Alles Mörder?!

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Rollenspielcharaktere sind Mörder.

Meiner Erfahrung nach wird im Rollenspiel schneller und häufiger (um nicht zu sagen "sofort und immer") zu tödlicher Gewalt gegriffen als in anderen Medien.
Wo in Filmen, Büchern, Comics, an denen Rollenspiele sich (angeblich?) orientieren, oder mit denen sie wenigstens Genre und andere Eigenschaften teilen, Gegner niedergeschlagen, in die Flucht geschlagen, gefesselt, zur Aufgabe gezwungen, aber auch verletzt und verstümmelt, oder auch bloss dumm stehen gelassen werden, wird im Rollenspiel mit Vorliebe so lange darauf herumgehackt und gedroschen bis sich nichts mehr bewegt... ...und dann noch ein bißchen mehr, um sicher zu gehen, dass sich aus dem blutigen Brei auch ja niemand mehr erheben kann.
Selbst ohne so übertrieben bildlich zu werden, habe ich das Gefühl, dass im Vergleich sehr viel häufiger zu lethalen Mitteln gegriffen wird. Schwert und Pistole sitzen lockerer. Die Fäuste werden eher zu Hause gelassen.

Mich interessiert warum das so ist.

Ich selbst meine, dafür in der Hauptsache zwei Gründe auszumachen.
Der erste liegt in den Regeln. Viele Systeme (und nein, ich habe gar kein Interesse daran, jetzt von irgendjemandem eine Empfehlung oder gar eine Aufzählung zu lesen, wo diese "Probleme" nicht auftreten - solche Spiele kenne ich selbst zur Genüge, und sie haben für mich bei diesem Thema nicht die geringste Relevanz) tun sich schwer damit non-lethale Gewalt abzubilden. Entweder fehlen die Regeln dafür gänzlich, oder sie erschweren/verlangsamen die Abwicklung gegenüber "einfacher" tödlicher Gewaltanwendung, oder sie sorgen dafür das non-lethale Mittel weniger zuverlässig, weniger stark oder anderweitig gegenüber lethalen Mitteln benachteiligt sind.
So wird es auf der Ebene der Regeln unattraktiv etwas anderes zu versuchen, als seinen Gegner umzubringen.
Der zweite Grund hat etwas mit Belohnung und Erfolgserlebnissen zu tun. Tote Gegner sind permanent aus dem Spiel entfernt. Sie machen einem Spieler keine Probleme mehr, sie sind dauerhaft überwunden. Lebende Gegner sind noch vorhanden. Sie können trotz ihrer einstweiligen(!) Niederlage potentiell zurückkehren und wieder Ungemach verursachen. Will sich ein Spieler davor schützen, muss er sie permanent entfernen - das bedeutet: Sie töten. Tötet er sie nicht muss er sich vor Strafe(!) für sein Handeln in Form erneuter Konfrontationen fürchten. Selbst ohne diese Angst vor Strafe scheint der unvollständige(!) Sieg als weniger befriedigend wahrgenommen zu werden als der vollständige, permanente Sieg. Das Entkommen des besiegten(!) Gegners wird zur Niederlage(!) des Charakters.

mfG
thl
 
AW: Alles Mörder?!

Ich denke auch dass es vor allem die Regeln sind. Die meisten Spiele betrachten als mechanisch sicheren Sieg nur das Töten, Zerstören, Zerfetzen und Auslöschen des Gegners.
Andere "Siegbedingungen" hängen i.d.R. an weicheren Regulierungen und sind oft vom Set-Up abhängig (z.B. das Umgehen von Sicherheitsgardisten bei SR, um das eigentliche Ziel, den McGuffin, sicher zu klauen).
 
AW: Alles Mörder?!

Die Antwort auf die Frage ist:
Gewalt ist eine einfache und in vielen Fällen eine effektive Lösung.
So gesehen sind wir nur "fiktive" Mörder, aber man kann argumentieren, das in vielen Fällen so etwas wie eine Notwehrsituation gegeben ist, ähnlich wenn die Polizei die Wohnung eines Verdächtigen stürmt und dieser das Feuer eröffnet, so das die Polizisten gezwungen sind diesen zu erschießen.
Auch kann man sich auf eine kriegsähnliche Situation berufen, so das die Gefangennahme nicht das erwünschte Ziel,
sondern die Beendigung des Konfliktes ist.
 
AW: Alles Mörder?!

Und zwei weitere Faktoren sind noch:
1) Bequemlichkeit : Die Gegner umzunieten ist nunmal die einfachste und schnellste Lösung. Ich würde ja auch fürchterlich gern Oceans Eleven mäßig ein Kasino ausräumen. Aber ich bin nunmal kein Meisterdieb mit jahrelanger Erfahrung der solch einen Einbruch sicher durchplanen könnte. Mein Spielleiter sicherlich auch nicht. Also wird selbst bei bester intention irgendwann der Punkt kommen an dem ich mich aus dem Kasino raus oder -mit etwas pech- auch erstmal reinballern muss.

Und da kommen wir zu Punkt 2:
Unflexible SLs und ihre eingeschüchterte Beute.
Wenn ich Leite dann liebe ich es immer wenn Spieler alternative Vorgehensweisen vorschlagen. Und weil ich es liebe belohne ich sie dafür indem ich, basierend auf meiner Vorstellung der Situation, ihrer Schilderung des Plans und unseren (naturgemäß) sehr beschränkten praktischen Erfahrungen mit der Materie den Plan mit ihnen durchspreche. Und ihnen tatsächlich auch hin und wieder helfe indem ich ihrem Charakter Fachkenntnisse unterstelle, die ihr Charakter wohl haben kann, sie aber tatsächlich nicht haben. ihre Vorstellungen ihrer Situationen und Möglichkeiten mit meinen Synchronisiere.
Andersrum habe ich es als Spieler schon so oft mit Gegnern zu tun gehabt die sich nicht einschüchtern oder ablenken lassen, Spielleitern denen "Realismus" (oder ihre bestenfalls amateurhafte Vorstellung davon) wichtiger ist als kreative Problemlösung und eine gute Geschichte. Irgendwann habe ich dann aufgegeben.
Zum Glück leite ich meistens.

Fazit: Realismusfetischismus und fehlender Kooperationswillen zwischen SL und Spielern sind ein wichtiger Grund für die viele tödliche Gewalt.
Den Spielern bleibt oft nichts anderes übrig. Und mit der Zeit gewöhnen sie sich daran und machen sich nicht mehr die Mühe andere Strategien zu entwickeln, da diese ohnehin meist nicht gewürdigt und ermöglicht werden.
 
AW: Alles Mörder?!

Tote Gegner sind permanent aus dem Spiel entfernt. Sie machen einem Spieler keine Probleme mehr, sie sind dauerhaft überwunden. Lebende Gegner sind noch vorhanden. Sie können trotz ihrer einstweiligen(!) Niederlage potentiell zurückkehren und wieder Ungemach verursachen. Will sich ein Spieler davor schützen, muss er sie permanent entfernen - das bedeutet: Sie töten.
Die Bevorzugung dieser Lösung liegt aber mindestens teilweise auch in der geringen Plausibilität vieler
Spielwelten begründet, in denen die allermeisten Gegner (und sehr viele Spielercharaktere) nicht in so-
ziale Strukturen eingebunden sind, und die Spielercharaktere deshalb nicht die in einer "realistischeren"
Spielwelt mit dem Töten verbundenen Folgen zu befürchten haben, beispielsweise Sippenfehden und
Blutrache.

Hätten die Spielercharaktere auch Familien und müßten realistischerweise annehmen, daß jeder Fall
von Mord statt Gefangennahme das Risiko für ihre eigenen Angehörigen erhöht, von Angehörigen des
Ermordeten getötet zu werden, wäre die Entscheidung für oder gegen Tötung statt Gefangennahme
schon sehr viel schwieriger, denke ich.

Und das ist nur ein Beispiel dafür, wie die Gestaltung einer Spielwelt mindestens so sehr wie ein System
die Handlungen der Spielercharaktere beeinflussen kann.
 
AW: Alles Mörder?!

Gewalt ist eine einfache und in vielen Fällen eine effektive Lösung.

Es geht nicht um Gewalt.
Es geht um tödliche Gewalt.

Das ist ein wichtiger Unterschied. Um genau zu sein, ist es der für dieses Thema hier entscheidende Unterschied.

Ich habe aktuell kein Interesse das Warum oder gar das Für und Wider von Gewalt als Lösungsstrategie in Rollenspielen zu diskutieren.
Mich interessieren die Formen, die diese Gewalt annimmt.

Mich interessiert warum ein abgehalfterter Privatdetektiv in der Noir Geschichte den Mädchenhändler niederschlägt, während er ihn im Noir Rollenspiel niederschießt.

mfG
thl
 
AW: Alles Mörder?!

Ein weiterer Grund sind die Spieler. b_u_g hat es im Rahmen der Siegesbedingungen schon angesprochen, aber noch nicht wirklich auf den Punkt gebracht. Nur der Tod wird als "Überwindung" des Gegners aufgefaßt. Andere Möglichkeiten werden oftmals nicht in Betracht gezogen, weil Gewalt zur Problembewältigung als erste Option, weil einfachste, Option aufgefaßt wird. Das ist einfach zu fest in den Köpfen (vieler Spieler) verankert - Gegner gilt es zu beKÄMPFEN und das im wahrsten Sinne des Wortes und der Tod des Kontrahenten stellt nun einmal (ebenfalls in den Köpfen) den ultimativen Sieg dar.
 
AW: Alles Mörder?!

So ganz kommt diese Beobachtung meines Errachtens nicht hin. In einer Menge Historienschinken oder Fantasyepen gibt es nicht weniger Tote als in Fantasyspielen.

Das Problem liegt wohl eher in der Wahl des Genres und der Vergleichsmedien - und in der Tatsache, dass Rollenspiel eben nicht nur Konsum bedeutet, sondern Beteiligung.

Wenn man Beteiligter ist, dann macht es eben deutliche Probleme diverse Verhaltensmuster aus gewaltverharmlosenden Filmen in Betracht zu ziehen, welche vom Drehbuch geschützte Schauspieler sich leisten können. Wer mit Fäusten in eine Schießerei geht, ist einfach lethal dumm!
Also sorgen Spieler dafür, das Charaktere Dinge tun, die "effektiv" sind.
Gleichzeitig wird aber die Gewaltdichte, clicheehafte Schwarzweismalerie und Coolnessansicht über Gewalt dieser Medien übernommen und entsprechend steigt die Zahl der Toten.

Die andere Facette ist die fehlende zivile Seite und oft auch die plastische und plausible Darstellung der Gewaltfolgen, sowohl physisch, psychisch und mehr noch sozial, welche zumindest Nichtpsychopathen nahelegen sollte auch andere Lösungen und Kompromisse zu suchen. Wenn so etwas doch kommt, dann meist mit ganz grobem Pinsel und Missionsauftrag, was solchen Elementen auch nicht gerade wirkliche Akzeptanz und Überzeugungskraft bringt.

Mein Gegenvorschlag: Weniger Coolness und Nachäffen von modernen Actionfilmen, sondern auf allen Seiten mehr Menschlichkeit wagen und die Folgen des Handelns versuchen in möglichst ungeschminkter Klarheit darzustellen .

Ergänzung:
Spieleliterm, die glauben zwingend ein Herausforderungsniveau halten zumüssen oder antiklimatische Lösungen würden der Geschichte schaden tun ihres an Schaden hinzu. Spätestens der dritte Gegner muss die rächende Rückkehr der ersten beiden, die man hat laufen lassen, büßen
 
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Es geht nicht um Gewalt.
Es geht um tödliche Gewalt.

Das ist ein wichtiger Unterschied. Um genau zu sein, ist es der für dieses Thema hier entscheidende Unterschied.

Ich habe aktuell kein Interesse das Warum oder gar das Für und Wider von Gewalt als Lösungsstrategie in Rollenspielen zu diskutieren.
Mich interessieren die Formen, die diese Gewalt annimmt.

Mich interessiert warum ein abgehalfterter Privatdetektiv in der Noir Geschichte den Mädchenhändler niederschlägt, während er ihn im Noir Rollenspiel niederschießt.

mfG
thl

Es ist "relativ" schwierig jemanden mit bloßen Händen zu töten, aber recht einfach jemanden mit einer Pistole zu töten und wenn man die Umgebung berücksichtigt ist es, besser mit lethaler Gewalt zu antworten, als den schwierigeren und gefährlicheren Weg zu versuchen, den Gegner mit nichtlethalen Mitteln auszuschalten, der zudem sicherlich bewaffnet ist.
Das bedeutet das wenn man es "realistisch" angehen würde, das nichtlethale Ausschalten des Gegners nur im Interesse des Charakters wäre, wenn dadurch etwas gewonnen werden könnte (beispielsweise wichtige Informationen).
 
AW: Alles Mörder?!

Das bedeutet das wenn man es "realistisch" angehen würde, das nichtlethale Ausschalten des Gegners nur im Interesse des Charakters wäre, wenn dadurch etwas gewonnen werden könnte (beispielsweise wichtige Informationen).
Oder etwas vermieden werden könnte, vom lebenslangen Gefängnisaufenthalt bis zum Rachemord.
 
AW: Alles Mörder?!

Oder etwas vermieden werden könnte, vom lebenslangen Gefängnisaufenthalt bis zum Rachemord.

Das erfordert auf NSCSeite aber eine Psychostruktur der Art, dass man nicht davon ausgehen muss, dass die Person sowieso noch einmal wiederkommt, ggf. mit Freunden, um einem selbst oder Dritten, denen man sich verbunden fühlt, an den Kragen zu gehen.
Unter SC gibt es diese Neigung allerdings auch nicht zu selten.

Liegt wohl an der Vielzahl von Charakteren, die rein als Spielfiguren zum Gewinnen oder gar als S*verlängerung dienen.

Es gibt keine Ehre unter Charakteren.

Bezüglich der Justiz gilt oft: Keine Überlebenden - keine Zeugen. Und wenn es im Spiel Justiz gibt, ist sie ja häufig genug eh korrupt und man wäre mit einem überlebenden Gegener, der dieses Verfahren überhaupt erst in Gang bringt noch schlechter dran.
 
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Ein weiterer Unterschied zu der Noir-Geschichte und einem Noir-Rollenspiel ist das der eigene Charakter sehr wohl in der Lage ist zu sterben, damit auch ein Interesse besteht, das Risiko des Ablebens zu minimieren.

Die von Rust gegebene Beispiele sind auch gewichtige, nur muss man diese auf "zivilisierte" Rollenspiele beschränken, das bedeutet wenn man einen Kriegsfall oder eine andere "barbarische" Situation nach spielt, sind diese Überlegungen nicht von Interesse.
Das heißt es gibt in Rollenspielen, wie auch in den meisten Actionstreifen keine Bestrafungsmechanismen die diese Handlungsweise unattraktiv machen würden (wie ein Haufen Papierkram oder Anhörungen bis hin zur Anklage).
 
AW: Alles Mörder?!

Es gibt keine Ehre unter Charakteren.
Mit dem Mangel an Ehre könnte ich gut leben, wenn es da nicht auch den durch Systeme und
Spielwelten geförderten Mangel an Vernunft gäbe ... :)

In unserer Kampagne hatten wir schon mehrfach das Problem, daß ein neuer Mitspieler völlig
entsetzt und verwirrt reagierte, wenn sein Charakter nach einer nicht durch Notwehr "gerecht
fertigten" Tötung verhaftet und eingesperrt wurde, und ich ihm dann je nach Sachverhalt bei-
bringen mußte, daß jetzt ein neuer Charakter fällig war, weil der bisherige mangels Bewegungs-
freiheit für einige Jahrzehnte nicht mehr an der Kampagne teilnehmen konnte.

Edit.: Was dumm formuliert, nicht der Spieler wurde verhaftet ...
 
AW: Alles Mörder?!

Mit Mangel an Ehre meinte ich, dass man niemandem trauen kann nicht weiter gegen einen vorzugehen, und wenn es im eigenen Selbsterhaltungsinteresse wäre, und wenn er es dutzendmal verspricht.
In vielen primitiveren Situationen ohne staatliche Ordnung ist die gemiensame Vorstellung von Ehre und die entsprechende Sanktionierung der Restgesellschaft das Einzige, was ein Abgleiten in völlige Barbarei zumindest streckenweise bremst. (weil sich auch real nie alle drangehalten haben)
Diese Art Verständnis bzw. Einsicht in die Charaktersozialisation geht aber SL wie Spieler typischerweise ab.

Ansonsten, man stelle sich eine Situation vor, es gibt jemanden, der versucht hat einen selbst oder Angehörige umzubringen -man hat ihn kampfunfähig gemacht. Gehen wir davon aus, das es keine verlässlliche Autorität gibt, an die man den Fall deligieren könnte. Was nun?
 
AW: Alles Mörder?!

Rollenspielcharaktere sind Mörder.
Das ist natürlich FALSCH. - Mörder, also Leute, die mit Heimtücke und Vorsatz jemand anderen töten, sind auch bei Spielercharakteren in der Minderzahl.

Es gibt jedoch sehr viele Genres, in denen der gewaltätige Konflikt, das Überleben gegen Gegner, die den Tod der Spielercharaktere wollen, das KERNTHEMA ist. - Dazu gehören die meisten Fantasy-Ausprägungen und alles, was irgendwie mit "viel Action" daher kommt.

Wie im Film oder Comic, wo "viel Action" gleichbedeutend mit existenzbedrohlichen, lebensgefährlichen Situationen, in denen andere (NSCs) versuchen die Hauptfiguren (SCs) zu töten, ist auch deren Rollenspiel-Umsetzung entsprechend oft voller gewalttätiger Konflikte mit Todesfolge.

Wenn ich - glücklicherweise nur durch unvorsichtiges Herumzappen - in Alarm für Cobra 11 sehe(n muß), wie sich ein "Polizist" mit einem Verbrecher "duelliert", nach so tollen Dialogen wie "Das muß nicht so enden." - "Doch!" - *bäng*, dann bilden Rollenspiele einfach nur die Medien ab, die ihre Vorlagen darstellen.

Aktuell lese ich gerade (mal wieder) Robert E. Howards Sword&Sorcery-Klassiker (Conan, Bran Mak Morn, Kull). Wie ausgesprochen SCHNELL da ein Leben ausgelöscht wird - für mangelnden "Respekt", wegen zivilisierter "Umständlichkeit", usw. - ist für dieses Genre sogar BESTIMMENDER Faktor. - Will man also Sword&Sorcery im Rollenspiel spielen, so wird man sich auf diese hohe Bereitschaft zur Anwendung tödlicher Gewalt einstellen dürfen, wollte man nicht krass von den Genre-Konventionen abweichen.

Andere Genres, die den SCs direkt Aufträge erteilen andere Leute zu töten (von "Findet das Ungeheuer von Loch Schreck" bis zu "Tötet den Präsidentschaftskandidaten Osama"), haben ebenfalls im Kern die Tötung als Thema (beim Präsidentschaftskandidaten sogar den Mord).

Nun kommt aber ein stilistischer Punkt ins Spiel: Waren bei den alten Film- und Buchvorlagen die solchermaßen gedungenen Mörder-Hauptfiguren noch mit einem sie irgendwie "sympathisch" machenden "Ehrenkodex" ausgestattet, der sich wirklich nur die beauftragten "Ziele" ausschalten ließ und sonst niemanden, wird aktuell in Buch, Comic und - vor allem - Film ein Auftragskiller praktisch immer als PSYCHOPATHISCHE KILLERBESTIE dargestellt, der ausnahmslos jeden zu töten gewillt ist, nicht lange fackelt, keine Skrupel kennt, und sich SCHEISSDÄMLICH verhalten darf, UND DAMIT DURCHKOMMT!

Letzteres ist für mich die eigentliche HAUPTURSACHE dafür, daß man den Eindruck gewinnen kann, daß SCs ständig als menschenvernichtende Psycho-Killler unterwegs sind. - Dazu weiter unten mehr.

Das idiotische, unintelligente "Killing Spree"-Verhalten von Medien-"Helden" ist nicht erst seit Rambo II, wo die "Kills per Minute"-Zählerei anfing, aktuell gängiges Versatzstück um "Cool-Krasse Typen (tm)" zu charakterisieren. - Wenn das im Film cool ist, wenn es im Computerspiel cool ist, warum soll das dann im Rollenspiel weniger cool sein? Also: Bringt mehr und unmotivierter Leute um, wenn Euer Charakter so cool sein soll, wie die Charaktere im Kino oder Computerspiel!

Man spielt so, wie die PRÄGENDEN Vorlagen, die man kennt.

Meiner Erfahrung nach wird im Rollenspiel schneller und häufiger (um nicht zu sagen "sofort und immer") zu tödlicher Gewalt gegriffen als in anderen Medien.
Weder "sofort", noch "immer".

Jedenfalls nicht in meinen Runden. - Woran das liegt? Weiter unten mehr dazu.

Schwert und Pistole sitzen lockerer. Die Fäuste werden eher zu Hause gelassen.
Das ist IMMER eine Frage des Settings. - Bei Castle Falkenstein ist es nicht "gentlemen-like", wenn die zivilisierten SCs sich GEGEN ihre Rolle gewalttätig verhalten. Sogar die Oberschurken werden nicht getötet, sondern "für immer" weggesperrt (damit man in ein paar Wochen von deren überraschendem und unvorstellbarem Ausbruch erfährt und somit die Idee für das nächste Abenteuer wieder klar ist).

Ohne eine Genre-Differenzierung zu machen, ist der Pauschalvorwurf "Alles Mörder" sinnlos und FALSCH.

Der erste liegt in den Regeln. Viele Systeme ... tun sich schwer damit non-lethale Gewalt abzubilden. Entweder fehlen die Regeln dafür gänzlich, oder sie erschweren/verlangsamen die Abwicklung gegenüber "einfacher" tödlicher Gewaltanwendung, oder sie sorgen dafür das non-lethale Mittel weniger zuverlässig, weniger stark oder anderweitig gegenüber lethalen Mitteln benachteiligt sind.
So wird es auf der Ebene der Regeln unattraktiv etwas anderes zu versuchen, als seinen Gegner umzubringen.
Nicht die Regeln sind es, die SPIELER(!) dazu bringen mit ihren Charakteren eine Darstellung des "Psycho-Killers" zu geben, sondern die SPIELGEWOHNHEIT der jeweiligen Spielrunde.

Es ist EGAL, ob ein Rollenspiel elaborierte Regeln im Kampfsystem und überhaupt keine einzige für verbale Auseinandersetzungen, NSC-Reaktion, Beziehungen etc. aufweist. Es sind IMMER DIE SPIELER, die (auch bei Castle Falkenstein!) anfangen idiotisch gegen Recht und Gesetz und alle grundlegenden soziale Gemeinschaften erst erlaubenden Regeln zu verstoßen.

Bei manchen SPIELERN habe ich den Eindruck, daß sie - wenn schon nicht tatsächlich psychisch gestört - sozial verkrüppelte Menschen sind, die sich nicht einmal VORSTELLEN können, was es denn bedeutet, wenn sie auf offener Straße einen nicht auskunftsfreudigen Fremden einfach erschießen. Und wenn man ihnen dann mit Polizei, Gerichtsverhandlung usw. den Charakter verurteilt und in den Knast sperrt, dann sind sie maulig.

Warum sind sie dann maulig?

Weil IHRE VORBILDER aus Kino, Fernsehen, Comics, Computerspielen AUCH IMMER DAMIT DURCHKOMMEN! - Deshalb!

Spielt man ein Genre, ein Setting, in welchem man diese Vorlage von Filmen wie "Shoot'em Up" oder Comics wie "Sin City" umsetzen will, dann ist das ja auch ZU ERWARTEN, daß jegliche ultrabrutale Gewaltorgie ein normales Versatzstück dieses Genres ist.

Spielt man ein Genre, welches weniger an diesen Gewaltexzess-Vorlagen orientiert, sondern mehr auf gewitzte Dialoge, gelegentlich wohlplazierte Fausthiebe oder die Einschüchterungskraft einer Schußwaffe setzt (z.B. 40er-Jahre Detektiv-Geschichten), dann passen hier Gewaltexzesse der Hauptfiguren nicht. - Spielleiter, die ihren Spielern aber nicht gleich UNTERSAGEN oder VERBIETEN wollen mittels ihres SC auch mal loszuballern, haben ein Problem, welches KEIN REGELWERK wirklich abzudecken vermag: Die Reaktion der Spielwelt als Ganzes auf die Taten der Spieler.

Daher sehe ich die Regelwerke als völlig sekundär für die bisweilen feststellbare, überzogene, außerordentlich hohe Gewaltbereitschaft der SPIELER an.

Der Spielleiter stellt in normalen Rollenspielen immer noch "den Rest der Welt" dar und dessen Reaktionen auf das Handeln der Spielercharaktere:

Beispiel 1: Im "Shoot'em Up"-Rollenspiel töten die SCs am laufenden Band Leute gleich dutzendweise und es EXISTIERT in diesem Setting KEINE Polizei, KEIN RECHT außer das des Stärkeren oder schneller Feuernden. Der Spielleiter könnte die Freunde, Verwandten oder sonst irgendwie Interessierten NSCs reagieren lassen, indem sie eine Belohnung für den Kopf des SC aussetzen, Auftragskiller anheuern oder den Wagen der SCs mit einer Bombe präparieren. Geht diese Bombe dann hoch, wenn der SC sich nur kurz ein paar Burger holen fahren will, dann ist das ein "Antiklimax". Der Charakter stirbt genauso unmotiviert und unspannend, wie er den Tod hunderten anderer gebracht hatte. - Das wäre der Fall, wenn der Spielleiter KONSEQUENZEN, die zur Spielwelt passen, auch tatsächlich anwendt.

Beispiel 2: In Deadlands tötet ein SC in einer Stadt einen Bürger dieser Stadt. Dort ist zu ERWARTEN, dass sich der lokale Marshal oder Sherriff darum kümmern wird. Und läßt sich der Täter nicht festnehmen, dann wird er zur Fahndung ausgeschrieben, werden Steckbriefe für Kopfgeldjäger ausgehängt, werden die Federal Marshals oder die Texas Ranger nach ihm suchen. Und er bekommt dann auch den regeltechnisch immer noch sehr weichen Nachteil "Wanted" verpaßt, darf sich im betreffenden County, im Bundesstaat oder gar in den USA oder der CSA nicht mehr blicken lassen. Diese KONSEQUENZEN sind hier zu ERWARTEN. Der Spieler weiß (oder müßte wissen), worauf er sich mit der Gewalttat eingelassen hat. - Auch hier ist das der Fall, wenn der Spielleiter KONSEQUENZEN, die zur Spielwelt passen, auch tatsächlich anwendet.

Die Reaktion der Spielwelt besteht NICHT NUR darin, daß die getöteten NSCs tot sind, sondern daß die Tötung als solche in den allermeisten Spielwelten FOLGEN haben wird.

Der zweite Grund hat etwas mit Belohnung und Erfolgserlebnissen zu tun. Tote Gegner sind permanent aus dem Spiel entfernt. Sie machen einem Spieler keine Probleme mehr, sie sind dauerhaft überwunden.
Die "Erfolgserlebnisse" durch das Töten eines Gegners sind hier überschätzt dargestelllt. - Wenn das Töten von Gegner so NORMAL geworden ist, wie das im Eingangsbeitrag dargestellt wird, dann ist ein weiterer Tod auf dem "Konto" nämlich KEIN Erfolgserlebnis!

Meine Erfahrung: Das BESIEGEN (nicht etwa "Töten"!) von Gegnern, ja das BESIEGEN und sie für seine Seite als VERBÜNDETE zu gewinnen, DAS sind die Erfolgserlebnisse, von denen meine Spieler auch noch nach Jahren erzählen. - Von dem x-ten getöteten Ork/Storm-Trooper/Stadtgardisten spricht NIEMAND. - Natürlich wird auch von SCHWEREN, damit auch von SPANNENDEN Kämpfen noch nach Jahren gesprochen. Warum? Weil hier die Gegner BISS hatten, weil man sich ANSTRENGEN mußte sie zu besiegen.

Einen Normalbürger einer Spielwelt zu töten sollte in den meisten Settings KEINE besonders anstrengend oder spannende Tat sein. Meist halten diese Normalos nicht viel aus und machen somit auch nicht viel Eindruck auf die SPIELER(!), die sie mittels ihrer Charaktere töten.

Andere Personen, die NICHT-Normalbürger sind, verfügen ja über unterschiedliche Stärken und Schwächen und sind manchmal mit Gewalt, manchmal mit anderen Mitteln besser zu überwinden oder zu manipulieren.



Zum Manipulieren: Hier gibt es sicherlich Rollenspielregeln, die aus der Regelsicht der PLAUSIBILITÄT in der Spielwelt "ins Knie schießen". - So kann man in manchen Regelsystemen einen Charakter nicht ERNSTHAFT bedrohen, indem man ihn mit vorgehaltener Armbrust auffordert seinen Geldschrank zu öffnen, weil eine Armbrust so wenig Schaden macht, daß er davon fünf Treffer "wegstecken" kann, bevor er sich erst ernstlich Sorgen um seine Gesundheit machen muß. - Mir ist das in einer Con-Runde so gegangen (das war eine DSA-Runde vor vielen Jahren), daß ich mich durch ausgespielte heimliche Vorgehensweise an einen NSC herangearbeitet hatte, diesem meinen Dolch an den Hals setzte und ihn so zur Herausgabe eines Schlüsselbundes bewegen wollte. Der Spielleiter sagte mir daraufhin, daß ein Dolch so wenig Schaden machen würde, daß der dergestalt Bedrohte KEINE ANGST hat und gleich die Wachen rufen würde. - Was für ein Arschloch an Spielleiter!).

Letztlich MUSS der Spielleiter hier Plausibilitätsabwägungen vornehmen, wenn ihm das Regelwerk UNSINNIGE Ergebnisse liefert bzw. UNSINNIGE regeltechnische "Immunitäten" für NSCs aufweist, die der "Setting-Realität" widersprechen. - Ein Setting, in welchem die NORMALE Reaktion eines NSCs auf eine Bedrohung mit einer Waffe wäre, eingeschüchtert zu sein, dessen Kampfsystem aber diese Waffe lächerlich ungefährlich macht, BRAUCHT vom Spielleiter diesen "Spielwelts-Realitäts-Check".

Spielleiter, die selbst nur in Regeltechnikzusammenhängen denken und denen die Plausibilität der Spielwelt egal ist, die NÖTIGEN die Spieler geradezu dazu sich NUR entlang der hart verregelten Bahnen zu bewegen. - Dann kann man gleich ein Computerspiel spielen, denn das kann auch nicht außerhalb der Menge des Geregelten Entscheidungen, Verhalten und Konsequenzen bieten.

NATÜRLICH sind solche Spielleiter nachweislich SCHLECHTE Spielleiter. Die können es nicht. Die sollten besser nicht Rollenspiele leiten.

Doch sind solche Spielleiter nicht einmal so selten - zumindest auf Cons anzutreffen.

Diese "erziehen", oder besser: GEWÖHNEN ihre Spieler nämlich an eine Vorgehensweise, die die einzige, von ihnen ZUGELASSENE (wenn auch oft unsinnige und noch öfter unstimmige) ist. Die Spieler dieser Runden haben GELERNT, wie sie erfolgreich Komplikationen behandeln müssen (mit Gewalt, weil der Spielleiter nur das wirklich zuläßt), und was sie mit dieser Vorgehensweise für Konsequenzen befürchten müssen (keine, weil der Spielleiter überfordert ist eine LEBENDIGE, GLAUBWÜRDIGE, PLAUSIBLE Spielwelt darzustellen).

Ein Rollenspieler, der gerade mit dem Hobby anfängt, ist anfangs noch kein Psycho-Killer-Darsteller. - Manche, gerade die von Computerspielen kommenden Einsteiger, versuchen erst einmal alles Diablo-mäßig niederzumachen. Da helfen ein paar Worte, die man mit dem Spieler redet, bis er entdeckt, daß man mit den NSCs auch Spaß mit Gesprächen, mit trickreichem Vorgehen, mit dem Schaffen von Freundschaften und dem Pflegen von Feindschaften hat (Die Reporterin Miss Merritt dürfte vielen meiner Deadlands-Spieler ein Begriff sein. Sie könnte man einfach erschießen - und dafür in den Knast wandern oder gehenkt werden. Es macht aber viel mehr Spaß sie auszutricksen und zu sehen, wie der eigene Plan Erfolg hat.)



Der KERN des im Eingangsbeitrag geschilderten, wenn auch von mir als völlig überzogen ja geradezu verfälschend dargestellten, Problems ist, daß sich die SPIELER für ein Setting UNSTIMMIG verhalten UND daß der SPIELLEITER nicht in der Lage ist die Reaktion des Settings auf dieses Verhalten STIMMIG und PLAUSIBEL zu vermitteln.

Settings, in denen Gewalt - oft ja als SELBSTVERTEIDIGUNG, wie in typischen D&D-like Fantasy-Settings, wo man ständig von irgendwem attackiert wird - an prominenter Stelle vorkommt, kennen AUCH Konsequenzen. - Die Gnade, die man einem Gegner erweist, kann den Spielern irgendwann positiv zugute kommen. Voraussetzung: Der Spielleiter spielt seine NSCs nicht ALLE mit "kämpf bis zum Tode"-Fanatismus, sondern mit einem gesunden Selbsterhaltungstrieb (eventuell gepaart mit Verschlagenheit).

Hier half schon früher bei D&D z.B. das Alignment-System. Wir hatten in AD&D immer einen vom Spielleiter geführten Alignment-Graphen, der die Position des Charakters NACH EINDRUCK DES SPIELLEITERS wiedergab. Und da gab es bei manchen Charakteren böse, genauer: Neutral Böse, Überraschungen. Dann funktionieren bestimmmte magische Gegenstände nicht mehr, dann wird ein SC als "Evil" detektiert, usw. - Das Alignment hat schon früher stark dabei geholfen, daß AD&D eben gerade NICHT zu einer Psycho-Killer-Freak-Show wurde. Aber eben NUR, wenn es vom Spielleiter auch tatsächlich eingesetzt wurde.

Zu den Prinzipien für gutes Spielleiten gehört meiner Erfahrung nach auf alle Fälle, daß man konsequent ist. - Konsequent bedeutet auch, daß man SCs genauso wenig Brutalitäten durchgehen läßt, wie NSCs, die als die Bad Guys daherkommen. Abschlachten von NSCs, "weil, die sind ja Evil", ist - natürlich nach dem WERTEVERSTÄNDNIS des Spielleiters, der ja das Werteverständnis des Pantheons bzw. der Spielwelt darstellt - eben AUCH "Evil" und macht sich bemerkbar.
 
AW: Alles Mörder?!

Aktuell lese ich gerade (mal wieder) Robert E. Howards Sword&Sorcery-Klassiker (Conan, Bran Mak Morn, Kull). Wie ausgesprochen SCHNELL da ein Leben ausgelöscht wird - für mangelnden "Respekt", wegen zivilisierter "Umständlichkeit", usw. - ist für dieses Genre sogar BESTIMMENDER Faktor. - Will man also Sword&Sorcery im Rollenspiel spielen, so wird man sich auf diese hohe Bereitschaft zur Anwendung tödlicher Gewalt einstellen dürfen, wollte man nicht krass von den Genre-Konventionen abweichen.

Wenn wir schon mal beim Fantasy-Urgestein sind...(<<<subliminale Werbebotschaft: Spielt mehr Barbarians of Lemuria! Schwerter! Hexenmeister! Barbaren! Rettungsbedürftige Maiden!>>>)
S&S ist ein rauhes Pflaster, keine Frage...seien es nun die primitiven Affenmenschen aus dem Dschungel, die einen in den Kochtopf stecken möchten, die Steppenbanditen, die einen Überfallen, oder auch nur die fiesen Schwarzmagier, die einem die Freundin klauen, der typische S&S-Protagonist findet sich recht oft am Business-Ende einer potentiell tödlichen Waffe wieder (in Erinnerung an die Dolchsituation von weiter oben: AUA. Klarer Patzer beim "Spielleiten"-Check). Und natürlich müssen sie sich ihrer Haut erwehren.

...so, und nun überlegen wir mal: Wenn ich ein beutegeiler Steppenreiter bin, und nun feststellen muß das mein potentielles Opfer a) bewaffnet ist und b) besser als ich, was mache ich dann? Richtig, mich zum massakriert werden hinten anstellen und höflich warten, bis der Barbar mit dem Abmurksen meiner Kollegen fertig ist ABHAUEN! Die viele SLs vergessen mit schöner Regelmäßigkeit das auch NSCs Motivationen haben, zu denen unter anderem gehört eben nicht vorzeitig von einer Horde gewaltbereiter Killerbarbaren zerhackstückelt zu werden. Zu einem Kampf auf Leben und Tot gehören immer noch zwei Seiten, die nicht gewillt sind aufzuhören. Spiele wie Diablo (und wenn wir ehrlich sind, 99,99% aller CRPGs haben Antagonisten mit Suizidbombermentalität, die dazu noch als Überraschungsschatzpiñata fungieren) haben Kanonenfutter, aber keine glaubwürdigen NSCs. Wenn der SL natürlich seine Antagonisten, vom Oberbösewicht™ bis hin zum Aufwärmmook wie Kanonenfutter spielt, dann werden die Spieler sie auch wie Kanonenfutter behandeln.

(Und wenn die Spieler lange genug von solchen SL-Flachpfeifen indoktriniert worden sind, dann kommt das von BuG angesprochene "Kill them and take their stuff"-RPG zustande. Zugegebenermassen ist es schwierig, Antagonisten nicht als Piñatas zu sehen, wenn diese a) genau in einen 1x1-Yard Standarddungeongang passen (Viva la Evolution! Oder vielleicht doch not-really-intelligent Design?) und b) aussehen wie ein schatzgefüllter Wackelpudding. Himmel, SLA Industries hatte die Carriens, die bei Abgabe des Kopfes gutes Geld brachten, und die Protagonisten des Spiels waren tatsächlich irre Massenmörder.)

Um also human/glaubwürdig agierende Protagonisten zu bekommen, muß tatsächlich erst einmal ein geeigneter Hintergrund vorhanden und auch vom SL konsequent durchgesetzt sein. Der Spieler muß kapieren können, das er hier nicht JWD ist, sonder das eine Gesellschaft mit Spielregeln exisitert, die es ziemlich persönlich nimmt wenn man diese bricht. Es spricht nichts dagegen, einen barbarischen Söldner oder einen Meuchelmörder zu spielen. Es fängt nur dann an, einen komischen Beigeschmack zu kriegen, wenn diese Personen sich selbst in Alltagssituationen nicht an die Regeln der Gesellschaft halten. Auf dem Schlachtfeld einen Gegner umzuhauen ist für die Umgebung normal, ebenso wie einen bezahlten Auftragsmord auszuführen ins Genre passt. Aber auf dem Wochenmarkt einen Händer zu massakrieren, weil man gerade kein Kleingeld zur Hand hatte? Präventativ erst einmal alle Personen denen man begegnet umzulegen? Hier überschreitet man selbst im blutgetränkten S&S-Genre die Grenzen des "normalen" Verhaltens. Wer sich nicht an die Regeln der Gesellschaft hält, wird aus ihr ausgeschlossen - mit allen Konsequenzen, und einem dicken Kopfgeld, und den Sippen der Erschlagenen, die einen Blutzoll fordern.

In der Praxis frage ich meist höflich nach, ob dem Char den die Konsequenzen bewußt sind (Staatsfeind Nummer Eins zu sein tendiert dazu, den ursprünglichen Plot über den Haufen zu werfen). Meistens reicht schon der Hinweist auf die Konsequenzen, um den Personen klar zu machen das dies hier eben nicht Metzelmeuchel 4D ist, sondern der Versuch gemeinsam eine Geschichte zu erleben, in dir der vorgeschlagene Stilbruch nicht passt. Dennoch kommt man manchmal an Spieler, die entweder nie sozialisiert worden sind (und das sage ich als jemand, der sich mit beim Sozialisieren mit anderen Menschen unheimlich schwertut!), oder tatsächlich glauben ein Rollenspiel "gewinnen" zu können. Meistens sind das dann auch soziopathische Teflon-Billies die gar nicht erst versuchen, mit den anderen zu spielen. Whatever. Ich bin schon seit langem der Ansicht das kein Rollenspielen besser ist, als sich mit solchen "erfahrenen Spielern" (Eigenbezeichnung) herumärgern zu müssen.

Wenn ich als Spieler jemanden töte, dann ist das entweder ein Unfall oder ein Statement. Unfälle passieren, Stormtrooper geraten ins Blasterfeuer, TIE-Fighter explodieren. Ebenso reicht bei einigen Antagonisten eine Tracht Prügel oder eine freundschaftliche Drohgebärde nicht aus (Tja, Greedo...leider verloren).
Aber wissentlich mit gezogenem Schwert auf den netten Schlangenkult-Priester zuzugehen mit der Absicht, eine neuen Trinkschale aus seinem Schädel zu basteln? Da muß jemand vorher ordentlich dafür gesorgt haben, das ich ihn hasse. Dieser "Mord" ist dann ein Statement.

(In modernen Settings sieht das ganze etwas anders aus; aber selbst Charaktere wie die Protagonisten aus Dread - TFBOP, welche ausserhalb der eigentlichen "modernen" Gesellschaft leben, müssen sich zumindest nach aussen hin and Gesetze und die Regeln der Strasse halten, wenn sie längerfristig überleben wollen.)

Das "Mörderproblem" ist IMHO ein Resultat aus schlechten Regeln (wenn z.B. eine Schlägerei genauso potentiell tödlich ist wie eine Schiesserei), ungenügend umgesetzter Hintergrundwelt (durch das konsequente Nichtausspielen der "Gesellschaft", in der die Charaktere existieren), flachen Charakteren ohne Bindungen zu irgendjemandem (Billy "Nonstick" Teflon, soziopathischer verwaister Serienmörder), flachen Antagonisten (K. A. Nonenfutter und seine 25 todesfanatischen Klonbrüder ohne Familie und Lebensinhalt) und dem Verstoss gegen grundlegendste Genrekonventionen (unabhängig vom Genre) im Namen der "Effizienz".

Das Rezept dagegen? Spielen. Und zwar unter Beachtung der oben genannten Gesichtspunkte; das Rollenspiel wird eine reichere Erfahrung, wenn man es nicht auf "Killen und Leichenfleddern" beschränkt. Eine, die kein noch so gut gemachtes Computerspiel wiedergeben kann. "Kill them and take their stuff" hingegen klappt digital schon ganz gut...

-Silver
 
AW: Alles Mörder?!

Also rechnest du dich ebenfalls zu den Vertretern der These hier läge ein bereits bestehender "Defekt" des Spielers vor?

Oder kann ein solcher Mangel durch das Spiel "befördert" oder gar "anerzogen" werden?

mfG
thl
 
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