AW: Verlage und Professionalität
Ich habe den Eindruck, daß hier Professionalität und das Sprachgefühl von Übersetzern ein wenig vermischt werden.
Übersetzungen sind IMMER schwierig.
Man kann aber trotz einer unglücklichen Übersetzung ein professionelles Produkt abliefern.
Es geht auch umgekehrt. Die Übersetzung kann sogar SEHR gut sein, aber das sonstige Verlagsgebaren wirkt sehr unprofessionell.
Ein Beispiel hierfür ist für mich der Spielzeit-Verlag, welcher die Übersetzungsrechte am alten Deadlands besitzt (besaß?). - Die Übersetzer dort haben bei dem Regelwerk, welches vor Western-Slang-Begriffen nur so strotzt, eine VERDAMMT GUTE Arbeit geleistet. Sie haben es geschafft, daß man beim Lesen auch auf Deutsch ein Sprachgefühl, wie im (synchronisierten) Western erlebt. (Übersetzungen wie "Guts" für die vielen Guts-Checks als "Mumm" oder "Wind" als "Puste" finde ich sehr gelungen.)
Leider hat sich der Verlag so lange Zeit mit der Veröffentlichung von Übersetzungen gelassen, daß ihm unter den Fingern zunächst das US-Original-Produkt out-of-print geriet, und jetzt diesen Monat aktuell das neue Deadlands: Reloaded auf englisch herauskommt, welches Neukunden als aktuell unterstützte Produktlinie eher zu empfehlen ist, als das - zumeist vergriffene - alte Material. Somit wird wohl das alte Deadlands: The Weird West nie vollständig auf Deutsch verfügbar sein.
Ich schiebe - ohne jegliche Kenntnis der Verlagsinterna oder der Personen und deren Lage - für dieses Versagen die Schuld dem Spielzeit-Verlag zu.
Hier kann man sehen, daß eine gelungene Übersetzung noch lange nicht reicht, um zufriedene Kunden zu bekommen, bzw. um professionelles Veröffentlichungsverhalten zu zeigen.
Zu Index-Themen:
Hier finde ich es eine Schande, wenn neue Produkte (egal ob auf Deutsch oder Englisch) von 300 oder 400 Seiten OHNE JEGLICHEN INDEX und mit nichtssagenden (weil zu groben) Inhaltsverzeichnissen herauskommen. Auch ein "Bugfix" in Form eines 10-Seiten-Index-PDFs zum Herunterladen löst das Problem nicht richtig. Wenn ich schon über 40 Euro für ein Hardcover löhne, dann erwarte ich von einem professionellen Rollenspielprodukt die Selbstverständlichkeit eines Indexes. Heutige Textverarbeitungen unterstützen das sogar mit wenig Aufwand. Auch ein Glossar bei sprachlich schwer eingängigen Begrifflichkeiten (hier ein Pluspunkt für Opus Anima (was: RoaS) - dort wurde schon in der Preview ein Glossar der wichtigsten, gewöhnungsbedürftigen Begriffe veröffentlicht) ist eigentlich Pflicht.
Ich will nicht mit einem ausgedruckten Zettelstapel voller Errata, einem extra Index, einem extra Inhaltsverzeichnis auf "Bibliotheksbenutzung" würfeln müssen, um in einem Regelwerk etwas zu finden. Vor allem nicht, wenn mitten in einer Spielsitzung eine Regelfrage nachzuschlagen ist, die dringend geklärt werden muss. (Spieler können sowas von ungeduldig werden...)
Dabei gibt es als einen für mich derzeit unangenehmen Minusrekord das deutsche Unknown Armies zu erwähnen. Hier hat das US-Original ein Inhaltsverzeichnis mit einer informativen, brauchbaren Gliederungstiefe. Die Übersetzung hat alle wirklich brauchbaren Unterkapitelüberschriften darin ausgeblendet, da sie auf einer völlig nichtssagenden Gliederungsebene einfach Schluß (mit Lustig) macht. - Das US-Original von UA hat einen umfangreichen, brauchbaren Index, der schnelles Nachschlagen auch mitten im Spiel ohne Probleme ermöglicht. Der deutsche Index ist eine abgespeckte, Hunger-Model-Version eines Indexes. Warum hier nicht der Originalindexumfang verwandt wurde, ist mir völlig unverständlich.
Tiefpunkte in US-Publikationen, die mich gerade ärgern: Serenity-RPG hatte weder Index noch Charakterbogen im Regelwerk. Das ist vor allem deshalb ärgerlich, da es noch nicht einmal einen Charakterbogen für dieses eigentümliche Regelsystem auf deren Website zum Download gab! (Und ich bin immer noch der Meinung, daß ein Rollenspiel-Hardcover außer vielleicht einer Handvoll Würfeln ALLES zum Spielen notwendige (also auch eine Charakterbogenvorlage) enthalten sollte.) Inzwischen gibt es das nachgereicht. Auch den 9-Seiten-Index. Den kann man ausdrucken auf eigenem Druckerpapier, in schwarz-weiß. Und dann in das vierfarbige, aufwendig gearbeitete, schöne, aber eben unvollständige Hardcover einlegen! So etwas wirkt auf mich nicht professionell.
Genauso schlimm - eigentlich aufgrund des immensen Umfangs an spezifischer, nicht voraussetzbarer, nicht leicht eingängiger Settinginformation sogar noch schlimmer! - ist Artesia: Adventures in the Known World. Auch hier: kein Charakterbogen, und KEIN INDEX!!! Und das bei einer Welt, die hochkomplex ist, bei der lauter weltspezifische Begriffe, Personen etc. auftauchen, die man immer wieder (und wieder und wieder) nachschlagen muss (möchte, aber nicht kann!).
Ein Rollenspielgrundregelwerk ist zum ARBEITEN gedacht. Es ist ein Buch, mit dem ein Spielleiter bei der Vorbereitung, beim Spielen, bei der Nachbereitung ständig arbeiten wird. Hier auf solche Selbstverständlichkeiten wie (aussagekräftiges) Inhaltsverzeichnis und (benutzbaren) Index zu verzichten, ist eine schwere, unprofessionelle Unterlassung.
Klar habe ich dafür in gewissem Maße Verständnis: der Autor bzw. der Übersetzer seines Lieblings-Rollenspiels kennt die gesamten Informationen darin so gut, daß er sich das garnicht vorstellen kann, daß jemand anderes hier vielleicht mehr Nachschlagebedarf haben könnte, als er. - Diese Art der "Betriebsblindheit" gibt es immer wieder (auch in meinem Job).
Nur könnte man wissen, daß es solch eine gefilterte Sicht gibt. Man könnte sich überlegen, was denn an Vorkenntnissen bei einem Neukunden vorausgesetzt werden kann. Und dann könnte man einfach einen Index und eine sinnvolle Kapitelgliederung samt Inhaltsverzeichnis (und ein Tabellenverzeichnis, etc.) gleich von Anfang an in sein Rollenspiel einbeziehen.
Dann klappt das auch mit dem Nachbarn...