Klischee-Charaktere SOFORT als passend. Und so hat man gleich eine stimmige Gruppe SCs beisammen und kann sofort losspielen.
Sind wirklich ALLE Reporter schmierig und nur auf eine gute Story aus?
Sind wirklich alle Südstaaten-Marshals ihr eigenes Gesetz?
Sind wirklich alle französischen Archäologen pietätlose Grabräuber?
Sind das überhaupt Fragen, die man sich beim SPIEL in den betreffenden Genres stellt?
ICH stelle mir diese Fragen nicht. Meine Mitspieler auch nicht. Ich habe NOCH NIE jemanden in irgendeiner Spielrunde, weder daheim, noch im Verein, noch auf Cons erlebt, der die Verwendung von Klischees auf Spielerseite und/oder auf Spielleiterseite irgendwie zum "Problem" gemacht hätte.
Offengestanden finde ich Deine Sicht auf Klischees unangemessen.
Wie schon gesagt: Rollenspiele LEBEN von Klischees. Schon immer. Schon seit die archetype Gruppenzusammensetzung aus Kämpfern, Magiern, Klerikern und Dieben bestand.
Wer sich über die Klischees im Rollenspiel historischerweise MASSIV aufgeregt hat, stammte üblicherweise aus der Richtung (US-amerikanischer) religiöser Gruppierungen.