Der Meister schrieb:
Wie soll ich das verstehen? Bei DSA 4 wird nicht mehr gewürfelt, Scaldor?
Er meinte damit nicht im eigentlichen Spiel, sondern bei der Charaktererschaffung, da dort eine den Zufall zurückdrängendes Punkte-Kauf-System in der DSA4-Version vorliegt.
Damit kann man nicht einfach herkommen und einen in der "Papierform" superkompetenten Charakter basteln, der dann im eigentlichen Spiel inkompetent gespielt wird.
Wobei ich damit wenig Probleme habe: ein Charakter mit maximalen Werten in allem, dessen Spieler nie auf die notwendigen Ideen kommt, um aktiv an der Lösung von Problemen in Szenarien teilnehmen zu können, der hat zwar im Kampf durch seine "Nehmerqualitäten" eine erhöhte Überlebenswahrscheinlichkeit, doch ist er deshalb noch lange kein erfolgreichen Charakter in dem Sinne, daß er nicht einen echten, merkbaren Einfluß auf die Abenteuer hat, an denen er beteiligt ist.
Solche Beispiele kenne ich auch so einige. Da hatte es mich anfangs schon ein wenig geärgert, daß da Superhelden erwürfelt wurden. Doch als sich diese dann im Spiel den realen Defiziten ihrer Spieler beugend als unbedeutend für den Ablauf jeglicher Szenarien erwiesen hatten, da ist es mir so richtig bewußt geworden, daß es viel mehr Spaß macht einen Charakter mit "Ecken und Kanten" zu spielen, der vielleicht nicht alles schafft, bei dem aber auch kleine Erfolge denkwürdige Ereignisse im Spiel darstellen, an die man sich als Spieler auch nach Jahren noch gerne zurückerinnert.
Oje, ich hatte gerade die Hände von der Tastatur nehmen müssen, weil mich diverse Erinnerungen an meine Charaktere aus grauer Vorzeit eingeholt hatten - Midgard-Charakter Hrok Hamundson, der durch nur einen unbedacht (In22) abgeschossenen Pfeil eine ganze Armee unserer Gruppe auf den Hals gehetzt hatte, oder einen Lhankor Mhy Initiaten Taz Terbig, der in RuneQuest bei einem wüsten Kampf mittels eines Fußfegers einen Cave Troll zu Fall gebracht hatte (Chance 01 oder 02 auf W% - gewürfelt 01!), oder Reverend "Guts" Malloy, der nicht nur eine Bedrohung einer ganzen Stadt durch eine Geisterarmee abgewendet hatte - das ist ja in Deadlands normal - sondern, dem es auch noch gelungen war, die Verantwortlichen von ihrer unheiligen Verblendung zu befreien und sie wieder zu dem Einen, Wahren Gott zu bekehren nur durch beherztes Predigen (und einen SL, der sich davon hat mitreißen lassen ), oder...
Uff! Ich konnte mich jetzt gerade noch zusammenreißen.
Es bedarf schon eines gewissen Lernprozesses beim Spieler selbst, um festzustellen, daß die Herausforderungen nicht nur in den Gegnern liegen, die der Spielleiter einem entgegenschickt (gegen die dann auch die hohen Werte in allen Charakteristiken und Fertigkeiten helfen), sondern, daß man sich seine Herausforderungen auch selbst stecken kann, indem man einen Charakter mit deutlichen Schwächen, mit einem "Profil" bei den Werten (statt alle einfach auf "MAX" zu schrauben) entwirft. Solch ein Charakter bleibt erinnerungswerter als ein aalglatter Superheld (außer natürlich in einem Superhelden-Setting - aber für solche aalglatten, öligen Typen gibt es ja Kryptonit).
DSA4 hat mit dem Punkte-Kauf-System mehr als nur die Möglichkeit geschaffen für in Kauf genommene Nachteile auch entsprechend mehr Punkte für interessante Vorteile zu erhandeln. Dieser Teil des Kauf-Systems führt tatsächlich zu unterscheidbareren Charakteren, so daß der "Standard-Krieger" nicht mehr zu erwarten ist. - Soweit die Theorie....
In der Praxis von DSA4 führt das Kaufsystem meiner Erfahrung nach bei nicht wenigen Spielern zu einem wüsten Min-Max-Spielchen, bei denen man "erträgliche" Nachteile auswählt um besonders starke Vorteile einzukaufen. Die Tatsachen, daß man praktisch zum Kauf gezwungen ist, wenn man nicht einen profillosen Charakter auf NIEDRIGSTEM Niveau haben möchte, finde ich schlecht.
Somit hat das Würfeln seine Probleme, aber auch Kaufsysteme können Zicken machen. Wir haben auch schon damals zu D&D und AD&D 1.Ed. Zeiten oft das Würfeln durch unterschiedliche Zufalls- bzw. Kaufsysteme in unseren Runden abgelöst. Letztlich hatte aber KEINES der unterschiedlichen eingesetzten Systeme einen erinnerungswürdigen Effekt auf die Chancengleichheit der Charaktere oder den Spielspaß am Tisch (Aber ich bin ja alt und habe vielleicht so manches mit den Jahren vergessen. Vielleicht ist das auch besser so.). Ich bin inzwischen der Meinung, daß
ein System den Rahmen für eine Chancengleichheit der SPIELER darstellen sollte. Ob die Charaktere dann unterschiedlich aussehen, unbalanciert sind, was auch immer - das ist für mich sekundär, solange sie interessant sind, die Szenarien spannend verlaufen und man
mit den Charakteren UND den Spielern gerne spielt (übrigens: "Charakterkonzept" ist ein Rollenspiel-All-Time-Greatest-Unwort für mich! Wer behauptet eins zui haben, geht meist anderen Spielern permanent mit seines Charakters Macken auf den Sack! Dies ist einfach ein unqualifizierter Erfahrungswert von mir, den ich hier loswerden wollte.).
Ich bin ja manchmal etwas langsam im Merken (das Alter! *ächz*), aber dieses gesamte Thema ist ja ausschließlich dem als Fehlverhalten wahrgenommenen Verhalten von Spielern gewidmet. Ich frage mich - insbesondere nach der Lektüre der hier vorliegenden Typologie von Spiel-Verhaltensstörungen - durchaus, warum es wohl so sein muß, daß es manchen Spielern nicht auffällt, daß sie zum einen andere Mitspieler stören, ärgern oder behindern, und warum es wohl so ist, daß Spielleiter nicht in solchen merkbaren Fällen einfach das Spiel unterbrechen und mit dem Spieler ein Gespräch suchen. Ich könnte mir vorstellen, daß man mit einer möglichst frühzeitigen Erläuterung, warum das egoistische Ausspielen aller Macken seines eigenen Charakters alle anderen Spieler am Tisch daran hindert die Spielrunde zu genießen, bei so manchen Kandidaten für die oben beschriebenen Typen Betroffenheit auslöst. Das heißt noch lange nicht, daß diese Spieler ihr Verhalten dann sogleich ändern würden - immerhin sind Menschen ziemlich resistent gegen verlangte Verhaltensänderungen (Raucher, Übergewichtige, etc. können da ein Lied davon singen - ich auch
).
Ich bin kein Psychologe und hege auch keine Hobby-Psychologie-Ambitionen. Mich wundert es nur, daß man, wenn man mal, wie hier geschehen, bestimmte Typen an Verhaltensweisen sammelt, doch recht viele konkrete Spieler, die man in langen Rollenspiel-Jahren kennengelernt hat, wiederfindet.
Tja. Was meint ihr dazu?