Skyrock
t. Sgeyerog :DDDDD
- Registriert
- 10. September 2003
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Grundüberlegungen
Bevor ich über den eigentlichen Themenkomplex des Charaktertodes zu sprechen komme, muß ich ein paar Grundüberlegungen vorausschicken, von denen ich annehme dass sie allgemeingültig sind. Die erste Frage die ich mir stellen möchte ist, was das wichtigste am Rollenspiel ist. Nun, was ist das wichtigste? Ich denke, Rollenspiel ist in erster Linie eine Unterhaltungsform, und somit ist das wichtigste am Rollenspiel Spaß zu haben. Übertragen auf den Themenkomplex Charaktertod muß diese Diskussion also diese Frage beantworten: "Wie muß der Umgang mit dem Charaktertod im Rollenspiel beschaffen sein, damit alle Teilnehmer den maximalen Spaß haben?"
Wie und warum fördert der Charaktertod den Spielspaß?
Niemand lebt ewig, und das Leben ist immer lebensgefährlich. Viele Aktionen, wie Attentate etwa, verlieren ihren Reiz wenn sie ohne Folgen bleiben. Hierdurch würde viel Spielspaß verloren gehen.
Zudem existieren sehr spezifische Settings die davon leben dass Charaktere wie am Laufband umkommen - beispielhaft seien nur Paranoia und Cthulhu genannt.
Wie und warum zerstört der Charaktertod den Spielspaß?
Nun dient der Charaktertod nicht nur dem Spielspaß, er zerstört ihn auch.
Zunächst wäre da einmal die Tatsache, dass der Charakter das Vehikel darstellt, mit dem der Spieler Rollenspiel betreibt. Ohne dieses Vehikel ist kein Rollenspiel möglich; wer seinen Charakter verliert bleibt vom Rollenspiel ausgeschlossen und geht darum jeglichen Spielspaßes verlustig.
Dann wäre da noch die persönliche Bindung des Spielers an den Charakter. In vielen Charakteren steckt viel Arbeit und Mühe, und niemand hat es gern wenn seine Arbeit zerstört wird. Man sollte auch beachte dass man oftmals sein Gegenüber nicht gut kennt, sei es, weil es neu in der Gruppe ist, sei es, weil man auf einem Con spielt, oder sei es gar dass das Spiel im gesichtslosen und anonymen Internet stattfindet. Was ist, wenn es sich bei diesem Gegenüber um eine besonders labile Person handelt, um jemanden, den der Tod seines Lieblingscharakters stärker mitnehmen könnte als man denkt? Auch wenn viele das nun als unwahrscheinlich abtun werden, die Chance besteht, und die Folgen könnten sehr schwerwiegend sein.
Schließlich ist da noch die Problematik der weiterführenden Pläne. Was ist, wenn der Spieler mit dem getöteten Charakter noch mit anderen Spielern Dinge unternehmen wollte, etwa einen besonderes Con-Abenteuer mit aneren Spielern oder ein Ritual? Was ist, wenn der Charakter in eine laufende Kampagne integriert ist und der Spielleiter diesen Charakter bereits in einen über 10 Sitzungen laufenden Nebenplot fest eingeplant hat?
Schlußfolgerungen
Was können wir nun aus diesen Dingen folgern?
Ich persönlich denke, der Charaktertod sollte immer nur das letzte Mittel darstellen, die Ultima Ratio des Rollenspiels, die erst genutzt wird wenn alle anderen Möglichkeiten versagt haben.
Bevor man einen anderen Charakter tötet, sollte man bedenken dass je nach Charakter andere, weniger endgültige Mittel existieren. Ein anerkannter Uberheld der Fantastialliarden an XP hat könnte böse Gerüchte streuen. Ein Schieber oder Yak oder anderer einflußreicher Unterwelt-Typ könnte dafür sorgen, dass der Charakter von ihm kontrollierte Bezugsquellen verliert. Schließlich kann ein Charakter immer noch betäubt werden: Das ist auch kein schöner Ausgang, da er den Charakter zumindest eine kurze Weile aus dem Spiel nimmt und somit den Spieler vom Gemeinschaftserlebnis ausschließt, aber es ist das wesentlich kleinere Übel als das Töten des Charakters, da es keine dermaßen endgültigen Konsequenzen nach sich zieht.
Jeder sollte eine Chance haben. Auch wer den Krieger Stufe 87 anpöbelt, sollte zumindest IP oder OP ein Zeichen bekommen, dass er sich in ernsthafte Schwierigkeiten begibt, und dabei eine Gelegenheit bekommen seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Selbst wer solch einen subtilen Wink übersieht, sollte nicht gleich getötet werden - wie oben angemerkt existieren viele andere Vorstufen.
Wenn jede Niederlage gleich tödlich endet, so kommt es zu einem Phänomen, dass ich als "Gewinnen-Wollen-Syndrom" bezeichnen möchte. Wenn ich mit jeder Niederlage meinen Charakter verliere, und somit mein Vehikel fürs Rollenspiel, so kann die Konsequenz nur lauten, dass ich meinen Charakter so anlege dass er nicht verlieren kann. Zuerst mag es noch harmlos anfangen, indem man etwa die im Kampf bedeutenden Werte so hoch wie möglich ansetzt. Dies führt mit sich, dass andere Spieler mit ihren Charakteren nachziehen, weil sie wegen der Tödlichkeit auch nicht verlieren wollen, so dass noch höhere Werte gefunden werden müssen. Zu dem Zweck werden Regellücken studiert und schamlos ausgenutzt, einfach weil keine anderen Wege existieren um sein Vehikel zum Gemeinschaftserlebnis zu schützen. Und sobald diese Wege auch alle erschöpft sind, wird schamlos zu Konzepten gegriffen, die im offiziellen Spiel nicht vorkommen, wie etwa Vampiren bei SR. Oder auf OP-Ebene existierende Cliquen verbünden ihre Charaktere und erklären sie gegenseitig zu besten Freunden, ganz gleich wie logisch das IP sein mag oder nicht.
Wer auf der einen Seite darauf pocht, dass Charaktertod als Instant-Bestrafung wichtig fürs konsequente Rollenspiel ist, aber andererseits das vermehrte Auftauchen von Freien Geistern mit Stufe 52 und ähnlichen Konzepten beklagt, der macht sich in meinen Augen der bewußten oder unbewußten Heuchelei zumindest verdächtig.
Die Alternative zum Gewinnen-Wollen-Syndrom ist fast noch schädlicher für den Spielspaß: Der Umstieg auf duckmäuserische Charaktere, die nur musternd herumsitzen, weil jede Form von Aktivität einen anderen dazu bringen könnte das eigene Vehikel zu töten. Nun lebt aber Rollenspiel in meinen Augen von der Aktivität der Teilnehmer. Wo keine Aktionen stattfinden, können auch keine Reaktionen stattfinden, und damit auch kein Rollenspiel - und zu diesem Zweck findet Rollenspiel doch letztendlich statt.
Aber das ist doch alles so inkonsequent...?
Nun mag manch einer einwenden, dass es auch Charaktere gibt, für die es nur konsequent wäre wenn sie so jemanden ohne mit der Wimper zu zucken töten würden. Dazu möchte ich gerne mal ein paar Worte sagen:
Wenn jeder Charakter im jeweiligen Spiel-Universum so wäre, wäre die Weltbevölkerung schon lange ausgerottet worden. Häufig entspringen solch verdrehte Vorstellungen von Konsequenz einer romantisierenden und verdrehten Logik. Landsknechte leben nicht vom Töten, Landsknechte leben von der Kriegsführung - wie man bei Machiavelli nachlesen kann, ein sehr großer Unterschied. Profikiller müssen ein niedriges Profil bewahren - ihre Auftraggeber wissen "Öffentlichkeitsarbeit" sicher nicht zu schätzen.
Zudem halte ich Konsequenz nicht für das höchste Ideal des Rollenspiels; Hauptziel sollte der Spielspaß für alle sein. Mal ganz davon abgesehen stellt Konsequenz etwas hochgradig subjektives dar, bedingt durch unterschiedliche Vorbildung, was die Kenntnis von Quellenbüchern angeht, verschiedene Vorbilder aus anderen Medien und, last but not least, unterschiedliche Spielstile. Zwei Spieler, die sich darüber streiten was für einen bestimmten Charakter oder Charaktertypus konsequent wäre, werden sehr häufig auf verschiedene Standpunkte kommen.
Da draußen im richtigen Leben(ihr wisst schon, dieser sagenumwobene Ort wo Männer noch echte Männer und Frauen noch echte Frauen sind) ist charakterliche Konsequenz ohnehin nur äußerst selten anzutreffen. Menschen verhalten sich oftmals ihren erklärten Überzeugungen entgegen, sei es, weil diese ohnehin nur geheuchelt waren oder weil ihnen der Mut oder die Mittel fehlen, konsequent für ihre Überzeugungen einzustehen. Warum sollte also Konsequenz, wie so oft gefordert wird, das höchste Ideal im Rollenspiel sein? Sicher, zum Teil wird versucht, im Rollenspiel Charaktere darzustellen, die Klischees bedienen. Der Realismus eines wankelmütigen oder widersprüchlichen Charakters ist manchmal nicht gefragt. Andererseits können gerade diese Aspekte einem Charakter auch Farbe geben, die dem reinen Bilderbuchklischee fehlt.
Gegen Konsequenz ist nichts einzuwenden, solange sie zum Hauptziel Spielspaß beiträgt oder ihn zumindest nicht gefährdet, aber sobald sie zum Selbstzweck wird halte ich sie für nutzlos, ja, sogar gefährlich. Bei der Konsequenz gegen sich selbst mag das noch angehen, da man damit nicht in das Spiel anderer eingreift, aber sobald Konsequenz als Druckmittel gegen andere genutzt wird, halte ich sie für ausgesprochen schädlich.
Dies liegt auch daran, dass Konsequenz oftmals, um nicht zu sagen fast ausschließlich als Entschuldigung für Aktionen gegen andere Spieler genutzt wird. Und somit wird dann die Hintergrundgeschichte bemüht um solche Aktionen zu rechtfertigen: "Hey, mein Charakter ist Profikiller/ hat Essenz um 0/ mag keine Leute mit roten Nasen, der mußte den killen!"
Nun ist es aber so, dass Charakterkonzepte dem Spieler nicht vom Himmel in den Schoß fallen, und der Spieler somit auch nicht nehmen muß was er bekommt. Charakterkonzepte werden vom jeweiligen Spieler erstellt. Wenn nun ein Charakter nur dann konsequent dargestellt ist, wenn er Dinge tut die man auf OP-Ebene nur als scheiße bezeichnen kann, dann ist das etwas was ich dem Spieler anlaste und als schlechtes Rollenspiel bezeichne. Der Fehler liegt in dem Fall dann nicht im Ausspielen selbst, er liegt im Entwurf.
Das soll nun nicht heißen, dass jeder Charakter immer lieb und nett sein muß; eine starke Aversion oder eine nervige Angewohnheit kann ja auch ein guter Aufhänger fürs Rollenspiel sein (wie man etwa hier im SR-Bereich bei SRS' Angeberei im Shadowtalk sehen kann).
Ich lehne diese Konzepte nur insofern ab, wie sie den Spieler in irgendwelche besonders destruktiven Sackgassen treiben. "Ich mußte so handeln, der Charakter ist halt so" habe ich einfach schon zu oft als Rechtfertigung für das Zerstören des Spaßes anderer gehört. Der Spieler steuert den Charakter, nicht umgekehrt. Deshalb sollte jedes Charakterkonzept eine Hintertür haben.
Im "inkonsequenten" Spiel schadet ein "destruktives" Konzept nicht, weil man durch die "Inkonsequenz" aus der Sackgasse heraus kommen kann, und mit einem nicht-"destruktiven" Konzept kommt man auch im "konsequenten" Spiel gar nicht erst in die Sackgasse hinein.
Warum aber sollte man überhaupt Rücksicht nehmen? Reicht es nicht aus, wenn ich meine Rolle konsequent spiele? Eine oft gehörte Meinung ist, daß jemand, der ordentlich IP und OP trennt, sich doch dadurch nicht gestört fühlen kann. Es ist eine naive Wunschvorstellung, daß nichts, was IP geschieht, OP-Konsequenzen habe. Jeder weiß, daß die Spieler die Charaktere steuern und OP damit zufrieden zu sein, wenn IP etwas scheiße läuft, klappt nur solange, wie beide Seiten sagen können: "Ja, das war konsequent gespielt". Das geht aber nur solange, wie beide die gleiche Vorstellung von IP-Logik haben. Ist diese Voraussetzung nicht gegeben, ist es nicht einmal "schlechtes Rollenspiel", wenn einer OP mit der IP-Situation unzufrieden ist, denn er unterstellt ja dem anderen, gegen die IP-Logik verstoßen zu haben.
Mit anderen Worten, ich kann mich nicht darauf zurückziehen, daß meine Aktion der (meiner!) IP-Logik zufolge OK ist, sondern ich muß mir Gedanken machen, ob ich damit den Mitspielern nicht doch OP auf die Füße trete. Wer sich völlig aufs IP und "konsequentes" Rollenspiel zurückzieht und dabei die OP-Ebene ignoriert, macht IMHO etwas grundlegend falsch.
Meiner Erfahrung nach kommt von einer rigorosen Auffassung von Konsequenz im Rollenspiel mehr Übel als Gutes. Konsequentes Charakterspiel ist ein Nice-to-have, aber es ist IMHO nicht das höchste Ideal im Spiel. Insbesondere dürfen ihm weder der eigene noch der fremde Spielspaß geopfert werden.
Lösungsmöglichkeiten
Nun wäre es naiv und utopisch anzunehmen, meine Argumentation würde jeden Spieler, der Konsequenz zum höchsten Ideal erhebt, überzeugen, zumal diese auch stark von meiner persönlichen Meinung gefärbt war(ein Umstand, der sich bei Meta-Diskussionen über das Rollenspiel leider nie vermeiden läßt). Darum sollte der nächste Schritt darin bestehen, eine Lösungsmöglichkeit für die Problematik des Charaktertodes zu finden, die im Idealfall von allen, oder doch zumindest von möglichst vielen getragen werden kann.
Ich habe das Glück, mir nicht selbst eine Lösung ausdenken zu müssen, sondern auf eine gestoßen zu sein, die sich hier gut anwenden läßt. Diese Lösung ist die "Opfer-Regel" aus dem LARP-Regelwerk von Tikon.
Was besagt die Opfer-Regel nun? Die Opfer-Regel besagt, dass der betroffene Spieler selbst entscheidet, wann der Charakter stirbt. Ich halte diesen Ansatz zum einen deshalb für interessant, weil er die logische Weiterentwicklung der in der 5 akzeptierten Handlungsweise darstellt, Dinge die man für mit dem eigenen Spielstil unvereinbar hält, zu ignorieren.
Zum anderen legt er die freie Entscheidung über den Charakter und das ganze Hobby dorthin, wo sie hingehört, nämlich in die Hände des jeweiligen Spielers. Allein den betroffenen Spieler halte ich für kompetent und berechtigt, über den weiteren Fortgang seines Hobbys zu entscheiden. So mag es vorkommen, dass ein Spieler für sich entscheidet, den Todesstoß anzunehmen, weil er den Charakter sowieso schon überdrüssig war und nur noch einen guten Abgang gesucht hat, oder weil er es für stimmiger und konsequenter hält, oder warum auch immer. Andere mögen entscheiden, es lieber mehr oder weniger verletzt zu überleben, weil man für den nächsten Con schon mit anderen eine Runde ausgemacht hat und der SL schon einen für diesen Charakter gedachten Nebenplot gestrickt hat, oder warum auch immer, für beide Entscheidungen haben ich oben Motive aufgeführt, und niemand hat sich vor anderen für seine Entscheidung zu rechtfertigen, weil sie einzig und allein ihn etwas angeht.
Ich gratuliere allen die die Bleiwüste bis hier hin durchgehalten haben. Auskotzen musste einfach mal sein - gewisse Ereignisse in meinem Umfeld haben es einfach mal wieder notwendig gemacht.
Bevor ich über den eigentlichen Themenkomplex des Charaktertodes zu sprechen komme, muß ich ein paar Grundüberlegungen vorausschicken, von denen ich annehme dass sie allgemeingültig sind. Die erste Frage die ich mir stellen möchte ist, was das wichtigste am Rollenspiel ist. Nun, was ist das wichtigste? Ich denke, Rollenspiel ist in erster Linie eine Unterhaltungsform, und somit ist das wichtigste am Rollenspiel Spaß zu haben. Übertragen auf den Themenkomplex Charaktertod muß diese Diskussion also diese Frage beantworten: "Wie muß der Umgang mit dem Charaktertod im Rollenspiel beschaffen sein, damit alle Teilnehmer den maximalen Spaß haben?"
Wie und warum fördert der Charaktertod den Spielspaß?
Niemand lebt ewig, und das Leben ist immer lebensgefährlich. Viele Aktionen, wie Attentate etwa, verlieren ihren Reiz wenn sie ohne Folgen bleiben. Hierdurch würde viel Spielspaß verloren gehen.
Zudem existieren sehr spezifische Settings die davon leben dass Charaktere wie am Laufband umkommen - beispielhaft seien nur Paranoia und Cthulhu genannt.
Wie und warum zerstört der Charaktertod den Spielspaß?
Nun dient der Charaktertod nicht nur dem Spielspaß, er zerstört ihn auch.
Zunächst wäre da einmal die Tatsache, dass der Charakter das Vehikel darstellt, mit dem der Spieler Rollenspiel betreibt. Ohne dieses Vehikel ist kein Rollenspiel möglich; wer seinen Charakter verliert bleibt vom Rollenspiel ausgeschlossen und geht darum jeglichen Spielspaßes verlustig.
Dann wäre da noch die persönliche Bindung des Spielers an den Charakter. In vielen Charakteren steckt viel Arbeit und Mühe, und niemand hat es gern wenn seine Arbeit zerstört wird. Man sollte auch beachte dass man oftmals sein Gegenüber nicht gut kennt, sei es, weil es neu in der Gruppe ist, sei es, weil man auf einem Con spielt, oder sei es gar dass das Spiel im gesichtslosen und anonymen Internet stattfindet. Was ist, wenn es sich bei diesem Gegenüber um eine besonders labile Person handelt, um jemanden, den der Tod seines Lieblingscharakters stärker mitnehmen könnte als man denkt? Auch wenn viele das nun als unwahrscheinlich abtun werden, die Chance besteht, und die Folgen könnten sehr schwerwiegend sein.
Schließlich ist da noch die Problematik der weiterführenden Pläne. Was ist, wenn der Spieler mit dem getöteten Charakter noch mit anderen Spielern Dinge unternehmen wollte, etwa einen besonderes Con-Abenteuer mit aneren Spielern oder ein Ritual? Was ist, wenn der Charakter in eine laufende Kampagne integriert ist und der Spielleiter diesen Charakter bereits in einen über 10 Sitzungen laufenden Nebenplot fest eingeplant hat?
Schlußfolgerungen
Was können wir nun aus diesen Dingen folgern?
Ich persönlich denke, der Charaktertod sollte immer nur das letzte Mittel darstellen, die Ultima Ratio des Rollenspiels, die erst genutzt wird wenn alle anderen Möglichkeiten versagt haben.
Bevor man einen anderen Charakter tötet, sollte man bedenken dass je nach Charakter andere, weniger endgültige Mittel existieren. Ein anerkannter Uberheld der Fantastialliarden an XP hat könnte böse Gerüchte streuen. Ein Schieber oder Yak oder anderer einflußreicher Unterwelt-Typ könnte dafür sorgen, dass der Charakter von ihm kontrollierte Bezugsquellen verliert. Schließlich kann ein Charakter immer noch betäubt werden: Das ist auch kein schöner Ausgang, da er den Charakter zumindest eine kurze Weile aus dem Spiel nimmt und somit den Spieler vom Gemeinschaftserlebnis ausschließt, aber es ist das wesentlich kleinere Übel als das Töten des Charakters, da es keine dermaßen endgültigen Konsequenzen nach sich zieht.
Jeder sollte eine Chance haben. Auch wer den Krieger Stufe 87 anpöbelt, sollte zumindest IP oder OP ein Zeichen bekommen, dass er sich in ernsthafte Schwierigkeiten begibt, und dabei eine Gelegenheit bekommen seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Selbst wer solch einen subtilen Wink übersieht, sollte nicht gleich getötet werden - wie oben angemerkt existieren viele andere Vorstufen.
Wenn jede Niederlage gleich tödlich endet, so kommt es zu einem Phänomen, dass ich als "Gewinnen-Wollen-Syndrom" bezeichnen möchte. Wenn ich mit jeder Niederlage meinen Charakter verliere, und somit mein Vehikel fürs Rollenspiel, so kann die Konsequenz nur lauten, dass ich meinen Charakter so anlege dass er nicht verlieren kann. Zuerst mag es noch harmlos anfangen, indem man etwa die im Kampf bedeutenden Werte so hoch wie möglich ansetzt. Dies führt mit sich, dass andere Spieler mit ihren Charakteren nachziehen, weil sie wegen der Tödlichkeit auch nicht verlieren wollen, so dass noch höhere Werte gefunden werden müssen. Zu dem Zweck werden Regellücken studiert und schamlos ausgenutzt, einfach weil keine anderen Wege existieren um sein Vehikel zum Gemeinschaftserlebnis zu schützen. Und sobald diese Wege auch alle erschöpft sind, wird schamlos zu Konzepten gegriffen, die im offiziellen Spiel nicht vorkommen, wie etwa Vampiren bei SR. Oder auf OP-Ebene existierende Cliquen verbünden ihre Charaktere und erklären sie gegenseitig zu besten Freunden, ganz gleich wie logisch das IP sein mag oder nicht.
Wer auf der einen Seite darauf pocht, dass Charaktertod als Instant-Bestrafung wichtig fürs konsequente Rollenspiel ist, aber andererseits das vermehrte Auftauchen von Freien Geistern mit Stufe 52 und ähnlichen Konzepten beklagt, der macht sich in meinen Augen der bewußten oder unbewußten Heuchelei zumindest verdächtig.
Die Alternative zum Gewinnen-Wollen-Syndrom ist fast noch schädlicher für den Spielspaß: Der Umstieg auf duckmäuserische Charaktere, die nur musternd herumsitzen, weil jede Form von Aktivität einen anderen dazu bringen könnte das eigene Vehikel zu töten. Nun lebt aber Rollenspiel in meinen Augen von der Aktivität der Teilnehmer. Wo keine Aktionen stattfinden, können auch keine Reaktionen stattfinden, und damit auch kein Rollenspiel - und zu diesem Zweck findet Rollenspiel doch letztendlich statt.
Aber das ist doch alles so inkonsequent...?
Nun mag manch einer einwenden, dass es auch Charaktere gibt, für die es nur konsequent wäre wenn sie so jemanden ohne mit der Wimper zu zucken töten würden. Dazu möchte ich gerne mal ein paar Worte sagen:
Wenn jeder Charakter im jeweiligen Spiel-Universum so wäre, wäre die Weltbevölkerung schon lange ausgerottet worden. Häufig entspringen solch verdrehte Vorstellungen von Konsequenz einer romantisierenden und verdrehten Logik. Landsknechte leben nicht vom Töten, Landsknechte leben von der Kriegsführung - wie man bei Machiavelli nachlesen kann, ein sehr großer Unterschied. Profikiller müssen ein niedriges Profil bewahren - ihre Auftraggeber wissen "Öffentlichkeitsarbeit" sicher nicht zu schätzen.
Zudem halte ich Konsequenz nicht für das höchste Ideal des Rollenspiels; Hauptziel sollte der Spielspaß für alle sein. Mal ganz davon abgesehen stellt Konsequenz etwas hochgradig subjektives dar, bedingt durch unterschiedliche Vorbildung, was die Kenntnis von Quellenbüchern angeht, verschiedene Vorbilder aus anderen Medien und, last but not least, unterschiedliche Spielstile. Zwei Spieler, die sich darüber streiten was für einen bestimmten Charakter oder Charaktertypus konsequent wäre, werden sehr häufig auf verschiedene Standpunkte kommen.
Da draußen im richtigen Leben(ihr wisst schon, dieser sagenumwobene Ort wo Männer noch echte Männer und Frauen noch echte Frauen sind) ist charakterliche Konsequenz ohnehin nur äußerst selten anzutreffen. Menschen verhalten sich oftmals ihren erklärten Überzeugungen entgegen, sei es, weil diese ohnehin nur geheuchelt waren oder weil ihnen der Mut oder die Mittel fehlen, konsequent für ihre Überzeugungen einzustehen. Warum sollte also Konsequenz, wie so oft gefordert wird, das höchste Ideal im Rollenspiel sein? Sicher, zum Teil wird versucht, im Rollenspiel Charaktere darzustellen, die Klischees bedienen. Der Realismus eines wankelmütigen oder widersprüchlichen Charakters ist manchmal nicht gefragt. Andererseits können gerade diese Aspekte einem Charakter auch Farbe geben, die dem reinen Bilderbuchklischee fehlt.
Gegen Konsequenz ist nichts einzuwenden, solange sie zum Hauptziel Spielspaß beiträgt oder ihn zumindest nicht gefährdet, aber sobald sie zum Selbstzweck wird halte ich sie für nutzlos, ja, sogar gefährlich. Bei der Konsequenz gegen sich selbst mag das noch angehen, da man damit nicht in das Spiel anderer eingreift, aber sobald Konsequenz als Druckmittel gegen andere genutzt wird, halte ich sie für ausgesprochen schädlich.
Dies liegt auch daran, dass Konsequenz oftmals, um nicht zu sagen fast ausschließlich als Entschuldigung für Aktionen gegen andere Spieler genutzt wird. Und somit wird dann die Hintergrundgeschichte bemüht um solche Aktionen zu rechtfertigen: "Hey, mein Charakter ist Profikiller/ hat Essenz um 0/ mag keine Leute mit roten Nasen, der mußte den killen!"
Nun ist es aber so, dass Charakterkonzepte dem Spieler nicht vom Himmel in den Schoß fallen, und der Spieler somit auch nicht nehmen muß was er bekommt. Charakterkonzepte werden vom jeweiligen Spieler erstellt. Wenn nun ein Charakter nur dann konsequent dargestellt ist, wenn er Dinge tut die man auf OP-Ebene nur als scheiße bezeichnen kann, dann ist das etwas was ich dem Spieler anlaste und als schlechtes Rollenspiel bezeichne. Der Fehler liegt in dem Fall dann nicht im Ausspielen selbst, er liegt im Entwurf.
Das soll nun nicht heißen, dass jeder Charakter immer lieb und nett sein muß; eine starke Aversion oder eine nervige Angewohnheit kann ja auch ein guter Aufhänger fürs Rollenspiel sein (wie man etwa hier im SR-Bereich bei SRS' Angeberei im Shadowtalk sehen kann).
Ich lehne diese Konzepte nur insofern ab, wie sie den Spieler in irgendwelche besonders destruktiven Sackgassen treiben. "Ich mußte so handeln, der Charakter ist halt so" habe ich einfach schon zu oft als Rechtfertigung für das Zerstören des Spaßes anderer gehört. Der Spieler steuert den Charakter, nicht umgekehrt. Deshalb sollte jedes Charakterkonzept eine Hintertür haben.
Im "inkonsequenten" Spiel schadet ein "destruktives" Konzept nicht, weil man durch die "Inkonsequenz" aus der Sackgasse heraus kommen kann, und mit einem nicht-"destruktiven" Konzept kommt man auch im "konsequenten" Spiel gar nicht erst in die Sackgasse hinein.
Warum aber sollte man überhaupt Rücksicht nehmen? Reicht es nicht aus, wenn ich meine Rolle konsequent spiele? Eine oft gehörte Meinung ist, daß jemand, der ordentlich IP und OP trennt, sich doch dadurch nicht gestört fühlen kann. Es ist eine naive Wunschvorstellung, daß nichts, was IP geschieht, OP-Konsequenzen habe. Jeder weiß, daß die Spieler die Charaktere steuern und OP damit zufrieden zu sein, wenn IP etwas scheiße läuft, klappt nur solange, wie beide Seiten sagen können: "Ja, das war konsequent gespielt". Das geht aber nur solange, wie beide die gleiche Vorstellung von IP-Logik haben. Ist diese Voraussetzung nicht gegeben, ist es nicht einmal "schlechtes Rollenspiel", wenn einer OP mit der IP-Situation unzufrieden ist, denn er unterstellt ja dem anderen, gegen die IP-Logik verstoßen zu haben.
Mit anderen Worten, ich kann mich nicht darauf zurückziehen, daß meine Aktion der (meiner!) IP-Logik zufolge OK ist, sondern ich muß mir Gedanken machen, ob ich damit den Mitspielern nicht doch OP auf die Füße trete. Wer sich völlig aufs IP und "konsequentes" Rollenspiel zurückzieht und dabei die OP-Ebene ignoriert, macht IMHO etwas grundlegend falsch.
Meiner Erfahrung nach kommt von einer rigorosen Auffassung von Konsequenz im Rollenspiel mehr Übel als Gutes. Konsequentes Charakterspiel ist ein Nice-to-have, aber es ist IMHO nicht das höchste Ideal im Spiel. Insbesondere dürfen ihm weder der eigene noch der fremde Spielspaß geopfert werden.
Lösungsmöglichkeiten
Nun wäre es naiv und utopisch anzunehmen, meine Argumentation würde jeden Spieler, der Konsequenz zum höchsten Ideal erhebt, überzeugen, zumal diese auch stark von meiner persönlichen Meinung gefärbt war(ein Umstand, der sich bei Meta-Diskussionen über das Rollenspiel leider nie vermeiden läßt). Darum sollte der nächste Schritt darin bestehen, eine Lösungsmöglichkeit für die Problematik des Charaktertodes zu finden, die im Idealfall von allen, oder doch zumindest von möglichst vielen getragen werden kann.
Ich habe das Glück, mir nicht selbst eine Lösung ausdenken zu müssen, sondern auf eine gestoßen zu sein, die sich hier gut anwenden läßt. Diese Lösung ist die "Opfer-Regel" aus dem LARP-Regelwerk von Tikon.
Was besagt die Opfer-Regel nun? Die Opfer-Regel besagt, dass der betroffene Spieler selbst entscheidet, wann der Charakter stirbt. Ich halte diesen Ansatz zum einen deshalb für interessant, weil er die logische Weiterentwicklung der in der 5 akzeptierten Handlungsweise darstellt, Dinge die man für mit dem eigenen Spielstil unvereinbar hält, zu ignorieren.
Zum anderen legt er die freie Entscheidung über den Charakter und das ganze Hobby dorthin, wo sie hingehört, nämlich in die Hände des jeweiligen Spielers. Allein den betroffenen Spieler halte ich für kompetent und berechtigt, über den weiteren Fortgang seines Hobbys zu entscheiden. So mag es vorkommen, dass ein Spieler für sich entscheidet, den Todesstoß anzunehmen, weil er den Charakter sowieso schon überdrüssig war und nur noch einen guten Abgang gesucht hat, oder weil er es für stimmiger und konsequenter hält, oder warum auch immer. Andere mögen entscheiden, es lieber mehr oder weniger verletzt zu überleben, weil man für den nächsten Con schon mit anderen eine Runde ausgemacht hat und der SL schon einen für diesen Charakter gedachten Nebenplot gestrickt hat, oder warum auch immer, für beide Entscheidungen haben ich oben Motive aufgeführt, und niemand hat sich vor anderen für seine Entscheidung zu rechtfertigen, weil sie einzig und allein ihn etwas angeht.
Ich gratuliere allen die die Bleiwüste bis hier hin durchgehalten haben. Auskotzen musste einfach mal sein - gewisse Ereignisse in meinem Umfeld haben es einfach mal wieder notwendig gemacht.