AW: [08.05.2008] Abendspaziergang
Moishe sinnierte über Marta´s Worte und dachte nach worüber er sprechen sollte, wollte und vor allem durfte. Aber er wollte Marta auch mit seiner Antwort nicht vor den Kopf stossen.
"Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, aber über meine jüngeren Aktivitäten kann und darf ich aus Gründen der Clanpolitik nicht sprechen. Ich bin seitdem ich den Kuss erhalten habe viel im Auftrag eines einflussreichen Kainskindes gereist. Das muss zu diesem Thema genügen."
Er blickte Marta weiterhin versonnen an und fuhr schließlich fort.
"Meine Zeit vor dem Kuss war durch die Zeitumstände nicht viel besser. Als meine Familie Ende der 30er Jahre aus Frankfurt deportiert werden sollte, versuchte ich meine Familie zu überreden sich zu verstecken. Aber mein Vater war ein Rebbe der Frankfurter Gemeinde und wollte seine Schäflein nicht alleine lassen. Ich zerstritt mich mit ihm, sagte ihm ungeheuerliche Dinge, nannte ihn einen Narren der meinen Geschwistern und meiner Mutter nur Unglück bringen würde und auch einen Feigling. Ich verfluchte ihn bevor ich ging und sah das ich ihm das Herz brach - aber es half nichts. Am nächsten Vormittag sah ich zu wie meine Familie von den Nazis abgeholt wurde. Ich habe keinen von ihnen je wiedergesehen. nach dem Krieg fand ich die Namen meiner Familie auf den Todeslisten die das Rote Kreuz herausgab."
Er blickte in die Ferne, als könnte er am Rande seines Blickfeldes die Dinge erspähen, die er gerade beschrieben hatte. Seine Stimme war ruhig, fast tonlos, bar jeder Leidenschaft.
"Während den weiteren Kriegsjahren versteckte ich mich vor den Braunhemden, Polizisten, Blockwarten und Hitlerjungen in Frankfurt, im nahegelegenen Umland, in Gebüschen, unter Bergen von Unrat auf Müllhalden, wenn ich Glück hatte in einer Gartenlaube oder in einem unvorsichtigerweise unverschlossenen Vorratskeller. Ich ernährte mich von allem was ich stehlen konnte und Weggeworfenem. Mit den Bomben wurde es besser. Es wurden so viele obdachlos das ein einzelner elternloser Junge nicht zu sehr auffiel. So überlebte ich bis zum Kriegsende und schlug mich zu den Alliierten durch."
Moishe schien einige Dinge noch einmal zu durchleben aus diesen Tagen, aber er fuhr schließlich, nach einer Pause, emotionslos wie zuvor fort.
"Nach dem Krieg hörte ich von einigen Überlebenden der Lager, dass sie zurück ins Gelobte Land gehen würden, hörte davon das mein Volk nach Hause gehen würde, in das Land, das Gott Abraham und den 12 Stämmen versprochen hatte - ich folgte dem Strom der Flüchtlinge und erreichte schließlich Israel - auch wenn es damals noch nicht so hiess."
Wieder schien der Blick des Ventrue in die Ferne zu schweifen, die über den Himmel jagenden Wolken ins Auge zufassen, als erwarte er jeden Moment hinter den Wolken die goldene Kuppel des Felsendoms aufragen zu sehen.
"Nun, man stelle sich vor, auch in dieser Wüste waren wir nicht willkommen, begegneten die ansässigen Araber uns mit Hass und Verachtung und die englische Besatzungsmacht empfand uns nur wieder als Belastung. Aber das Schlimmste war das die jüdischen Einwanderer wieder in Lager und hinter Stacheldrahtverhaue eingepfercht wurden. Meine entkkräfteten Brüder und Schwestern starben zu Hunderten an Krankheiten, Unterernährung und Erschöpfung. Schließlich lief ich während einer Verlegung in ein anderes Lager davon. Ich schlug mich zu denen von uns durch die lieber mit der Waffe in der Hand sterben wollten, als sich noch einmal kampflos in ihr Schicksal zu ergeben. Die Hälfte der Rekruten der Haggana war nicht Volljährig, nur jeder Fünfte hatte eine Waffe. Wir kämpften damals in den Bergen, spionierten Artelleriestellungen der Araber aus und nahmen diese hoch. Ich war dabei bald für die Aufklärung zuständig. Einmal wollte ein Major das ich für ihn einen schriftlichen Bericht über unsere Aufklärungsmission verfasste. Kurz danach kam ein Mann zu uns befahl mich nach Tel Aviv - immer noch war der Staat Israel nur in unseren Träumen existent.
Man brachte mich in ein Büro in der Stadt und ein älterer Herr sagte mir man sei dabei einen Nachrichtendienst aufzubauen. Man benötige dafür Männer die Recherchen durchführen könnte und Berichte und Nachrichten analysieren und beurteilen sollten. Also ging ich zum Mossad. Mit den Jahren stieg ich zum Sektionsleiter auf, ich war immer noch für die Analysen zuständig, machte aber auch schmutzigere Arbeiten.
Ende der 50er Jahre wurde ich als Sektionschef für Deutschland nach Bonn versetzt. Offiziell war ich dort Kulturattache´. Eines Nachts holte mich jemand in den Clan. Einer seiner Ahnen brauchte jemand der für ihn Daten erhob und analysierte. Seit damals tue ich das für die Ventrue und meinen Mentor."
Moishe schwieg wieder einen Augenblick. Schließlich gab er sich wieder einen Ruck und fuhr fort: " In jener Nacht holte mich der Fluch den ich gegen meinen Vater ausgestossen hatte ein. Ich gehöre nicht mehr zur Gemeinschaft meines Volkes, ich bin von Jehova verstossen - ich bin ein Untoter - statt der Nachkomme eines Rabbiners stehe ich in der Tradition des von Gott verfluchten Kain."
Die letzte Aussage war wie eine Beichte, nur das Marta ihm keine Absolution geben konnte - und der Gott des alten Bundes war kein gnädiger, weinerlicher Gott wie der Christliche - wenn er zürnte vergab er nicht - er strafte.