Caitlin betrat den Raum und blieb etwa in der Mitte stehen. Sie lächelte erfreut, als Grimm sie vorstellte und ihr sogleich die Namen der Anwesenden Lehrlinge mitteilte. Die Regentin trug einen dunkelgrauen Anzug mit hellgrauer Bluse. Darüber hatte sie ihren schwarzen Samtmantel geworfen, der am Saum und Kragen mit vielen silbernen Ornamenten bestickt war. Ihre Haare waren bereits zu einem edlen Knoten hochgesteckt und an den Seiten fielen einzelne gelockte, dunkelbraune Strähnen herab. Ab und zu schimmerte es, als wären Diamanten in die Frisur eingearbeitet. Maria hatte für die kürze der Zeit eine Meisterleistung vollbracht.
Die Regentin strahlte eine Ruhe aus, die sich sogleich im Raum auszubreiten schien. Auch wenn sie kein Modeltyp war – wie Herr von Schwarzenberg feststellte, machte ihre Haltung die fehlende Körpergröße wieder wett. Diese Frau war es gewohnt zu befehlen, es lag ihr im Blut und in der Erziehung.
Sie hörte sich geduldig die Vorstellung der Adepten an und warf dem einzelnen ein charmantes Lächeln zu. Dennoch sprach sie noch nicht, sondern lauschte den Ausführungen, bis jeder von ihnen die Chance gehabt hatte, etwas zu sagen.
„Guten Abend und herzlich Willkommen in Finstertal Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise und sind mit Ihrer Unterbringung zufrieden?
Wie Sie sicher bereits mitbekommen haben, wird dieses Gildehaus in den nächsten Wochen in die alten Gemäuer der Finstertaler Burg umziehen, welche zurzeit renoviert und technisch auf den neusten Stand gebracht wird. Mit dem Umzug ist unsere Haushälterin Maria, sowie das Küken Judith (Nachname) betraut, mein Mündel und das neugeschaffene Kind unseres Lords Johardo.
Sie kommen nach Finstertal in den Nachwehen eines Krieges. Erst vor zwei Nächten konnte der Kampf gegen einen uralten, übermächtigen Tzimisken namens Zacharias gewonnen werden, der viele Opfer innerhalb der Bevölkerung gefordert hat, auch Mitglieder unseres Hauses sind spurlos verschwunden.“
Es schmerzte Caitlin davon erzählen zu müssen. Es war ihre erste Regentschaft gewesen und sie war nicht in der Lage gewesen, ihre Leute zu beschützen. Verdammt. Und das sie Anna aus den Kämpfen rausgehalten hatte, hatte diese auch vor den Kopf gestoßen. Daraufhin hatte die Adeptin die Versetzung beantragt.
Die Regentin fing sich allerdings bevor auch nur mehr als ein Schatten über ihr Gesicht huschen konnte und fuhr fort: „Jedenfalls ist die Struktur Finstertals zerrüttet und muss in den kommenden Nächten neu aufgebaut werden. Zu diesem Zweck findet heute Abend ein Empfang in der Kunstakademie statt, um die Interimsführung vorzustellen. Ihre Einladung dazu dürften Sie bereits erhalten haben, wenn ich richtig informiert bin.“
Natürlich zweifelte Caitlin keine Sekunde daran. Dennoch pausierte sie kurz um sich die Reaktion der einzelnen anzuschauen.
„Ich muss Ihnen wohl nicht sagen, dass wir dieses Ereignis nicht als harmloses Geplänkel zur Entspannung wahrnehmen. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie sich unter die Leute mischen, Kontakte knüpfen und versuchen, alles aufzuschnappen, was irgendwie von Belang sein könnte. Der Kampf um die Stadt mag vorbei sein, allerdings befindet sich der Clan Nosferatu in Besitz von etwas, was Haus und Clan zwingend wiederhaben möchte. Ein Mensch namens Ziegelowskie, der für den Clan von unermesslichem Wert ist. Die Gründe dafür nenne ich Ihnen zu einem anderen Zeitpunkt. Für heute Abend ist für Sie alle wichtig zu wissen: Wir müssen den Clan Nosferatu infiltrieren. Finden wir heraus, was für die Kanalratten wertvoll ist, welche Ziele sie verfolgen und welche Verbündeten sie haben. Wir müssen eigene Kontakte knüpfen und Verbündete gewinnen. Also nichts, was heute Abend erledigt wird, aber sehen Sie es als perfekte Möglichkeit, die ersten Schritte in diese Richtung einzuleiten.
Ich kenne Sie nicht und habe Ihre Akte noch nicht studieren können, mit der Ausnahme von ihrer Frau Zimmermann. Bitte geben Sie mir doch eine kurze Zusammenfassung über Ihre Stärken und wie Sie einschätzen, heute Abend erfolgreich sein zu können.“