Eigentlich hatte er ja gar keine so schlechte Laune gehabt, als er heute Nacht seine Füße aus dem Bett geschwungen hatte. Aber inzwischen war er sich nicht mehr sicher, ob er immer noch gute Miene zum bösen Spiel machen sollte.
Die Frau in dem, seiner Meinung nach anzüglichen, recht farbigen Kleid und ihr unscheinbarer Tanzpartner, dessen Anzug selbst für Rudolf als doch recht preiswert ersichtlich war, hatten sein Starren natürlich bemerkt und ihn ebenso natürlich auch gemustert. Diesmal widerstand er der Versuchung mit Hilfe seiner Fähigkeiten zu lauschen, auch wenn von dieser rattenscharfen blonden Archontin weit und breit nichts zu sehen war. Immerhin war sie das letzte Mal auch aus dem Nichts aufgetaucht.
Nebenbei beschäftigte sich ein kleiner Teil seines Verstandes, die berühmt berüchtigte leise Stimme im Hinterkopf, mit zwei ungewöhnlichen Tatsachen: einmal seine ungewohnte Risikobereitschaft und zweimal seine fehlende Panik. Eigentlich hätte er sich nicht hinreißen lassen dürfen. Und noch eigentlicher hätte er sich deswegen schon längst wie ein Eichhörnchen auf Coffein fühlen müssen. Bin ich etwas doch schon so alt?
Er hatte es gerade geschafft wieder die Kontrolle über seine Hals- und Gesichtsmuskulatur (der Begriff dürfte wissenschaftlich nicht korrekt sein, immerhin war sein Körper tot und seine Muskeln spielten, was Beweglichkeit und Kraft anging, keine Rolle mehr – aber wen zur Hölle scherte das schon?) zurückzugewinnen. Seine neu gefundene Gelassenheit schien ihm dabei zu helfen. Allerdings bot sich ihm neben der Papageienfrau gerade auch kein zweiter wirklich interessanter Anblick. Da endete das Lied und das eben noch von ihm beäugte Tanzpaar trennte sich. Und die weibliche Hälfte davon steuerte ihn anschließend zielstrebig an.
Seine kultivierten menschlichen Verhaltensweisen schlugen umgehend an – er richtete den Oberkörper ein wenig auf, legte den Kopf zurück und steckte die Hände in die Hosentaschen (dies aber mehr aus dem Grund weil sie störten wo sie hingen und er keine bessere Verwendung für sie fand). Er brachte seine Gesichtszüge wieder auf Vordermann und versuchte es mit freundlicher Miene zum rätselhaften Spiel.
"Nun, möchten sie auch Tanzen?" fragte sie. "Ich habe ein wenig den Eindruck, sie wissen nicht, wie sie es anfangen sollen.
Aus diesem Grund, werde ich ihnen dabei etwas helfen. Möchten sie mir den nächsten Tanz schenken?"
Sein Lächeln, eigentlich sollte es freundlich neutral aber doch echt (Rezept von einem echten Viersternerhetoriker) wirken, glitt ab ins verwegene. Er merkte es zwar, konnte es aber weder verhindern noch sich einen Reim darauf machen. Aber warum denn nicht? Hier scheint doch echt nichts normal zu sein. Er verneigte sich leicht, was man aber ebensogut als zusätzliche nickende Zustimmung ansehen konnte.
„Oh, ich kann durchaus tanzen und ich bin auch ein wenig geübt darin, wie man es anfängt“, was genau ließ er jetzt mal offen, da würden sie sich schon verstehen, „aber ich schätze ich kann ihnen den nächsten Tanz nicht schenken.“ Seine Stimme klang in seinem inneren Ohr viel zu vergnügt. „Immerhin scheine ich es mit einer Frau zu tun zu haben, die sich nimmt was sie will. Und es ist meiner Erziehung nicht recht, wenn ich dem schwachen Geschlecht einen Wunsch verwehren würde.“
Mit diesen wohlgesetzten freundlichen (und totale durchgeknallten?) Worten bot er ihr den Arm, um sie auf die Tanzfläche zu begleiten.
Jetzt muss sie einfach ebenso geistig angeschlagen sein wie ich! Möglicherweise bin ich ja in Wirklichkeit ein Malkavianer?
In der Folge erwies er sich tatsächlich als sehr geübter Tänzer, der zwar über kein übernormales Geschick besaß, aber dafür auf Jahrzehnte der Erfahrung in so gut wie allen Stilen zurückblicken konnte. Das hatte seinen Anfang in den Jahren seines sterblichen Vergnügens genommen, als er erkannte, dass man als tanzender Mann zwar aus dem Klub der harten Kerle hinausflog, dafür aber besser bei den Frauen landete, oder zumindest ankam. Und in seinen toten Jahren hatte sich immer wieder einmal die Gelegenheit ergeben diese Fähigkeiten zu konservieren, trainieren und zum Vorteil einzusetzen.