AW: [07.05.2008] Im Kneipenviertel
„Behaupten kann man viel, würde der Sheriff wohl zu deinem letzten Satz sagen.“
Schön, wenn es stimmte, was Steven sagte.
Bin ich jetzt etwa auch schon paranoid??
Im Zweifel gegen den Angeklagten? Das musste jetzt doch wohl nicht sein, Lilly wollte doch jetzt nicht genauso sein wie der Sheriff, für den jeder Neuankömmling quasi erstmal auf der Anklagebank saß und beweisen musste, dass er kein Spion war.
Sie nahm jetzt erstmal an, dass Steven O.K. war, und würde eben dennoch vorsichtig sein, und wenn sich dann herausstellte ihr Bauchgefühl war falsch gewesen, dann sollte sie wohl noch vorsichtiger sein.
Aber bei jemandem wie der Gräfin war ihr Bauchgefühl bestimmt nicht falsch. Da war doch gleich klar, dass die total hinterhältig war. Steven wirkte absolut nicht als wäre er von dieser Art. Aber da konnte man sich natürlich täuschen.
Aber bloß jetzt nicht paranoid werden!
Na ja, unter den Gangrel gab´s nun wirklich normalerweise selten heuchlerische Schauspieler, bei den Toreador dagegen war es ein Wunder wenn einer von denen kein solcher war.
Aber woher wusste Ramon eigentlich, dass der Sheriff jeden Neuen für einen potentiellen Spion hielt, hatte Enio das auch Ramon ganz offen gesagt? Sie hatte es ihm nicht gesagt, oder doch? So ganz sicher war sie da nicht mehr. O.K., sie hatten über die Sicherheitsmaßnahmen gefeixt, die ihnen etwas übertrieben vorgekommen waren.
Als sie bei der Versammlung nicht einmal kurz rausgehen konnten um was aus dem Auto zu holen. Denn sie hätten ja abhauen können theoretisch.
„Es hat hier wohl schon mal Sabbatspione gegeben, mehrere gleichzeitig, die haben dann fleißig spioniert und total viel Zerstörung angerichtet in der Stadt.
Wenn man solche Erfahrungen gemacht hat, da kann ich´s schon verstehen, dass Enio dadurch ziemlich misstrauisch geworden ist.“
Es war dennoch nicht sehr angenehm vom eigenen Primogen mit derart viel Misstrauen bedacht zu werden. Und dass sie sich erstmal auf den Kopf hatte stellen müssen bevor er ihr gnädigerweise erlaubt hatte im Kampf gegen die Werwölfe ihr Unleben zu riskieren.
Also nee! Wie verquer war das eigentlich, wenn man sich einen Arm und ein Bein ausreißen musste um an einem Himmelfahrtskommando teilnehmen zu können? Hatte Lilly das wirklich nötig gehabt? Das war wohl ihr Stolz gewesen, der sie dazu getrieben hatte. Als Brujah sollte man doch bei so einer Schlacht nicht fehlen, nicht wahr?
Doch wie sehr Lilly das Misstrauen von Enio frustete, das hatte sie weder Ramon noch Malik offen gesagt. Wäre es nicht eine Art von Hintergehen gewesen so schlecht über Enio zu reden? Irgendwie schon. Und im Grunde hinterging sie ihn schon genug, indem sie sich heimlich mit Malik zusammentat während sie genau wusste, dass Enio von ihm nicht viel hielt und es wahrscheinlich als Verrat sehen würde. Dabei tat sie es doch nicht weil sie Enio was wollte. Und er konnte ihr doch nicht vorschreiben wen sie mögen durfte und wen nicht.
Aber so eine Heimlichtuerei war einfach nur ätzend, zu dumm wenn einem manchmal nichts anderes übrig blieb. Weil die meisten Blutsauger eben jede „Schwäche“ ausnutzten musste man da etwas vorsichtig sein. Und jemanden zu mögen war eben unter Blutsaugern nun mal eine Schwäche, umso mehr, je mehr einem diese Person bedeutete. Aber so absolut viel bedeutete ihr Malik doch nicht, wozu also sich allzu sehr den Kopf darüber zerbrechen.
Nein, man konnte anderen nicht alles über sich selbst sagen. Aber das was Lilly sagte, das sollte aufrichtig sein, so hielt sie es nun mal. Und so war es meistens nicht nötig zu lügen, sie musste eben nur einiges verschweigen.
„Ich finde Offenheit auch gut. Aber Offenheit ist natürlich auch immer ein Risiko. Wenn man an den Falschen gerät kann der das ausnutzen, tja. Schon blöd, dass man immer eine gewisse Vorsicht walten lassen muss. Wir sind eben alle Raubtiere. Aber einige sind schlimmer als andere. Es gibt überall solche und solche, auch unter Menschen.“
Es wäre aber schön jemandem wirklich vertrauen zu können. Die Sehnsucht danach war irgendwie immer noch da. Obwohl man ja leider nur so selten jemanden traf wo das Vertrauen dann wuchs und nicht gebrochen wurde.
Schön, wenn man gute Kumpel sein konnte, aber darüber hinaus ging es leider meistens nicht. Echte Freundschaft unter Kainskindern war eben eine totale Seltenheit. Leider. Aber es gab sie, Lilly existierte schon lange genug um es mehrmals erlebt zu haben.
Und auch wenn sie sich in Asgar getäuscht hatte und er ihr Vertrauen mit Füßen getreten hatte, sollte Lilly jetzt deswegen jedem anderen gegenüber total misstrauisch sein? Und damit jegliches positive Potenzial im Keim ersticken? Sie wollte doch wohl nicht werden wie der Sheriff. Der jeden Fremden erstmal als potentiellen Feind betrachtete.
Das war vielleicht pragmatisch, irgendwie, besonders in diesen Zeiten, aber es musste auch anders gehen, zumindest wenn man auf jemanden traf, der einen sympathisch war. So sah Lilly das jedenfalls.
Wozu also sollte sie jetzt erstmal alles anzweifeln was Steven von sich gab?
Klüger wäre es wohl, besonders nach der Sache mit Asgar.
Es war so ein Scheiß-Gefühl von jemandem im übertragendem Sinne in den Arsch getreten zu werden, dem man die Hand gereicht hatte. Und genau das hatte Asgar gemacht. Aber sowas passierte eben. Das war für Lilly aber erst recht kein Grund es selbst genauso zu machen. Sie hatte das nie getan, sie hatte noch keinen Kumpel oder Freund im Stich gelassen, übers Ohr gehauen oder auf andere Art schlecht behandelt. Ansonsten könnte sie sich ja nicht mehr im Spiegel in die Augen sehen.