AW: Spiele- oder Buchmarkt?
Denn Rollenspiel ist ein Medium, das in seiner Form der Literatur zuzuordnen ist
Ein GRUNDIRRTUM, der für viel Leid, schlechte Produkte und gestörtes Spiel verantwortlich ist.
Rollenspiel ist ein Medium, das genauso "Literatur" ist, wie Tabletop-Miniaturen-Spiele, Kartenspiele, oder Brettspiele. - Nämlich NICHT!
Klar, der Literaturbegriff kann beliebig weit gedehnt werden, daß ALLES, was irgendeine Aneinanderreihung von Zeichen darstellt, bereits als Literatur bezeichnet wird. Beipackzettel von Medikamenten, die Anleitung auf einem Fahrkartenautomaten, die Spielanleitung für einen Geldspielautomaten, die Spielanleitung für Kniffel, die Spielanleitung für Schach, die Spielanleitung für HeroClix, die Spielanleitung für Risus, die Spielanleitung für DSA4.1.
Ist das alles WIRKLICH Literatur?
Wird man den Beipackzettel und die Geldspielautomatenanleitung im Buchhandel finden? Warum dann Rollenspiele?
Der TEXT in Rollenspielen ist zunächst einmal REGELTEXT. Der ist genauso "literarisch" wie der Regeltext zu einem Brettspiel, einem Computerspiel oder einem Tabletop.
Dann transportiert der Text u.a. auch Stimmung. Aber NICHT ALLEIN! - Beim Rollenspiel gehören schicke Charakterbögen, bunte Würfel, farbige Handouts, Spielkarten, Miniaturen, Münzen, Pokerchips, Battlemaps, Szenerien, Musik, usw. DIREKT zum Rollenspiel als Medium dazu.
Und darin unterscheidet sich Rollenspiel auch nicht von z.B. Tabletop-Spielen. Bei Legends of the Old West sind stimmungsvolle Texte, schöne Illustrationen, kleine Geschichten aus der dargestellten Spielwelt eine SELBSTVERSTÄNDLICH eingesetzte Möglichkeit für ein Tabletop Stimmung zu vermitteln.
Wo soll da denn der Unterschied zum Rollenspiel liegen?
Brettspiele genauso. Da wird der Spielplan sorgfältig entworfen, wie auch im Rollenspiel der Bodenplan. Da werden Spielmaterialien gestaltet, wie im Rollenspiel Miniaturen für die Charaktere und Handouts.
Tabletop-Spiele sind essentiell NUR TEXT.
Ich habe gerade mal wieder das alte Boot Hill gelesen, wo man nur ein läppriges Heftchen mit den REGELN und ein paar kruden Stimmungs-Illustrationen bekommt. - Die erste Auflage von Boot Hill war ein REINES Tabletop-Spiel.
In der zweiten Auflage kommt so langsam das Rollenspiel in Boot Hill auf. Aber es ist weiterhin NUR TEXT.
Tabletop-Spiele kauft man sich in Textform und erwirbt zum Spielen Miniaturen, Würfel, Szenerie usw.
Rollenspiele kauft man sich in Textform und erwirbt zum Spielen Würfel, Karten, Miniaturen, Bodenpläne usw.
Rollenspiele adressieren ganz klar den SPIELEMARKT.
Nicht einmal alle Rollenspiele kommen als Buch daher. - RuneQuest3 hatte von Avalon Hill stets ein Box-Format für die umfangreichen TEXTE, die auf läpprigen, einbandlosen Zettelsammlungen präsentiert wurden. - Star Frontiers war eine Komplett-Box mit mehreren Broschüren, Abenteuern, Bodenplänen, Würfeln und Markern/Figuren (Die-Cut-Counters). - Deluxe Traveller kam mit vier LBBs, einer Karte und Würfeln.
Rollenspiele als BOX sind gängige "Darreichungsformen", die eben über die beschränkten Möglichkeiten eines Buches hinausgehen.
Es ist schwer die Würfel, anständig große, nutzbare Karten, Handouts, usw. alle in Buchform mitzuliefern.
Bei solchen Büchern muß man sich IMMER irgendwo anders etwas dazukaufen. Die Würfel, die Miniaturen, die Karten, die Charakterbögen, usw. - Vielfach werden solche Inhalte auch Online angeboten, da sie eben NICHT in Buchform nutzbar abzugeben sind.
Früher gab es Midgard 2 im normalen Buchhandel zu kaufen. Zumindest in Ulm war das so. - Nur, in dem Buchladen gabe es KEINE WÜRFEL! Wer also Midgard spielen wollte, der mußte sehen, wo er denn W20 und Prozentwürfel herbekommt. - Jedenfalls NICHT im Buchhandel!
Überhaupt geht man doch eher selten zum SPIELEKAUFEN in den Buchhandel. Rollenspiele gehören in SPIELELÄDEN, wo man auch gleich die passende Kundschaft findet. Rollenspiele als BOX in Toys'r'us. Rollenspiele mit "Spiel des Jahres"-Auszeichnung im Spieleladen neben dem nächsten Knizia-Knüller. - Da findet man die Zielgruppe.
Nicht im Buchhandel, wo die Buchverkäufer überfordert wären, wenn nach dem nächsten Armeen-Buch für ein Tabletop gefragt wird, das sich parallel zum Rollenspiel in demselben Setting ansiedelt. Ein Buchverkäufer, den Eltern über die Eignung eines Rollenspiel-Buchs für 14-Jährige fragt, wird dazu kaum was sagen können.
Brauchen Rollenspiele dann auch Angaben wie Brettspiele zum Alter, zur Komplexität, zur Spieldauer, wenn sich keiner der Verkäufer im Buchhandel damit auskennt?