AW: Soziale Interaktion vs. Kampf - Ausspielen vs. Auswürfeln.
Ich finde ja eine der begeisternden Eigenschaften von Rollenspielen die Möglichkeit Charaktere zu spielen, die ANDERS sind und ANDERES Können besitzen, als man selbst.
Klar, die Charaktere existieren NICHT. - Es ist IMMER der Spieler selbst, der da agiert. Jedoch ist der in Spielwerten und sonstigen, nicht einmal schriftlich fixiert sein müssenden Überlegungen festgelegte Charakter ein (selbstgewählter) FILTER für das Spielerverhalten im laufenden Spiel.
Das bedeutet, daß ein an sich sehr taktisch begabter Spieler auch mal einen von jeder taktischen Herausforderung völlig überforderten Non-Kombattanten-Charakter spielen kann. Und zwar mit Verve, mit Elan, mit Engagement, mit VOLLER POWER!
Wie geht das?
Zum einen überlegt sich der Spieler, wie SEIN FIKTIVER CHARAKTER in der konkreten Situation wohl handeln würde. Anders als im Tabletop, wo nicht die "Charakterzüge" der in dem rein siegorientierten Spiel eingesetzten Figuren "zählen", ist im Rollenspiel eben nicht die taktisch "optimale" Lösung immer die spielerisch befriedigende, sondern die CHARAKTERGERECHTE Vorgehensweise. Auch ein noch so ausgemaxter Kämpfer kann, wenn er vom Spieler als "vorsichtig" oder gar "feige" erdacht wurde, eben NICHT seine optimale Kampfposition in einer Kampfszene einnehmen, sondern wird vom Spieler BEWUSST dort eingesetzt, wo ihm wenig passieren kann.
Das ist charaktergerechtes Spiel durch Selbstbeschränkung des Spielers, der unter den ihm selbst gegebenen Möglichkeiten zur Lösung der Herausforderungen an den Charakter spielt, dafür aber die Herausforderungen an das SPIELEN des Charakters mit Schwung angeht.
Manche Regelsystem HELFEN einem Spieler beim Einhalten der charakterbezogenen Einschränkungen. So gibt es für den feigen Kämpfer die Möglichkeit ihn mit einem niedrigen Mut-Wert auszustatten oder seinen Guts-Skill niedrig zu lassen. Andere Möglichkeiten sind Nachteile, die Verhaltensbeschränkungen umsetzen - entweder durch Einschränkungen (negative Modifikatoren) oder durch ANREIZE (Belohnung für das Beachten der Selbstbeschränkung z.B. durch Bennies oder (weil oft viel später als die konkrete Szene verteilt, eine schwächer wirkende Belohnung) Erfahrungspunkte).
Diese Regelsystem-Unterstützungen sollen nur HELFEN einen Charakter so umzusetzen, wie ihn sich der Spieler gedacht hat, und sie sollen HELFEN den Charakter eines Spielers - insbesondere aus Sicht des Spielleiters - besser einzuschätzen.
Ich glaube, daß kaum jemand einen Spieler für einen "schlechten Rollenspieler" halten würde, der seinen feigen Krieger oder den überforderten Kommandeur so spielt, daß nicht das von demselben Spieler in anderen Rollen nachgewiesene Vermögen taktische Herausforderungen zu meistern oder unterstellte Verbündeten-Charaktere optimal zu führen und einzusetzen zum Tragen kommt, sondern der Charakter ERWARTUNGSGEMÄSS ineffektiv handelt.
Erwartungsgemäß?
Wer erwartet denn hier etwas?
Die ANDEREN MITSPIELER natürlich! (Der Spielleiter und die anderen Spieler sind ja IMMER das "Publikum" für jede spielerische Handlung eines Spielers - egal ob Würfelwurf, gewitzte Antwort oder ausgeklügelter Plan.)
Wie kommen denn die anderen Spieler überhaupt dazu irgendwas zu erwarten?
Das ist der eigentlich interessante Punkt, meine ich, an welchem die Diskussionen über "Ausspielen 'oder' Würfeln" gerne vorbeigehen.
Wenn ich einen Charakter NICHT mit irgendwelchen Spielwerten versehen habe, sondern einfach rein erzählerisch und ohne irgendeine schriftliche Fixierung der Eigenschaften des Charakters das Spiel begonnen habe, dann kennen die anderen Spielenden NUR das tatsächliche VERHALTEN meines Charakters. - Was können sie also erwarten? Nur etwas, was aufgrund meines bereits IM SPIEL gezeigten Verhaltens stimmig bzw. plausibel ist. Nichts sonst. Alles andere wissen sie nicht!
Entscheidend ist in solch einem Fall des "unbekannten Charakters" nur das tatsächlich gespielte Verhalten und dessen KONSISTENZ.
Konsistenz. Das ist wichtig, da es - nach dem menschlichen Erfahrungsschatz, den JEDER Spieler ins Spiel mitbringt - zum wesentlichen Ausbilden und Festigen von Beziehungen zwischen Menschen gehört. Eine Person, die ständig sprunghaft und unvorhersehbar Stimmungsschwankungen und grundsätzlich andersartige Verhaltensweise an den Tag legt, wird als GESTÖRT in ihrem Verhalten wahrgenommen.
Ein Charakter, der nicht BEWUSST einen Gestörten verkörpern soll, braucht daher in der WAHRNEHMUNG durch die anderen Spieler eine gewisse KONSISTENZ seines Verhaltens, um zu diesem Charakter nicht-gestörte Beziehungen aufbauen zu können.
In einer Spielgruppe ist aufgrund des vorausgesetzten Willens zum GEMEINSAMEN Spielen aller Beteiligten von einer in dieser Gruppe verträglichen Verhaltensweise auszugehen. Verhaltensweise des SPIELERS, sowie des Charakters. - Verträglich kann dabei in der Charakter-Ebene durchaus bedeuten, daß man den anderen Charakteren auf den Geist geht, oder gar sie zu hintergehen oder umzubringen sucht. Das macht in manchen Rollenspielen eben die Würze des Spiels aus. - Verträglich bedeutet aber auch, daß der Charakter nicht so handelt, daß es aus der Wahrnehmung der anderen Spieler für diese und für deren Charaktere völlig unakzeptabel wird, mit solch einem Charakter noch weiter Umgang zu pflegen.
Spielrunden, in denen alle anderen Mitspieler angekotzt sind von den "Ich spiele doch nur meinen Charakter aus"-Aktionen eines anderen, kennen vermutlich viele Rollenspieler. - Extreme Charakter zu spielen ist eine Herausforderung. Noch viel mehr, weil man damit nicht nur in der Spielwelt extrem spielt, sondern weil man seinen MITSPIELERN damit auf die NERVEN gehen kann, wenn man nicht weiß, wo die Grenze des (V)Erträglichen ist.
Im Folgenden möchte ich die "Störenfriede" unter den Spielern, die "Mein Charakter ist halt so" als Entschuldigung für das Spaßverderben an ihren Mitspielern heranziehen, ausklammern. - Ich gehe also davon aus, daß ein Charakter VERTRÄGLICH für seine Spielwelt-Umwelt und für die MITSPIELER gespielt wird, um überhaupt ein gemeinsames Spiel nicht gleich abzuwürgen.
Auch verträglich gespielte Charaktere können extrem sein. Und in manchen Spielwelten passen diese besser in einer SC-Gruppe zusammen als in anderen.
DASS die Charaktere in einer SC-Gruppe irgendwie zusammenpassen müssen, ist natürlich auch nicht immer notwendig oder gegeben. - Es gibt auch einige Rollenspiele, wo Charakter-gegen-Charakter (PvP) der gesetzte Normalfall ist (AGON z.B. oder HotB oder Paranoia).
Also wird man den "schlechter Rollenspieler"-Vorwurf nicht zwingend hören, wenn man extreme, ja gar die anderen SCs angreifende Charaktere spielt. Das kann alles verträglich, weil passend und in allgemeiner Zustimmung zur Art des Spiels ablaufend, sein.
Den "schlechten Rollenspieler" bekommt man eher bei Spielern, deren Charaktere die Konsistenz vermissen lassen. Diese Charaktere wirken UNGLAUBWÜRDIG.
So, wie der Spielleiter die Konsistenz seiner Regelungen und die Plausibilität der Reaktionen seiner Spielwelt auf die Aktionen der Spieler zu erhalten versucht, um seine Spielwelt und seine Kampagne GLAUBWÜRDIG zu halten, so ist auch die ERWARTUNG von allen Mitspielern, daß jeweils die anderen Charaktere ebenfalls GLAUBWÜRDIG gespielt werden sollten.
Das geschieht durch Konsistenz des Verhaltens und Übereinstimmung mit dem, was man bislang an Erfahrungen mit diesem Charakter gemacht hat. - Ohne jegliche Spielwerte zu kennen, weiß man, daß der eine besser Klettern kann als alle anderen, der andere ist ein Schweigsamer, der aber der beste Schütze in der Gruppe ist, und wieder einer ist ein Charmeur, der jede und jeden um den Finger wickelt. Das weiß man, weil man sie so im Spiel ERLEBT hat. Daher ERWARTET man, daß sie in neuen Situationen ähnliche Eigenschaften zeigen.
Hier kommen die Regelsysteme ins Spiel - wörtlich. Denn sie HELFEN den Spielern diese Konsistenz der Charaktere zu wahren.
Auf dem Charakterbogen stehen Spielwerte. Diese ändern sich meist nicht sprunghaft, sondern sind ein Anhaltspunkt für den SPIELER, wie sein Charakter im Vergleich mit anderen der Spielwelt seine Eigenschaften ausgeprägt hat. Der gute Kletterer hat einen hohen Fertigkeitswert in Klettern. Der beste Schütze hat einen Vorteil "Scharfschütze". Der Charmeur hat einen hohen Attributswert in Charisma, einen hohen Fertigkeitswert in Beredsamkeit und einen Vorteil Charmant - alles zusammen macht ihn verglichen mit einem Normalbewohner der Spielwelt zu einer Figur, die andere um den Finger wickeln kann, wenn sie nur will.
Die Spielwerte HELFEN beim Spiel eines Charakters, weil der Charmeur-Spieler sich sicher sein kann, daß sein Charakter mit all den auf den "Bau" dieses Charakters aufgewandten Charakter-Bastel-Resourcen auch garantiert ein wirklich sehr charmanter Charakter in der Spielwelt ist, als solcher von der Spielwelt wahrgenommen wird, und somit ein GLAUBWÜRDIGER Charakter mit konsistentem Erfolg beim Spielenlassen seines Charmes ist.
Ein Charakter, der bei Spielrundenbeginn zu schwach war, um alleine einen Kartoffelsack zu heben, hat meist nach einer Stunde Spielzeit nicht plötzlich die Stärke einen anderen Charakter, den fetten Zwergenmagier, der doppelt so viel wie der Kartoffelsack wiegt, aufzuheben und aus dem Gefahrenbereich herauszutragen. - Das ist auch Konsistenz des Charakters.
Zur Konsistenz gehört, daß Steigerungen der Fähigkeiten von Charakteren mit plausibler Geschwindigkeit erfolgen. Also nicht binnen zweier Tage Spielzeit von unterdurchschnittlicher Stärke hin zur Körperkraft eines Eisriesen gelangen, sondern in Schritten, die - je nach Genre - mehr oder weniger eng an realistischen Fortschritten orientiert sind, um noch plausibel zu sein. (Manche Genres erlauben das rasante Fähigkeitenwachstum, so daß das an sich kein Problem darstellt - aber in "low power"-Settings wird man weniger "superhelden-artige" Fähigkeitenzuwächse haben wollen, um noch glaubwürdig zu sein.)
Die Spielwerte (und deren Änderung mit der Spielzeit) stellen also HILFEN für den Spieler dar, seinen Charakter konsistent und glaubwürdig zu spielen.
Alleine auf Spielwerte kann man sich dabei aber bei den meisten Rollenspielregelsystemen nicht verlassen. Das würde bedeuten, daß der Interpretations-SPIELRAUM durch harte Regeln und harte Ergebnisse eingeschränkt wird.
Als Rollenspieler WILL man aber Freiheitsgrade haben. Gerade im Pen&Paper-Rollenspiel! - Hier muß nicht wie in einer Programmierung eine feste Handlungsauswahl und feste Ergebnisse nur abgerufen werden, sondern in Pen&Paper-Rollenspiel schätzt man besonders die FREIHEIT des Spielers die Rede und die Handlungen seines Charakters zu bestimmen. - Manche dieser Handlungen führen zur Regelsystem-Anwendung, andere wiederum werden vom jeweils verwendeten Regelsystem nicht abgedeckt. Je nach Regelsystem kann es hierbei sehr frei oder unter sehr viel Regeleinsatz ablaufen - das hängt immer vom jeweiligen Rollenspiel, der konkreten Situation und der Handhabung des Regelsystems innerhalb der Spielgruppe ab.
Das Spektrum der Regelunterstützung für unterschiedlichste Handlungen in Rollenspielen reicht von KEINER (Engel-Arkana-"System") bis zu den allseits bekannten Regel-"Schwergewichten", in denen möglichst viel von den Regeln abgedeckt wird, um den Spielleiter nicht zum Improvisieren bzw. zum ad hoc Treffen von Regelungen zu nötigen. (Dies Improvisieren und Regelungen-Treffen wird von den Erstellern solcher Regel-Schwergewichte oft als nicht erstrebenswert angesehen. Um daher das "lästige" Improvisieren und die unerwünschten ad hoc Regelungen zu vermeiden, muß das Regelwerk eben viel vollständiger sein, als bei Rollenspiel-Entwicklern, die einfach vorraussetzen, daß man problemlos die Stellen, die nicht vom Regelwerk abgedeckt sind, durch spontan getroffene Regelungen schließen kann, ohne dazu viele, selten gebrauchte Regeln aufstellen zu müssen. - Beispiel für die erste Gruppe: Das auf Midgard-Basis entstandene Perry-Rhodan-Rollenspiel. Beispiel für die zweite Gruppe: Barbarians of Lemuria oder die diversen OD&D-Klone.)
Gibt nun ein Rollenspiel für einen bestimmten Handungsbereich der Charakter besonders breite Regeln an, so ist dies ein Bereich, der von den Entwicklern als kritisch, wichtig und - für den Unterhaltungswert - besonders interessant angesehen wurde. BESONDERS interessant, heißt nicht, daß andere Bereiche "uninteressant" wären, sondern nur, daß hier ein besonderes Interesse vorliegt, das die besondere Behandlung durch mehr Regeln rechtfertigt.
Oft sind die Regelbereiche von besonderer Breite die Kampfregeln und die Magie-Regeln.
Warum ist diese Breite der Kampf- oder Magie-Regeln quer über wirklich viele, in sich sehr unterschiedliche Rollenspielregelsysteme so ausgeprägt? Man findet mehr Rollenspiele mit breiterer Kampfregeldarlegung, als mit breiter Heilungsregeldarlegung oder Fahrzeugreparaturregeldarlegung.
Kampf ist natürlich WICHTIG. - Kampf bedroht den SPIELER direkt. Und zwar bedroht jede Kampfszene den SPIELER mit dem Verlust seines einzigen Mittels, um in der Spielwelt zu agieren, um am Spiel teilzunehmen - seines Charakters.
Eben WEIL es letztlich in JEDEM Kampf um das weitere Mitspielen-Können des Spielers geht, ist Kampf von so herausragender Bedeutung, daß auch entsprechend breiter Raum in den Regeln dafür geschaffen wird.
Das muß so sein, damit alles FAIR zugeht.
Man kann als Spielleiter einem Spieler auf einen verbal dargestellten Versuch bei der Barmaid im Bett zu landen rein verbal entgegnen "Sie lacht Dich aus und sagt: 'Du Milchgesicht? Du weißt doch mit einer Frau nichts anzufangen!' Die gesamten Besucher der Schenke haben das mitbekommen und lachen sich eins." - War das unfair? - Vielleicht. (Vielleicht hatte der Spieler ja einen ausgemaxten Charmeur und Verführer-Charakter gespielt - dann wäre die Reaktion der Barmaid eventuell unstimmig gewesen.) - War das "schlimm"? - NEIN. Denn es ging nicht um etwas Kritisches - weder für den Charakter noch für den Spieler.
Man kann als Spielleiter einem Spieler auf einen verbal dargestellten Versuch bei der Barmaid im Bett zu landen rein verbal entgegnen "Sie zieht aus ihrem Ausschnitt einen Dolch und sticht ihn Dir mehrfach in den Hals. Du brichst blutüberströmt zusammen. Die gesamten Besucher der Schenke haben das mitbekommen und lachen sich eins. Einer lallt: 'Ja, ja. Die Bloody Mary läßt sich nicht so leicht flachlegen und ist sehr nachtragend. Hähähä!' Der Wirt kommt, um Deine Leiche aus dem Schankraum zu ziehen." - War das unfair? - SICHER! Nun darf der Spieler sich einen neuen Charakter machen, den die anderen Spielercharaktere nicht nur nicht kennen, sondern der keine Beziehungen zum bisherigen Verlauf der Kampagne haben wird. Zudem hatte der Spieler KEINE CHANCE diese überaus harsche Reaktion eines minderwichtigen NSCs auf einen eher der Interaktion mit dem Lokalkolorit zuzurechnenden, unwichtigen Verführungsversuch irgendwie ABZUWENDEN.
So etwas wird zumeist als UNFAIR und frustrierend empfunden. - Das ist NICHT SPANNEND und NICHT UNTERHALTEND.
Daher bieten für solche und ähnliche, harte Konsequenzen austeilenden Handlungen die meisten Rollenspiele besondere Regeln. - Manche scheren alle Konflikte über den gleichen Kamm, was z.T. zu etwas schwer in der Spielwelt umsetzbaren Ergebnissen führt: Wie spielt man eine erhaltene mittelschwere soziale "Wunde"? Wie stellt man das dar? Wie im Unterschied zu einer leichten oder einer schweren?
Kampfszenen mit physischen Konsequenzen sind oft recht eindeutig umzusetzen und zu spielen. Arm ab ist Arm ab. Da ist kaum etwas zu deuten, keine Unsicherheit. - Abstraktere Wundensysteme erlauben mehr Deutungsmöglichkeiten, weil sie nur ebenso abstrakte Abzüge auf weitere Handlungen oder andere eher im Regeltechnischen bleibende Effekte verwenden.
Man kann so etwas auch für soziale Konflikte machen. Eine "Wunde" stellt eine Einschränkung bei weiteren sozialen Fähigkeitsanwendungen dar. Doch hakt es hier immer wieder spürbar.
Warum?
Die meisten Menschen, so auch die meisten Rollenspieler, haben KEINERLEI Erfahrungen damit, was in einem Ernstkampf so passiert und wie reale Wunden aussehen, sich auswirken und zu behandeln sind. - Auch die meisten Rollenspiel-Ersteller wissen das nicht und WOLLEN das auch nicht wissen. - Daher sind Regelsysteme oft ausgesprochen unrealistisch in allem, was Kampf, Verwundungen und Heilung anbetrifft. Und das sind sie GEWOLLT! - Heroische Heldengeschichten als Vorlagen lassen ja auch nicht den Helden nach einem klassischen "Schuß in die Schulter" immer wiederkehrende Schmerzanfälle erleiden, den Arm auf der betroffenen Seite nie wieder richtig anheben, ständig von einer OP zur nächsten, von einem Physiotherapeuten zum nächsten gehen. Der HELD ist in der nächsten Szene meist schon wieder so fit, als hätte er nie etwas abbekommen.
Daher ist Kampf an sich schon eher von cinematischen oder literarischen Vorlagen geprägt in Regeln abgefaßt worden.
Der Kampf, den Rollenspiele so bieten, soll bestenfalls Kampfszenen mit einem Spielgefühl "wie im Kino" oder "wie im Buch" erzeugen können. Nicht mehr, aber möglichst auch nicht weniger. - Einen wirklich "realistischen" Kampf will NIEMAND zu den Unterhaltungszwecken haben, wegen derer man überhaupt Rollenspiele spielt.
Und wenn ein Rollenspiel mal wirklich versuchen würde eine knackige Realitätssimulation von Ernstkämpfen zu machen, dann würde das keiner spielen wollen - geschweige denn, daß es jemand überhaupt als "realistisch" EMPFINDEN würde.
Einschub: Bei Vorführungen in Wushu, Kali oder Mittelalterlichem Fechten sind Zuschauerkommentare sehr gute Gradmesser - die bestens vorbereiteten, einstudierten, vielfach geprobten Partnerformen, die choreographierten Gefechte sind flüssig, schnell und von einer inneren Dynamik, die einem Zuschauer gefällt, während die eingeflochtenen ECHTEN Freikämpfe im Vollkontakt oder Leichtkontakt (mit stumpfen Waffen natürlich!) bei den Zuschauern als "das wirkte ja so abgesprochen" angekommen sind. Grund: Die Zuschauer kamen mit der natürlich ob der Gefährlichkeit des Gezeigten wesentlich vorsichtigeren und auf kleinste Positionierungsänderungen bereits reagierenden Dynamik eines Kampfes mit gebrochenen Rhythmen und dem Kontern von Aktionen, noch bevor sie für den Zuschauer erkennbar entstanden sind, überhaupt nicht zurecht. Das ist erst etwas, das sich einem in der Kunst selbst Geübten erschließt, da dieser die notwendige Urteilskraft mitbringt.
Urteilskraft ist das Schlüsselwort hier.
Zurück zum Kampf im Rollenspiel. Die meisten Rollenspieler haben NICHT diese Urteilskraft und können somit nur anhand ihrer eigenen Kenntnisse (Filme, Comics, Bücher) Kampfregeln und deren Ablauf und Ergebnisse im Spiel beurteilen.
Bei sozialen Fähigkeiten ist das jedoch ANDERS!
Nur schwer Kontaktgestörte haben hier eine ähnlich eingeschränkte Urteilskraft hinsichtlich sozialer Konflikte und deren Folgen, wie dies bei physischen Konflikten üblich ist.
Ein normaler Mensch WEISS SEHR GUT, wie soziale Konflikte entstehen, ablaufen, geführt werden, bereinigt werden, und welche Konsequenzen unterschiedliche soziale Konflikte haben können.
Vor allem: Rollenspieler kennen die Gefühle AUS EIGENER ERFAHRUNG, die man infolge unterschiedlicher sozialer Konflikte empfindet.
Der Kampf läßt sich gut abstrahieren. Man kann hier kaum von eigener Gefühlslage oder eigener Erfahrung ausgehen. Man hat andere Medien mit Kampfdarstellungen als Vorlage.
Aber für GEFÜHLSLAGEN braucht man keine "Ersatz-Darstellung" in Form von Filmen, Büchern oder Comics. Die kennt man alle SELBST!
Somit unterliegen die Ergebnisse bei einem im Rollenspiel auftretenden sozialen Konflikt zwischen Charakteren einer wesentlich HÖHEREN URTEILSKRAFT der beteiligten und der nur zuschauenden Spieler!
Das ist der Hauptunterschied zu physischen Konflikten.
Ich weiß, wie es ist im Vollkontakt mit Stöcken oder Körperwaffen einzustecken. Ich weiß, wie es ist, wenn man trotz einer heftig blutenden Schnittwunde weiterkämpft. Ich weiß, wie es ist, wenn man durch einen einzigen Schlag mit einem Langstock sofort kampfunfähig wird. - Ich weiß NICHT, wie es ist, angeschossen zu werden. Und ich WILL DAS AUCH NICHT WISSEN!
Trotzdem kann es mir beim Deadlands-Spielen passieren, daß mein Charakter einen Bauchschuß bekommt. - Doch wie spielt man das dann? Was kann ich als SPIELER da tun, um den erhaltenen Bauchschuß PLAUSIBEL für die anderen Spieler rüberzubringen?
Was mir hier hilft sind die Kampfregeln von Deadlands: Wunden, Blutverlust, Schock, Handlungseinschränkungen, usw. - Das ist alles NICHT realistisch, aber für die Umsetzung des gewollten Genres der Italo-Western-Filme durchaus passend, stimmig - glaubwürdig.
Was aber, wenn ich in Deadlands mit einem anderen Charakter in ein Gespräch komme, und ihn einschüchtern will?
Da hilft mir Deadlands mit Regeln für die Anwendung der Fertigkeit "Einschüchtern", Regeln für den Widerstand gegen Einschüchtern, Regeln für die Konsequenzen eines Einschüchterns. - HALT!
Genau bei den Konsequenzen wird es problematisch. - Mitten im Kampf ist es ja noch ganz interessant, wenn der Gegner durch Einschüchtern eine seiner Handlungen verliert. Aber was ist, wenn ich OHNE laufenden Kampf jemanden Einschüchtern will? Und wie verhält sich nun der Betreffende bei einem Erfolg, einem Erfolg mit Erhöhung, einem Erfolg mit zwei Erhöhungen, usw.? - Wie wirkt sich die QUALITÄT meines Einschüchtern-Versuchs auf das Verhalten des anderen Charakters aus?
Da läßt einen das Deadlands-Regelwerk im Stich. Man muß es sich selbst je nach Situation überlegen. - Nicht immer so einfach. Nicht immer so befriedigend. - Und wird es immer fair sein? Bestimmt nicht immer.
Natürlich kann man auch ohne jedes Regelwerk für soziale Konflikte spielen. Man spielt dann seinen Charakter, und der schüchtert jemanden ein, oder auch nicht. Ob und wie gut das klappt, entscheidet dann der Spielleiter oder der Spieler des anderen Charakters. - Aber ist diese Entscheidung auch GLAUBWÜRDIG?
Beispiel in einer DSA-Runde, die ich vor bestimmt Jahrzehnten auf einem Con mitgespielt habe. Ich konnte mich an einen Wächter heranschleichen und ihm meinen Dolch an den Hals setzen, um ihn einzuschüchtern und ihn zur Herausgabe seines Schlüsselbundes zu bewegen. Da sagt mir der Spielleiter: "Der ignoriert Dich einfach, weil Du mit dem Dolch nicht genug Schaden machen kannst, um ihn zu töten. Das hält der einfach aus. Daher läßt der sich nicht einschüchtern."
Das nennt man dann "Plausibilitätsbruch, schwerer".
Hier hatte es also KEINE klaren Regeln für Einschüchtern (oder Meucheln/Unentrinnbare Treffer an vitalen Lokationen) gegeben und der Spielleiter war ein Idiot, der seine NSCs nicht wie Personen, sondern wie Lebenspunkte-Beutel gespielt hat.
Wie hätte das anders laufen können?
Mit anderen Regeln? Mit "besseren" Regeln?
Oder mit dem berühmten "Gesunden Menschenverstand"?
Ja, genau!
Der GMV, der oft als eine schlechte Entscheidungsgrundlage bezeichnet wird, stellt genau das dar, was oft abgeht: URTEILSKRAFT.
JEDER weiß, daß ein Messer an der Halsschlagader eine lebensbedrohliche Situation ist. - Diese plausibel, spielweltstimmig gespielt bedeutet, daß der NSC so etwas als ERNSTE BEDROHUNG auffaßt und sich entsprechend verhält.
GMV. - Ich will jetzt nicht den oftmals eben NICHT "gesunden" Menschenverstand hier verteidigen. Oftmals ist eben die Urteilskraft - gerade bei Kampfaktionen - eben NICHT gegeben.
Aber bei sozialen Aktionen sollte man davon ausgehen können, daß sie gegeben ist. - Das ist zumindest die Position, die seit den alten D&D-Ausgaben meinen Einstieg ins Rollenspielhobby begleitet hat. - OD&D brauchte außer Charisma überhaupt KEINE sozialen Fähigkeiten, sondern nur die Wahrung der Glaubwürdigkeit der Spielwelt, des Verhaltens ihrer Bewohner, als ausreichende Grundlage für eine FÜLLE an sozialen Konflikten, wüsten Bluffs, hartäugigen Einschüchterns, zungenfertigen Überredens.
Charisma als Attribut zeigt einem Spieler an, wie gut er mit anderen Personen so "kann". Wie seine Ausstrahlung, seine Wirkung auf andere ist. - Der Paladin mit hohem Charisma kommt als "I am the LAW!" Judge-Dredd-Ritter daher. Der Dieb mit hohem Charisma kommt als schnellredender Trickbetrüger an. Der Zauberer mit hohem Charisma kommt als glaubwürdiger, weiser Ratgeber und Planer an. - Auch wenn diese ROLLE innerhalb der Spielwelt nicht von den anderen Spielwerten der Charaktere gestützt sein mag, so stellt doch allein schon der Charisma-Wert einen guten Anhaltspunkt für die INTENSITÄT dar, mit der ein Charakter in seiner (arche)typischen Rolle (Kämpfer, Dieb, Kleriker, Magie-Anwender) in der Spielwelt auftritt und wahrgenommen wird. - Im Guten wie im Schlechten.
Das konkrete Umsetzen ist old-school-typisch eine Frage der Wahrung der Glaubwürdigkeit von NSCs und Spielwelt insgesamt.
Andere Regelsysteme hatten schon damals soziale Fertigkeiten wie Liaison, Carousing, Steward, Admin, usw. - Die hier genannten kommen in Travellers Little Black Books vor.
In der Kampagne "The Traveller Adventure" kommt ein ganzes Abenteuer NUR durch eine Unmenge an sozialer Interaktion, sozialen Konflikten innerhalb eines ausgedehnten Behördenapparats zustande. - Das Ganze ist deshalb abenteuerlich, weil man die jeweiligen NSCs erst einmal kennenlernen muß, ihre Schwachstellen bzw. ihre Historie entdecken muß, und dann den richtigen Charakter mit der richtigen Fertigkeit, dem richtigen Hintergrund und den richtigen Worten hinschicken muß. - Spannend!
In diesem Szenario wird besonders die Karma-Seite (Vorgeschichte des Charakters, seine Laufbahn, seine Erfahrungen und Kenntnisse, seine sozialen Fähigkeiten, sein Sozialer Stand(!)) vor der Schicksals-Seite (Zufallseinfluß) betont. - Macht die Gruppe es gut, dann hat der Zufallsfaktor kaum noch etwas mit dem Erfolg der Gruppe zu tun. Dann haben sie diese soziale Herausforderung durch Herausarbeiten von jeder Menge vorteilhafter Positionen gemeistert.
Mehr noch als in einen physischen Konflikt geht in einen psychischen Konflikt die Vorgeschichte des Charakters bis zum Zeitpunkt des Konflikts ein. Diese Vorgeschichte liegt aber in den meisten Regelsystemen NICHT in Spielwerte gefaßt vor. Sie ist Teil der Überlegungen des Spielers bei Charaktererschaffung, und sie ist Teil dessen, was der Charakter im Spiel bereits erlebt hat, und - ganz wichtig - wie der Spieler ENTSCHIEDEN hat, daß sein Charakter das Erlebte verarbeitet haben soll!
Da befindet man sich wieder im "Schwammigen". - Klare Spielwerte, klare Charakterlaufbahnen, Klassen, Berufe, usw. lassen sich noch für alle anderen in der Runde nachvollziehen, aber was ist mit den "Innenwelten"?
Wieso reagiert der sonst so cholerische, über-aggressive Charakter bei den frechen Vorwürfen des Priesters so beherrscht? - Ist das nicht unplausibel? Sonst läge der Priester doch schon da und hätte seine Zähne als Bausatz in der Hand.
Es ist schwierig solche Innenwelt-Motivationen für einen - nach außen wie einen Bruch in der stimmigen Charakterdarstellung wirkenden - Verhaltenssprung offenzulegen. Man kann da etwas aufschreiben, aber das ist nicht jedermanns Sache. Und 50 Seiten Nabelschau eines Charakters möchte ich mir als Spielleiter auch nicht antun. Nicht mal 5 Seiten. Besser keine Seite.
Wenn die beiden "Barden" Jake und Elwood sich von NIEMANDEM etwas sagen lassen, außer von einer bestimmten Nonne, dann gehört das eben auch zum Charakter. Das gibt Profil.
Also wird man solche Fälle auch NICHT als "schlechtes Rollenspiel" im Sinne von "unglaubwürdige Charakterdarstellung und Charakterhandlung" bezeichnen.
Die bekannten Beispiele für "schlechtes Rollenspiel" sind eher der Charisma <Minimalwert des Regelsystems einsetzen> -Charakter, der allein aufgrund der Eloquenz des Spielers dem Spielleiter alles mögliche abquatschen kann. Oder der Intelligenz <Minimalwert des Regelsystems einsetzen>-Charakter, dessen Spieler JEDES Rätsel, JEDE knifflige Beweislage, JEDE noch so ausgeklügelte Taktik des Spielleiters für seine NSCs durchschaut.
Was machen diese Spieler, das so "verwerflich" ist?
Sie spielen nicht nach den gleichen Regeln, wie die anderen in der Gruppe! - Sie BESCHEISSEN!
Warum denn gleich so brutal und diesen Spielern BESCHISS vorwerfen?
Weil es BESCHISS ist.
Charakter werden mit begrenzten Charakter-Bastel-Resourcen erstellt. Wenn nun ein Spieler im Vertrauen darauf, daß die Regeln, die für soziale Aktionen vom Regelsystem angegeben sind, auch angewandt werden, seinen Charakter zu einem Charmeur und begeisterndem Redner durch Ausgabe dieser knappen Resourcen macht, dann hat er weniger Resourcen für Kampf oder Magie oder sonstwas übrig. Der andere Spieler, der seinen Charakter aber auf Kampf ausgemaxt hat, hatte nichts in "Labersachen" gesteckt, weil "Labern kann ich doch sowieso!".
Nun labert der beredsame Spieler sich alles herbei, obwohl er einen sozial beschränkten, unsympathischen, undiplomatischen Charakter spielen SOLLTE (diese ERWARTUNG liegt darin begründet, daß von den anderen Mitspielern ja das Spiel entlang der Spielwerte vorausgesetzt wird). - Während dessen darf der Spieler des Redner-Charakters ab und an mal auf sein Reden würfeln (immer mit der Chance hier auch zu versagen oder gar einen kritischen Fehler zu begehen). Das allein ist schon UNFAIR und BESCHISS durch den Spieler des Undiplomaten.
Manchmal kommt es noch schlimmer: Wenn ein Regelsystem sogar einmal recht KLARE Konsequenzen für soziale Konflikte vorsieht, und ein Spieler möchte mit einem anderen Spieler einen sozialen Konflikt austragen, dieser Spieler hat sogar einen Redner-Charakter, der darin also recht gute Chancen hätte sich durchzusetzen, aber der Spielleiter LÄSST diese Regelanwendung NICHT ZU. - Das ist auch BESCHISS ersten Ranges!
Der andere Charakter darf dem Redner-Charakter mit seiner Battleaxe eine reinhauen, wenn er will, und es werden die Kampfregeln angewandt, nach denen der erfahrene Axtschwinger aller Wahrscheinlichkeit nach siegen wird. Aber der Redner, der Überzeuger, der Charmeur DARF NICHT EINMAL VERSUCHEN die Meinung des anderen Charakters zu beeinflussen, weil der Spielleiter diese "Spieler gegen Spieler"-Anwendung sozialer Fähigkeiten einfach wider alle Regeln nicht zuläßt.
Das ist klassisches "Mit zweierlei Maß messen". Der Kämpfer darf den Nicht-Kämpfer umhauen, aber der Nicht-Kämpfer darf den Kämpfer nicht einmal versuchen ihn von der Gewaltanwendung abzubringen. - BESCHEISSEN nennt man das.
Warum trifft das so hart?
Weil hier ganz klar VERHINDERT wurde, daß der Spieler des Redner-Charakters seinen Charakter plausibel und glaubwürdig ausspielt! - Ein Charakter, der abgehärtete und widerspenstige NSCs belabern kann, der Faceman #1 ist, dessen plausibles Vorgehen bei Unstimmigkeiten mit anderen SCs ist doch auch, daß er diese Belabern wird.
Hier auf der "Beschneidung" der freien Entscheidung und Verfügung über seinen Charakter herumzureiten, bekommt man nur von Spielern zu hören, die sich nicht den Konsequenzen ihrers Charakterbaus stellen wollen.
Wer ein Combat-Monster so gebaut hat, daß es leichtgläubig und leicht verbal auszutricksen ist, der lebt mit dieser Schwachstelle und fängt nicht an herumzujammern. - Vor allem: Auch notorisch überzeugungskräftige NSCs sollten ja eine Chance haben auch einem SC einen Bären aufzubinden und ihn für ihre Seite zu gewinnen (auch OHNE Magie!).
WIE diese Chance zur geistigen Einflußnahme auf die Meinungen, Ansichten oder die Gemütslage von SCs genau umgesetzt wird, ob regeltechnisch durch elegante oder weniger elegante Mechanismen, oder ob rein durch das MITSPIELEN des jeweils Beeinflußten, ist egal. - Es bleibt die Stimmigkeit der Szene gewahrt UND die Fairness der Behandlung aller Spieler.
Regeln für soziale Konflikte gibt es viele.
Auch unterschiedlich umfangreiche, unterschiedlich detaillierte, unterschiedlich ausgerichtete.
So ist in einem Regelsystem, welches klar den sozialen Stand eines Charakters mitsamt aller Erwartungen an das standesgemäße Verhalten abbilden soll, überhaupt erst möglich "Angriffe" auf den sozialen Stand als sozialen Konflikt mit harten Regeln umzusetzen. - Hat ein Regelsystem so etwas wie sozialen Stand nicht, kann es auch keine harten Regeln dazu bieten.
In diese Richtung geht es auch bei Systemen mit bzw. ohne solche Spielwerte für Ehre, Ruhm, Status, Publicity, Einschaltquoten, Ansehen, Ruf, usw. - Gibt es solche Werte, so können diese sich auch ändern. Auch gegen den Willen des Charakters. Somit gibt es Konflikte mit dem ZIEL diese Werte zu ändern.
Das sind andere Konflikte, als die detaillierungsmäßig tieferliegenden Konflikte wie "Schüchtere ich den Gegenüber ein?", "Kann ich den Profi-Zocker bluffen?", "Kann ich mich in diese Veranstaltung auch ohne Eintrittskarte hineinreden?". - In vielen Regelsystemen wird hier mit - verglichen mit Kampf-Szenen - sehr einfachen Mitteln, damit auch sehr schnell ein Ergebnis erzielt. Der Konfikt ist schnell aufgelöst (auf die eine oder andere Art).
An sich ist solch ein Klein-Konflikt ja auch nicht lebens- oder existenz-bedrohlich. - Das sieht bei Konflikten um den sozialen STAND anders aus! Hier kann jemand degradiert werden, sozial absteigen, Ämter verlieren, usw. - Die Konsequenzen sind HÄRTER als nur für den Moment eingeschüchtert zu werden, vom Profi-Zocker doch noch um die letzten Kröten gebracht zu werden, oder nicht am Türsteher vorbei zu kommen.
Für Konflikte in solch einer Größenordnung, daß sie tatsächlich (potentiell) Existenzbedrohungen für die Charaktere enthalten, sehe ich den BEDARF nach einer regeltechnisch ausgedehnteren Behandlung. (HeroWars: Extended Contest). Konflikte mit minderwichtigen oder sehr beschränkten Konsequenzen brauchen das hingegen nicht (HeroWars: Simple Contest).
Ideen oder gar Forderungen soziale Konflikte auf dieselbe Breite wie die IMMER Existenzbedrohung für den Charakter UND das Ausscheiden (temporär) aus dem Spiel für den Spieler beinhaltenden physischen Konflikte zu bringen, halte ich für unangemessen.
Wenn ich am Türsteher vorbei will, dann möchte ich aus dieser kurzen Szene KEINE 20-Minuten-Hin-und-Her-Laberei machen, sondern wenn ich der Überzeugungsmeister bin, dann komme ich so rein, und wenn nicht, dann muß ich vielleicht ein paar Scheine rüberschieben als Argumentationshilfe. - In Spielzeit am Spieltisch darf das nicht länger als wenige Minuten dauern, da das Überwinden von solchen Alltags-Hindernissen genauso spannend ist, wie die Parkplatzsuche. - Und die spielt HOFFENTLICH auch niemand mittels der Fahrzeugregeln haarklein - und analog zum Kampfsystem in Zehntelsekunden-"Ticks" - aus!
Wie bei ALLEN Regeln, so muß man sich auch bei Regeln für soziale Konflikte fragen, WAS WILL ICH DAMIT?
Sollen in einem höfischen Setting nach dem Spielfilm "Ridicule" bösartig-unterhaltsame Wortgefechte spannender als jedes Degenduell sein, dann stellt sich die Frage nach der Breite zugehöriger Regeln nicht: Ist es ein KERNPUNKT im Setting, der ständig im Mittelpunkt des Spielerinteresses steht, dann braucht es Regeln dafür, weil es auch effektiv das LEBEN der SCs hochgradig in Gefahr bringen kann. - Somit wären in diesem Setting breite, "kampfartige" Regeln für Rededuelle angebracht.
Will ich einen Western spielen, dann will ich nicht, daß die Hombres die ganze Zeit über quatschen. Wer schießen will, soll schießen, und nicht quatschen. Ein klassisches Zitat. Stimmt immer noch. - Provozieren ("Ich hab gehört, Du sollst schnell mit Deinem Messer sein. Ich sage, Du bist nicht so schnell wie ich mit meinem Schießeisen."), Verspotten ("Ich spüre durch mein Hemd, wie Du schwitzt."), Bluffen ("Wenn noch einer schießt, dann zünde ich die Kanone und Joes Eingeweide fliegen durch die ganze Stadt."), Überreden ("Hey, Jungs, ich will keinen Ärger in meinem Saloon. Warum geht Ihr nicht auf die Straße, dann hat die ganze Stadt was davon?"), Verwirren ("Wissen sie, ich kannte da mal'nen Mann ..."), usw. - Das alles hat seinen Platz im Western, ABER KEINE LANGEN LABEREIEN! Soziale Konflikte in ähnlich ausgedehnter Form wie eine Schießerei am OK Corral braucht kein Western. Hier wären solche Regeln wie im "Ridicule"-Setting völlig fehl am Platze.
Somit ist es für mich IMMER eine Frage des jeweiligen SETTINGS, ob und wie breit Regeln für soziale Fähigkeiten, oder soziale Konflikte im Regelbestand eines Rollenspiels enthalten sein müssen.
Es ist auf alle Fälle KEINE GRUNDSATZFRAGE für ALLE Rollenspiele, da jedesmal eine andere Antwort gegeben werden muß. - Wie übrigens auch bei allen anderen Regeln. (Das Setting des Angel RPG mit den Kampfregeln in der Breite wie sie Aces&Eights bietet, wäre ausgesprochen unstimmig umgesetzt. Das Angel-Setting verträgt soviel Details überhaupt nicht - und vor allem nicht, daß diese Details massive auf Kosten des Tempos gehen.)
Die wesentliche, limitierende Eigenschaft mit Einfluß auf die Aufnahme eines Regelbestandteils für soziale Konflikte ist aber IMMER die bei allen Menschen vorhandene HOHE URTEILSKRAFT bezüglich sozialer Konflikte und deren plausiblen Verlaufs und derer Konsequenzen.
Mit der GLAUBHAFTIGKEIT der durch solche Regelbestandteile für soziale Konflikte erzeugten Ergebnisse, der FAKTEN in der Spielwelt, steht und fällt die Akzeptanz für solche Regeln.
Wenn beim Kampfsystem nach den Regeln bestimmte Waffen "effizienter" sind als andere, so ist das in Ordnung, weil eh kaum jemand wirklich Ahnung von diesen Waffen haben wird. - Wenn aber in einem Regelsystem Verspotten deutlich vorteilhaftere Resultate bei JEDEM Gegner auslösen wird, als Einschüchter, Überreden oder Bluffen, dann kommt man in den Bereich, der durch die eigene Urteilskraft der Spielenden als UNSTIMMIG und damit UNGLAUBWÜRDIG erkannt wird. - An diesen Stellen hat das Regelsystem keine überzeugende Umsetzung zu bieten.
Nicht überzeugende Ergebnisse bei Anwendung von Regeln zu sozialen Fähigkeiten ist im Rollenspiel besonders kritisch, da eben JEDER ausreichend Urteilskraft hat, um die Unstimmigkeit zu erkennen.
Dabei ist der REGELUMFANG völlig sekundär. - Dieser muß nur zur Bedeutung für die mit dem betreffenden Rollenspiel zu spielenden Schwerpunkte der Szenarien passen. Aber es ist unabhängig vom Umfang, ob die Resultate der Regelanwendung überzeugend und glaubwürdig sind, oder nicht. Auch einfache Regeln können "seltsame" Resultate ergeben.
Ein Fazit für mich:
Soziale Konflikte und schon allein soziale Fähigkeiten sollten in einem Regelwerk in irgendeiner Form enthalten sein, weil sie eine HILFE für die Spieler zum glaubwürdigen Spielen ihrer Charaktere darstellen.
Wenn soziale Konflikte regeltechnisch umgesetzt werden sollen, dann nur in einer Regelbreite, die der tatsächlichen Breite in den mit diesen Regeln gespielten Szenarien entspricht - mehr ist NICHT besser.
Die Regeln für soziale Fähigkeiten und soziale Konflikte müssen Ergebnisse liefern, die auch gegen die bei JEDEM Menschen diesbezüglich ausgeprägte Urteilskraft bestehen können - unstimmige Ergebnisse sind echte Schwachpunkte in einem Regelwerk.
Eine auch nur an Kampf-Systeme angelehnte Umsetzung von Regeln für soziale Konflikte führt zu einer Überbewertung von Schicksal (Fate) und einer Unterbewertung von Karma. Letzteres ist aber bei sozialen Konflikten der entscheidendere Faktor. Somit taugt eine direkte Anlehnung der Regeln für soziale Konflikte an Kampf-System-Mechanismen allenfalls für SEHR abstrakte Rollenspielsysteme (HeroWars), nicht aber für detailliertere und konkretere.
Der Ergebnisraum bei sozialen Konflikten ist in der eigenen Erfahrung der Spielenden wesentlich vielfältiger und wirkt auf viel mehr Ebenen nach, als dies Rollenspielregeln auch nur halbwegs glaubhaft vermitteln können. Insbesondere die Konsequenzen sowohl aus "Siegen" wie aus "Niederlagen" in sozialen Konflikten sind oft nicht klar genug in die Spielwelt als Fakten zurücktransportierbar.
Da der Charakter nur eine "Maske" auf der Persönlichkeit eines Spielers ist, besteht bei sozialen Konflikten - insbesondere solchen, in denen er unterliegt - das Problem, daß nicht nur der Charakter unterliegt, sondern - eben WEIL es ein sozialer Konflikt ist - auch der Spieler vom Ergebnis betroffen ist. Daher rührt auch die oft anzutreffende Abneigung des Einsatzes von Regeln für soziale Konflikte gegen SCs. Hier wird der SPIELER einem "Zwangsverhalten" unterworfen, da er ja die Konsequenzen z.B. eines Eingeschüchterten im Spiel beachten und spielen muß. (Ja, es gibt die "reifen" Spieler, die so etwas bewußt in Kauf nehmen, weil das für sie eine rollenspielerische Herausforderung ist - diese sind dann auch bei Spielen, bei denen andere in ihren Charakteren "herumpfuschen" können, nicht verärgert. Jedoch stellen solche Spieler nach meiner Erfahrung eher seltene Sonderfälle dar.)
Es bleibt letztlich aufgrund der Besonderheit von sozialen Konflikten nur der Rat STETS auf die VERTRÄGLICHKEIT des Spiels dieser Konflikt-Art in der Gruppe zu achten.