Würfel & Rollenspiel
lea Iacta Est – Die Würfel sind geworfen … Aber seit wann eigentlich …?
Nun, als Asterix-Kenner weiß man natürlich, dass jener Ausspruch vom ollen Cäsar stammt. Würfel sind somit mindestens seit der Antike bekannt und beliebt.
Aber um Würfel im Allgemeinen soll es hier (vorerst) nicht gehen.
Der gemeine Sechsseiter ist für den Rollenspieler ja auch nur ein Würfel unter vielen. In den meisten klassischen Systemen greift man bekanntermaßen außerdem zu W4, W8, W10, W12 oder W20, um zu entscheiden, ob man dem Pilum des angreifenden Legionärs auch ohne Zaubertrank ausweichen kann, oder nicht.
Hmm … gibt’s eigentlich schon ein Asterix-Rollenspiel …? Egal – ich schweife ab.
Wie auch immer – nahezu jedes Rollenspielsystem benötigt einen Mechanismus, um den Zufall am Spieltisch zu simulieren. Wie aber kam es dazu, dass hierfür von Anfang an derart unübliche Würfelformen verwendet werden, die uns heute so geläufig sind?
Zunächst vielleicht mal ein paar Worte zu den Formen selbst. Mit Ausnahme des W10 gehören alle Würfel (einschließlich des Sechsseiters) zur Gruppe der Platonischen Körper, die sich dadurch auszeichnen, dass sich (vereinfacht gesagt) ihre Oberfläche aus identischen Flächen zusammensetzt. Der W4 (oder Tetraeder) besteht aus vier Dreiecken, der W6 (oder Hexaeder) aus sechs Quadraten usw.
Diese geometrischen Figuren sind daher per se hervorragend als Spielwürfel geeignet. Offenbar kam man aber erst spät auf die Idee, auch die anderen außer dem Hexaeder dafür zu nutzen. Oder …?
Zumindest tauchen diese Würfelformen heutzutage fast ausschließlich beim Rollenspiel auf.
Der Gedanke liegt daher nahe, den Ursprung der mehrseitigen Würfel beim Ursprung des Rollenspiels selbst zu suchen – somit landet man mal wieder zwangsläufig bei Gary Gygax.
Ein Gespräch mit
Moritz sollte hier Klarheit schaffen, denn Moritz beschäftigt sich viel mit Rollenspielsystemen, die aus den Anfängen stammen bzw. das Flair dieser Zeit abbilden möchten.
Er wusste auch gleich Erhellendes zu berichten:
„Für D&D (White Box) wurden benötigt:
- 1 pair of 4-sided dice
- 1 pair of 8-sided dice
- 4 to 20 pairs of 6-sided dice
- 1 pair of 20-sided dice
- 1 pair of 12-sided dice.
Interessanterweise keine 10er Würfel.
Ich habe mal in einem antiken Interview mit Gygax gelesen, dass er über die verschiedenen Würfel in einem Geschäft für Schul- / Lehrmaterial gestoßen ist und sie für eine gute Methode hielt, um verschiedene Zufallszahl-Bereiche im Spiel abbilden zu können.
Weiter zurück in der Zeit: Chainmail sagt zum Thema Würfel … explizit nichts, aber alle Tabellen sind einheitlich NUR auf 6er Würfel ausgelegt.“
Demnach begann die Karriere der mehrseitigen Würfel im Rollenspiel tatsächlich mit Gygax und D&D – allerdings scheint er sie nicht eigens dafür erfunden zu haben. Es gab sie tatsächlich schon vorher – und Gygax hat sie „nur“ für sein Rollenspiel entdeckt.
Auffällig ist, dass es noch keine Zehnseiter gab. Das heißt, zu Anfang wurde nur mit Platonischen Körpern gewürfelt. Der Zehnseiter ist dann erstmals in den 80er Jahren in verschiedenen Rollenspielboxen aufgetaucht:
OD&D (1974) und die Holmes Version (1977) hatten ja noch keinen zehnseitigen Würfel. Als der aber von TSR zu Beginn der 80er Jahre entdeckt wurde, haben sie gleich alle neuen Systeme darauf basiert.
Beilagen der Regelboxen:
Star Frontiers (1982): 2 Zehnerwürfel
Gangbusters (1982): 2 Zehner
Indiana Jones (1984): 2 Zehnerwürfel“
Hier ein paar Fotos der Originalbox und Würfel:
Die gleichen Würfel wurden übrigens auch in den späteren Ausgaben der Holmes Box verwendet. (Die ersten beiden Ausgaben hatten sogenannte “Chits” - Papierschnippsel)
Moritz’ amerikanische Kontakte (Tim Kask und Greg Svenson – ersterer der erste Feste TSR-Mitarbeiter, letzterer ein Mitspieler in Dave Arnesons ursprünglicher Spielrunde) haben die Aussagen noch durch einige Details ergänzt. Demnach war es nicht Gygax selbst, der das Würfelset entdeckt hat sondern David Wesley. Vorher wurde ausschließlich mit Sechsseitern gespielt.
Greg Svenson dazu:
We started out using just d6s. My recollection is that David Wesley was the one that found the set with the d4, d6, d8, d12 & d20 dice in an educational store and showed them to Gary, who was able to make a deal for a large quantity of them and decided to include them in the little brown boxed sets. Of course, they were not as pretty as they are now. I still have mine in the same purple velvet „Crown Royal“ bag that have have had for about 35 years now. Anyway, I hope that this helps answer your question.
We started with d6s, I don’t remember exactly when we switched to the multisided dice. We were using play test copies of the rules in late 1973, but I don’t think we had those dice, and the rules must still have been for d6s at that point.
I took a picture, but am suitably emabarrassed, as it seems that the d6 (which was pink) and the d20 (which was white and numbered from 0-9 twice) are both gone. I have no idea where they went. I have been using a set of nice new clear red dice for my gaming since I started playing again.
Tim Kask erinnert sich so:
Tim does remember. I asked him (Gary Gygax) at GenCon in ‘74 and he gave the answer you recall.
They were offered in a teacher’s catalog. He had already found them well before D&D.
He had thought to work them into other rules, but the relative difficulty in getting them precluded that.
Ein Absatz aus dem entsprechenden Wikipadia-Artikel bestätigt diese Aussagen im Groben und fügt noch das Detail hinzu, dass man vorerst nur an den zwanzigseitigen Würfeln interessiert war – aus gewissen Gründen aber auch die anderen Platonischen Körper in das System einbauen „musste“.
Die Vielfalt der Würfel war zunächst nicht geplant. 1971 hatte man in London in einem Laden am Trafalgar Square zwanzigseitige Würfel entdeckt, die in den Regelmechanismus von Chainmail / Blackmoor / Dungeons & Dragons übernommen wurden. Als 1974 die erste Auflage von D&D erscheinen sollte, brauchte man einen neuen Lieferanten, da der Laden in London geschlossen war. Ein Lehrmittelversand in Kalifornien bot solche Dinge an, allerdings nur komplette Sätze, W4 bis W20 in einem Beutel. Die Arbeit, die Beutel aufzureißen, um die Zwanzigseiter herauszunehmen, war der neugegründeten Firma TSR zu groß, also baute man auch die übrigen Würfel in das Spiel ein.
Offen bleibt die Frage: Woher kommen die mehrseitigen Würfel denn nun, bzw. wie alt sind sie? Die Antwort gibt wiederum die Wikipedia. Demnach ist der klassische Sechsseiter zwar seit Urzeiten die beliebteste aber niemals die einzige Würfelform gewesen. Schon in der frühesten Zeit menschlicher Kultur wurde der W4 bemüht, was auch belegbar ist. Als Quelle gibt der Wiki-Artikel das Buch „Würfel und Wahrscheinlichkeit“ von Robert Ineichen an.
[...] aus der sumerischen Stadt Ur [stammt] ein auf ca. 2600 v. Chr. datiertes Spiel. Darin wurden Würfel für die Bestimmung der Bewegungsweite eingesetzt. Eine Partei verwendete vierseitige Stäbe, die andere Tetraeder, die an zwei Ecken markiert waren. Dies sind die ältesten bekannten Würfel in Form eines anderen regulären Polyeders als des Kubus.
Auch über die Antike heißt es dort, dass der Sechsseiter nur eine von vielen Würfelformen war.
Schon antike Autoren hatten Theorien zu ihrer Erfindung [...] Es ist jedoch davon auszugehen, dass sie aus dem Orient übernommen wurden. Dabei waren neben sechsseitigen auch bereits Würfel mit höheren Seitenzahlen bekannt, unter anderem gibt es Funde von 12-, 18-, 19-, 20- und 24-seitigen Würfeln.
Und schließlich sind auch aus dem Mittelalter Würfel mit unterschiedlichen Seitenzahlen belegt.
Wie in der Antike war der sechsseitige Würfel eindeutig dominierend, aber weiterhin tauchten auch vereinzelt andere Seitenzahlen auf: 965 entwarf der französische Kleriker Wibold ein Spiel, das einen vierseitigen Prismenwürfel verwendete, und auch ein mittelalterliches achtseitiges Prisma ist bekannt.
Die Tradition ausgefallener Würfelformen reicht also deutlich weiter in die Vergangenheit, als mancher vielleicht denken mochte. Wer demnächst mal wieder einen W4 über den Tisch kullern lässt, sollte sich ruhig bewusst machen, dass er gerade eine über 4000jährige Tradition pflegt.
Dieser Artikel wurde von Roland verfasst, basiert auf einer Idee von Dominik, der alle erwähnten Gespräche führte und Zitate beisteuerte, der Moritz ihm dabei aber eine extrem große Hilfe wahr.
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