„Shhht, Shhhht.“
machte Melody das allseits bekannte und beruhigende Geräusch. Sie hielt nach einer Decke ausschau, die sie Lara über legen konnte. Für das erste verzichtete sie darauf, die andere Frau zu berühren. Das könnte sie in zusätzliche Panik versetzen und Melody könnte ihr damit auch unabsichtlich weh tun. Das hatte sie nicht vor.
„Ich mache mal etwas mehr Licht an, Lara. Ich muss sehen, wie schwer deine Verletzungen sind.“ Natürlich wollte sich Lara viel lieber verkriechen und wollte Dunkelheit und an nichts denken. Das Licht sollte ihr aber auch ein Stück Normalität und Realität zurück geben, auch wenn insbesondere letztere wohl verflucht schwer zu schlucken war. Es sollte auch symbolisieren, dass Melody niemand bedrohliches war, der sich in den Schatten versteckte. Ja, verdammt, behaltet die Ironie für euch. Jemand, der sie angreifen wollte, würde wohl kaum extra Licht dafür anmachen uns riskieren, dass jemand anderes leichter darauf aufmerksam wurde. Lara würde sich darüber wohl kaum Gedanken machen, aber in ihrem Unterbewusstsein bewirkte es mit ein klein wenig Glück doch etwas. Wenn es ein kleines Licht gab, dass für indirekte Beleuchtung sorgte, würde Melody das anstellen, aber zur Not tat es auch das ganz normale Deckenlicht. War eine Decke greifbar, die sie für den ersten Moment der Verletzten um die Schultern legen konnte? So eine Decke konnte ein psychischer Schutzschild sein und Lara konnte nun wirklich alles an Schutz gebrauchen, was Melody ihr angedeihen lassen konnte.
Melody setzte sich auf den Boden vor die Sitzecke, so dass Lara höchstens den Blick zu ihr wenden musste ohne groß den Kopf zu heben, wenn sie sie sehen wollte. Eine Hand legte sie mit der Handfläche nach oben auf die Couch, so dass Lara sie greifen konnte, wenn sie wollte. Sie fing noch mal von vorne an. Immerhin schluchzte Lara nur und schrie nicht laut um Hilfe, weil eine Fremde in ihre Wohnung eingedrungen war. Das war doch schon mal was.
„Ich bin Sarah, Lara. Dein Großvater Theodorus hatte eine Freundin, die er gebeten hat, ein Auge auf dich zu haben. Sie hat gemerkt, dass etwas nicht stimmt bei dir und deshalb hat sie mich gebeten zu dir zu kommen, weil sie selbst viele Verpflichtungen hat, denen sie nach kommen muss. Sie sorgt sich um dich und sie hat mich gebeten, dich zu schützen. Dein Großvater ist tot, nicht wahr? Du wirst noch nie von ihr gehört haben. Ich soll dir sagen: Auch wenn sich nicht alle seine Ideen durch gesetzt haben, er ist kein Spinner. Wenigstens so was ähnliches hat sie mir gesagt. Ich hoffe, dich erinnert das an was und weckt eine Erinnerungen, die du mit deinem Großvater verbindest? Mir selbst sagt es leider nicht viel.“ Melody hatte die Anlehnung an Mark Twain nicht verstanden, auf die Caitlin sich bezogen hatte, aber bei Lara mochte das etwas anderes sein. Sie mochte den entsprechenden Ausspruch vielleicht von ihrem Großvater kennen.
„Es tut mir leid, dass ich zu spät bin, um dich vor dem zu bewahren, was dir hier passiert ist. Ich habe erst heute von dir erfahren und bin sofort zu dir gekommen. Das Anrufen und das Klingeln war ich. Ich habe mir Sorgen gemacht. Ich musste genauer nach sehen. Caitlin hat mir gesagt, sie fürchtet, dass du einer kriminellen Organisation mit irgend was in die Quere gekommen bist und das sie um deine Sicherheit fürchtet. So wie es hier aussieht, hatte sie wohl recht oder? Dir hat jemand einen Denkzettel verpasst? Es war kein beschissener Ex oder eine Zufallsbekanntschaft? Denn du hast nicht die Polizei gerufen und keinen Krankenwagen. Auch keine andere Hilfe.
Deine Wohnung ist ein halbes Schlachtfeld.
Wenn du unsere Hilfe zu lässt, können wir dich schützen. Ich mag klein und zierlich sein, aber glaube mir, ich weiss, wie ich mit solchen Arschlöchern umspringen muss.
Du bist verletzt. Du musst mich sehen lassen, wie schwer deine Verletzungen sind. Ich habe hier viel zu viel Blut gesehen. Ich werde dich nicht ohne Schutz hier allein lassen, Lara. Du kannst wählen, ob du mir vertrauen möchtest und meine Hilfe annehmen. Wenn du dich dagegen entscheidest, werde ich die Polizei und den Notarzt anrufen. Deine Verletzungen müssen versorgt werden und du brauchst Schutz. Vor den Fragen der Polizei kann ich dich nur bewahren, wenn du dich entscheidest, mir zu vertrauen. Ich kann Dinge wie das hier regeln. Deshalb hat Caitlin mich geschickt. Ich kann dich schützen, Lara.“
Entmündigte Melody Lara gerade ein klitze klein wenig? Aye, aber sicher doch. Aber so war es, wenn man Leute mit einem Trauma, Verletzungen oder ähnlichem vor sich hatte. Am besten bekamen die ganz klare Ansagen über die Dinge, die zu geschehen hatten und das natürlich auch gegebenenfalls gegen deren Willen? Wollte Melody die Polizei oder den Notarzt rufen? Ganz bestimmt nicht. Sie hoffte sogar sehr stark darauf, dass Lara dem ebenfalls sehr abgeneigt war. Dennoch, bevor sie Lara hier allein zurück ließ, waren Polizei und Krankenwagen sicher die bessere Alternative als sie allein in der Wohnung zurück zu lassen. Die Betonung auf 'Schutz' und schützen' und die mehrfache Wiederholung genau dieser Worte kamen auch nicht von ungefähr.