Naja, "Verhausregeln" tendiert ja von sich auch schon in Richtung "mein individuell perfektes System".
Das ist aber eine extrem sanfte Verhausregelung. Bei anderen Spielen würde sowas vielleicht "Tweak" heißen und wäre in den Regeln mitgedacht. D&D 3.5 kannte sowas schon. Hab aber vergessen, wie das da hieß. Jedenfalls gab es da im DMG auch immer so Seitenkästen, die Empfehlungen gaben, wie man bestimmte Regeln tweaken konnte. Was dann faktisch eine Hausregel war, aber eine, die im System schon so als Möglichkeit drinsteckt. Und meine XP-Regel ist auch so. Und voll im Geist des Spiels: Weniger Buchhaltung, schnellere Prozesse, kompetente Charaktere.
Also dann können bei Savage Worlds alle SC Zaubern, Heilen, Schlösser knacken, Kämpfen, meucheln, Untote vertreiben (oder eben SW-Entsprechung) usw.?
Theoretisch. Aber dann müssen sie es halt auch skillen. Wie Multiclasser in D&D (3.5). Da ist das Problem ja nur, dass man bei D&D 1) nur alle hundert Jahre mal aufsteigt, und 2) theoretisch (ohne Erweiterungen) bei Level 20 Schluss ist.
Das sympathische bei SW ist hier, dass die Steigerungen aber eben nicht klassenspezifisch vorgegeben sind, weil es keine Klassen gibt (und somit auch der Multiclass-Malus Unsinn entfällt), und es ne Menge Fähigkeiten gibt, die den Charakter nicht nur regeltechnisch, sondern auch narrativ weiterbringen.
Mal ein praktisches Beispiel für meinen Lieblingscharakter:
Ein alternder, TBC-kranker Gunslinger bei Deadlands (und ja, schon vor sechs Jahren oder so... ich war zuerst).
Er hatte die Nachteile Todkrank und was ich mal als Letzter Wunsch übersetzen würde (Ailin' und Death Wish im Original). Ein beteiligter und überlebender des
Massakers von Lawrence, Kansas, der dort seine Familie verloren hatte und nur noch den Wunsch hatte, Quantrill, den Befehlshaber des Massakers zu töten.
Als Fähigkeiten steigerte ich alles, was man als Gunslinger braucht. Also Steigerungen auf Geschicklichkeit, wenn möglich und alle möglichen Edges, die ihn zum besseren Schützen machen. Man kann bei jeder Steigerung entweder einen Skill (also shooting beispielsweise), eine Edge (also beispielsweise schnelladen, schnellziehen etc... macht alles in nem Westernspiel Sinn), oder alle fünf (glaub ich... ist ein paar Jahre her) Steigerungen eine Ability-Steigerung (also Geschicklichkeit).
Nach zwanzig Steigerungen (glaub ich) ist man schon eine Legende. Das dauert halt dann bei meiner Hausregel 20 Sitzungen (was im wirklichen Leben ne Menge Zeit ist, wenn man nicht mehr jede Woche spielen kann... da können 20 Steigerungen realistisch mal ein Jahr oder länger dauern). Mit den Standardregeln sogar länger.
Nach zwanzig Leveln ist man halt schon richtig gut, kann aber theoretisch unbegrenzt lang weiter machen. Irgendwann gehen einem dann mal die Gunslinger-Fähigkeiten aus. Dann kann man sich verbreitern.
Selbst als legendärer Charakter ist man aber (anders als in D&D) auf dem Straßenlevel absolut sterblich. Bei D&D braucht es da ja schon weltvernichtende Bedrohungspotentiale schon wegen Resistenzen, AC und HP.
Bei SW ist man dann eben ein legendärer, extrem guter Revolverheld, aber eben immer noch sterblich. Harlow, mein Gunslinger, hatte jetzt trotz seiner tödlichen Krankheit das Pech, einfach nicht zu sterben. Auch dann nicht, als sein letzter Wunsch erfüllt und Quantrill in den Staub geschickt worden war. Und Harlow hatte dann das Problem, dass er seine Seele an einen Revenant (so eine Art Dämon) verkauft hatte im Tausch gegen einen magischen Revolver.
Dieser Seelenverkauf wurde mit einer Edge abgebildet, die Harlow im Fall seines Todes selbst zum Revenant machen würde. Regeltechnisch ein zweites Leben (extrem selten und auch nur in wenigen SW-Spielen möglich). Storytechnisch war es für Harlow ein Grund zu leben, weil er um Gottes Willen nicht zum Revenant werden wollte. Außerdem hatte er mittlerweile im hohen Alter auch nochmal eine Liebe gefunden (den Charakter meiner damaligen Freundin, der auch schon ziemlich hochlevelig war), so dass ich mit einer weiteren Steigerung den Nachteil Letzter Wunsch weggekauft habe.
Das kann man bei manchen Nachteilen machen, will man aber idR nicht, weil die Aufstiege dafür dann doch zu wertvoll sind. Es gibt immer geiles Zeug.
Mit einem weiteren Aufstieg habe ich mir dann eine Edge geholt, die Mentor (oder so) hieß, die einem erlaubt, einen Zweitcharakter ins Spiel zu bringen. Da hab ich dann einen jungen Schlangenölverkäufer (mit dem magischen Hintergrund Alchemie) gebaut.
Harlow hat sich daraufhin mit seiner Frau aufs Altenteil zurückgezogen und wurde nur manchmal rausgeholt. Meistens lustigerweise dann, wenn sein Ruf als legendärer Gunslinger gebraucht wurde. Nicht so sehr seine Fähigkeiten. Er wollte ja jetzt schließlich noch so viele letzte Tage mit seiner Frau haben, wie er konnte und im Bett statt auf einer staubigen Straße sterben.
Und so läuft das meiner Erfahrung nach immer. Wenn man wirklich lang genug spielt, dann kommt man halt irgendwann an den Punkt, dass die Geschichte fertig erzählt ist. Dann kann man natürlich weitermachen, aber bis es so weit ist, hat man vielleicht noch ne neue coole Charakteridee. Bei D&D fängt man dann halt an, Götter zu töten. Bei SW ist man der legendäre Gunslinger, der sich entweder aufs Altenteil zurückzieht, oder noch fechten und stricken lernt. Wie im wirklichen Leben. Wenn man ein Rockgott ist, dann lernt man halt Golf spielen.
Abb 1: Hochleveliger Multiclasser
D.h. jeder SC ist ersetzbar und hätte im Prinzip nix besonderes?
Jeder SC ist insofern ersetzbar, dass man nicht hundert Jahre an der Charaktererschaffung braucht. Und auch schnell wieder hoch kommt. Eine optionale Regel, die ich da gerne benutze ist beispielweise, dass ein neuer Charakter die halben XP seines Vorgängers hat. Anders als in D&D muss hier aber der Level nicht unbedingt an die Gruppe angepasst werden. Die anderen, erfahrenen Charaktere sind vielleicht kompetenter, aber der neue Charakter ist (anders als in D&D) auch schon kompetent. Selbst wenn man ohne die optionale Regel spielt. Bei D&D will man ja irgendwann einfach nicht mehr sterben, weil man auf Level 10 nicht unbedingt nen neuen Charakter bauen will. Das dauert ja ewig.
Besonders sind die Charaktere durch ihre spezifische Kombination von Edges, Hindrances (Nachteile), Skills und Abilities. Und natürlich durch den Fluff.
Was ja dann gut wäre wenn das System tödlich bleibt und man schnell wieder seine SC hochgezüchtet bekommt.
Das schöne ist m.E. dass das mit dem Hochzüchten nicht so entscheidend ist. SW ist auch eins dieser Spiele, wo man immer gucken muss, dass man dem Gegner auch wirklich gewachsen ist. Da ist man als Spieler etwas der SL-Willkür ausgeliefert, was natürlich grundsätzlich immer ein Problem ist (unter anderem deshalb meine Bewegung zu reinen narrativen Spielen), aber da greift natürlich auch wie immer Regel 0.
@Niedertracht : Ich wollte nur wissen wie das bei Savage World gehandhabt wird da ich dieses System nicht en detail kenne.
Außerdem habe ich nicht geschrieben das sie sich (100%?) wertetechnisch gleichen. Nur das jeder im Prinzip alles kann da es keine Spezialisten (Klassen? Spezialisierungen?) gibt, wenn ich
@RockyRaccoon 's Aussage richtig verstanden habe. Deshalb auch die Nachfrage.
Des weiteren bezog ich mich generell auf Savage Worlds und nicht auf Rockys Hausregel die das nennen wir es mal "Allrounder"-Prinzip nur Sitzungstechnisch beschleunigt.
Wenn Du bei D&D zuviele Klassen wählst kommt am Ende m.E. kein "guter Allrounder" dabei heraus sondern eher ein SC der vieles aber nichts wirklich richtig gut kann, abgesehen von Einschränkungen was Multiclassing bei D&D (3.x, andere Editionen handhaben das zum Teil anders) mit sich bringen würde. Auch spielen da noch Dinge wie Attribute und Gesinnung eine Rolle (was sich theoretisch auch per Hausregel zumindest entschärfen oder gar eliminieren ließe)
In unseren Cyberpunk 2020 Runde hättest Du eine Mischform, zum einen Spezialisten mit individuellen, einzigartigen Spezialfähigkeiten, aber abgesehen davon kann jeder alles andere erlernen so daß viele SC in der Gruppe auch gewisse Dinge können, eben nur nicht so gut wie "Spezialisten", teilweise auch durch Attribute, Cybertechnik und Ausrüstung bedingt. Nur ald Skillbasiertes System ist CP auch anders angelegt und aufgestellt als D&D.
Wie gesagt: Die Spezialisierung entsteht eigentlich immer von alleine. Außer man möchte unbedingt einen Allrounder spielen. Ich bezog mich eher darauf, dass das System einen nicht (wie D&D mit den Multiclassregeln) gängelt, was besonders in hohen Level sehr cool ist. Der Allrounder wird natürlich in je einem Gebiet einem Spezialisten unterlegen sein, ihm dafür aber in allen anderen Gebieten überlegen.
Wie das mit Spezialisten vs. Allroundern halt so ist. Außer man schwächt Allrounder künstlich. Was bei D&D gute Allrounder verhindert (noch vor dem Multiclassing Malus) ist die ganze Levelphilosophie. Dadurch, dass die Level der Monster den Leveln der Gruppe theoretisch so angepasst sein sollen, dass 13 Encounter (glaub ich... ist noch länger her) alle Ressourcen der Gruppe verbrauchen, ist ein Allrounder immer eine Last für die Gruppe, weil es für die Gruppe immer ums Überleben geht. Und das ist nur in spezialisierter Arbeitsteilung möglich. Ist dein Magieskill zu niedrig, kommst du nicht durch Resistenzen, ist dein Kampfskill zu niedrig, kommst du nicht durch Rüstungen. Ist dein Druidenlevel zu niedrig, kannst du nur einen asthmakranken Frosch beschwören, der den Beholder überhaupt nicht beeindruckt. Das Problem hast du bei SW nicht, weil die Level und XP von Gruppe und Monstern nicht eng gekoppelt sind. Natürlich kannst du in Level eins keinen Revenant besiegen, aber der SL ist nicht qua Regelphilosophie (as played by the book) "verpflichtet", dir bei Level 20 nur noch Revenants oder Beholder entgegenzuschicken, weil man auf Level 20 nicht mehr gegen Goblins kämpft. Bei D&D ist der Level 20 Multiclasser scheiße, weil ihm nur hochlevelige Monster begegnen, denen er mechanisch nicht mehr gewachsen ist. Das ist bei SW grundlegend anders. Da kann einen auf Level 20 ein Goblin mit viel Glück noch töten. Bei D&D ist es schon theoretisch unmöglich. Deswegen ist bei D&D ein Goblin auf Level 1 auch keine XP mehr wert, bei SW gibt es die Verbindung zwischen Monster/Encounter nicht. Oder wenn dann nur als Hausregel und nicht als integrale Mechanik.
Gibt halt keine Klassen. Deshalb kannst du theoretisch alles machen. Aber wenn du ein Gunslinger sein willst, macht es eben schon Sinn, gut schießen, schnell ziehen, schnell laden und schnell reagieren zu können. Entsprechend werden dann die Steigerungen aussehen.
So schrecklich viele gibt es halt dann eben auch nicht. Realistisch gesprochen. Es gibt ja immer so die Fantasie der fünfzigjährigen Runde mit wöchentlichem Treffen, für die D&Ds Levelsystem gebaut ist, aber realistisch ist das ja nur für die allergrößten Nerds ohne Job und Familie. So zwanzig Runden (bis zum legendären Rang) sind in Wirklichkeit schon ganz schön viel. Und darauf ist SW ausgelegt. Man kann dann noch weiter machen, aber es gibt auch andere schöne Möglichkeiten.