Lurkers Analyse der Situation wäre wohl eher gewesen, dass jeder seine Meinung bereits von sich gegeben hatte und deshalb im Augenblick weniger Redebedarf bestand, als das er den optimistischen Blickwinkel seiner Tochter geteilt hätte. Tatsächlich war aber auch das bereits eine Verbesserung, auch wenn der Nosferatu es selber nicht bemerkte. Noch vor kurzem, hätte er wahrscheinlich entweder gar nichts von sich gegeben, oder wäre davon ausgegangen, dass es sich um peinlich berührtes Schweigen handeln würde. Nicht das er sich jetzt für übermäßig geeignet hielte. Vielmehr hatten sich einige Selbstzweifel leise, still und heimlich durch den Hinterausgang geschlichen. Der Rest war, wie so oft bei dem Verborgenem, aus Pragmatismus und Resignation geboren. Er war einfach stehen geblieben, wo alle Anderen einen Schritt nach Hinten gemacht hatten und nun würde er akzeptieren was war und damit arbeiten. Zu verbohrt um aufzugeben, wäre eine gute Beschreibung gewesen.
Das ist tatsächlich eine Variante. Der Kriegsherr der Stadt hat in der Tat dieses Ziel und mit ihm gemeinsam haben wir den Menschen bei uns eingelagert. Sollte es sich als unmöglich herausstellen das Geheimnis um Zieglowski zu lüften, dann wäre seine Vernichtung ein Schlag in das Gesicht der herrschenden Rosenanbeter und gleichzeitig ein Akt der Verbrüderung mit dem möglichem, neuem Herrscher der Stadt, Enio Pareto. Im Augenblick würde kaum jemand in Finstertal einen anderen Herrscher akzeptieren.
Einer der Gründe, warum Clan Nosferatu so nützlich und kooperativ gewesen war. Das sich der grummelige Ex-Sheriff und Kriegsherr tatsächlich als fähiger Anführer entpuppt hatte, mit dem man etwas anfangen konnte, war ein Bonus.
Unabhängig davon werden wir mit jedem Verhandeln, der dies tun möchte. Vornehmlich um Zeit zu schinden, aber wenn ein gutes Angebot dabei herauskommt, werden wir vor keiner Möglichkeit die Augen verschließen. Unser vornehmliches Ziel ist es natürlich das begehrte Wissen zu erlangen, aber das heißt nicht, dass wir irgendeine Alternative außer Acht lassen werden.
All dies waren Dinge, die der alte Grieche vermutlich nicht ausgesprochen hatte, weil sie eigentlich selbstverständlich und Clans Credo waren. Aber es hatte noch niemals so viele Clansmitglieder gleichzeitig in der Stadt gegeben wie im Augenblick. Daher war Kommunikation wahrscheinlich das oberste Gebot. Kurz hob Lurker einen Arm und deutete auf Evangelistos.
Was unser Bruder eben meinte war, dass die Hexer keinen legalen Anspruch, im Sinne unserer Gesellschaft, an Zieglowski haben. Er ist eine Fundsache und wer ihn gefunden hat, darf ihn behalten. Er war, zumindest meines Wissens nach, niemals Eigentum der Tremere, noch der Rosen. Daher gehört er jetzt uns. Wenn sie ihn wollen, kommen sie nicht an uns vorbei. Ein direktes, offensives Vorgehen verbietet sich durch die Traditionen. Sie können nicht einfach los ziehen und gegen uns Krieg führen.
Auch das war nichts weiter als eine Ausschmückung der Worte des Uralten und Lurker kam sich mittlerweile wie ein Übersetzer vor. Allerdings hatte der Ahn sie bislang gewähren lassen und nicht einfach nur Gehorsam bestellt. Es war hoffentlich in seinem Sinne, was er hier tat. Die Vorstellung was Evangelistos mit ihm tun mochte, wenn er sich hier von ihm vorgeführt fühlen sollte, verdrängte er ebenso schnell wieder, wie der Gedanke plötzlich in ihm aufgekeimt war. Wenn er sich erlauben würde in diese Richtung zu denken, hätte ihm das schlagartig den Mund verschlossen. Genau wie seine Tochter war er jetzt einfach zu weit hinaus galoppiert um noch umzukehren. Nun musste er den ganzen, harten Ritt bis zum Ende mitmachen. Lurker ersparte sich die ebenso menschliche, wie für ihn nutzlose Geste schwer zu Schlucken.
In einem habt ihr aber natürlich recht. Die Bluthexer werden alle ihnen möglichen Mittel und Energien aufwenden um Zieglowski zu bekommen. Ich denke ich muss hier niemandem einschärfen bei den Tremeren äußerste Vorsicht walten zu lassen. Sie werden versuchen sich uns einzeln vorzuknöpfen. Lasst euch auf keine Treffen mit ihnen ein, besorgt euch Rückendeckung wenn die Hexer etwas von euch wollen. Trefft euch nur auf neutralem Boden und nur wenn ihr die Umgebung hundertprozentig unter Kontrolle habt. Die Mülldeponie und unser Domäne ist dazu wahrscheinlich am besten geeignet. Noch mehr als sonst gilt, lasst euch nicht von ihnen berühren, schaut ihnen nicht in die Augen und versucht am besten, wenn ihr euch schon mit ihnen treffen wollt, dass sie nicht wissen wo genau ihr euch aufhaltet. Trinkt nur, was ihr selber erjagt habt, sucht euch unterschiedliche Zufluchten und legt euch nach einem Zufallsprinzip zur Ruhe. Desweiteren werden wir nur noch verschlüsselt kommunizieren. Jeder von euch hat während seiner Erziehung diverse Methoden mit auf den Weg bekommen Clansinterne Nachrichten zu erstellen. Ich will von niemandem mehr Klartext Nachrichten sehen, es sei denn wir treffen uns, oder einer von uns überbringt die Nachricht persönlich. Wir haben genug geheime Briefkästen. Nutzt menschliche Boten, Tageszeitungen, Werbung der Menschen, das übliche. Ich will niemanden mehr an einem verdammtem Telefon einen Plausch halten hören, ich hoffe das ist klar?
Es war das erste Mal an diesem Abend das der Nosferatu seine Stimmlage von Eindringlich zu einer schärferen Gangart wechselte. Es gab genug ihresgleichen in der Stadt, die munter alle möglichen Informationen, sogar Verabredungen zu Treffen samt Uhrzeit und Ort, völlig belämmert durch den Äther bliesen. Wenn er einen Nosferatu dabei erwischen würde, konnte man eine Seite an Lurker kennenlernen, die die meisten sich sicher nicht wünschten.
Telefone waren schon übel genug, wenn man damit mit Menschen oder anderen Vampiren sprach. Innerhalb des Clans waren sie nur für den absoluten Notfall geeignet. Gewöhnliche Geräte funktionierten ohnehin nicht in der Tiefe unter der Stadt.
Nachdem er kurz in die Runde geschaut hatte, um sicher zu gehen dass sich alle bewusst waren was zu tun war, fuhr er wieder im milderen Tonfall fort.
Passt gut auf euch und eure Geschwister auf. Solange diese Geschichte andauert liegen wir in einer ernsten Fehde mit den Hexern, aber wir wissen ja, dass es nur eine Fraktion gibt, mit der man sich weniger gerne anlegt als mit einer Horde Hexer...
Nun teilten sich die zerfurchten Lippen zu einem viel zu breitem, gelb-bräunlichem, zerklüftetem Grinsen.
..und das sind glücklicherweise wir. Gemeinsam haben wir nichts zu fürchten. Wahrscheinlich sind die verdammten Bluthexer jetzt schon dabei sich gegenseitig zu zerfleischen und zu überlegen wie sie sich den Orden, den sie sich erhoffen, selber an die Brust heften können und die ihre Helfer übervorteilen können. Besonders die McKinney steht mitten in der Schusslinie zwischen uns, der Stadt, denn niemand in Finstertal ist auf den hohen Lord Johardo wohl noch sonderlich gut zu sprechen, und ihren eigenen Vorgesetzten.
Ironischerweise war es eben jede Regentin, die er vor ihrem eigenem Clan würde schützen müssen. Aber das war eine Angelegenheit um die er sich selber kümmern musste. Er würde mit Pareto sprechen müssen. Gemeinsam hatten sie schon einmal einen riesigen Bluff gestartet um Martin Zieglowski zu knacken. Lurker hatte selber nur eine äußerst diffuse Vorstellung davon was für eine Nummer sie würden abziehen müssen um Caitlins Kopf aus der Schlinge zu ziehen, an dessen anderem Ende ihr eigenes Blut stand, aber wenn es jemanden gab mit dem er etwas deichseln konnte, dann der Spaghetti.
Auf dem heutigem Ball werden sie versuchen sich an uns heran zu machen. Selbstverständlich werden sie zu spät erkennen, dass es gerade dieses Vorgehen ist, dass uns die meisten Informationen über unsere Gegner geben wird. Wir brauchen ihnen vermutlich gar nicht großartig hinterher zu spionieren. Lasst sie einfach kommen. Seht zu, dass ihr keinen Kontakt zu euren Verbündeten meidet oder forciert. Wählt eure Gesprächspartner so zufällig und passend wie möglich. Wenn ihr jemandem aus dem Weg geht, um ihn zu schützen, werden die Hexer das merken. Gebt ihnen lieber zu viele Zielscheiben, als das ihr versucht eine zu verbergen. Bekommt heraus was immer ihr auch könnt.
Er konnte sich nicht erinnern, dass er auf irgendeinem Clans Treffen jemals derartig viel zu sagen gehabt hätte. Sicherlich hätte niemand in der Stadt, der nicht zu den Kanalratten gehörte, jemals geglaubt, dass dies derselbe Verborgene war, der sonst höchstens mal zu einem ätzendem Kommentar die Zähne auseinander bekam.
Zusätzlich zu dem Rätsel um das vermeintlich Bild und Zieglowski gibt es noch ein Überbleibsel des Tzimisce Hexers Zacharri. Unter dem Schrottplatz der Stadt gibt es etwas das als sein 'Heiligtum' bezeichnet wurde. Einige Fleischformer legen regelrechte Kapellen, geschmückt mit lebenden Körpern, bei denen sie Innerstes nach Außen kehren, als Unterkünfte für sich an. Möglich das es dort so etwas gibt, oder noch etwas ganz anderes. Wir müssen irgendwie dort hinunter. Ganz sicher ist es dort mehr als nur gefährlich. Macht keine Alleingänge. Hat noch jemand eine Frage, oder etwas zu sagen?
Zugegeben, der Nosferatu hatte sich ein wenig in Rage gebracht. Es war einfach wundervoll nach so vielen Nächten wieder klar denken zu können, ohne das es sich anfühlte als müsse sich jeder Gedanke durch zähen Sirup kämpfen. Tief in seinem Innersten hörte er immer noch das leise Echo einer Stimme, die ihn daran erinnerte, dass weder Reißer, noch Marie oder ein anderer hier waren, aber er konnte es sich im Augenblick nicht leisten ihr zu zuhören. Er war im Augenblick verantwortlich wie es schien. Kurz fiel sein Blick zu Evangelistos. Immerhin war er nicht alleine. Mit Hilfe des Clans würde ihnen einfach alles gelingen.