AW: Wie setzt Savage Worlds "Klassen" um?
Zornhau (und alle), was ist damit:
Militärische Mindestanforderungen für bestimmte Waffengattungen
Sowas suchte ich.
Gut umgesetzt oder nicht?
In Necropolis und Weird Wars II ist das GUT umgesetzt.
Aber: Das sind nur Voraussetzungen, die bei der Charakter-ERSCHAFFUNG zur Anwendung kommen.
Und diese Voraussetzungen stellen KEINE "Klassenzugehörigkeit" im Regeltechniksinne dar, sondern erlauben rein IN-GAME eine Zugehörigkeit zu bestimmten IN-GAME-Organisationseinheiten.
Ein Kämpfer in D&D gehört der Klasse "Kämpfer" an und hat (je nach D&D-Version) gewisse Mindestvoraussetzungen. Aber IN-GAME kann er Bogenschütze, Kavallerist, Schwere Infanterie, duellierender Glücksritter, Schlägertyp der Marke "Mafia-Hitman", Gladiator, Stammeskrieger sein. - Die IN-GAME-Zugehörigkeit ist (in den meisten älteren D&D-Versionen) KEINE Funktion der Regelelement-Zuordnung "Klasse: Kämpfer".
Warum gibt es gerade bei den militärischen Settings diese Voraussetzungen eben NICHT als die üblichen Experten-Talente wie Gelehrter, Ermittler, Dieb usw.? - Diese stellen ja auch eine Art "Experte" dar, aber man MUSS dafür ein Talent erwerben, um dieser - auch IN-GAME relevant! - LANGE Zeit ausgebildete Experte zu sein bzw. zu werden.
Das ist bei militärischen Settings nicht über Talente gelöst, weil sonst JEDER Charakter sozusagen sein Freies Talent für seinen "Beruf", seine "Waffengattungszugehörigkeit" in Talentform opfern müßte.
In Settings, in denen "zivile" Charakterkonzept und solche formalisierteren Experten-Konzepte GEMEINSAM vorkommen, da ist es wie üblich als Talent gelöst. Beispiel: Die Hearth Knights oder die Knights Hrafn in Hellfrost. Das sind eigentlich erst einmal NUR IN-GAME über Verpflichtungen, Beziehungen, Gruppenzugehörigkeiten abgebildete Fluff-Konstrukte, die über ein Experten-Talent auch noch mit ein paar weiteren Vorteilen zementiert werden. Dadurch wird der Schritt des Beitritts zu dieser Organisation ein Gewichtigerer! Man muß einen Aufstieg opfern UND bekommt mit dem Talent noch Verpflichtungen, Gehorsam, Auflagen usw. gleich mit draufgepackt.
Jedoch hindert oder "kanalisiert" der einmalige Erwerb eines solchen Experten-Talentes eben NICHT die weitere Entwicklung des Charakters. Diese kann er genauso frei und ungebunden fortführen, wie vor dem Erwerb des Talentes!
In militärischen Settings hat man jedoch KEIN Nebeneinander sehr unterschiedlicher Laufbahnen, Charakterkonzepte usw. - Dort sind ALLE SCs Soldaten. Und somit auch Teile einer ORGANISATION - essentiell sogar (fast) derselben Organisation (gut, die Alliierten in WWII sind mehrere Organisationen, die einander aber "grün" sind, während die Orden in Necropolis mehrere Teilorganisationen derselben Überstruktur sind, die einander aber nicht "grün" sind).
Somit hebt man die Voraussetzungen als SETTINGREGEL einfach VOR die Wahl der Talente, Fertigkeiten usw. und legt fest, was ein Soldat in einer bestimmten IN-GAME-FUNKTION (die Funktion ist hier SEHR wichtig!) wirklich MINDESTENS können muß!
Man kann z.B. in Deadlands: Reloaded einen Charakter mit dem Konzept Cowboy erstellen. Wenn aber der Spieler meint, er möchte einen Cowboy-SC so bauen, daß der nicht Reiten kann, eine Phobie vor Rindern hat, eine Pferdehaarallergie, Pazifist ist und nicht Schießen und nicht Kämpfen kann, dafür aber Wissen (Recht und Gesetz) und Wissen (altgriechische Poesie) ausgemaxt hat, dann hat man einen SC, der dem gesetzten Charakterkonzept NICHT entspricht. - Wobei NUR DER SPIELER dafür verantwortlich ist!
Es ist die Entscheidung des Spielers, daß er einen Cowboy spielen möchte. Und dann baut der Spieler einen SC, der NICHT auch nur den Hauch der Fähigkeiten eines Cowboys in der Spielwelt aufweist.
Solche Spieler sind ganz klassische LUSCHEN-Spieler! - Diese bauen sich LUSCHEN-Charaktere, um ihren Mitspielern auf die Nerven zu gehen.
Ein Mittel, daß solche SPIELSTÖRER etwas im Zaume hält, sind Klassen-Systeme. Wenn in einem Klassensystem ein Spieler einen Stufe-1-Cowboy erschafft, so stellt das Klassensystem über seine "Paketstruktur" einer Klasse sicher, daß dieser Charakter als Cowboy erkennbar ist und nicht irgendwas anderes darstellt.
Dieses Mittel der Charakterklassen zur Abwehr von das gemeinsame Spiel SABOTIERENDEN Spielern funktioniert nur zu gewissem Grade, da solche LUSCHEN-Spieler IMMER einen Weg finden, das Spiel zu stören.
Savage Worlds geht davon aus, daß die Spieler MITEINANDER spielen wollen. - Daher wird sich ein Spieler mit dem Charakterkonzept Cowboy auch einen Charakter erschaffen, der Reiten, Schießen, Kämpfen, Wahrnehmung, Reparieren und Wissen (Ortskenntnis: Ghost Trail usw.) hat. Das ist dann ein erkennbarer Cowboy.
Bei Necropolis hingegen geht man AUCH davon aus, daß die Spieler MITEINANDER spielen wollen, aber sie haben IN-GAME sehr, sehr spezifische Rollen zu besetzen: Die von ELITE-Soldaten bestimmter Waffengattungen. - Und damit ein Combat-Medic eben seine Rolle als Soldat UND Sanitäter erfüllen kann, legen diese Vorgaben fest, daß man einen solchen Charakter mit MINDESTWERTEN in Schießen, Heilen usw. zu erschaffen hat.
Warum?
Ganz einfach. Damit der Spieler WICHTIGE Fertigkeitsbereiche NICHT VERGISST! - Es ist eine Hilfe, damit sein Charakter eben KEINE Lusche ist, sondern ein einem harten Setting seine IN-GAME vorgegebene FUNKTIONALE Rolle als Sniper, MG-Schütze, Kommandeur, Combat-Medic, usw. auch wirklich KOMPETENT genug ausfüllen kann.
Das ist übrigens bei Weird Wars II ANDERS umgesetzt!
Dort sind es oft Freiwillige oder Wehrpflichtige (je nach Nationalität). Und hier stellen die Mindestvoraussetzungen nichts anderes als die "Grundausbildung" dar. KEIN SC muß z.B. seine Fertigkeit Schießen über den Mindestwert als einfacher Army-Grunt verbessern! Der läuft den gesamten Krieg über halt als "Low Performer" unter den Schützen herum. Das KANN ein passendes Charakterkonzept für einen Charakter in einer NICHT-Freiwilligen und NICHT-Elite-Truppe sein!
Bei Necropolis, wo die SCs alle ELITE-Soldaten als Ergebnis eines strengen Aussiebprozesses darstellen, der wirklich nur die Besten der Besten durchläßt, wären solche "unwilligen Dienenden" nicht zum Setting und zur Charakterkonzept-Prämisse "Elitesoldaten" passend einzustufen. - Bei Weird Wars II und noch mehr bei Tour of Darkness kommen aber genau diese UNWILLIGEN Charaktere, die wirklich nur die Mindestanforderungen erfüllen, nach denen sie ihrer Waffengattung zugeteilt wurden, oft genug vor.
Necropolis, Tour of Darkness, Weird Wars II - alle erzählen sie Militärgeschichten. Aber alle sehr UNTERSCHIEDLICHE Militärgeschichten mit SEHR UNTERSCHIEDLICHEN Charakter-Konzepten.
Wenn mal also ein stark durchstrukturiertes Settingkonzept vorliegen hat (z.B. Alle Charakter sind Earthforce-Soldaten auf der Station Babylon 5), dann kann man aus IN-GAME-Perspektive funktionale Rollen erkennen. Diese Rollen sind noch KEINE Charakter-Konzepte an sich, sondern erst einmal die in der fiktiven Gesellschaft des Settings VORHANDENEN Funktionen, die auch von SCs ausgefüllt werden können.
Nun kann man diese funktionalen Rollen unterscheiden (z.B. Starfury-Piloten, Command Staff, GROPOS - eventuelle Feinunterscheidungen wären gerade bei den GROPOS sinnvoll). Und DANN legt man fest, wenn eh ALLE SCs aus der Earthforce stammen, was für Mindestanforderungen die Übernahme einer bestimmten Funktionalen Rolle ermöglicht. (Z.B. Starfury-Piloten: Piloting W8+ , Steady Hands, keine körperlich einschränkenden Hindrances).
Wenn NICHT ALLE SCs bei der Earthforce sein sollen, sondern wenn es Zivilisten und Militärs gemischt in einer SC-Gruppe geben soll (noch unabhängig von eventuelle Fremdrassen!), dann bieten sich diese Mindestanforderungen NICHT abseits von Talenten an. Dann kann man auf zwei Arten vorgehen:
1. Das Charakterkonzept bezieht sich auf eine In-Game-Rolle und der Spieler versucht nach bestem Wissen und Gewissen seinen SC frei so zu gestalten, daß dieser diese In-Game-Rolle ausfüllen kann.
2. Das Charakterkonzept stellt eine echte EXPERTEN-In-Game-Rolle dar und der Spieler muß dazu ein Experten-Talent (mit allen Voraussetzungen!) wählen, um diese Rolle auszufüllen.
Prinzipiell ist somit die in Weird Wars II etc. umgesetzte "Grundausbildungs"- oder "Mindestvoraussetzungs"-SETTING-Regel nur für SEHR stark strukturierte, durchorganisierte Setting-Organisationen sinnvoll, bei denen ALLE SCs dieser Organisationsstruktur angehörig sind.
Sobald man ein freieres Settingkonzept hat, ist diese Umsetzung nicht sinnvoll.
Wie kommen denn so Staffel-Edges bei euch an:
Thief
Master Thief (Voraussetzung: Thief)
Even better Thief (Voraussetzung: Master Thief)
Ist sowas gängig? Oder würde euch das zu sehr an eine erzwungene Klassenumsetzung erinnern?
So etwas findet sich bei SCHLECHTEN Umsetzungen von ehemaligen D20-Settings auf SW.
Viele Ex-D20-Lizenznehmer machen solche D&D-3E-artigen "Edge-Bäumchen" auf, die wie die bekannten Klassen-Prestigeklassen-Even more prestigious-Klassen umgesetzt sind.
DAS IST MIST!
Das sperrt das FREIE Charakterentwicklungskonzept von SW in ein völlig unnötiges KORSETT und versucht eine "Klassendenke" wie eine Art "Maligne Wucherung" in den ohne diese kerngesunden SW-Organismus einzuschleusen.
Sagte ich schon, was ich davon halte? - DAS IST MIST!
Kann man garnicht oft genug sagen.
Zur Umsetzung von "Klassen" als Rassen: Das ist IMPROVED MEGA-MIST!!!
Es ist schon ein Schuß ins Knie (an anderer Stelle habe ich die Pathologie dessen dargelegt), wenn man VÖLKER (also unterschiedliche menschliche Völker) als "Rassen" modelliert.
Aber "Klassen", also reine REGELTECHNIK ohne jeglichen IN-GAME-GRUND ihrer Existenz mit den Mitteln der Modellierung von Fremdrassen umzusetzen, das ist geradezu "unethisch" (und sollte der Ethik-Kommission im Rollenspielwesen vorgelegt werden!).
Die REGEL-Funktion einer RASSE ist eine grundsätzlich ANDERE als die eines "Berufs", eines "Charakterkonzepts".
Ein Elf und ein Mensch können BEIDE Waldläufer sein. - Was UNTERSCHEIDET einen elfischen von einem menschlichen Waldläufer? - Genau! Die RASSE, also die alternative Physis, Psyche und Sozialisierung, die JEDES Individuum dieser Rasse gleichermaßen hat!
Zwei Menschen können Überleben, Klettern, Heimlichkeit, Wahrnehmung, Schwimmen, mit Pfeil und Bogen Umgehen, Spurenlesen, usw. - Sind BEIDE Waldläufer? - Beide haben die IDENTISCHE Rasse! - Aber wie genau diese Fertigkeiten, die man alle durchaus stimmig zum Konzept eines Waldläufers empfinden kann, exakt verteilt und ausgeprägt sind, darüber sagt die Aufzählung nichts aus.
Hier mal mehr Details:
Überleben W8, Klettern W4, Heimlichkeit W4, Wahrnehmung W8, Schwimmen W4, mit Pfeil und Bogen Umgehen W6, Spurenlesen W6
Überleben W4, Klettern W4, Heimlichkeit W8, Wahrnehmung W6, Schwimmen W4, mit Pfeil und Bogen Umgehen W6, Spurenlesen W8
Welcher Charakter ist der Zähe Barbar und welcher ist der Königliche Waldläufer?
Savage Worlds bietet allein schon auf Basis der Fertigkeiten die Möglichkeit durch Schwerpunktsetzung Charakterkonzepte, die anfangs nach z.B. Waldläufer aussehen, DEUTLICH zu DIFFERENZIEREN!
Solch eine feine Abstimmbarkeit der Fähigkeiten des Charakters auf das beabsichtigte Konzept ist normalerweise NICHT das Ziel der groben Paketstruktur von Klassen.
Savage Worlds wird von manchen "vorgeworfen" es sei "zu grobgranular", "zu wenig detailliert", böte angeblich "zu wenig Differenzierungsmöglichkeiten". - Das Wörtchen "zu" unterscheidet den Uninformierten von dem Kenner. - Savage Worlds ist grobgranular und wenig detailliert. Aber die Differenzierungsmöglichkeiten sind RIESIG, weil sie nicht alle nur auf langen Listen an praktisch kaum unterschiedlichen Fertigkeiten, die alle etwas ähnliches tun, basieren, sondern weil sie vom DEM ENTSCHEIDENDEN Punkt eines Charakters ausgehen: Dem Charakter-KONZEPT.
Das Konzept fließt direkt in das Allgemeinwissen ein. Das erschlägt schon einmal die Unmengen "Fertigkeiten, auf die man eh nicht würfeln möchte".
Und das Konzept ist DAS Maß ALLER Dinge bei der Charaktererschaffung und -entwicklung. - JEDE Entscheidung bei der Verteilung der Fertigkeitspunkte, Attributspunkte, bei der Festlegung der Ausprägungen für Mächte und - nicht zu vergessen - Talente, Handicaps und Fertigkeiten wird am Charakterkonzept abgeglichen.
Man kauft sich KEINE "Waldläufer von der Stange", wie man es in Klassen-Systemen macht. Sondern man schneidert sich den Waldläufer, den man schon immer spielen wollte, paßgenau auf den Leib. - Maßanfertigung statt 08/15-Klassen-Schubladen!
Das ist die bewußte Entscheidung beim Entwickeln von SW gewesen (man lese das Making-of-Dokument), daß man eben KEINE Klassen haben wollte, weil diese eben NICHT die bei SW gewünschte DIFFERENZIERUNGSMÖGLICHKEIT bieten.
Daher ist es ganz einfach: KEINE Klassen in SW. - Nur Charakter-KONZEPTE und das Freie Maßschneidern der Charakter auf das Konzept.