Ernst sein ist alles

Georgios

Mad Man
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[Anmerkung: Das hier ist kein sorgfältig formulierter und genaustens reflektierter Beitrag, sondern eher ein paar Gedanken, die mir im Kopf rumschwirren zu denen ich gerne Erfahrungen anderer Leute lesen würde.]

Der Begriff "Ernsthaftigkeit" im Rollenspiel scheint mir sehr heikel zu sein, da sofort Vorstellungen von grimmig dreinblickenden Typen geweckt werden, die verbissen über die Dramaturgie der Geschichte oder die moralische Dimension der Charaktere diskutieren und vollkommen verkrampft "spielen" und das dann Spaß nennen.

Darum geht es mir nicht!


Es geht mir vor allem darum, dass eine vollkommen "casual" bzw. gleichgültige Einstellung zu den Charakteren, der Spielwelt und der Situation mir den Spielspaß kaputt macht. Wenn die Spieler am Tisch vor allem "heckler" spielen und auf alles was gesagt wird eine vermeintlich schlagfertige und lustige Antwort bringen müssen (sowohl in-character als auch out of character), dann empfinde ich das als sehr spielhemmend. So als ob ich im Kino sitzen würde und die Reihe hinter mir würde unentwegt den Film kommentieren müssen.

Aber auch Charaktere, in die man immer nur schlüpft um seine Mitspieler zum Lachen zu bringen, finde ich schnell ermüdend. Wie bei einer schlechten Sitcom, die den ewig gleichen Gag immer und immer wieder einbringt ohne etwas zum Plot beizutragen. So als würde man die Charaktere wie Figuren aus Family Guy oder Drawn Together spielen. Sowas ist zu Beginn ganz unterhaltsam, dann eine sehr sehr lange Zeit nervend und hat danach erst wieder so etwas wie ironische Brechung bekommen. Aber ich kann mich an keine Runde erinnern, die so etwas je lange genug durchgehalten hat um die Ironie-grenze zu erreichen.

In meinen beiden letzten Sitzungen (mit unterschiedlichen Spielern) hatte ich vergleichbare Ursachen, die mir den Spielspaß abgegraben haben. In beiden Fällen hatte ich Schwierigkeiten damit es angemessen zur Sprache zu bringen. Denn ich habe den Eindruck, dass man anderen am Tisch nicht einfach sagen kann "Spiel ernsthafter"" ohne sofort wie ein Zerrbild der Leute zu wirken, die ich anfangs erwähnt hatte.

Aber ist das wirklich so? Ist man gezwungen den kleinsten gemeinsamen Nenner des Spielinteresses zu akzeptieren? Kann man immer nur so ernst/intensiv spielen, wie der albernste und distanzierteste Spieler am Tisch?

Erfahrungen? Meinungen? Überlegungen?


(P.S. - Für die Leute, die in den beiden Runden mit mir gespielt haben. Es geht mir hier nicht darum die Runden in der Öffentlichkeit aufzudröseln oder irgendwem den Schwarzen Peter unterzuschieben. Ich werfe niemanden etwas vor, noch muss sich irgendjemand rechtfertigen. Ich denke nur darüber nach wie ich solche Situationen in Zukunft handhaben will.)
 
AW: Ernst sein ist alles

Meiner Erfahrung nach ist das eine Frage des Gleichgewichts. Wenn am Tisch ein Suppenkasper sitzt, dann braucht es mindestens einen durchsetzungsfähigen (!) "Ernsthaftspieler" um das auszugleichen, und außerdem eine restliche Spielerschaft, die partout NICHT auf das rumgealber einsteigt.
Als einzelner Spieler oder auch als SL kann man da seeehr wenig gegen tun, außer vielleicht generell erstmal veranlassen zu warten bis sich alle ausgekaspert haben. Wenn das denn überhaupt mal passiert.

So ein richtiges Patentrezept dagegen kenne ich allerdings nicht. Außer zu sagen "wenn wir heute alle lustig drauf sind und das einfach nicht geht, dann geht's halt nicht, und es wird nicht / was anderes gespielt".
 
AW: Ernst sein ist alles

Das Problem sind Spieler, die sich bei Kritik wie feuchtes Dynamit verhalten...
 
AW: Ernst sein ist alles

Out of characater-Zwischenrufe hemmen nicht unbedingt das Spielerlebnis. Hobbys (Nicht-casual!) haben ihre eigene soziologische Struktur. Jeder, der dieser Struktur zugehört darf den Spielfluss "stören". Nur Störungen von außen (außerhalb der soziologischen Struktur) sind echte Störungen.

Die soziologische Struktur der Hobbygruppe ist es außerdem, die die Ernsthaftigkeit mit sich bringt - relativ unabhängig von der Spiel-Ernsthaftigkeit.

Es gibt so etwas wie heiligen Ernst beim Spielen. Besonders bei Kindern lässt sich das laut Huizinga gut beobachten. Störungen von außen (die rufende Mutter) sind Störungen. Störungen von innen (Ausweitung der gemeinsamen Beschäftigung auf andere Bereiche) sind keine Störung.

Die Antwort wäre also: Wenn die Gruppe funktioniert (eine gemeinsame soziologische Struktur durch das Hobby aufweist), dann gibt es wenige echte Störungen.

Soweit theoretisch. Praktisch gibts da natürlich viele Ausnahmen. Aber ich denke je weniger casual und je weniger feste soziologische Struktur der Gruppe, desto mehr echte Störungen.

Was hilft dir das jetzt bei deinem Problem: Nix. :D
 
AW: Ernst sein ist alles

Ich stoße mich ja aber vor allem daran, dass ich da ein gewisses Ungleichgewicht darin sehe welche Forderung als "gerechtfertigt" und welche als "anmassend" verstanden wird.

Mehr "Albernheit" ist ok. Denn albern macht ja Spaß und deshalb spielt man ja Rollenspiele: um Spaß zu haben.
Aber mehr "Ernsthaftigkeit" wirkt immer verbohrt, verbissen und verkrampft. So als ob man nicht mehr zum Spaß sondern aus anderen Gründen spielt.

Aber wenn ich mit dieser Beobachtung falsch liege, freue ich mich sehr vom Gegenteil überzeugt zu werden.
 
AW: Ernst sein ist alles

Endlich mal jemand der das Thema anspricht und auch gleich erklärt, dass es dabei nicht um grimmige Typen am Spieltisch geht. Mir geht das nämlich auch ganz gewaltig auf die Eier, wenn Spieler nie ernsthaft spielen wollen.

Es ist nichts dagegen zu sagen, wenn Leute sich treffen und einen Nachmittag lang nur dummes Zeugs machen, das muss auch mal sein. Selbst beim Rollenspiel sollte das ab und an sein, grundsätzlich bin ich aber der Meinung dass man sich zum reinen rumalbern auch ohne RPG treffen kann. Das führt mich auch gleich zum Grund meiner Aufregung. Ich finde das nicht nur ärgerlich am Spieltisch selbst, ich finde das auch äusserst unsozial gegenüber dem Rest der Spielerschaft. Wie gesagt, ab und an muss auch mal Blödsinn sein und es ist auch nichts einzuwenden gegen dumme Bemerkungen und viel Spaß während des Spiels, sofern das nicht überhand nimmt. Aber sobald das doch der Fall ist, und das schlimmstenfalls sogar regelmässig ist das rücksichtsloses Verschwenden der Zeit der Mitspieler. Diese haben sich nämlich frei gehalten um zu spielen. Und sie werden nicht nur des Spielens beraubt, sondern auch der durch den Dauerblödsinn geraubten Möglichkeit die Zeit anderweitig zu nutzen.
 
AW: Ernst sein ist alles

Um es anders auszudrücken:
Wer ENSTHAFTIGKEIT fordert (und gegen Unaventurische Umtriebe wettert - nein das beziehe ich nicht KONKRET auf den grade laufenden Thread, ich mag einfach die Formulierung), der gibt sich leicht der Gefahr hin, wie die Herren aus dem weithin bekannten "Farador" Video zu erscheinen, oder jedenfalls von den "Ach so albernen" Spielern mit eben jenem "alter, was bist DU denn für'n Nerd..." Argument abgewatscht zu werden.
Nur gibt es eben einen Unterschied zwischen "This game is SERIOUS business!" und "Leute, könnten wir vielleicht ETWAS Ernsthafter bei der Sache sein...?".

Außerdem, wie Malcolm bereits erwähnte, Explosivogamer.
 
AW: Ernst sein ist alles

Nur gibt es eben einen Unterschied zwischen "This game is SERIOUS business!" und "Leute, könnten wir vielleicht ETWAS Ernsthafter bei der Sache sein...?".

Um letzteres geht es mir, nur leider wird man in aller Regel mit Beschuldigung von ersterem abgewatscht, sobald man das Thema aufbringt.
 
AW: Ernst sein ist alles

Nur gibt es eben einen Unterschied zwischen "This game is SERIOUS business!" und "Leute, könnten wir vielleicht ETWAS Ernsthafter bei der Sache sein...?".

Das erstere ist ein polemisches Zerrbild, das man gerne benutzt um Leuten den Mund zu verbieten?
Das zweite ist eine Formulierung, die nicht deutlich macht wie sehr der eigene Spielspaß durch "albern sein" beeinträchtigt wird?

Wenn ich Hong Kong Action Theatre spiele, dann will ich einfallsreiche und kreative Action und dazwischen hemmungsloses Melodram. Deshalb sitz ich am Tisch und deshalb spiele ich HKAT! und nicht irgendwas anderes. Wenn es bei ersterem nur zu "Space Invaders"-Taktik reicht und bei zweitem für Dialoge im MST3K-Stil (also genaugenommen Meta-Dialoge) weil niemand das Spiel ernst nimmt, dann reicht nicht zu sagen "könnten wir etwas ernsthafter bei der Sache sein?"

Das Problem ist doch, dass man als Rollenspieler seinem gefrusteten Enthusiasmus für ein Spiel nicht Luft machen kann ohne als verkrampfter Über-nerd abgestempelt zu werden. Warum gibt es keine Trennung zwischen "Frust wegen fehlender Spielbereitschaft der Gruppe" und "verkrampfter Nerd, der Rollenspiele zu ernst nimmt"?

Denn ich bin mir zunehmend sicherer, dass das nicht das Selbe ist.
 
AW: Ernst sein ist alles

Nur so nebenbei: Erfahrungsgemäß tritt man mit der Forderung nach "ernsthafterem" Spiel sehr
leicht auf irgendwelche Zehen, während kleine Umschreibungen wie "fokussierter" und derglei-
chen die Forderung leichter verdaulich machen können. :)
 
AW: Ernst sein ist alles

Zugegeben, die Wortwahl kann zumindest kurzfristig eine große Hilfe sein.

Ein wenig offensichtlich und eigentlich hätte ich da in den Runden selbst drauf kommen sollen; darum Danke. :)
 
AW: Ernst sein ist alles

Georgios: Aus irgendeinem Grund macht sich gerade in unserem Umfeld eine gewisse blinde Nerdtum-Feindlichkeit breit, die bisweilen komische Formen annimmt ("Wie Rollenspiel am Samstagabend? HALLO!? Ich bin doch kein VOLL-NERD!!"), und deren gefühlte Ausläufer auch darauf Einfluß nehmen, dass man Albernheiten am Spieltisch eher geschehen lässt.
 
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Ernsthaftigkeit ist wirklich ein unglaublich beladener Begriff. Das fängt bei dem guten alten „Auf ein Wort“-Artikel an, der den Verzicht auf Kalauer proklamiert und im selben Atemzug erwähnt, dass sich die Redax-Runde selber nicht daran hält.

Manche Spieler meinen ja auch in der Tat, „Immersion“ könne man nur erreichen, wenn man nie lacht (oder so). Was ich für einen furchbaren Trugschluss halte. Gerade in sehr intensiven Runde kann man viel herzlicher und befreiender lachen. Genau wie bei komischen Szenen in sehr ernsten Filmen, über die der Saal dann umso lauter lacht.

Aber über etwas zu lachen ist nicht das gleiche wie etwas nicht ernst zu nehmen. Wenn Spieler das Spielgeschehen ins Lächerliche ziehen, distanzieren sie sich davon. Das kann so was wie ein Schutzmechanismus sein: Wenn ich mich jetzt ernsthaft auf das Thema einlasse, dann muss ich vielleicht eine Seite von mir zeigen, die ich in diesem Kreis nicht zeigen möchte, oder ich erlebe Emotionen, die mir nicht geheuer sind. Wenn mir das so geht, bin ich für ein entsprechend intensives Spiel nicht geeignet. Eine oberflächlichere und weniger emotional geladene Spielsituation könnte ich aber ernst nehmen.

Das „ins Lächerliche Ziehen“ kann auch eine Reaktion auf eine als unlogisch oder unpassend (oder einfach nur langweilig) empfundene Spielsituation sein. Ich könnte dann vielleicht sagen: „Lieber SL, ich finde den Abenteuerhintergrund unlogisch, das Abenteuer lahm und deinen Mary Sue-NSC total nervig.“ Oder: „Lieber Mitspieler, ich finde das Verhalten deines Charakters einfach lächerlich.“ Aber das sage ich nicht, weil die Leute dann tödlich beleidigt wären. Stattdessen ziehe ich die Sache weiter ins Lächerliche und nehme ihr somit jede Ernsthaftigkeit, sozusagen aus Frust. Eine logischere und passendere (oder spannendere) Spielsituation könnte ich aber ernst nehmen.

Es mag noch andere Gründe geben, aber diese hier sind meiner Erfahrung nach mit Abstand die häufigsten.
 
AW: Ernst sein ist alles

bezüglich lachen geb ich meinem vorredner recht. grundsätzlich muss man aber schon einen gewissen konsens erdisskutieren, bzw. sich darauf einigen, ob man es in erster linie als spass zum abspannen nach einem harten arbeitstag/woche machen möchte, oder, ob man sich auch einer gewissen epic und dramatik aussetzen möchte.

wenn es nur ersteres ist, o.k. dann mach dir nicht zuviel arbeit mit dem vorbereiten und sie das rollenspiel nur als gesellschaftskatalysator, um mit kumpels nen netten abend zu verbringen.

wenn man aber (auch) mitfiebern will, die spannung der geschichte aufsaugen, dessen teil man ist, auf die man als spieler auch einfluss hat, dann sollte man ein gewisses mass an ernsthaftigkeit mitbringen. wobei lachen da natürlich nicht verboten ist. aber die spieler sollten schon an ihren charakteren hängen, ansonsten hast du die erste version.

bei kontruktiven plott bzw. geschichts- und dramaorientiertem spiel ist es aber auch nötig angemessene pausen zu machen, damit auch gealbert werden kann. zuviel ernsthaftigkeit führt salopp gesagt zu nerdtum. also, zwischendurch mal kochen, die musik lauter machen über was anderes sabbeln... usw....

rollenspiel IST vom ansatz her eine soziale interaktion.

mein fazit:
also, am anfang, oder sobald wie möglich über die zielsetzungen der einzelnen teilnehmer sprechen und eine einigung finden, bei der möglichst viele auf ihre kosten kommen.
 
AW: Ernst sein ist alles

Aus irgendeinem Grund macht sich gerade in unserem Umfeld eine gewisse blinde Nerdtum-Feindlichkeit breit, die bisweilen komische Formen annimmt ("Wie Rollenspiel am Samstagabend? HALLO!? Ich bin doch kein VOLL-NERD!!"), und deren gefühlte Ausläufer auch darauf Einfluß nehmen, dass man Albernheiten am Spieltisch eher geschehen lässt.

Aber Serafin und ich können doch nicht die einzigen sein, die das ankotzt?
 
AW: Ernst sein ist alles

Aber Serafin und ich können doch nicht die einzigen sein, die das ankotzt?

Soso. Wir haben hier also GLEICH ZWEI Nerds enttarnt! Los Jungs! Hängt sie an ihren Unterhosen an den Basketballkorb! :chilli:

Ich würde ja zugegben, dass ich da ähnlich denke, aber Gruppenzwang und mein angeborener Opportunismus sowie meine Angst von meinen ganzen Jock-Freunden gedisst und ebenfalls an den Basketballkorb gehängt zu werden verbieten mir das!

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Aber mal ernsthaft: JA VERDAMMT, das ist bescheuert, und in gewissem Sinne auch dezent Schizophren.
Aber (Rollenspiel)nerds sind nunmal leider auf diverse Arten und Weisen sozial und psychologisch... Sagen wir mal "seltsam drauf".
Da ist Selbstverleugnung noch eine der weniger anstrengenden Kisten. Irgendwann sind wir an dem Punkt "Wie, In-Charakter reden? HALLO?! Was bist DU denn für ein Nerd-Spastiker?!"

Mal ganz von den Rollenspieler =|= Nerd, Nerd =|= Nerd, etc. "Kategorisierungsproblematiken" abgesehen.

Ich persönlich habe immer SEHR GERNE "fokussierte" Spieler. Gegen gewisse Portionen an Albernheiten habe ich ja nicht mal was, nur wenn die dem Spiel im Weg stehen oder spielbestimmend werden, hört's irgendwann auf.
 
AW: Ernst sein ist alles

Aber Serafin und ich können doch nicht die einzigen sein, die das ankotzt?

Bestimmt nicht, aber ich denke, viele sind sich noch nicht einmal darüer im klaren, was genau sie ankotzt oder dass es genau das ist. Und dann gibt es immer Menschen die lieber nichts sagen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es noch mehr Leute gibt, denen das so geht.
 
AW: Ernst sein ist alles

Fokussiertes Spiel ist ein schöner Begriff!
 
AW: Ernst sein ist alles

Georgios, ich bin da ganz Deiner Meinung.
Natürlich hab ich nichts dagegen, wenn am Spieltisch gelacht wird, wenn man kurz Outtime-Gespräche das Spiel überlagern, und so weiter.
Aber ich möchte auch sagen können "Leute, jetzt mal wieder hier an den Tisch". Das funktioniert in meiner Gruppe prächtig, weil es auch einfach was mit Respekt vor der Arbeit des SL und Respekt vor den Spielern zu tun hat, die einfach zum Spielen gekommen sind. Ich finde, fokussiertes Spiel lernt man zu schätzen, wenn es nicht jedesmal so einfach ist, die Leute um den Tisch zu versammeln.

Ich finde somit die Bitte um Ernsthaftigkeit keine absurde. Klar ist man zum Spaß haben da, aber Spaß hab ich am Rollenspiel, an spannenden strategischen Kämpfen, an coolen Szenen. Deswegen hab ich mir das Hobby ja ausgesucht.
 
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