AW: [10.5.2008] Ceterum censeo Baro tè Zloduch esse delendam
Für einige, nervenzehrende, Sekunden lag nichts als gespanntes Warten in der Luft. Er starrte so konzentriert auf den zu Boden gegangenen Feind, das er beinahe selber dachte, seine Augen müssten anfangen zu tränen. Es verging ein gerüttelt Maß an Augenblicken, aber es geschah nichts weiter. Nichts erhob sich aus den zerschlagenen Überresten, kein weiterer Angriff, alles blieb ruhig. Dumm nur das diese Ruhe beinahe genauso aufreibend war, wie das Warten. Lurkers fiebrige Nerven wollten einfach nicht aufhören zu brennen. Als sie dann ein gutes Stück über den Zeitpunkt hinaus waren, in dem noch eine Reaktion zu erwarten war, löste sich die Regentin von ihm und machte einen Schritt zurück, in die Welt des seh und hörbaren. Seine Mitstreiter begannen sich zu unterhalten und zu prüfen wer wie schwer verletzt war und was sich außerhalb dieses Raumes zugetragen hatte. Nur der Nosferatu blieb mucksmäuschen still dort stehen wo er war, sorgte instinktiv dafür, dass niemand in seine Richtung sah, oder immer dann plötzlich etwas interessanteres zum hinsehen fand, wenn ein Blick auf ihn gefallen wäre.
Er war noch nicht überzeugt von dieser Sache. Ignatzius Chezmoi wäre sicherlich mit Freuden bereit gewesen ihm auf der Stelle eine ausgewachsene Paranoia zu attestieren. Möglich das er mittlerweile einfach nur noch komplett durchgedreht war. Wenn man nur lange genug in beständiger Angst lebte, zerbrach man irgendwann.
So ging Lurker wieder zurück in die Hocke und begann mit seinen Händen bedächtig den Boden abzutasten. Nicht weil er glaubte irgendetwas zu finden, eher weil er etwas brauchte womit sich seine Hände beschäftigen konnten, während er nachdachte und weil er etwas festhalten wollte. Möglich dass auch seine Instinkte dabei mitspielten, die nicht so recht glauben wollten, was Sinne und Verstand ihnen meldeten, und die nun einen Ausweg suchten.
Der Nosferatu wandte seine Aufmerksamkeit nach Innen, wo er, wie auf einem Tisch ausgebreitet, Bilder, Ideen und Gehörtes abging und versuchte die Zusammenhänge zu erkennen. Alle Dinge waren miteinander verbunden. Ein feines, durchschimmerndes Netz aus Zusammenhängen lag über allen Dingen und Lurker musste es nur abgehen und hier und dort an einem Strang ziehen, um zu beobachten wie sich das Gesamtkonstrukt bewegte. Wenn man ein Teil an seinem richtigem Platz hatte, ergab sich das Nächste fast von selber. Er war so konzentriert, dass er sich noch nicht einmal darüber aufregen wollte, dass Meyye im Raum war. Ihre Anwesenheit war nur ein weiterer Fakt.
Lurker hasste es, wenn etwas nicht ins Bild passen wollte. Dinge die nicht in das logische Gefüge passten und an denen man immer wieder aneckte waren ihm zuwider. Sein Blick fiel auf die stinkende Pfütze, die Reste von Laura Rabe enthielten. Er sah sie an und das erste mal sah er wirklich Laura Rabe. Davor war sie nur ein Guhl hinter einem Schreibtisch und später nur das Anhängsel der Noir gewesen, das den Mantel hinter der Seneschall her trug. Zum Schluss war sie der Feind, aber irgendwann einmal, war sie Laura Rabe. Er legte den Kopf leicht schräg und aus der seltsamen Distanz heraus, beobachtete er sich selber und fragte sich, warum der Nosferatu ausgerechnet jetzt, in so einem völlig unpassendem Moment, an so etwas dachte. Bemerkenswert, wie so eine Ratio funktionierte. Aber es war nicht der Ausdruck in Lauras Gesicht, oder der erkaltete Funken in ihren Augen, die er bemerkte. Lurker selber mochte für einen sentimentalen Augenblick plötzlich am Schicksal der Kleinen teilgenommen haben, aber das abstraktere etwas in ihm, der Teil der so merkwürdig losgelöst von seinen Gefühlen und seinem Ich über allem schwebte, bemerkte die Pfütze.
Er hatte so etwas schon einmal gesehen. In einer Höhle, unterhalb der Stadt, bei der Ruine an der sie gegen die Werwölfe gekämpft hatten und wo ihr Erkundungstrupp plötzlich in Zachariis Scheinwelt gefangen war. Einer nach dem Anderem war dort vernichtet worden. Lurker hatte dem endgültigem Ende aller seiner Begleiter beigewohnt, denn er war als letzter an die Reihe gekommen. Auch wenn nur ihre Ikonen in einer Scheinwelt ihre Existenz verloren hatten, war es in jenem Augenblick so real gewesen, als passierte es wirklich. Dort unten, in der vorgegaukelten Welt des Koldunen, waren die Abbilder der Anderen auch zu stinkenden Pfützen zerschmolzen.
Er hatte dem damals keine Beachtung geschenkt. Es war nur ein absurdes Detail in einem Traum. Wenn man träumte, dann geschahen oft unmögliche, unlogische und abstruse Dinge, die einem aber in diesem Moment als völlig einleuchtend und normal erschienen. Es war ein wenig, als stände einem der Verstand, der wie ein kleiner, aufsässiger Hund los keifte, wenn ihm etwas nicht passen wollte, im Traum nicht mehr im Weg war und man plötzlich die nötige, geistige Freiheit hatte die Dinge so zu sehen wie sie waren, sein konnten und vielleicht irgendwo anders auch sein mochten.
Wenn wir träumen..sind wir alle Kinder des Mondes.
Fast glaubte er die Stimme des alten Malkavianers hören zu können. Vielleicht weil der Nosferatu glaubte, dass dem Alten diese Idee gefallen hätte. Er warf einen Blick auf seine Verbündeten. Nur kurz spürte er das milde Lächeln der sarkastischen, kleinen Stimme in seinem Kopf, als er die hier versammelten Untoten tatsächlich für sich so betitelte. Verbündete. Aber es war jetzt keine Zeit sich selbst aus zu lachen für solchen rührseligen Unsinn.
Der Prozess in dem der Leichnam zerfloss trug die Anzeichen von Zachariis Alptraum und es schien, dass die Anderen ihn akzeptierten, aber er hatte genug von diesem Mummenschanz. Er hätte sich zurückziehen und in eine Ecke des Raumes drücken können für das, was er nun vor hatte, aber das würde bedeuten, dass er anerkannte, dass es einen Raum und eine Ecke gab. Er glaubte aber nicht, dass er wirklich in diesem Raum war, daher war es völlig egal wohin er sich stellte. Es war sogar egal ob er stand, hockte oder herumlag, es war nicht real. Lurker schloss seine nicht existierenden Augen. Eigentlich war es unnötig, aber die Geste half ihm dabei sich innerlich weiter zu verhärten.
Er lehnte ab, was seine Augen sahen. Den Raum, den Sheriff, die Lady Noir die wie friedlich auf dem Boden lag, er lehnte ab, was er zu sehen glaubte, denn es war nicht real.
Er legte seine unwirklichen Hände dorthin wo man ihn glauben machen wollte, dass seine Ohren waren, um deutlich zu machen, dass er nicht länger glaubte, was er dort hörte. Man versuchte ihm vorzugaukeln, dass er das leise Schmatzen der vergehenden Laura Rabe hörte und das Gemurmel der Anderen, aber er glaubte nicht länger, das er überhaupt etwas hörte. Es war nicht real.
Er verschloss sich vor dem Geruch des alten Holzes und des Staubes um ihn herum. Er roch nicht die Aufregung der anderen Raubtiere, die nicht hier waren, weil es kein hier gab. Es war nicht real.
Er glaubte nicht mehr an den feinen Dunst von Blut, den er in der Luft schmeckte und er glaubte nicht mehr an die Angst, die sich wie ein Hauch von Metall, in seinem Mund niederschlagen wollte. Es war nicht real.
Er leugnete den Boden den er unter seinen Füßen spürte und sogar die vertraute Schwere seiner Kleidung wollte er nicht mehr glauben. Seine nicht existierende Haut mochte ihm melden, dass er etwas spürte, aber da es sie hier nicht wirklich gab, beachtete er sie nicht weiter. Es war nicht real.
Der Nosferatu ging erneut in sich und lehnte alles ab, was er von Außen angeboten bekommen sollte. Dort draußen gab es nichts für ihn, nur die unsichtbaren Gitterstäbe seines eigenen Verstandes. Wer oder was auch immer dort draußen herrschte, konnte dort draußen alles erschaffen, alles sein und Gott gleich über alles bestimmen, aber wenn er beschloss das er an nichts davon teilnehmen würde und wenn er nur bei sich selbst war, dann hatte es keine Macht über ihn. Lurker wandte sich ab von allem und suchte in der Dunkelheit einen Zipfel der Realität aus der er eigentlich kam.