AW: Warum immer eigene systeme?
Ich habe manchmal den Eindruck, dass speziell in Deutschland reines Settingdesign nicht sonderlich beliebt unter Autoren/Designern zu sein scheint... :nixwissen:
Und wie beliebt ist das in den USA?
Welchen Anteil haben dort REINE Setting-Entwicklungen gegenüber kompletten Neuentwicklungen, also Setting und eigenes Regelsystem?
Welchen Anteil haben diese reinen Setting-Entwicklungen, wenn man die D20-Settings mal herausrechnet?
Ich habe den Eindruck, daß es - obschon LANGE ZEIT generische Regelsysteme, sowohl kostenpflichtige wie auch kostenfreie, verfügbar sind - bei reinen Settingneuentwicklungen abseits von D20 nur sehr wenig im kommerziellen Bereich gibt.
Für Fudge, Fate, Fuzion, etc. wird jede Menge an Fan-Produktionen entwickelt. Reine Setting-Adaptionen für diese generischen Regelsysteme. Aber nur selten wird eine solche Setting-Adaption, OHNE das KOMPLETTE Regelwerk mitzuliefern, produziert. So ist das Harry-Dresden-Rollenspiel eine Fate-Adaption, die EIGENSTÄNDIG ist, also Setting und das komplette Fate-Regelsystem mitliefert.
Die meisten D20-Settings liefern hingegen das Kern-Regelsystem NICHT mit, sondern stellen nur das Setting vor und die settingspezifischen Regeländerungen, -erweiterungen.
Ähnlich bei Savage Worlds: die Settingbände liefern nur den Setting-Fluff und settingspezifische Regeln, aber nicht das komplette Regelsystem mit. Bei Pirates of the Spanish Main ist das anders, da dort das generische SW-Regelsystem direkt "hineingeknetet" in das PotSM-Setting mitgeliefert wird.
Viele Leute mögen ja den Zwei-Buch-Ansatz nicht so gerne, weil sie z.B. in einem Fantasy-Setting nicht ständig im generischen Regelteil über Sci-Fi-Waffen und Raumschiffe stolpern wollen (und umgekehrt!).
Insoweit kann ich schon verstehen, daß ein Settingentwickler sein Setting am liebsten aus EINEM Buch heraus spielbar gestalten möchte.
Savage Worlds hat jedoch gezeigt, daß man auch als Lizenznehmer Setting-Bände für dieses NICHT-kostenfreie Regelsystem erfolgreich produzieren kann (Low Life, RunePunk, Vampire Earth, Shaintar - upcoming Sundered Skies, The Ravaged Earth Society, u.a.).
Und der große Erfolg von D20 war ja, daß viele Rollenspiele in den USA OHNEHIN D&D im Schrank stehen haben, bzw. aktive D&D-Spieler sind. Rollenspiel und D&D ist in den USA immer noch synonym. - Auf dieser Basis war es überhaupt nicht nötig, sondern sogar eine sehr sinnvolle Sache, wenn man D20-Settings als NUR-Settings produziert. Diese können auf einer dort vorhandenen Infrastruktur aufsetzen, wie es sie für andere (freie oder lizenzabhängige) Rollenspiel-Regelkerne nicht gibt.
Was wäre denn in Deutschland eine vergleichbare Infrastruktur?
DSA? - Wohl weniger, da zu sehr settingverwoben, um andere Settings leicht zu unterstützen.
Shadowrun? - Dasselbe wie bei DSA.
Cthulhu? - Eher. Cthulhu gibt es für unterschiedliche Epochen (Now! und das gerade wieder in der Diskussion befindlichen Mittelalter-Cthulhu z.B.). Und das BRP wurde ja schon in der Vergangenheit für unterschiedlichste Settings (RuneQuest, Ringworld, ElfQuest) und auch - zumindest der Wille ist da - unterschiedliche Spielstile wie Pulp bzw. Heftchen-Horror-Romane (Der Hexer von Salem) angepaßt.
Ich sehe auch hier in Deutschland BRP oder genauer: RuneQuest-Klone, die hier als generische Rollenspielkernsysteme auftreten ("Trauma" z.B.) oder mit einem eigenen Setting daherkommen ("Space Gothic" z.B.).
Und Cthulhu ist hier durchaus verbreitet genug, hat kostenlose Kurzregeln, die jeder Spieler schnell verstehen kann, und hat eine etablierte Autorenschaft, die das Regelsystem gut genug kennen (müßten - Gegenbeispiele gibt es ja immer), so daß sich allein für Cthulhu aber auch für ein deutsches BRP-Rollenspiel neue Settings zu entwickeln anbieten dürfte.
Und die Mongoose-RQ-SRD ist doch auch auf Deutsch vorliegend. - Nein, doch nicht! Die letzte Aktivität bei der mit Elan angegangenen Übersetzung
HIER ist vor über 7 Monaten gewesen.
Eigentlich, so meine Erwartung, müßte es da viel mehr BRP/RQ-Setting-Adaptionen in Deutschland geben, als man so sieht.
Es wird viel zu oft ein dubioses, halbgares Regelsystem ausgekocht, ohne WIRKLICH Überlegungen hinsichtlich der Effekte von Regelmechanismen und dem, was diese Mechanismen eigentlich TUN sollen, angestellt zu haben (Empfehlung: "RPG-Design-Patterns" lesen, und die Columne "Elements of Roleplaying". Wer die beiden gelesen hat und einfach nur versucht hat über die in der Kolumne angesprochenen Elemente von Rollenspielen sich seine eigenen Gedanken zu machen und Antworten zu finden, der macht die allseits offenkundigen Grobfehler in den aktuellen deutschen Neuentwicklungen eben nicht mehr so leicht.)
Deutschland ist rollenspielerisch ohnehin Schwafelland.
Es gibt in deutschen Rollenspielen (ob kommerziell oder frei) mehr verkappte Roman - nein, streiche das - Schulaufsatz-Schreiber, als Systemautoren.
Daher kommen auch immer wieder die üblichen Verdächtigen, was die Regelmechanismen betrifft, auf. OWoD-Klone, BRP-Klone, DSA3-Klone, SR-Klone. Das sind hier die häufigsten "Inspirationsquellen" für die Schar der Rollenspielautoren, die NIE über ihren Tellerrand hinausgeschaut haben.
Enthusiasmus, Wille zur kreativen Beschäftigung mit Rollenspielen, sein eigenes Werk auch mal gedruckt sehen. - Alles gut und schön und verständlich. - Wenn es nicht so dilettantisch angegangen würde.
JEDER Künstler, Autor, was auch immer LERNT das Handwerkliche durch ABSCHAUEN, wie es andere, wie es die KÖNNER, die MEISTER gemacht haben. Und dann findet er seinen EIGENEN Weg.
Warum deutsche Nachwuchs-Rollenspielentwickler - mal sehr polemisch und unfair und generell gesagt - nur SR und DSA und vielleicht noch OWoD kennen, statt sich ihren Regeltechnik-Horizont und ihren Schreibstil anhand anderer Rollenspiele, insbesondere den "schrägen", den ungewöhnlichen, und den von der Kritik herausgestellten zu erweitern, verstehe ich nicht.
Ich finde, daß es eine Selbstverständlichkeit sein muß, beim Entwerfen von Regelmechanismen ein paar wenige Grundfragen, die inzwischen seit über 30 Jahren Rollenspielveröffentlichungshistorie IMMER WIEDER und BEI JEDEM Rollenspiel gestellt werden, klar und auf sein eigenes Vorhaben bezogen zu beantworten. - Das hat sich jedoch ganz offensichtlich nicht herumgesprochen.
Man kann Eigenentwicklungen sehr gut evolutionär üben. Man macht Hausregeln für sein Lieblingssystem. Man versucht dessen Regeltechnik zu verstehen, dessen Mechanismen zu begreifen. Man lernt durch diese Analyse die Entwurfskonzepte hinter einem Rollenspiel, welches man gut kennt. - Und dann kann man versuchen KERN-Mechanismen zu ändern und zu sehen, was dann passiert. - Man kann generische Rollenspiele nehmen, und sehen, was diese einem bieten, um unterschiedliche Settings mit diesen Systemen zu erschließen. Man kann dabei LERNEN, was die GRENZEN der Erschließbarkeit von generischen Systemen sind. - Und dann gibt es JEDE MENGE Tips, Checklisten, Hinweise, Empfehlungen für Rollenspiel-Entwickler im (englischsprachigen) Internet, die man mit Bedacht lesen sollte (siehe oben die Design Patterns und die Elements of Roleplaying).
Ich finde, daß diese Art der Beschäftigung mit einer Neuentwicklung ALLE krassen Schnitzer vermeiden läßt (außer bei den Leuten, die wirklich völlig ungeeignet als Rollenspielautor sind).
Ich finde es jedesmal wieder traurig, wie ein "neues" Regelwerk NICHTS aber auch rein garnichts BESSER macht, sondern nur ANDERS (und meist wackeliger, umständlicher oder gar schlechter), um des Anders-Seins willen. - Ich finde es jedesmal enttäuschend, wenn die Schulaufsatzschreiber nicht in der Lage sind ein Setting packender als ein Erdkundebuch zu schreiben. Creative Writing Kurse bieten auch die Volkshochschulen an. - Ich finde es einen Jammer, wenn Rollenspiel-Nachwuchs-Autoren kaum andere Rollenspiele kennen!
Und da der Zustand hierzulande tatsächlich ziemlich jämmerlich ist, wundert es mich auch nicht, wenn Rollenspiel-Nachwuchsautoren nicht die Selbsterkenntnis aufbringen und feststellen, daß sie zwar eine tolle Idee für ein Setting haben, aber leider nur zu altbackenen 80er-Jahre-08/15-Regeln, die das Setting nicht im Geringsten unterstützen, in der Lage sind.
Zu erkennen, daß andere Leute bereits über viele Iterationen ausgefeilte, FUNKTIONIERENDE Regelsysteme für unterschiedlichste Geschmacksrichtungen (mehr "realistisch" angehaucht, mehr blutig, mehr heroisch, mehr detailversessen, mehr in groben Zügen arbeitend, etc.), ist eine verdammt wichtige Erkenntnis. Die bedeutet nämlich, daß man seine GANZE Energie in seine STÄRKEN, sein SETTING stecken kann, ohne von langweiliger Regeltechnikfummelei ständig KEINES VON BEIDEN, also kein packend geschriebenes Setting und auch kein funktionstüchtiges Regelsystem hinzubekommen.
Ich wünschte mir, daß DIE Rollenspielnachwuchsautoren ihren Arsch hochbekämen und über ihren garnicht mal so hohen Tellerrand hinausschauen lernten.