Das entscheidende an den Aspekten ist doch nicht, dass man irgendwelche Spielelemente selber benennt und sie aufschreibt, sondern wie damit umgegangen wird und welche Möglichkeiten es gibt. Vieles, was mit FATE macht, läuft logisch auch in anderen Rollenspielen. (In FATE kann ein Dieb besser schleichen als ein Krieger und in D&D ist das so. Kein Gewinn von FATE.) Wichtig ist doch, welche Regeln mit Aspekten verknüpft sind. Darum sind die Aspekte in FATE auch etwas völlig anderes als die Laufbahnen in BoL, die Werte/Assets/etc. in Cortex+ oder die Klischees in Risus. System does matter und wenn das Regelwerk bestimmte Mechaniken bereit stellt, werden die auch benutzt und damit ändert sich natürlich auch die Art und Weise, wie gespielt wird (sonst könnten wir ja alle mit Monopoly rollenspielen) und das hat Einfluss darauf, wie Geschichten im Rollenspiel zustande kommen und erzählt werden. Dabei sehe ich keinen Widerspruch zwischen narrativem Stil und extensiven Regelmechaniken. (Dresden Files *ist* ein Regelmonster, ein Ungetüm, das in mir ähnlichen Horror entfesselt, wie es das Aufsteigen des versunkenen R'lyeh und das Erwachen des Großen Cthulhu aus seinem ewigen Schlummer in den tiefen Ozeanen erzeugen würde. Dass es zum Glück anders geht, zeigen dann wieder Spiele wie Nova Praxis...) Jedenfalls glaube ich, dass "Aspekt" längst wohl nicht mehr nur die Aspekte meint, sondern Symbol für... ja, für was eigentlich?... geworden ist. Ich bleibe lieber konkret an den FATE-Aspekten und das sind nun mal nicht frei in der Luft schwebende Aspekte.
Was ich erstaunlich gut finde, und da kann ich nur mit Praxis argumentieren: Es gibt kein echtes Machtgefälle. Aspekte sind gleichwertig, weil sie nicht die Macht eines Charakters im Rahmen der Simulation bilden, sondern die Möglichkeiten darstellen, Einfluss auf die Geschichte zu nehmen. Ich habe außerhalb von FATE noch nie erlebt, dass jemand z.B. ausgebrannte Magier oder sonstwie offensichtlich eigentlich inkompetente Charaktere gespielt hat, die dann trotzdem vollwertig am Spielgeschehen teilnehmen konnten. (Im Gegensatz zu klassischen Rollenspielen, wo sich herausstellte, dass die Charaktere nicht mal in ihrem Gebiet so richtig kompetent waren, Stichwort Dieb in Earthdawn.)
Ja, ein simulativ gebauter Charakter hat auch Eigenschaften, mit denen der Spieler Einfluss auf die Geschichte nehmen kann. Aber er kann zunächst nur durch den Charakter Einfluss auf die Geschichte nehmen. (Das geht in FATE ja auch immer.) Alles andere (Vorschläge an den SL etc.) ist ja nicht in den Regelmechaniken ausgedrückt, da ist man also immer auf das Wohlwollen des SL angewiesen. (Wie oft habe ich Missmut darüber gehört, dass Spieler sich tolle Charaktergeschichten überlegt haben, die nie aufgegriffen wurden.)
In FATE ist man nicht auf den Charakter und seine Möglichkeiten im Rahmen der Simulation beschränkt. Die spezifische Art und Weise, wie Aspekte in FATE verwendet werden, erlaubt es, über den Charakter als alleiniges Medium hinaus verlässlich und regelseitig gedeckt Einfluss auf die Spielwelt auszuüben. Man wird dazu ermutigt.
Und dann gibt es da noch diese vielen kleinen Unterschiede im Spiel.
Aus Fragen wie "Kann ich?" oder "Was verbirgt sich hinter?" oder "Was bedeutet?" werden auf einmal dank Declarations etc. Aussagesätze. Und um die storytragende, kreative Macht der Spieler zu bestätigen und ihnen symbolisch Ausdruck zu verleihen, wird zur Belohnung ein Aspekt aufgeschrieben.
Natürlich könnte man so etwas auch ohne Aspekte in traditionellen Rollenspielen einführen. MEINER Erfahrung nach finden die meisten Spieler das aber komisch und unpassend, wenn sie auf einmal solche Rechte erhalten und dann kommen Kommentare wie "Du bist doch der Spielleiter, wieso MUSS ich mir jetzt Gedanken darüber machen?" Oder auch die Gefahr der Beliebigkeit der Handlung, wenn da Spieler reinreden, als ob die Geschichte auf einmal weniger wert und nicht mehr so toll wäre, wenn nicht alles vom Spielleiter durchgeplant ist. (Dieselben Spieler sind dann auch gerne mal erschreckt, wenn man kein Ende geplant hat und der Verlauf von ihren Taten abhängig ist.)
Sorry, dass ich nicht theoretisch argumentiere, aber der PRAXISUNTERSCHIED ist ja DA. Ich weiß nur leider keine Theorie, mit der man das erklären kann. Ich weiß nur, dass Theorien, die den Unterschied negieren, falsch sein müssen.
Nachtrag: Bevor ich missverstanden werde, meiner Meinung nach ist die Ausgangsfrage falsch gestellt. Es geht nicht darum, was FATE *besser* macht, sondern die eigentliche Frage ist, was es *anders* macht. Ich sehe das zunächst völlig wertfrei.