Rezension Labyrinth Lord - Herr der Labyrinthe [B!-Rezi]

Skyrock

t. Sgeyerog :DDDDD
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Labyrinth Lord


Herr der Labyrinthe


Was haben Helmut Kohls Kanzlerzeit, Modern Talking und Labyrinth Lord (ab jetzt nur noch kurz LL) gemeinsam? Sie alle haben ihre Wurzeln im Jahr 1983, als nicht nur Schmidt als Kanzler abgelöst wurde und die deutsche Musikszene endgültig ihren Bankrott erklärte, sondern auch erstmals die rote Basisbox für D&D erschien - und Labyrinth Lord ist wiederum eine Replica dieser roten Box.
Möglich machten es die SRD und die OGL für D&D3.x, die als Basis verwendet werden durften, um eigene Spiele auf der Basis von D&D zu schreiben. Die ersten, die das gemacht haben, waren die Macher von OSRIC, die ein "neues" Spiel so geschrieben haben dass es "zufällig" genauso funktioniert und genau die gleichen Regeln hat wie das Kernpaket von AD&D1E, nur eben mit anderen Regelformulierungen, anderen Illustrationen und unter peinlich genauer Entfernung aller Eigennamen wie etwa Tenser, einem Magienutzer-SC aus der dunkelgrauen Vorzeit von D&D, auf den viele Zaubersprüche wie Tenser's Flying Disc zurückgehen.
Damit waren die alten D&D-Regeln nicht nur effektiv wieder lebendig und verfügbar, sondern es gab auch eine rechtliche Grundlage, um eigene Abenteuer und anderes Material für die alten D&D-Editionen zu schreiben, und die Oldschool-Bewegung in Übersee machte davon regen Gebrauch. Heute wird man im englischsprachigen Netz geradezu erschlagen vor lauter Webseiten, Foren, Blogs, Abenteuern und anderem Material für alte D&D-Editionen, und es gibt inzwischen ganze Verlage wie etwa Brave Halfling Publishing oder Goblinoid Games, die sich auf Oldschool-Produkte fokussieren, wobei es heute Direktvertrieb mit fast ausschließlich variablen Kosten über Print on Demand und PDF-Shops sehr leicht machen, solche Nischenmärkte zu bedienen und wenigstens eine schwarze Null zu schreiben.

Nun ist die Oldschoolwelle auch in Deutschland angekommen, wie die vorliegende deutsche Ausgabe von Labyrinth Lord beweist. Ob es sich durchsetzen und der in der inzestuösen deutschen Szene frische Impulse setzen kann, kann nur die Zeit beantworten; wir aber können beantworten, ob Labyrinth Lord ein gutes Spiel ist und ob die Übersetzung etwas taugt.

Äußeres und andere harte Fakten
Ich habe hier leider nur das PDF vorliegen, welches etwa eine Woche nach der RPC 2009 auch kostenlos verfügbar sein wird. Es gibt aber ab jenem Con auch ein Softcoverbuch, welches 19,95$ kosten wird (die limitierte Version auf der RPC hingegen nur 12€).
Das PDF hat ein farbiges Cover, dessen Zeichenstil wohl viele heutige Rollenspieler als furchtbar altmodisch und naiv empfinden würden, das aber sehr gut zur Oldschoolthematik passt und auch vom Motiv her sehr gelungen ist - diese Situation könnte sich genauso an jedem Spieltisch zutragen, und wird es wahrscheinlich auch sehr oft, es gibt Action, und man hat sogar an den Käsekuchen in Form einer Elfe gedacht (auch wenn sie IMHO eher einen Kettenbikini als volle Kettenrüstung tragen sollte).
Der Innenteil ist schwarz-weiß, zweispaltig und generell im Null-Nonsens-Stil gelayoutet. Die Illus sind in ähnlichem Stil gehalten wie das Cover, und auch sie sind eher naiv, aber größtenteils evokativ (mein Favorit ist hier der Kleriker auf S.9, den manch einer sicher schon vom englischen LL her kennt).
Das einzige was ich hier bemängeln kann ist das Fehlen eines Indexes.

Was die Seitenzahl angeht, so bringt es die deutsche Fassung auf dero 148. Davon entfallen aber 56 Seiten auf Monster, 27 auf Zaubersprüche und 18 weitere auf Schätze, also reine Munitionssammlungen, die man eher referenziert als richtig durchliest. Wenn wir dann noch die 6 Seiten für OGL und Vorlagen (Charakterbogen, Blanko-Wildniskarte etc.) abziehen, bleiben noch 41 Seiten, die man richtig durchlesen muss um das Spiel angehen zu können, und das ist sehr wenig für heutige Maßstäbe.

Das System
Ich glaube zwar nicht, dass es irgendeinen Rollenspieler gibt, der keine Ahnung vom D&D-System hat, aber für alle meiner drei Leser, die die letzten 30 Jahre auf Coralcola festsaßen und so völlig ideenlos sind, wovon hier eigentlich gesprochen wird, will ich kurz die Grundlagen darstellen.

Charaktererschaffung beginnt mit den traditionellen sechs Attributen Konstitution, Stärke, Geschicklichkeit, Charisma, Intelligenz und Weisheit. Diese werden der Reihe nach mit je 3W6 ausgewürfelt (wobei auch Varianten angeschnitten werden, wie etwa 4W6 minus schlechtester Würfel, mehrere Charaktere auswürfeln und liebsten nehmen etc.)
Anschließend geschieht die Wahl einer Klasse, wobei auch Rassen als eigene Klassen betrachtet werden. So gibt es etwa keine Zwergen-Kleriker oder Elfen-Diebe, sondern nur und ausschließlich Elfen und Zwerge. Insgesamt besteht die Wahl aus Kleriker, Kämpfer, Dieb, Magier, Elf, Zwerg und Halbling.
Aus Klasse und Attributen ergeben sich schließlich Trefferpunkte, Angriffswert, Rettungswürfe etc., man kauft noch Ausrüstung ein, legt Gesinnung und Sprachen fest, und man ist gut zum Gehen, wie der Großbretone in Londinium sagt. Manch einer wird vielleicht grundsätzlich ausgewürfelte Charaktere ablehnen, andere sehen hier wenig Bastel- und Optimierpotential, aber wenn es darum geht schnell aus dem nichts einen Typen auf dem Blatt stehen zu haben, um in ins Abenteuer zu schicken, ist LL eine verdammt gute Wahl. Und das ist ehrlich gesagt auch notwendig, denn Erststufler zur Zeit der roten Box waren noch sehr zerbrechlich und starben sehr leicht - Spätgeborene, die bei D&D an den vollen Trefferwürfel und den Startfeat auf der ersten Stufe denken, oder gar an 4E, wo die Trefferpunkte von Anfang an zweistellig sind, werden sich hier auf sehr paranoides Spiel einstellen müssen, sowie darauf dass manchmal auch alle Vorsicht nicht reicht, um einen frischgebackenen Abenteurer am Leben zu erhalten.

Charakterverbesserung geschieht stufenweise, indem man XP für Schätze und besiegte Monster erhält und bei Erreichen bestimmter Schwellen eine neue Stufe hinzugewinnt. (Es wird auch kurz auf die Möglichkeit von Bonus-XP für gutes Rollenspiel hingewiesen, aber das ist optional.) Eine neue Stufe verbessert alle Werte gleichmäßig und ziemlich automatisch, womit für Optimierer wenig zu tun ist.
Hervorhebenswert für Spätgeborene ist hier der Name Level auf Stufe 9, ab dem man seine eigene Festung errichten und sich in das politische Geschehen stürzen kann. Wer in der Spielwelt etwas bewegen will, etwa in dem er in die Wildnis zieht, ein Gebiet von Monstern befreit und dort mit angeworbenen Siedlern sein eigenes Königreich errichtet, findet hier ein Werkzeug, um sich zu verwirklichen und die Kampagnenwelt mitzugestalten, etwas was in späteren Editionen verloren gegangen ist.

Generell sind Charaktere somit erst einmal mechanisch sehr flach modelliert und wenig beeinflussbar. Moderne Spieler finden das wahrscheinlich gewöhnungsbedürftig, aber in genau dieser flachen Modellierung liegt auch eine der Stärken von LL. Die Charaktere sind sehr vielseitig interpretierbar und handhabbar - ein Kämpfer könnte etwa Ritter sein, Pirat, Schläger, Barbar, Jäger, aber auch ein schnöseliger Duellist von einem Adeligen, und das alles bei den gleichen Werten. Mangels mechanischer Verankerung ist ein Charakter auch schnell uminterpretierbar, ähnlich Conan dem Barbaren, der in seiner literarischen Karriere mal König, mal Barbar und mal Pirat war, sich aber immer abstrakt klassifiziert als "Kämpfer" betrachten ließ.

Einen echten Grundmechanismus gibt es in LL nicht, nur eine Menge Subsysteme für Sachen wie Kampfmoral, Türen öffnen oder Fallen suchen, wo mal über- und mal unterwürfelt wird und mal W6 und mal W20 rangezogen werden, um mal gegen Attribute, mal gegen Rettungswürfe und mal gegen charakterunabhängige Chancen zu würfeln. Diese Subsysteme lassen sich aber auch ad-hoc heranziehen und auf andere Sachverhalte anwenden, um Fragen zu klären. Im Gedächtnis geblieben ist mir hier etwa ein Spielbericht von Jeff Rients' Cinder-Kampagne, wo ein Reaktionswurf mal genutzt wurde, um zu entscheiden ob eine schöne Frau zu ihrem Mann oder zu einem sie umbuhlenden SC hält...
Hier ist hervorhebenswert dass es anders als seit AD&D2E keinerlei Fertigkeiten gibt (von den Protofertigkeiten des Diebes vielleicht mal abgesehen). Damit kann jeder Charakter erst einmal alles probieren, und wenn es etwas gibt was die Chancen beeinflusst, dann sind es die Attribute.

Kampf basiert auf der Sequenz:
1.) Initiative: Jeder 1W6, höchster Wurf gewinnt
2.) Bewegung
3.) Angriffswurf mit W20 gegen stufen- und klassenabhängigen Wert
4.) Bei Erfolg Schaden (abhängig von Waffe
Die Rüstung reduziert einfach die Trefferchancen; Schaden hängt an der Waffe, Stärke-Attribut und ggf. magischen Eigenschaften der Waffe.
Manche dürften das etwas stumpf finden, aber es ist eine bewährte und seit Jahrzehnten erfolgreiche Kampfsystemformel. Hier ist einer der Punkte, warum ich andere Retrosysteme mit mehr eingebauter Taktik den alten D&D-Versionen vorziehe, aber man sollte natürlich nicht vergessen, das vieles, was D&D-Kämpfe dynamisch gemacht hat, nicht in Regeln kodifiziert war, sondern mehr über "Rulings" und Ad-hoc-Entscheidungen abgehandelt wurde.

Was die Magie angeht, so gibt es drei Klassen, die Magie verwenden können: Magier, Kleriker und Elfen. Kleriker greifen dabei auf göttliche Magie zurück (Heilung, Buffs und ein paar generelle Zauber), während Magier und Elfen arkane Zauber nutzen (die riesige Restekiste die übrig bleibt, nachdem man aus allen Möglichkeiten von Magie die göttlichen Heil- und Unterstützungssachen rausoperiert hat).
Dabei bedient sich LL des bewährten Vance'schen Systems, wonach Zauberer ihre Zaubersprüche vorab memorieren und Stufe und ggf. Weisheit/Intelligenz festlegen, wie viele Zauber welcher Stufe memoriert werden können. Das wirkt heute als Anachronismus, zumal selbst D&D sich seit 4E von Vance verabschiedet hat - aber es ist nicht nur urig, es bietet auch strategisches Potential indem sich über die bevorstehenden Herausforderungen schlau macht und dann die Zauber entsprechend memoriert, und es bedeutet Komplikationen, wenn unerwartete Störungen wie verfluchte Gegenstände oder besondere Fallenmechanismen auf einmal einen weniger "nützlichen" Zauber erfordern.

Das Setting
D&D war schon immer eher ein spartanisches Spiel mit allen Regeln, die man für Standardfantasy braucht, aber nur wenig Settingmaterial (abgesehen von dem, das Klassen, Zauber, Zufallstabellen etc. implizieren). Entsprechend sieht es auch in LL eher dünn aus: Man bekommt lediglich eine kleine Karte und Beschreibung der sogenannten bekannten Länder als Beispiel, einen Beispieldungeon, und das ist das ganze Settingmaterial, das beigelegt ist.

Es spricht aber nichts dagegen, sich eines der offiziellen Kampagensettings von damals zu schnappen, und auch für den Bau eines eigenen Settings gibt es hilfreiche Tipps.
Überhaupt sind die Tipps gelungen .Eingefleischte Oldschooler werden wenig Neues erfahren, aber Leute, die einen Einstieg in diese Bewegung suchen, finden hier erste gute Anhaltspunkte.

Die Übersetzung
Mit der Übersetzung bin ich so weit zufrieden: Sie ist prägnant, passend und verfälscht auch nichts, so weit ich mit dem Original abgeglichen habe.

Als einziges etwas unglücklich finde ich die Übersetzung von "Magic-User" als "Magier". Vielleicht ist es meine DSA-Sozialisierung, aber bei Magier habe ich gleich ein festes Bild vor Augen von einem Bücherwurm mit Zauselbart und Spitzhut. Magic-User hingegen impliziert ebenso wie die Klassenbeschreibung ein breiteres Bild von jedem, der arkane Magie nutzt, etwa Hexen, Druiden oder was man sich sonst so vorstellen kann.
Von dieser Kleinigkeit abgesehen ist die Übersetzung aber durch und durch gelungen, besser als bei so manchem vollkommerziellen Rollenspiel.

Zusatzmaterial
In deutscher Sprache gibt es neben altem D&D-Material bisher nur das Abenteuer "Die Festung des Bergkönigs".
In englischer Sprache ist die Szene aber deutlich munterer, und neben dem alten Material gibt es eine Fülle an Abenteuern, Hausregelsammlungen und dergleichen mehr.
Dabei darf man auch nicht vergessen, dass die alten D&D-Regeln von Red Box bis AD&D2E sehr ähnlich sind, und dass es so leicht ist, Material für eine Edition in eine andere zu transponieren, was die Materialfülle nochmals erweitert.

Erwähnenswert sei hier noch "Mutant Future", ein Endzeitrollenspiel nach Art von Gamma World, das auf den LL-Regeln aufbaut und mit diesen kompatibel ist. Dieses liegt bisher nur auf englisch vor, aber wer weiß was die Zukunft bringt, je nachdem was für ein Erfolg LL auf deutsch wird.

Fazit
Was den Job der Lokalisierung angeht, ziehe ich meinen Hut vor dem Team. Hier gibt es bis auf den Magic-User nichts, aber auch rein gar nichts zu bemeckern, und wer LL schon auf englisch gemocht hat, der kann hier bedenkenlos zugreifen.

Was die Eignung als Spiel selbst angeht, bin ich etwas zwiespältig. LL macht vieles richtig was viele heutige Spiele falsch machen, etwa indem Charaktere schnell erschaffen werden können, oder indem mit den Klassen echte Nischen gesetzt werden und mit den Stufen eine gleichmäßige Verbesserung statt Min-Maxing sichergestellt wird, womit es mehr auf die Taktik am Spieltisch als bei der Konstruktion des eigenen "Builds" im stillen Kämmerchen ankommt.
Gleichzeitig sieht man aber auch am Fehlen einer einheitlichen Resolutionsmechanik das Alter des Spiels, und ohne Ad-hoc-Entscheidungen oder besondere strategische Umstände dürfte das Kampfsystem heutigen, taktisch inklinierten Rollenspielern als flach und eintönig erscheinen.
Es ist aber immer noch gut genug, dass ich es spielen wollen würde (wenn auch nicht leiten - da würde ich eher bei FtA! bleiben), und auf deutsch ist es bisher der einzige Oldschoolbeitrag.
Leute, für die ein Regelwerk in deutscher Sprache wichtig ist und die Olschoolspaß suchen, können hier ruhig zugreifen. Wer aber nicht so fest an die deutsche Sprache gebunden ist, der tut gut daran sich auch mal die anderen neuen Oldschool-Systeme wie OSRIC oder FtA! anzusehen, eher er sich bindet.Den Artikel im Blog lesen
 
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