Erinnerungen von Ferdinand

Leo

Johnny Steinberg
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7. März 2008
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Jener verhängnisvolle Tag an dem seine Frau starb, wie könnte er den vergessen. Es geschah nur wenige Tage nach Evelinas drittem Geburtstag.
Aber an all die Einzelheiten zu denken war zu schmerzhaft.

Er dachte an Evelina, wie sie verzweifelt die Türklinke zu Evelyns Zimmer heruntergedrückt hatte, immer wieder. Das Zimmer war abgeschlossen und das Mädchen konnte nicht hinein.
Mit hilflosem Blick sah Evelina ihren Vater an. Sie verstand nicht was los war, sie rief immer wieder nach ihrer Mutter.

„Mutter, lass mich ein.“

„Mutter ist nicht mehr da“, sagte Ferdinand und nahm seine Tochter auf den Arm.
Evelina fing an zu weinen. Seine Tochter leiden zu sehen zerriss ihm das Herz.

Sie hatte bisher allein in ihrem Bettchen im Kinderzimmer geschlafen, und sie hatte bisher nie Anstalten gemacht nachts bei ihren Eltern zu sein, doch damit war es nun vorbei.
Ferdinand legte sie ihn ihr Bett, setzte sich daneben auf einen Stuhl und las ihr eine Gutenachtgeschichte vor, so wie es Evelyn oder er manchmal getan hatten.
Meistens fielen ihr schon währenddessen die Augen zu, so auch jetzt. Doch nun, sobald sich ihr Vater erhob um aus dem Raum zu gehen, schien Evelina dies zu spüren, wachte auf und fing an zu weinen.

„Lass mich nicht allein, Vater!“

Da wusste Ferdinand sich nicht anders zu behelfen als Evelinas Bett in sein eigenes Schlafzimmer zu verfrachten. In das Zimmer, das bisher das gemeinsame Schlafzimmer von ihm und Evelyn gewesen war.
Ferdinand schlief noch immer in ihrem Doppelbett, und so sollte es auch bleiben. Auf Evelyns Kopfkissen hing noch ihr Geruch, und Ferdinand hatte schon viel daran gerochen, wie auch an ihrer Kleidung. Ihm war es als müsste seine Frau jeden Moment durch die Tür kommen.

Evelinas Bettchen stand nun am Kopfende des Doppelbettes. Ferdinand hatte seine Tochter in das kleine Bett gelegt, sie griff nach seiner Hand und hielt sich daran fest. Als Evelina eingeschlafen war versuchte Ferdinand seine Hand zu lösen, doch augenblicklich wachte seine Tochter auf und fing wieder an zu weinen.
Sie stieg aus dem Bett und klammerte sich an Ferdinands Bein.

Schließlich nahm er sie mit zu sich ins Bett. Evelina lag also neben ihm und griff nach seiner Hand. Sie klammerte sich fest an die Hand, schmiegte ihr Gesicht an die Hand, und der Griff lockerte sich auch dann kaum nachdem sie eingeschlafen war. Nun also konnte sie ganz sicher sein, dass ihr Vater noch da war und sie nicht allein ließ bzw. nicht mehr wiederkam.

Ferdinand gewöhnte sich langsam an den klammernden Griff, auch er schlief ein, und offenbar hatte er sich die ganze Nacht nicht bewegt, denn er wachte in genau derselben Position auf, und Evelina hielt noch immer seine Hand fest. Seine Tochter schien zu spüren, dass er wach war und wachte auch auf. Sie krabbelte zu ihm auf die Brust und schmiegte sich an ihn.

„Noch nicht aufstehen!“

Also blieb Ferdinand noch eine Weile liegen.

Evelina weinte als er dann das Haus verließ um zum Bankhaus zu gehen, und daher fiel es ihm sehr schwer zu gehen.

"Du kommst doch zurück?"

"Aber ja, Evelina, natürlich komme ich zurück."

Kaum, dass er von der Arbeit kam wich Evelina ihrem Vater nicht von der Seite und wollte auf seinem Schoß sitzen. Sie hatte den ganzen Tag auf ihn gewartet.
Ferdinand kam ihrem großen Bedürfnis nach körperlicher Nähe nach. Er konnte es nicht über sich bringen sie da zu enttäuschen. Und so ließ er sie auch weiterhin nachts bei sich im Bett schlafen und währenddessen seine Hand halten. Nur so schlief das Kind halbwegs beruhigt ein.
 
AW: Erinnerungen von Ferdinand

Drei Tage später war Evelyns Beerdigung. Es war ein trüber Tag, und es nieselte. Es schien Ferdinand als würde der Himmel an seiner Stelle die Tränen vergießen, die er selbst in sich drin behielt. Er hielt Evelina an der Hand, und das Mädchen wirkte sehr verloren.
Auch ihr Vater fühlte sich verloren, doch er durfte das nicht zeigen. Er musste stark sein, für Evelina.
Der Sarg wurde hinabgesenkt, und mit hinabgesenkt wurde auch das Eheglück von Ferdinand und Evelyn. Er war nun fast 30 Jahre alt, und sie waren fast 9 Jahre lang verheiratet gewesen, kannten sich seit fast 12 Jahren. Und nun war alles vorbei.
Doch es gab Evelina. Hätte es sie nicht gegeben, dann hätte Ferdinand wohl kaum die Kraft zum Weiterleben gehabt. Für sie wollte er weiterleben, für sie da sein. Sie durfte nun nicht auch noch von ihm allein gelassen werden.
Evelina vergrub ihr Gesicht im langen Mantel ihres Vaters.

Noch am selben Tag kündigte die Kinderfrau.

„Das Kind hat die letzten drei Tage nur geschrieen und geweint, ich ertrage das nicht mehr länger. Sie hat nach Ihnen gerufen und wollte zu Ihnen, doch Sie waren nun mal im Bankhaus.“

„Und das sagen Sie erst jetzt??!“ empörte sich Ferdinand.

Nein, das hatte sie ihm nicht gesagt. Und sie hatte es also nicht geschafft Evelina zu trösten und zu beruhigen, da war es sowieso besser, das diese Kinderfrau ging.
Evelina durfte nicht mehr leiden. Also sollte sie die ganze Zeit bei ihm sein.
So nahm er sie am nächsten Morgen kurzerhand mit ins Bankhaus, schließlich gehörte es seinen Eltern, wer also könnte da Einwände machen.
Evelina saß ruhig in einer Ecke und beschäftigte sich mit ein paar Spielzeugen. Sie störte ihren Vater nicht bei der Arbeit – Hauptsache sie konnte in seiner Nähe sein.

Als Evelina sieben Jahre alt war sollte sie eine Privatschule besuchen. Ferdinand dachte es würde ihr gut tun unter Gleichaltrigen zu sein. Die neue Kinderfrau brachte das Kind zur Schule.
Doch noch am selben Morgen erhielt Ferdinand einen Anruf von der Schule. Evelina sei während der Pause einfach verschwunden, niemand wusste wo sie war.
Ferdinand war außer sich vor Sorge und irrte verzweifelt in der Stadt umher, auf schier hoffnungsloser Suche nach seiner Tochter.
Als er einem Nervenzusammenbruch nahe wieder zum Bankhaus zurückkehrte, sah er dort Evelina draußen auf den Stufen vor dem Eingang sitzen. Als sie ihn erblickte kam sie ihm entgegengelaufen, und er schloss sie in seine Arme. Da bekam er einen Schwächeanfall und sank zu Boden.

„Vater, was ist mit dir?!“

„Mein schwaches Herz…du darfst bitte nie wieder weglaufen, dein Vater macht sich sonst so große Sorgen um dich.“

„Ich werde nicht mehr weglaufen, ganz bestimmt nicht. Ich wollte nicht in der Schule sein, ich wollte hierhin zu dir kommen. Ich wollte bei dir sein. Du stirbst doch jetzt nicht? Du lässt mich doch nicht allein?“

Er drückte seine Tochter an sich.

„Aber nein, Evelina.“

„Und wenn du stirbst, was ist dann?“

„Dann bin ich als Geist bei dir.“

„Du sollst aber kein Geist sein. Du darfst nicht sterben!
Du darfst mich nie, nie, nie, nie allein lassen! Ich will immer bei dir sein!“

„Ja doch, meine Liebe, ich werde immer bei dir sein.“

Ach wenn es doch so sein könnte…

„Ich werde doch mein kleines Mädchen nicht allein lassen. Aber du wirst bitte ab morgen brav zur Schule gehen und nicht mehr weglaufen, versprichst du mir das?“

„Ja, Vater.“

„Sonst sterbe ich noch vor Sorge, und das willst du doch nicht.“

„Nein, Vater, natürlich nicht.“

„Und wenn ich nach Hause komme, erzählst du mir alles, was du in der Schule gemacht hast.“

So geschah es.
Kaum, dass Ferdinand am Abend zur Haustür hereintrat, kam Evelina schon freudestrahlend auf ihn zugestürmt und wollte in den Arm genommen werden.
Nach dem Abendessen gingen sie in Ferdinands Arbeitszimmer, denn er wollte nicht, dass die Kinderfrau etwas davon mitbekam, was dann ablief.
Sie sollte nicht sehen, dass das immer älter werdenden Mädchen noch immer bei ihm auf dem Schoß saß. Dort und nirgendwo anders wollte Evelina sitzen während sie ihrem Vater von ihrem Schultag erzählte. Sie erzählte ihm natürlich auch was sie am Nachmittag gemacht hatte. Evelina durfte Schulfreundinnen in die Villa einladen, was sie auch des öfteren machte.

Die Kinderfrau sollte auch nichts davon mitbekommen, dass Evelina noch immer bei Ferdinand im Bett schlief und dort seine Hand halten wollte.
Er hatte schon mehrmals versucht es Evelina abzugewöhnen.

„Du bist doch schon ein großes Mädchen, dann kannst du auch in deinem eigenen Bett und in deinem eigenen Zimmer schlafen.“

„Ich möchte aber dein kleines Mädchen sein und weiter hier schlafen…ach bitte, Vater…bitte...“

Sie sah ihn mit großen Augen an, und wenn sie dann auch noch anfing zu weinen, dann konnte er einfach nicht Nein sagen. Also machte er sich weiterhin jeden Morgen die Mühe, Evelinas Bett so aussehen zu lassen als hätte sie darin geschlafen.
Aber das konnte doch nicht ewig so weitergehen. Evelina war schon fast 10 Jahre alt.
 
AW: Erinnerungen von Ferdinand

Als sie zu Onkel Nathan zogen änderte sich vieles. Die traute Zweisamkeit zwischen Vater und Tochter konnte nun nicht mehr auf dieselbe Art weitergehen.

Es fiel Ferdinand sehr schwer die Villa zu verlassen, in der er mit seiner Frau gewohnt hatte. Bis zuletzt war Evelyns Zimmer unberührt und abgeschlossen gewesen. Erst kurz vor dem Auszug war Ferdinand ein letztes Mal in das Zimmer gegangen, in dem alles noch in genau demselben Zustand war wie an dem Tag als Evelyn gestorben war.
Er hatte Evelyns Nachthemden mitgenommen, alle. Onkel Nathan sagte er davon natürlich nichts. Sie hatten ohnehin nie viel von Evelyn gesprochen.

Evelina war nun 10 Jahre alt. Sie wäre nicht mehr lange ein Mädchen, sie würde bald zur jungen Frau heranreifen.
Nun hatte Ferdinand kein Doppelbett mehr, sondern ein Einzelbett im Keller. Nun war es absolut unmöglich wie bisher morgens neben Evelina aufzuwachen.
Aber es hätte ohnehin nicht so weitergehen können.

„Was soll denn Onkel Nathan von uns denken? Du willst doch nicht, dass wir einen schlechten Eindruck machen?
Du bist bald eine Dame, eine junge Frau, dann kannst du doch nicht mehr bei deinem Vater im selben Bett schlafen. Und dann solltest du auch nicht mehr zu deinem Vater auf den Schoß kommen.“

„Dann will ich keine Dame werden und auch keine Frau! Ich will für immer dein kleines Mädchen sein!“ entgegnete seine Tochter empört und traurig zugleich.

„Du kannst doch beides sein – eine Frau und mein kleines Mädchen. Für mich wirst du immer mein kleines Mädchen sein, egal wie alt du bist…
Aber die Welt wird dich bald nicht mehr als Mädchen sehen, für die Welt wirst du eine Frau sein, und eine junge Dame sitzt nun mal nicht bei ihrem Vater auf dem Schoß.“

„Dann mache ich es eben nur wenn es niemand sieht!“

Ferdinand fragte sich ob es wohl gut gewesen wäre, Evelina zu diesem Zeitpunkt zu ghulen. Dann wäre sie in der Tat für immer ein 10-jähriges Mädchen gewesen. Aber nein. Dann hätte es umso leichter auffallen können, dass sie nicht älter wurde, und vor allem sie wäre um so vieles verletzbarer, schon allein körperlich.

„Du wirst dich sicher irgendwann verlieben, und dann wirst du heiraten und mit deinem Mann zusammenwohnen wollen.“

„Aber auch da kann ich doch beides haben. Dann wohne ich eben mit dir und mit meinem Mann zusammen! Und wer das nicht will, den will ich nicht heiraten. Ich möchte immer bei dir sein!“

Doch ob sie in 10 Jahren immer noch genauso dachte? Man würde sehen.
Es würde Ferdinand gefallen, wenn es so wäre, ohne Frage, aber er würde seine Tochter zu nichts zwingen, ganz gewiss nicht. Doch er würde sich unendlich um sie sorgen, wenn er Evelina nicht in seiner Nähe hatte. Sie war so ein Engel, welchen Sinn hatte denn seine Existenz ohne sie? Nur wegen ihr hatte er doch das Angebot von Onkel Nathan angenommen.
Nun hatte Ferdinand keine Herzprobleme mehr. Nun war er ein Kainskind.

Evelina hatte jetzt keine Kinderfrau mehr. Onkel Nathan wollte das nicht, und schließlich hatte er einen männlichen und auch einen weiblichen Ghul. Simon Rosenthal und das altjüngferliche Fräulein Mandelbaum, beide (scheinbar) um die 50 Jahre alt.
Die Ghulin war seine ehemalige Haushälterin, und sie also kümmerte sich nun auch um Evelina, wenn auch offenbar nicht besonders gern. Evelina wurde von ihr "gnädiges Fräulein" genannt, und die beiden mochten sich von Anfang an nicht besonders.

Evelina bekam in Onkel Nathans Villa ihr eigenes Zimmer, im ersten Stock, und sie schlief von nun an dort, in ihrem eigenen Bett. Morgens ging sie zur Schule und abends wartete sie auf ihren Vater.
Sie war nicht mehr so überschwänglich bei Ferdinands abendlicher Ankunft, nicht einmal dann, wenn gerade sonst niemand in der Nähe war.
Ferdinand bemerkte natürlich, dass Evelinas Temperament gezügelt wurde in dieser Villa, dafür brauchte Onkel Nathan nicht einmal anwesend zu sein. Seine Präsenz war auch ohne seine konkrete Anwesenheit stets in der Villa zu spüren, sie war davon durchdrungen. So eine gediegene, schwere Ruhe, die keine laute Fröhlichkeit zu dulden schien.
Ferdinand bedauerte, dass Evelina sich hier beklommen fühlte, doch das mussten sie in Kauf nehmen.
Er war ja froh, das Onkel Nathan das Mädchen überhaupt duldete. Zum Glück hielt sie sich aus Ehrfurcht an alle Anweisungen, die meist durch die Ghule an das Kind herangetragen wurden.
Sie durfte in keinem Falle den Keller betreten, also tat sie es nicht und fragte auch nicht nach dem Grund.
Sie wusste, dass Ferdinand und Onkel Nathan dort ihre Schlafzimmer hatten, und zum Glück fragte sie auch nie nach warum das so war. Als hätte sie geahnt, dass es nicht gut wäre das zu fragen.

Sie hielt sich auch an die Anweisung ihres Vaters ihn tagsüber nicht im Bankhaus zu besuchen. Gut, dass dies der Fall war, denn dort hielt er sich angeblich auf aber nicht wirklich. Nun kam er abends mitnichten von der Arbeit zurück sondern wachte jetzt erst auf.
Zum Glück fragte Evelina auch nicht nach warum Ferdinand im Sommer immer soviel länger „arbeitete“ als im Winter.

Die einzige Gewohnheit, die sie beibehalten konnten, war, dass Evelina ihrem Vater nach seiner „Rückkehr“ von der Arbeit erzählte was sie den ganzen Tag über gemacht hatte.
Doch sie saß dabei nicht mehr auf seinem Schoß. Ferdinand sah ihr an, dass sie dies gerne würde, aber auch sie wollte keinen schlechten Eindruck machen, und immerhin war es theoretisch möglich, dass plötzlich jemand ins Zimmer platzte.

Evelina wünschte sich, dass ihr Vater sie jeden Abend ins Bett brachte, und diesem Wunsch kam er gerne nach. Noch mit 13 ließ sie sich Gutenachtgeschichten vorlesen. Sie griff nach Ferdinands Hand bevor er ging, und es fiel ihr sichtlich schwer wieder loszulassen.
Auch mit 14 wollte Evelina noch Gutenachtgeschichten hören, doch da sagte ihr Vater, dass sie allmählich wirklich zu alt dafür sei.
Evelina wirkte traurig.

„Aber ich bin doch trotzdem noch dein kleines Mädchen?“

„Aber ja doch, Evelina. Du wirst immer mein kleines Mädchen sein.“

Sie schien sich innerlich dagegen zu wehren erwachsen zu werden.
All ihre Klassenkameradinnen waren schon mal verliebt gewesen und schwärmten für irgendjemanden, aber Evelina nicht. Für sie gab es nur ihren Vater, sie wollte gar niemand anderen. Im Grunde war Ferdinand froh darüber, aber das ließ er nicht durchblicken.
 
AW: Erinnerungen von Ferdinand

Im Herbst des Jahres 1932 schließlich wurde Ferdinand freigesprochen, und es wurde Zeit aus der Villa seines Erzeugers auszuziehen.
Dann überstürzten sich die Ereignisse. Während Ferdinand noch darüber nachdachte wie er es wohl schaffte die Villa zurückzubekommen in welcher er mit seiner Frau gewohnt hatte, kam ihm etwas dazwischen, wodurch er dieses Bestreben aufgab.
Er hatte eine Vorahnung, dass es für Juden gut sei Deutschland zu verlassen.
Bestimmt wegen der Nazis, die in Deutschland schon allerorten kräftig Hetze gegen die Juden betrieben. Aber sollte man sich davon einschüchtern lassen?
Ferdinand zögerte noch was er am besten tun sollte.
Eines Abends, er hatte nur kurze Zeit im Bankhaus verbracht und nicht wie Evelina dachte, den ganzen Tag, trat er aus demselbigen und hörte einen Schrei, den Schrei einer Frau. Da benötigte eine Frau offenbar Hilfe. Als Ferdinand sich umsah und seine Sinne schärfte, erblickte er drei uniformierte Nazis, die eine Frau in eine Seitengasse zerrten, und diese Frau war Evelina, seine Tochter.
Einer von ihnen hatte sie als die jüdische Bankierstochter erkannt, und so hatten sie nun ein Opfer für ihre Schikanen gefunden. Ohne Rücksicht darauf, dass sie eine Frau war, schlugen sie auf Evelina ein, und sie sackte zu Boden. Ferdinand pumpte Blut, erhöhte damit seine Körperkraft und Geschicklichkeit und eilte zu der kleinen Gruppe.

„Da ist ja der Herr Bankier persönlich“, tönte es ihm entgegen.

„Schau´s dir nur gut an, was wir mit euch Judensäuen machen, und gleich bist du dran.“

Kurz bevor der Spötter durch Ferdinands Schläge ohnmächtig wurde las der Malkavianer noch Erstaunen in seinen Augen, denn so harte Schläge hatte er offenbar von diesem Sesselfurzer nicht erwartet. Die anderen beiden ließen von Evelina ab und schauten verdutzt auf ihren ohnmächtigen Kameraden. Sie gingen auf Ferdinand los, doch sie kamen auch zu zweit nicht gegen ihn an, wenig später waren also auch die anderen beiden Männer außer Gefecht gesetzt.
Auch Evelina war erstaunt, dass ihr Vater diese Männer mit Leichtigkeit mit der bloßen Faust niedergeschlagen hatte. Noch ahnte sie nichts davon, dass er noch weit seltsamere Kräfte hatte.
Evelina weinte, und Ferdinand nahm seine verschreckte Tochter tröstend in den Arm.

„Ich will hier weg aus diesem Land“, schluchzte sie verzweifelt, und wie hätte er da noch bleiben können.

„Aber ja, Evelina, wir werden schon morgen abreisen.“

Er wollte doch nicht, dass Evelina litt. Da gab es nun also kein Zögern und Zaudern mehr, Ferdinand verließ mit Evelina Deutschland, sie reisten nach England und ließen sich in Oxford nieder. Dort ging es seiner Tochter besser.
Jedoch wurde Ferdinand vom schlechten Gewissen geplagt. Es wäre gut gewesen, vor Ort etwas gegen diese Nazibrut tun zu können.
Von England aus konnte er immerhin finanzielle Unterstützung geben, an den Widerstand, und an Leute, die später Juden aus dem Land herausschleusten. Dennoch blieb in ihm das Gefühl nicht genug getan zu haben.
Von seinem Vermögen behielt Ferdinand für sich selbst nur soviel wie er brauchte um Evelina weiterhin ein luxuriöses Leben bieten zu können, denn natürlich sollte sie nicht auf ihren gewohnten Lebensstandard verzichten müssen.
So hielten sie es auch in späteren Jahren, als Henry ihr Vermögen verwaltete, für sich selbst behielten sie nur „das Nötigste“, der Rest wurde für gemeinnützige Zwecke eingesetzt. Sie hatten damit sogar den Bau eines Kinderkrankenhauses finanziert.

„Ich glaube ein Ehemann wäre gut für dich…du wirst hier bestimmt einen jungen Cousin kennenlernen, der dir gefällt“, sagte Ferdinand wenig später zu seiner Tochter.

„Mir wäre ein etwas reiferer Cousin aber lieber…“ entgegnete sie.

Die etwas reiferen Rothschilds waren aber für gewöhnlich verheiratet…ledige Rothschilds über 30 gab es praktisch nicht.
Aber dann lernte Evelina Henry kennen, der 40 Jahre alt war und somit ein etwas reiferer Cousin. Sie verliebte sich in ihn und setzte es sich in den Kopf ihn zu bekommen.
Henry hatte sich eigentlich geschworen nie wieder zu heiraten und sich seitdem mit keiner Frau mehr eingelassen, nicht einmal für einen Flirt.
Er hatte sehr darunter gelitten, dass seine erste Frau Alberta ihn verlassen hatte. Sie war mit einem Zeitungsfotografen in die Vereinigten Staaten durchgebrannt und hatte Henry mitsamt dem gemeinsamen 7-jährigen Sohn Robert sitzen lassen.
Später hatte sie die Scheidung gewollt um ihren Neuen heiraten zu können. Henry hätte ihr diese Scheidung gern verweigert, aber die Familie drängte ihn dazu einzuwilligen und er fügte sich dem Willen der Familie. Alberta hatte nun natürlich von der Familie keinerlei Unterstützung mehr zu erwarten, sie war enterbt und verstoßen, ein solches Verhalten duldete die Familie nicht.
Henry war also ein geschiedener Rothschild, eine absolute Rarität. Er verhielt sich anfangs recht abweisend Evelinas Avancen gegenüber, aber schließlich schaffte sie es sein Herz zu erweichen, und auch Henry verliebte sich. Nicht er hatte also um Evelina geworben, sondern sie hatte ihn bestürmt…und mal wieder bekommen was sie haben wollte.
Jegliche Männer, die sie jemals umworben hatten hatte Evelina abgewiesen. Wenn es kein Rothschild war, dann sowieso, aber auch junge Rothschilds hatten bei ihr kein Glück gehabt. Sie wünschte sich offenbar jemand Väterliches.

Henry war 18 Jahre älter als Evelina und hätte somit auch ihr Vater sein können.
Henrys Sohn Robert hatte gerade sein Studium in Oxford angefangen. Er war 18 Jahre alt als Henry und Evelina sich kennenlernten, also nur 4 Jahre jünger als Evelina, seine künftige Stiefmutter.
Ferdinand war mit Evelinas Wahl einverstanden, nachdem er Henry genauestens unter die Lupe genommen hatte. Henry würde ihr sicher immer treu sein und ein verantwortungsvoller Ehemann sein. Schließlich war er lange Zeit, genau wie Ferdinand, allein für sein Kind verantwortlich gewesen, und der Junge hatte sich zu einem anständigen Menschen entwickelt.

„Und du bist dir ganz sicher, dass du auch nach der Hochzeit bei mir wohnen bleiben möchtest?“ wollte Ferdinand von seiner Tochter wissen und fügte hinzu: „Natürlich würde ich mich darüber freuen, aber ich würde dich nie dazu drängen.“

„Aber ja, Vater, ich will! Ich möchte immer bei dir sein! Daran hat sich nichts geändert! Und Henry hat nichts dagegen. Sonst würde ich ihn gar nicht heiraten.“

Ferdinand war höchst erfreut, dass Evelina aus freien Stücken bei ihm blieb.

Die Hochzeit fand am 21. Juni 1933 statt. Es war ein herrlicher sonniger Tag, dennoch fand die Zeremonie und die Feier erst nach Sonnenuntergang statt, denn natürlich wollte Ferdinand mit dabei sein.
Er hatte seiner Tochter versprochen ihr am nächsten Abend zu erkären warum die Hochzeit nicht tagsüber stattfinden konnte.
Es wurde ohnehin langsam Zeit die beiden in gewisse Dinge einzuweihen und sie zu ghulen. Zum Glück war es in Oxford erlaubt als Neugeborener zwei Ghule zu haben.
 
AW: Erinnerungen von Ferdinand

Ferdinand war ein wenig in Sorge wie Evelina es aufnähme, dass er ein Vampir war. Nicht, dass sie Angst vor ihm hatte!
Doch zum Glück reagierte sie nicht verschreckt.

Deswegen also sollte ich tagsüber nicht bei dir in der Bank anrufen oder dich dort besuchen und nicht in den Keller kommen…“

„Es macht dir also nichts aus, dass ich kein Mensch mehr bin?“

„Du bist doch trotzdem immer noch mein geliebter Vater! Und du liebst mich auch weiterhin?“

„Aber natürlich, Evelina. Wegen dir wollte ich doch unsterblich werden…damit mich die Herzkrankheit nicht vorzeitig dahinrafft und ich also weiterhin für dich da sein kann."

Er erklärte auch, dass er dafür sorgen konnte, dass Evelina und Henry nie körperlich alterten.

„Du wirst immer jung und schön aussehen, würde dir das gefallen? Und ihr werdet niemals an Altersschwäche oder Krankheiten sterben, wenn ihr regelmäßig von meinem Blut trinkt. Ihr werdet dann nicht selbst zum Vampir, aber stärker und widerstandsfähiger als gewöhnliche Menschen. Ihr könnt weiterhin tagsüber aktiv sein, ihr müsst nicht wie ich tagsüber schlafen.
Mit etwas Glück und Vorsicht könnten wir drei dann also weit über 100 Jahre alt werden."

Henry hörte still zu und machte keine Einwände. Er hatte eigentlich keine Wahl. Seine Meinung war nicht wirklich entscheidend, Ferdinand interessierte vor allem was Evelina wollte, und er hoffte darauf, dass Henry mitzog um Evelina nicht zu verlieren.

„Das hört sich gut an, nicht Henry? Du musst auch Ja sagen, ich will dich doch nicht verlieren!"

Auch Henry willigte ein Ferdinands Blut zu trinken. Er konnte nicht ahnen wie sehr sich sein Leben nun verändern würde, wie sehr auch er bald Ferdinand lieben würde.
Der Malkavianer hatte ihn mit Absicht vorab nicht voll aufgeklärt über die Wirkung eines Blutsbandes, denn dass Henry im letzten Moment Nein sagte wollte Ferdinand nicht riskieren. Und als Henry dann an ihn gebunden war, da war es für den Engländer zu spät um sich noch loszueisen.

"Und deine wichtigste Aufgabe wird es sein immer gut auf Evelina aufzupassen", schärfte Ferdinand Henry ein, nachdem dieser den ersten Schluck getrunken hatte.

Zunächst bekamen die beiden das Blut aus Trinkgläsern, es war für sie noch zu früh die Ekstase des Trinkens kennenzulernen, Ferdinand wollte sie möglichst behutsam an alles heranführen.

"Mmmh schmeckt das gut, das hätte ich nicht gedacht", schwärmte Evelina.

Ja, es war gut, dass Evelina nun einen Ehemann hatte, der tagsüber auf die aufpassen konnte, während der Zeit wo Ferdinand schlief. Und das Blutsband würde dafür sorgen, dass Henry seine Aufgabe höchst gewissenhaft vollzog. Ein schlechtes Leben hatte Henry bei ihnen wirklich nicht, und Evelinas Mann zu sein war etwas Besonderes, eine Ehre, seine geliebte Tochter hätte Ferdinand längst nicht jedem anvertraut.
 
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