AW: Versagen wagen! Warum Misslingen im Rollenspiel interessanter ist als Erfolg
Für mich gehörte im Laufe meines Spielleiterdaseins "Versagen wagen" quasi zum Stil.
Ich kenne mein bevorzugtes Setting, und wenn ich mir mal nicht sicher bin, improvisiere ich eben - oder ich lese schnell einen Absatz nach (passt immer gut in eine Raucher-, Toiletten-, oder Pizzabestellungspause).
Ich gehöre zu der Fraktion von Spielleitern, die eher selten "Abenteuer" vorbereitet oder auf eben solche zurückgreift.
Ich leite lieber spontan, gebe den Spielern (und ihren Charakteren) lieber Gelegenheit, ihren eigenen Zielen und Motivationen entsprechend zu folgen. Wenn die Gruppe lieber nach "B" anstatt nach "A" reist, wirft mich das noch lange nicht aus der Bahn, und ich stelle auch keine fiesen Weichen um, nur um sie am Ende dann doch nach "A" zu lotsen. Die Spielwelt lebt, und wenn die Charaktere den fiesen Oberbösewicht nicht ins Handwerk spucken, dann erleben sie eben ihre üble Überraschung, sollten sie zurückkehren.
Außerdem sind meiner Erfahrung nach engagierte Spieler, die ihren Charakteren Ziele stecken und Motive mit auf den Weg geben, viel enthusiastischer am Spiel beteiligt, wenn sie ihren Zielen und Motiven gerecht handeln dürfen.
Sie nehmen mir als Spielleiter einfach die "Wo schicke ich sie nun hin?" Frage ab.
Und zu alledem gehört meiner Meinung nach auch, dass ihre Würfel ihr Schicksal bestimmen können.
Wie beispielsweise schon angesprochen, ist ein Kampf eine gefährliche Angelegenheit, und Spieler, die ihre Charaktere sich in einen solchen stürzen lassen, müssen sich eben bewusst sein, dass diese Geschichte auch ganz fies ins Auge gehen kann.
Deshalb mag ich Regelwerke wie HârnMaster oder Gemini (und ähnliche Vertreter), die wegen ihrem "Realismus" die Gefahr des Kampfes spürbar und grafisch machen.
Wegen meines Würfelglücks, das selbst ich von Zeit zu Zeit mal haben kann, fühlten sich meine Spieler damals unsicher, ob ich sie nicht "betrüge" - ob nun im positiven oder negativen Sinne - und trugen die Bitte an mich heran, von da an offen zu würfeln. Ich sagte ihnen, dass sie dann auch mit den Folgen zu leben hätten, auch wenn diese wirklich fatal sein würden. Sie willigten ein, und von da an würfelte ich offen.
Das ganze ging auch meistens gut für die Charaktere aus - auch wenn sie oft wirklich ordentlich zu knabbern hatten.
Und selbst bei einem System wie HârnMaster, von dem ja viele denken, es meuchle die Charaktere nur so dahin, ging dies lange Zeit ohne tote Charaktere aus - auch wenn mal bleibende Schäden blieben. Ich erinnere mich da noch gut an die Zeit, die der Magier unserer Gruppe mit einer Behinderung zu kämpfen hatte, bis er den Nachteil, den er dadurch erlitten hatte, ausgleichen konnte. Und dieser Spieler war entsprechend stolz darauf, was sein Charakter erreicht hatte. Noch heute benennt er Charaktere in Online-Rollenspielen nach ihm.
Ein anderes (erdachtes) Beispiel könnte auch der Charakter sein, der im Kampf ein Auge verliert und eine hässliche Narbe übers halbe Gesicht davon trägt. Seine Sehkraft ist beeinträchtigt. Seine Attraktivität wohl auch. Aber richtig ausgespielt kann er sich damit ein Auftreten aneignen, mit dem er sich Respekt verschafft.
Natürlich kann es auch mal gehörig schief gehen - ist mir auch schon in einer meiner Kampagnen passiert.
Sehr unglückliche Würfe der Spieler, unausgegohrene Pläne der Charaktere, und üble (offene) Würfelwürfe meinerseits zogen damals ein wirklich extremes Ende nach sich. Die gesamte Gruppe ging drauf.
So war die neue Kampagne bereits nach acht Spielsitzungen vorüber.
Nachzulesen ist das ganze auf meiner HârnMaster Website im Kampagnen-Bereich. Die Kampagne nannten wir damals mangels Ideen "Die vier Gefährten", und einer der Spieler (Oliver) schrieb das Tagebuch dazu.
Hat das üble Ende die Spieler abgeschreckt?
Nein. Wir erschufen schon bald die nächste Generation von Charakteren