AW: X-over Machtgefälle
Generell zum Thema würde ich schonmal anmerken, dass in meinen Augen X-Over Runden vom Setting her möglicher geworden sind, da viele "Erbfeindschaften" der alten Settings raus sind. Sinnvoller sind solche Zusammneschluüsse allerdings weiterhin nur dann, wenn der SL eben eine passende Story für so eine Gruppe schreibt, nur da man in Vampire oder Werwolf eh immer eine Kampagne speziell für eine bestimmte Gruppe schreiben muss, sehe ich hier keinen Nachteil.
Im Vergleich zu Werwolf sind die Vampire in meinen Augen aber mal wieder (oder eigentlich noch mehr) sehr im Hintertreffen.
Das sieht man eigentlich auch recht deutlich, wenn man sich die Beispielcharaktere der Spiele mal anschaut, denn bei den beiden "Top Players" Augusto Vidal und Max Roman ist relativ deutlich, daß der gute Herr Vidal doch ein paar Jahre Vorsprung hat - insbesondere was Fertigkeiten, Attribute und Hintergründe angeht.
Augusto Vidal ist als Spielerchar einer Cross-Over Runde allerdings auch unspielbar. Seine Hintergründe resultieren daraus, dass er Prinz ist und sich jeden Abend darum kümmen muss. Viel schlimmer noch - er bezahlt seine hohe Blutpotenz damit, dass er nur noch von anderen Vampiren trinken kann. Vidal hat sich ein blutsgebundenes Rudel aufgebaut, um so weiter existieren zu können, aber deshalb meidet er auch engeren Kontakt selbst zu alten Freunden wie seinem Seneschall und er könnte niemals New Orleans verlassen (oder müsste dann ständig Kainskinder jagen) und er muss sehr sparsam mit seinem Blut umgehen, denn wenn er eine Menge verbraucht (was typisch für Spielerchars ist), dann wird sein Rudel nicht reichen für den Bedarf und zudem braucht er dann jede Nacht alleine Stunden um die alle zusammen zu rufen und dann das Gedächtnis nach dem trinken wieder zu löschen. (was im übrigen auch nur Meister der Beherrschung überhaupt können und bei weitem nicht jeder alte Vampir)
Es wird ja immer wieder gerne diese "Er verliert dann ja alle Punkte"-Regel zitiert, ohne daß sich die Leute vor Augen halten, wann sie zum Tragen kommt. Es gibt im Requiem-GRW keine fixen Regeln, wann sich jemand in Starre begeben muß (abgesehen von zuviel Schaden), sprich der Vampir entscheidet in den meisten Fällen selber, wann er sich den Nebeln der Ewigkeit übergibt.
Ein Vampir, der nur noch von Vampirblut sich nähren kann ist ja auch sehr leicht in der Gruppe zu spielen
Entweder er baut sich so was auf wie Vidal und bunkert sich fest und alleine in einer Stadt mit einem Sklavenrudel ein (was den Gestaltwandlern in der Gruppe kaum gefallen dürfte), oder er jagd und mordet ständig seinesgleichen (nur Ventrues haben per Clan Beherrschung um Gedächtnisse zu manipulieren und wenn so was rauskommt ist der Vampir wohl in jeder Stadt unerwünscht) und steigt schneller in der Menschlichkeit ab, als ein Aufzug in den Keller, was wiederum in der X-Over Runde unspielbar wird,.
Es gibt also sehr wohl für Vampire eine Schwelle, wann sie sich in Starre legen "müssen" und die ist eben dieser Punkt. Selbst Vidal weiß das ja und sucht nur nach dem richtigem Zeitpunkt, wenn alles "in trockenen Tüchern" ist.
Was jetzt hier immer noch vergessen wird bei aller Werte-Vergleicherei ist, dass Vampire nur einen halben bis einen drittel Tag haben im Gegensatz zu allen anderen Übernatürlichen Wesen. Vampire müssten alleine deswegen etwas stärker sein, weil sie teilweise keine 10 Stunden am Tag aktiv sein können. Und in dieser Zeit müssen sie auch noch jagen, was wohl wenigstens auch noch 1-2 Stunden in Anspruch nehmen dürfte, wenn man nicht tötet und einen hohen Blutbedarf aufgrund von großer Gruppenaktivität decken muss.
Bei einer X-Over Gruppe ist der Vampir immer der Bremsklotz. Er kann nur sehr wenig, was nicht ein Werwolf oder Mage auch erreichen könnte bei entsprechender Auswahl der Talente, aber er hat nur ein paar Stunden Zeit und im Gegensatz zu den Werwölfen ein total bescheuertes Moralkonzept. Wenns darum geht wichtige Unterlagen aus der Uni zu stehlen muss sich der Vampir beim X-Over mit dem Satz verabschieden: "Sorry, ich hab noch Menschlichkeit 7 und Diebstahl könnte mich auf 6 bringen. Mal ganz abgesehen davon, wenn ich meine überlegenen gesellschaftlichen Disziplinen auf unschuldige Wachmänner wirke."
Wenn man das regeltechnisch komplett durchzieht mutiert der vom Ansatz her doch eigentlich "dunkelste" Charaktertyp schnell zum Flower-Power Softie der Gruppe. Während der Werwolf fröhlich schnetzelnd bald auf Harmonie 9 ankommt, verliert der Vampir bei mutwilliger Sachbeschädigung seinen 6ten Punkt Menschlichkeit. Mahlzeit.
Auch bei den hier genannten Vorteilen der Vampire gibt es oft eine zusätzliche Schattenseite. Er mag sich vielleicht schnell heilen können und sich auch mittels Blut schnell zu einem gefährlichen Gegner werden lassen, aber danach ist er genauso wie ein verletzter Wolf erstmal einige Zeit ausser Gefecht. Der Werwolf, weil er im Bett liegt und seine Wunden auskuriert und der Vampir, weil er die ganze Nacht jagen muss, um den Verlust von 10 Blutpunkten ohne Mord wett zu machen.
Sicher sind die Vorteile des Ghulens, der geistigen Disziplinen (die übrigens nicht alle Vampire besitzen!!) und oft der sozialen Hintergründe so nicht bei Werwölfen gegeben. Das Problem einer X-Over Runde ist hier aber: Was meine ganzen Kontakte erledigen wird wohl kaum am Tisch ausgespielt, da ich ja nun extra dafür die Kontakte habe, aber alle aktiven Fähigkeiten wo Spielerchars handeln schon. Und während dann Chars mit diesen Fertigkeiten würfeln, agieren, kämpfen, klettern, etc. teilt der sozial überlegene Vampir dem Meister mit welche Befehle er an seine Untergebenen erteilt und er erfährt im Gegenzug, was bereits erreicht oder in Erfahrung gebracht wurde. Sicher nützlich, aber auch recht träge für den Spieler in einer X-Over Gruppe.
Wenn wir uns das ganze nochmal abseits von reinen Werten betrachten fällt noch etwas auf: Werwölfe sind cool. Sie haben alle die Fähigkeiten, die man aus Film und Fernsehen kennt und noch viel mehr. Sie können binnen Sekunden zu wahren Kampfmaschinen werden, sie können unglaubliche körperliche Leistungen vollbringen, sie können Schaden wegstecken bis der Arzt kommt, etc. etc. Wenn man sich gängige Filme anschaut, wird man überrascht sein, dass die Werwölfe der WoD sogar noch deutlich MEHR können und natürlich einen tieferen Hintergrund haben.
Nun schaut man sich die Vampire an. Die trinken in Interview mit einem Vampir Menschen bis aus den letzten Tropfen Blut leer, ohne binnen einem Monat ein sabberndes Wrack zu sein. Die krabbeln in Queen of the Damned an der Decke entlang auf ihre Opfer zu, die springen in Underworld mal eben ohne mit der Wimper zu zucken vom Kirchturm und von Blade will ich gar nicht erst anfangen
Vampire der WoD sind nicht cool. Sie sind bemitleidenswerte Kreaturen in einem Setting um persönlichen Horror. Style over Substance technisch verliert der Gangrel gegen den Werwolf hier immer.
Will man ein X-Over starten, dass allen Beteiligten Spaß macht, muss man hier in meinen Augen als Meister nachbessern. Als erstes muss Menschlichkeit weg und dafür ebenfalls ein Pfad wie "Harmonie" her. Hier kann man sich z.B. vom alten Pfad des Tiers inspirieren lassen und je nach Thema der Kampagne natürlich daran anpassen. Ein Vampir mit seinem Pfad auf 10 muss der vollkommene Vampir sein, so wie ein Werwolf mit Harmonie 10 ja auch der perfekte Werwolf ist und kein 7 jähriger Pfadfinder, der nie was schlechtes über seine Mama denken würde.
Als nächstes braucht der Vampir ein paar stylische Features. Das sein Spiegelbild immer verschwommen erscheint ist zum Beispiel so etwas. Das sein Schatten immer etwas größer und dunkler ist als der anderer könnte noch so etwas sein. Das er einige Schritte an der Wand oder der Decke gehen kann, bevor sich die Schwerkraft an ihn erinnert könnte wiederum so etwas sein, was dem Vampir seinen atmosphärischen Platz in einem Dreigestirn aus Werwolf, Magus und Blutsauger geben würde.
Spezifische Vor-/Nachteile für Magi, Vampire, Werwölfe im Stil der alten Systeme können hier auch für die nötige Indiviualität sorgen.
Bei entsprechender Kampagne steht dann allerdings dem X-Over wirklich wenig entgegen und es bleibt abzuwarten ob hier ja vielleicht gar mal was offizielles kommt, wie ein geteiltes Städtebuch oder ähnliches.
Gruß,
Ismael