[Unknown Armies] Amerika

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Eine Behauptung, die eigentlich regelmäßig über Unknown Armies aufgestellt wird - etwas, dass auch ich schon getan habe - ist, dass das Spiel durch und durch amerikanisch sei. Dass es eine Qualität besitzt, die sich nur mit diesem Wort amerikanisch beschreiben lässt.
Aber warum eigentlich? Was ist genau der Grund, die Gründe, dafür, dass man versucht ist Unknown Armies so deutlich geographisch einzuordnen?

mfG
jdw
 
Re: Amerika

Es ist nicht die geographische Lage. Es ist die urbane amerikanische Subkultur, die dir UA überall drückt.

Ernsthaft, schau dir diese Geschichtszauberer an (man verzeihe mir, das ich den "Fachausdruck" erfolgreich verdrängt habe...); bei den lächerlich knappen Zeitspannen müssten die hier im "alten" Europa vor verfügbaren Ladungen schier aus den Nähten platzen.
McDonalds...oh, ich meine Max Attack ist eine FASTFOODKETTE, die für die Erleuchtung kämpft. Viel amerikanischer als eine erleuchtete New-Age-Burgerflitsche kanns kaum werden. Make me one with everything.
Die Stadt als urbane Entität; auch nicht gerade eine ureuropäische Idee, obwohl London ein paar vielversprechende Ansätze zeigt. Unsere sind meist zu klein.
Chronisch Betrunkene (Penner) als potentiell gefährliche Magier; die Idee strotzt nur so vor Paranoia, und ist hier, wo soziales Trinken (und zwar nicht Bud und anderes Blubberwasser, sondern richtigen Alkohol) mehr oder weniger zum Tagesgeschäft gehört.
Vor allem aber stört mich diese gummibaummässige Wurzellosigkeit des ganzen. UA hat keine Geschichte. Wie eine gewisse Weltmacht. Keine Tradition, keine Bräuche, nur "Selfmade-Magier". Der amerikanische Traum, vom sozial gebrandmarkten Dork/Nerd zum Machthaber in seiner ganzen Pracht. Und keine Spur von klassischem Mystizismus oder wenigstens einem Bezug zu vergangenen Hochkulturen.

Oh, und die gewisse, schwer zu verleugnende Wummenfixierung; im Vergleich zu Nahkampfwaffen sind Schusswaffen extrem mächtig und bekommen überproportional viel Platz im Buch eingeräumt.

Meine 2 Eurocent.

A little piece of you
The little peace in me
Will die [This is not a miracle]
For this is not America


-Silver
 
Re: Amerika

Silvermane schrieb:
Es ist nicht die geographische Lage. Es ist die urbane amerikanische Subkultur, die dir UA überall drückt.

Es ist nicht die Lage. Aber es ist ein geographischer Begriff. ;)
Es ist eine "Subkultur", die man einem bestimmten Ort zuordnet.

Die Stadt als urbane Entität; auch nicht gerade eine ureuropäische Idee

Da fühle ich mich, gerade auch im Bereich Rollenspiel, doch gezwungen zu widersprechen. KULT, SLA Industries, a/state... alles europäisch. Und wenn das nicht in eben diesem Sinne urban ist - bei SLA steht es ja sogar auf dem Cover - dann weiss ich auch nicht.

mfG
jdw
 
Re: Amerika

Da fühle ich mich, gerade auch im Bereich Rollenspiel, doch gezwungen zu widersprechen. KULT, SLA Industries, a/state... alles europäisch. Und wenn das nicht in eben diesem Sinne urban ist - bei SLA steht es ja sogar auf dem Cover - dann weiss ich auch nicht.

Ich habe nie behauptet, das die Amis das erfunden hätten. Aber Tatsache ist die: Wenn wir von Verslummung und Ghettos reden, dann denkt man eben primär an amerikanische Großstädte.
Die Bronx ist nun mal archetypischer als ein frankfurter Sozialwohnviertel. Und europäische Städtchen mit knapp 50-100.000 Einwohner haben nun mal nicht den Charakter eines seelenfressenden Molochs. Städte mit dieser Qualiät sind bei uns dünn gesäht. Und selbst ein riesiges urbanes Gebiet wie Berlin hat nicht den Charakter eines New Yorks oder Los Angeles.

Nebenbei betrachtet würde ich Metropolis/Kult nicht als urbane Entität bezeichnen. Es ist mehr eine Schreckensvision denn eine Wesenheit.

-Silver
 
Re: Amerika

Die Frage ist doch für wen ist es das? Ein Berliner der findet die Berliner Plattenbausiedlungen sicher ziemlich Ghetto genauso wie ein Frankfurter Sozialswohnviertel ziemlich erschreckend findet. Aber für einen New Yorker ist das natürlich Kinkerlitzchen!
 
Re: Amerika

Wenn ein Abenteuerschauplatz ein Trailer-Park ist (wie im Einführungsabenteuer des Grundregelwerks), halte ich es für eine sehr amerikanische Atmosphäre, die nicht unbedingt 1:1 nach Deutschland umzusetzen ist. Ein Wohnwagenplatz in Deutschland unterscheidet sich doch ziemlich stark.
Abgesehen davon halte ich das Spiel aber nicht unbedingt für besonders Amerika-fixiert. Man kann es leicht versetzen, nur eben nicht mit einer 1:1-Übersetzung. Das Prinzip ist ja, den Spieler nach und nach aus seinem Alltag zu reissen, und deshalb beschränkt sich Unknown Armies wahrscheinlich wegen des Zielpublikums zunächst auf Amerika.
Für manchen Deutschen ist der amerikanische Alltag schon ein Abenteuer und umgekehrt wahrscheinlich genauso. ;)
 
Re: Amerika

Okay - ein Drittel des Einführungsabenteuers spielt in einem Trailerpark. So what? Das könnte genauso gut ein heruntergekommenes Ferienhausareal an der Nordsee sein oder eine Blockhüttenenklave im Wald...

Ich fürchte immer noch, dass man sich hier zusehr an den Texturen aufhängt: Klar ist UA uramerikanisch. Das ist der Western auch. Hat das Karl May gestört? Der Detektivroman? Uramerikanisch. Stört das einen Henning Mankell?

Sind die Themen amerikanisch, das sollten wir uns fragen? Und da ist das Spiel eigentlich alles andere als nur typisch amerikanisch (oder halt so typisch amerikanisch wie Burroughs, Lynch oder kanadisch wie Cronenberg): Zwar hält UA einen sehr amerikanischen Individualismus hoch (du kannst die Welt verändern), aber es geht neben dem archetypischen Plot um große Werte (Medienwirklichkeit, Fairness, gleiches Recht für alle, Zweck heiligt die Mittel, Selbstjustiz) auch immer um die persönliche Weltsicht und den inneren Kampf, den ein jeder Mensch mit sich austrägt...

UA - das ist kein Superhelden-Rollenspiel. Es ist ein Spiel über Menschen, die eine neue Welt entdecken, die sie so vorher noch nie gesehen haben... Oder vielleicht ist UA einfach auch nur ein Chicagoer Vorstadt-Rollenspiel - denn das ist so ziemlich die soziale Strata, aus der ein Greg Stolze stammt....

Wie immer: Das Spiel ist das, was ihr daraus macht. Ich selbst habe sehr gute Erfahrungen gemacht, Spieler in Deutschland spielen zu lassen... Denn dann kennen die Spieler die Umgebung und Lebensverhältnisse besser und bauen ein engeres Verhältnis zu ihren Charakteren auf...

Ich habe schon Vampire ziemlich schnell in Deutschland spielen lassen - weil es so eher zu meinem Spiel wurde... Macht's doch so, wie es euch gefällt.
 
Re: Amerika

Gibt es denn eine Art Signature-Stadt, auf die sich im GRW bezogen wird, oder aus der die Beispielcharaktere stammen?
 
Re: Amerika

Wo wir schon bei "Deutschland geht auch" sind... ;)

Kennt jemand ein gutes deutsches Roadmovie? Mir fällt gerade auf Biegen und Brechen keines ein (im übrigen auch kein schlechtes, ich bin da irgendwie blockiert im moment). Sobald ich das gesehen habe, gebe ich mich mit Deutschland voll und ganz zufrieden. ;)

mfG
jdw
 
Re: Amerika

Im Juli. Von Fatih Akin. Ein Student jagt seiner Traumfau von Deutschland bis nach Istanbul hinterher...

Und dann gab es noch diesen Truckerfilm mit Westernhage "Theo gegen den Rest der Welt" Anfang der 80iger

Naja, und Paris, Texas ist auch ein deutscher Film...
 
Re: Amerika

Im Juli hab ich B-U-G auch schon verklickert! Wir hätten wetten sollen! ;)

Edit: Bandits! Jetzt bin ich endlich auf den Namen gekommen!
 
Re: Amerika

Silvermane schrieb:
Ich habe nie behauptet, das die Amis das erfunden hätten. Aber Tatsache ist die: Wenn wir von Verslummung und Ghettos reden, dann denkt man eben primär an amerikanische Großstädte.
Die Bronx ist nun mal archetypischer als ein frankfurter Sozialwohnviertel. Und europäische Städtchen mit knapp 50-100.000 Einwohner haben nun mal nicht den Charakter eines seelenfressenden Molochs. Städte mit dieser Qualiät sind bei uns dünn gesäht. Und selbst ein riesiges urbanes Gebiet wie Berlin hat nicht den Charakter eines New Yorks oder Los Angeles.
Soll denn die Welt von UA eine absolut gleiche Kopie der jetzigen Welt sein, oder gibt es dort auch so eine Art WoD-Effekt?

So hätte man das doch leicht portiert.
 
Re: Amerika

Durch den okkulten Untergrund gibt es m.E. einen "Wod" Effekt. Ich stelle mir da eine Mischung aus the Crow und Fight Club vor mit einem Hauch von 12 Monkeys.
 
Re: Amerika

Skar schrieb:
Soll denn die Welt von UA eine absolut gleiche Kopie der jetzigen Welt sein, oder gibt es dort auch so eine Art WoD-Effekt?
Absolut gleich? Ich dachte, es gäbe in UA zumindest die Abweichung, daß es TATSÄCHLICH Magie gibt, die auch merklich funktioniert.

Ich meine, als 1:1-Kopie wäre die Welt genauso spannend wie man es aus den Nachrichten erleben kann (d.h. SEHR spannend ;) ), aber würde m.E. nicht diese übersteigerten persönlichen Konfliktpotentiale beinhalten können, die - mit dem magischen Element essentiell verknüpft - ja das Besondere bei UA darstellen sollen (zumindest nach dem zu urteilen, was überzeugte UA-Fans mir vorgeschwärmt haben, und womit sie mein Interesse geweckt haben).
 
Re: Amerika

Skar schrieb:
Soll denn die Welt von UA eine absolut gleiche Kopie der jetzigen Welt sein, oder gibt es dort auch so eine Art WoD-Effekt?

So hätte man das doch leicht portiert.
Es gibt da einen ähnlichen Effekt, wobei Unknown Armies schon immer sehr viel lokaler war (so wie es die neue WdD jetzt auch ist). Oberflächlich handelt es sich um unsere Welt, im Detail und Hintergrund offenbaren sich große Unterschiede.

Eine Übertragung ist in der alten aber auch der neuen eigentlich relativ schmerzfrei und leicht umzusetzen.

Bis dann, Bücherwurm
 
Re: Amerika

Um mal eben aufs Amerikanische zurück zu kommen, UA geht mit Mythologien und Geschichte ebenso respektlos um wie viele Amerikaner es tun (wenn auch auf eine sehr viel amüsantere und selbstreflektierendere Weise).

Desweiteren hat die Mischung von Mythologien natürlich auch ihren Ursprung im amerikanischen "Melting Pot", denn auch wenn die amerikanische Kultur massiv durch den weißen, protestantischen Einwanderer geprägt wurde, mischen sich im da Bewußtsein noch eine Menge andere Vorstellungen - angefangen bei den streng katholischen Vorstellungen der mexikanischen Einwanderer (inklusive Engelsglaube) über den Voodoo-Kult der Nachfahren der zwangseingeführten Afrikaner über die taoistischen Vorstellungen der chinesischen und japanischen Einwanderer bis hin zu den durch das New-Age-belebten Ideen der Hindus.

UA fängt dies alles ein und verkocht es zu einem höchst schmackhaften aber amerikanischen Eintopf.
Solche Phänomene hat man in Europa, wenn dann nur in den UK und da auch nur in abgeschwächter Form - und die Engländer können ja bekanntermaßen ohnehin nicht kochen ;-)

Bis dann, Bücherwurm
 
Re: Amerika

Willkommen in der Postmoderne. UA fängt neben den ethnischen Ideen, wie sie Bücherwurm beschrieben hat, aber auch sehr stark Elemente der Popkultur ein und schafft daraus etwas sehr interessantes.

Aber auch wir haben dieses kulturelle Stückwerk - schau einfach mal in eine typische linke, etwas esoterische Familie rein - dann hast du deinen indianischen Animismus neben Buddhismus, Schamanismus plus eine heftige Dosis Theosophie...

Um im "Kanon" zu bleiben, sollte man in Europa Rituale und Wahre Thaumaturgen ein wenig aktiver ins Spiel bringen - schließlich haben wir ja einen Haufen echter (und noch mehr falscher) okkulter Zirkel... Aber sonst? Einfach drauflos - und holt euch den Schluck aus Barschels letzter Pulle oder eine Bettdecke aus der Fallschirmseide Möllemanns...

Und findet heraus, wie Melville die RAF gründete...
 
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