Rezension WIR

Hannibal

konservativer Traumtänzer
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WIR


Jewgenij Samjatin


So ich hatte ja mal angekündigt eine Rezension über das Buch WIR von Samjatin zu schreiben, also mach ich das mal.

Der Titel des Buches ist WIR und es wurde von dem Russen Jewgenij Samjatin erstmals im Jahre 1920 geschrieben. Samjatin war Literat und Ingenieur zugleich. Außerdem war er maßgeblich an der kommunistischen Revolution beteiligt. Vermutlich als er von den Folgen der Revolution enttäuscht war, schrieb er den Roman WIR den er nicht in der Sowjetunion sondern zuerst in Großbritannien veröffentlichte. Nach einer gekürzten Veröffentlichung in der Sowjetunion wurde er diffamiert und verfolgt. Dennoch gelang es Samjatin durch einen offenen Bittbrief an Stalin seine Hinrichtung durch eine Verbannung zu ersetzen. Der Schriftsteller starb 1937 in Paris.

Nun zum Buch

Worum geht es in dem Roman? Er ist eine Disutopie und (im Deutschen) ca. 200 Seiten dick. Erschienen vor Huxliys Brave New World (1932) und von Orwells 1984 (1948 ) beschreibt der Roman eine völlig durchtechnisierte, durchgenormte Welt in der die Vernunft und das Nützlichkeitsstreben die Bürger des einzigen Staates beherrscht. Der Roman ist in 40 Eintragungen unterteilt die eine Art Tagebucheintragungen des Protagonisten sind. Der Hauptcharakter D-503 (die Menschen haben keine Namen mehr sondern Nummern) beschließt, da bald das erste Raumschiff, die Integral fertig gebaut wird, eine Beschreibung der überlegenen Lebensweise des einzigen Staates zu verfassen um anderen Lebensformen das mathematisch fehlerfreie Glück näherzubringen.

Diese Eintragungen wandeln sich aber immer mehr in eine Erzählung um, umso weiter die Geschichte schreitet. D-503 ist Ingenieur, er ist der Konstrukteur der Integral. Seine Beschreibungen sind in sehr mathematischer Sprache abgefasst, aber sie sind dennoch manchmal fast poetisch.

Schwer vorstellbar? Vielleicht hilft ein Beispiel.

Es bedarf wohl keiner Erklärung, dass Glück und Neid Zähler und Nenner jenes Bruches sind, den wir Zufriedenheit nennen. […]

So gibt es nun keinen Grund mehr zum Neid, denn der Nenner des Bruches Zufriedenheit ist Null geworden – und der Bruch wird zur großartigen Unendlichkeit. Das was bei unseren Vorfahren eine Quelle unzähliger, sinnloser Tragödien war, haben wir zu einer angenehmen nützlichen Funktion gemacht, ebenso wie die Nahrungsaufnahme, die Verdauung und alles übrige. Darin zeigt sich wie die große Kraft der Logik alles reinigt, was sie berührt.

Es kommt, wie es kommen muss, D-503, der vom einzigen Staat vollkommen überzeugt ist, wird durch eine Frau (I-133) aus dem Gleichgewicht gebracht. Bei ihm entwickeln sich Gefühle und er wird krank, bei ihm bildet sich etwas unheilbares, eine Seele.

Nun ist er ständig im Konflikt da er nicht mehr weiß was richtig und gut ist. Er ist nun unbändig in I-133 verliebt und möchte jeden ihrer Wünsche erfüllen, ist aber immer noch ein Mitglied des Staates den er beschützen will. I-133 aber plant mit anderen den Untergang des einzigen Staates, eine Revolution. Mehr von der Geschichte möchte ich aber nicht verraten.

Wer auf Realismus wert legt, könnte von dem Buch enttäuscht werden. Denn die Logik beherrscht die Menschen soweit, das uns vieles ungewöhnlich erscheint. Es gibt Mutternormen und Wohnkuben (die duchsichtig sind). Die Anzahl der Kaubewegungen beim vorgeschrieben Essen sind genauso festgelegt wie die Schlafens-, und Arbeitszeiten, sowie die Fortpflanzung. In den 2 Stunden Freizeit in der Tagesformel (die restlichen 22 Stunden des Tages sind genau verplant) marschieren die Menschen im Gleichschritt durch die Stadt zur Hymne des einzigen Staates. Aus Menschen wird die Phantasie, mithilfe der Chirurgie rausoperiert. Beschützer bewachen die Bürger auf Schritt und Tritt und der Diktator, der sich Wohltäter nennt wird jedes Jahr bei einer offenen Wahl mit einer Wahlbeteiligung von 100% mit 100% der Stimmen wiedergewählt.

Ich finde das Buch sehr gut und gehört mit Der Herr der Ringe und Fahrenheit 451 zu meinen Lieblingsbüchern. Meiner Meinung ist WIR spannender und auch genialer als 1984. Es gibt sogar viele Parallelen zwischen beiden Büchern. Da WIR zuerst erschienen ist könnte man darauf schließen dass Orwell etwas von WIR hat inspirieren lassen. Komischerweise ist 1984 bekannter als WIR, was wohl daran liegt, dass es einfacher ist, eine bekannte Bedrohung sich zu versinnbildlichen, wie der Kommunismus (in 1984) als die Gefahren der Vertechnisierung und der Gewaltherrschaft der Vernunft und Logik (Themen aus WIR)

Mich würde interessieren, wie jemand anderes, der das Buch (oder besser beide Bücher) gelesen hat, dazu steht?Den Artikel im Blog lesen
 
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