AW: Charisma und Intelligenz
Funktioniert da nicht viel besser ein Vorzug "intelligent" oder "charismatisch", der in entsprechenden Situationen einen Vorteil bringt?
Nicht "viel besser", sondern einfach "anders". Es ist eine - aus unterschiedlichen Entwurfsentscheidungen beim Systementwurf so konzipierte Verfahrensweise. In einem Regelsystem OHNE Vorteile/Nachteile geht das also nicht "viel besser", sondern einfach garnicht. In einem Regelsystem mit Vorteilen/Nachteilen, die dort als stärkster Mechanismus zur Charakterindividualisierung gedacht sind (also nicht nur als "add-on"), wird es solche globalen Vorteile, die IMMER wirken, weniger geben als spezielle. Also statt Vorteil "Intelligent" (was auch immer da der Anwendungsbereich sein mag), eher "Photographisches Gedächtnis", "Genialer Erfinder", "Kritischer Analytiker", "Schlau wie ein Fuchs", "Kluger Ratgeber" etc. - jeder Vorteil mit einem auf bestimmte Anwendungsbereiche eingeschränkten regeltechnischen Erleichterungen verbunden.
"Besser" ist immer nur mit der Ergänzung "als was?" sinnvoll. Wann und wo ist ein Vorteil besser als ein Attribut oder eine Fertigkeit oder eine Eigenschaft?
Und was ist mit Systemen wie Everway, wo es nur die vier klassischen Elemente Feuer, Wasser, Erde, Luft gibt? Dort verteilen sich bestimmte, in anderen Regelsystemen mit Intelligenz-Charakteristik abgebildete Facetten auf ALLE diese Elemente. - Ist das dann ein Regelsystem OHNE Intelligenz? Wohl kaum. Bestimmte Anwendungen einer "intelligenzartigen" Eigenschaft gibt es auch dort. Jeweils einem Element zugeordnet, doch geht hier klar hervor, daß derjenige, der in diesem Element stärker ist, z.B. beim intelligenten Ausformulieren eines höflichen Bittschreibens gegenüber einem in demselben Element Schwächerem im Vorteil ist. Geht es jedoch darum die gerade hin- und herwogende Schlacht zwischen zwei Armeen einzuschätzen, eine intelligente Einsatzmöglichkeit für die Reiterei zu entsinnen, so ist dies eine ANDERE Element-Charakteristik, die hier beteiligt ist.
Andere Systeme hätten für beides Intelligenz verwandt. Wieder andere eine Fertigkeit (meist ja eine intelligenzabhängige) oder einen Vorteil (nur ab einer gewissen Mindest-Schläue wählbar).
Das sind alles nur Ausprägungen von Entwurfsentscheidungen, die nichts anderes tun als die von JEDEM Spieler ERWARTETE Abbildung der eigenen Erfahrungswelt, gefiltert durch die Bedeutung für das jeweilige Setting, in das Regelsystem vorzunehmen. Sobald es in einem Setting schlaue, gewitzte Charaktere geben kann, und ebenfalls naive, einfallslose Charaktere, dann braucht man, um diese Unterschiede, die für das Spiel von großer Bedeutung sein können, auch eine Abbildung im Regelsystem.
Ohne diese Abbildung hat man ein unvollständiges Regelsystem vorliegen.
Genauer: Ein schlechtes, weil lückenhaftes Regelsystem. Schlecht, weil es nicht das tut, was es soll: das betreffende Setting in den spielrelevanten Bereichen unterstützen. Lückenhaft ist die genauere Beschreibung des Grundes, warum es das Setting nicht unterstützt.
Fehlte in einem Setting, wo es sehr deutliche Unterschiede zwischen Gelenkigkeit, Gewandtheit, Geschicklichkeit, Reflexen, Reaktion, Initiative, Geschwindigkeit, Schnelligkeit, Agilität, Körperbeherrschung gibt, auch nur eine dieser im Setting-Fluff als genre-definierenden bzw. mindestens als setting-definierenden Eigenschaften von Charakteren aufzuführende Eigenschaft, so hätte man das Setting nicht vollständig abgebildet. Somit also eine Lücke im System.
Achtung! Hier geht es NICHT um eine Vollständigkeit der Abbildung unserer Realität in einem Regelsystem, sondern nur um eine Vollständigkeit der Abbildung der für ein bestimmtes Setting wichtigen, das Setting gar definierenden Eigenschaften.
Ein Western-Setting, in welchem es unter anderem um The Quick and the Dead geht, also darum, wer schneller zieht, das MUSS in seiner rollenspielregeltechnischen Abbildung Regeln, Eigenschaften, Fertigkeiten, Vorteile, was auch immer an Entwurfs- und Umsetzungselementen im Einzelfall vom Autoren gewählt werden mag, aufweisen. Fehlt das Schnellziehen, so fehlt das gesamte, genre-definierende Element. Das Setting ist also nicht vollständig unterstützt. Andere, für dieses Setting eher nebensächliche Eigenschaften wie Maximalweite beim Olympischen Weitsprung, Tierstimmenimitation oder Glaubensfestigkeit sind weit weniger wichtig und könnten sogar fehlen.
Ich sehe IQ einfach als Mischung aus Interesse und Talent.
Ich finde, der aktuelle Stand der Diskussion um die "Intelligenz"-Eigenschaft läßt sich viel zu sehr auf das Gleichsetzen von Intelligenz als Charakteristik mit dem (ohnehin problematischen) IQ ein.
Das ist aber nur ein sehr, ein ZU kleiner Ausschnitt dessen, was sich hinter einem Spielwert, der ja nur in manchen Regelsystemen "Intelligenz" heißt, verbirgt. - Da sind die Annahmen, die von den Autoren getroffen wurden und in diesen Begriff, SO WIE ER IM REGELWERK VERWENDUNG FINDET, mit bestimmten in-game Anwendungsbereichen verbinden, eher von von Interesse als das hier breit vorgeführte absichtsvolle Mißverstehenwollen.
Wie heißen denn solche Charaktereigenschaften in diversen Spielen denn so?
Intelligenz.
Schläue.
Klugheit.
Brains.
Verstand.
uvam.
Und diese sind - je nach Regelwerk - auch insbesondere abgegrenzt von:
Bildung.
Education.
Memory.
Intuition.
Geist.
Wissen.
uvam.
Klar, in manchen Regelwerken fällt unter den Begriff Verstand auch Wissen, Bildung, Kombinationsgabe, usw. - In anderen wird das aber getrennt, da es für Bildung z.B. separate Regeln (wie in Traveller oder Cthulhu) gibt, die nicht identisch mit den Anwendungsbereichen für die dort ebenfalls vorhandene Intelligenz-Charakteristik sind (z.B. der Ideen-Wurf bei Cthulhu, die Free INT für das Zaubern bei RuneQuest 3). Und in manchen Regelsystemen ist Bildung sogar nur eine Fertigkeit vom Stile "Bildung: <hier das Themengebiet eintragen>", während dasselbe Regelsystem aber ein Attribut "Wissen" hat.
Was ALLES in einer "intelligenzartigen" Charakteristik untergebracht werden kann, ist schon ernorm. Ebenso ist - quer über viele Regelsysteme hinweg - enorm, wie fein manche dieser einzelnen Anwendungsfacetten dieser Charakteristik in manchen Regelsystemen aufgesplittet und separat eingesetzt, verbessert, bzw. mittels übernatürlichen Fähigkeiten verändert oder auch vergessen, verlernt, verschlechtert werden können.
Mal ein Beispiel für eine "eingebettete", jedoch nie explizit geführte "intelligenzartige" Charaktereigenschaft: In Abenteuer in Magira gibt es - mit ähnlich unsinnigen Begründungen, wie bereits in diesem Thread von wenigen beitragszahlreich geäußert - KEINE irgendwie als "geistig", "psychisch", "verstandesbezogen" zu bezeichnenden Attribute, sondern nur Stärke, Konstitution und Geschicklichkeit (was in sich schon interessant ist, da hier eine ganze Menge dessen, was in anderen Regelwerken bei Intelligenz oder Schläue liegt, überraschend in Geschicklichkeit hineininterpretiert wurde). - Und wo ist nun die "versteckte" Intelligenz-Charakteristik?
Die ist eingebaut in einer Lernobergrenze. Man kann nur bis zu einer gewissen Zahl an aufsummierten Fertigkeitsstufen lernen. Lernt man nun eine weitere Stufe in einer Fertigkeit hinzu, so MUSS man eine Stufe woanders vergessen.
Die eingebettete Intelligenz-Charakteristik wirkt sich hier so aus, daß JEDER Charakter absolut GLEICH GUT, GLEICH SCHNELL und GLEICH VIEL lernen kann. Jeder hat also den identischen Wert für seine Intelligenz-Charakteristik, was deren Facette "Lernen, Lernfähigkeit, Lerngeschwindigkeit, akkumuliertes Wissen, akkumulierte Fähigkeiten" anbetrifft. - Man kann dort einfach KEINE Charaktere spielen, die in-game begabter, schlauer, klüger, lernfähiger, schneller von Begriff sind als andere.
Man spielt so, als ob alle geistigen Charakteristiken bei allen - fast wie bei klaumaukigen Klon-Charakteren aus einem Untergrund-Computer-Komplex - IDENTISCH wären.
Das ist etwas, daß noch nicht einmal in-game stimmen kann, und das ist etwas, daß dann ja auch das dort - ebenfalls mit dem wohl augenscheinlich doch als EINZIGEM Grund für das Vermeiden von Intelligenz als Charakteristik heranziehbare Rätsellösen durch den Spieler selbst - in den Vordergrund gestellte "der Charakter ist nur so schlau, wie der Spieler" als Entwurfs-Konzept für die Regeln verletzt wird.
Wie das?
Wenn ein Spieler nachweislich (wie auch immer das vom Spielleiter als Nachweiserbringung eingefordert werden mag) klüger ist als ein anderer Spieler, so MUSS sein Charakter also auch in solch einem Regelsystem MEHR Fertigkeiten SCHNELLER und BESSER lernen können dürfen. - Alles andere wäre unfair und ein Abweichen vom Entwurfskonzept, welches ja in ALLEN geistigen Dingen den Verstand der Spieler als das EINZIGE Maß zuläßt.
So etwas ist doch offensichtlicher Unfug in einer Spielwelt, in welcher es durchaus vom Setting-Fluff her deutliche Unterschiede zwischen ungebildeten und gebildeten, zwischen klugen und unklugen, zwischen schlauen und dummen, zwischen lernfähigen und lernfaulen Charakteren gibt.
Solange ein Regelsystem auf eine Art zu spielen eingestellt ist, wo diese Art von geistigen Fähigkeiten KEINE Bedeutung haben soll, solange braucht es dort - und nur dort - keine entsprechenden Charaktereigenschaften (übrigens schafft das nicht einmal Sorcerer, da dort mit Lore eine bestimmte Intelligenz-Facetten abdeckende Charakteristik vorhanden ist, der sogar sehr prominente Anwendungsbereiche zukommen).
Solange ein Regelsystem so eingestellt ist, daß es geistige Fähigkeiten, die für das zu bespielende Setting von Belang sind, unterstützen soll, solange MUSS es dort - und nur dort - auch eine oder mehrere entsprechende Charaktereigenschaften geben.
Und was ist eigentlich mit Regelsystemen, die auch Tieren einen Schläue-, Klugheits-, Intelligenz-Wert geben? - Entscheidet hier die Hauskatze des Spielers, ob sein Kampfhund "Hetzer" schlau genug ist, ihm seine Winchester zu apportieren? Oder ist die Intelligenz des Spielers auch hier wieder gefordert und er hat dann nur noch solche Viecher wie die gute(?) alte Lassie: *wuff wuff* "Oh, Lassie sagt, daß neben der Scheune, wo früher die alte Eiche stand, einer der Cowboy vom Pferd gefallen ist, weil es durch eine Klapperschlange gescheut hat. - Laß uns schnell hingehen und ihm helfen."
Es gibt regeltechnisch eindeutig definierte Anwendungsbereiche für die Intelligenz-Eigenschaften von Tieren. Z.B. beim Einüben von Tricks wie dem oben erwähnten Winchester-Apportieren. Wieviele solcher Tricks kann der Hund denn nun nach wie langer Ausbildungszeit wie gut beherrschen?
Wer Haustiere hat, der weiß, daß es blöde Viecher gibt und schlaue Viecher. - Wie bildet man das ab?
Warum wird bei für und wider einer Intelligenz-Charakteristik eigentlich immer nur der Spieler, der sich ans (extrem seltene) Rätselknacken machen muß, erwähnt?
Was ist denn, wenn der dressierte Kapuzineraffe des Piratenkapitäns den Schlüssel zur Gefängniszelle klauen soll? Wie wird das entschieden?
Man sollte bedenken, daß Intelligenz-Charakteristiken (mit zugehörigen Regelumsetzungen) gerade auch für ALLE NSCs gelten müssen, wenn man ein faires Spiel spielen will.
Wie schlau ist denn nun im Rätselduell zwischen zwei Orlanthi-Stammesfürsten der Gegenspieler des Spielercharakters? Der Spieler des SCs müßte bei Fehlen von entsprechenden "intelligenzartigen" Eigenschaften ja das obskure Mythologie-Rätsel seines Widersacher-NSCs selbst lösen. Nun mag der Spieler das sogar - wider Erwarten - schaffen. Und nun ist es an ihm, dem NSC ein Rätsel aufzugeben. Wie wird das dann gelöst? Darf der Spielleiter in seinen Quellenbänden nachschlagen zur Lösung (ein Index ist hier Gold wert)? Oder MUSS nun auch der SL das Rätsel mit "Bordmitteln" lösen?
Ohne Eigenschaften, die einen Charakter auch in seinen geistigen Fähigkeiten beschreiben, ist einfach kein faires Spiel, kein Einsatz von NSCs (Menschen, Fremdrassen, Tieren) möglich.