AW: Matt Flinch's Primer for Old School Gaming
Ich denke, in den frühen RPGs war der Kampf ziemlich durchgeregelt, soziale Interaktion kaum - diese wurde durch ausspielen abgehandelt.
VÖLLIGER UNFUG!
Traveller und RuneQuest hatten schon IMMER soziale Fertigkeiten mit entsprechender Prominenz im Spielgeschehen. Und das sind zwei total "old-school"-ige Rollenspiele!
Nur weil D&D damals ausschließlich stufenorientiert war und Traveller und RuneQuest von Anfang an fertigkeitsorientiert kann man die obige Vermutung nicht unwidersprochen stehen lassen.
Bei D&D wurde viel mit Ausspielen UND CHARISMA-WURF abgehandelt. Woher kam der Charisma-Wurf denn plötzlich? - Weil die Gruppe es für fairer hielt, wenn der Charakter mit Charisma 17 einen Vorteil hat gegenüber einem Charakter mit Charisma 3, auch wenn der Spieler des Charisma-3-Charakters ein Rhetorikmeister sein mochte. - Das nennt man dann "Regelungen treffen". Eine der vielen Aufgaben eines Old-School-Spielleiters. Diese fließen dann in den Schatz an Hausregeln ein und man spielt das dann IMMER so.
Oft wurde auch einfach die GLAUBWÜRDIGKEIT des Charakters vom Spielleiter beim Spielen der Reaktion der NSCs in Betracht gezogen: Kleriker sind glaubwürdiger als Diebe. Hoch-Charismatische Charaktere kommen glaubwürdiger rüber als Unsympathen. - Das Abschätzen der Glaubwürdigkeit (Everway:Karma) kann auch ALLEIN die Reaktion der NSCs ganz ohne einen Wurf auf irgendwas entscheiden. Kommt dazu noch das, was in der Szene angesprochen wurde "Lord British schickt uns.", dann erhöht das die Glaubwürdigkeit noch mehr. - Da man hier NICHT WÜRFELN MUSS, aber auch NICHTS AUSGESPIELT WERDEN MUSS(!) hat man einen Ausgang der sozialen Aktion, der allein von den SPIELERN in die Szene eingebrachten Informationen, dem Auftreten, den Schlüsselbegriffen bestimmt wird. - Dieser Ausgang ist GLAUBWÜRDIG und PLAUSIBEL, nicht etwa willkürliche Spielleiter-Mugabe-Darstellung!
Wenn man jetzt meint, daß das dann DOCH nur Ausspielen ist, dann mal ein Beispiel:
Spieler: "Mein Kleriker legt ordentliche Klamotten an und richtet sich passabel her."
Andere Spieler: "Wir lassen ihm den Vortritt, daß er auch als Chef rüberkommt."
Spieler: "Mein Kleriker begrüßt die Fremden mit dem üblichen Gruße der Region um zu zeigen, daß er einer von ihnen ist. Dann sagt er, daß er im Auftrag von Lord British unterwegs ist, was den Leuten dort zu denken geben sollte. - Wie reagieren die Leute?"
Spielleiter: "Dein hohes Charisma und das prominent präsentierte Heilige Symbol Deines Ordens weisen Dich als vertrauenswürdigen Mann Gottes aus. Klar, daß so jemand auch das Vertrauen von Lord British genießt. Wenn Lord British Dir einen Auftrag gegeben hat, dann werden diese guten Bürger alles tun, Dich dabei zu unterstützen."
Was ist daran "ausgespielt"? - Nicht das, was man sonst immer von den Schwafelmeistern an endlos Monologen und Improvisations-Laien-Theater-Aufführungen präsentiert bekommt.
Die Lösung dieser sozialen Herausforderung Unterstützung von den Bürgen zu bekommen, erfolgte durch knappste Beschreibung dessen, was man tut und sagt (indirekte Rede). - Wie das Ganze in der Spielwelt wohl ausgesehen hat, wie es im Detail ausgeschmückt aussieht, das ist in der VORSTELLUNGSKRAFT der einzelnen Spieler und des Spielleiters!
Wie ja auch bei Kampfszenen oder anderen Herausforderungen. - Kein Unterschied.
Zur Verwendung von Charisma-Würfen (Fate) bzw. Charisma-Werten (Karma) zur Entscheidungsfindung:
Wenn man es nicht benutzen KANN oder gar nicht benutzen SOLL, wozu wäre denn dann überhaupt ein Attribut wie Charisma vorhanden gewesen? - Das hätte man dann ja gleich weglassen können, wenn es keine Beachtung finden soll (wie ja auch eine Fertigkeit Reiten bei D&D, weil einfach ein jeder Held sowieso Reiten kann und man darüber nicht zweimal nachdenken muß!).
Und es gibt ja Rollenspiele, in denen so etwas WEGGELASSEN wurde. Traveller z.B.!
Bei Traveller entscheidet über das effektive Charisma eher der Skill-Wert in Liaison, Carousing und anderen Skills zusammen mit (Everway: KARMA!) der Vorgeschichte des Charakters (d.h. ob er einem Ex-Army-Offizier gegenüber als Veteran aus dessen Einheit auftritt, oder ob er sich ihm als blasierter Ex-Navy-Besserwisser outet).
Hier ist (wie oben im D&D-Beispiel) KEIN AUSSPIELEN beteiligt! - Der NSC hat in seiner Beschreibung eben stehen, daß Army-Veteranen +1 auf ihren jeweiligen Steward/Carousing/Liaison/...-Wurf bekommen und Leute aus seiner eigenen Einheit nochmal +2 dazu, sowie daß er Navy-Hochnasen-Bastarde haßt und diese automatisch -2 bekommen, Offiziere -4. - Und dann wird gewürfelt. Oder auch nicht.
Die Einbeziehung der Vorgeschichte entspricht sehr stark dem, was bei Everway im Regelwerk als Entscheidung (hier Modifikation der Wahrscheinlichkeit (Fate)) durch Karma, durch die Vorgeschichte, das bisherige Leben des Charakters mit allen seinen bislang erworbenen Fähigkeiten, Beziehungen usw. gegeben ist. Wo bei Everway KEINE Unsicherheit mehr besteht, sondern die Entscheidung gleich getroffen ist, gibt Traveller noch den Fate-Mechanismus hinzu, erzwingt aber den Wurf nicht, sondern stellt ihn dem Spielleiter frei. - Wenn also der SC zum NSC kommt, sich ihm als Veteran dessen eigener Einheit vorstellt, dann kann der Spielleiter auch gleich auf den Wurf verzichten und den NSC als überaus zuvorkommend handeln lassen. - Das wäre dann gleich Everway-Karma.
Hierzu noch ein wichtiger Punkt: Gerade bei Traveller mit den VIELEN sozialen Kontakten, sozialen Herausforderungen, die auf den vielen Welten im Imperium den SCs gestellt werden, ist es ÜBERLEBENSWICHTIG über die NSCs, denen man begegnet, und von denen man eventuell etwas will, mehr INFORMATIONEN in Erfahrung zu bringen. Ganz klassisches Vorgehen: Die Person durchleuchten, ihre Vorlieben und Abneigungen kennen, den RICHTIGEN "Faceman" aus der Crew wählen und dann gezielt mit dem richtigen Vorgehen den Kontakt aufbauen. - Bisher noch OHNE Würfelwurf bzw. mit Wurf auch manche Nachforschungshandlungen, je nachdem was für Nachforschungen man da betrieben hat.
In Traveller gab es ja auch keinen "Vorteil: Kontakte". Kontakte HATTE man als Charakter aber aufgrund der Lifepath-Charaktererschaffung IMPLIZIT sowieso schon. Und auf die mußte man nicht etwa würfeln, sondern die mußte man SELBST ANSPRECHEN. - Nicht "ausspielen", auch wenn man das machen konnte, WEIL ES SPASS MACHT, aber nicht "weil es einen Bonus auf irgendwas bringt".
Ob man in D&D eine Fallenentschärfung durch Schildern der genauen Handgriffe zum Unschädlichmachen der Falle vornimmt, oder ob man in Traveller schildert, wie man mit diversen Charakteren und angeheuerten "Hostessen" und versteckten Kameras einen Zollbeamten so in Abhängigkeit bringt, daß er einem einen Transport mit untersagten Waren ohne offizielle Kontrolle durchgehen läßt, das ist doch dasselbe: Die SPIELER denken mit, die SPIELER bewirken die Lösung der Herausforderung ALLEIN durch ihre Schilderungen. - Gibt es Unsicherheiten, so wird das Regelsystem eingesetzt. Unterstützt das Regelsystem einen bestimmten Bereich nicht, dann gibt es eine Regelung, die der Spielleiter auf Basis der Kernprinzipien des Regelsystems treffen wird.
Z.B. kann man in Traveller nicht schleichen. Dafür gibt es in den alten Traveller LBB keinen Skill. Aber es gibt Survival und Forward Observer. - Ein Forward Observer muß UNENTDECKT in vorderster Linie das Artilleriefeuer leiten. Daher muß er schleichen und sich tarnen können, ansonsten er seinen Auftrag im Felde nicht ausführen kann. - Also: Der Charakter will sich anschleichen. Der Traveller-Spielleiter erkennt, daß es eine unsichere Sache ist und läßt das Schicksal (Everway: Fate) sprechen: "Würfel mal auf Forward Observer." - Schleichen in Traveller? Kein Problem!
Wenn schon Schleichen nicht als Skill vorgesehen ist und man trotzdem und ohne Probleme und ohne Spielverzögerung solche Schleich-Aktionen spielen kann, warum sollte es dann ein Problem sein, soziale Aktionen ohne soziale Skills zu spielen?
Dann führte man Regeln für soziale Interaktion ein, aber zog nicht die Konsequenz, auch das Ausspielen anzupassen. Von daher ist wohl Tradition die einzige Erklärung, eine die mir immer bitter aufstösst
Tradition? - UNFUG!
Eher "verlorengegangene Fähigkeit" mit sozialen Herausforderungen UND Spielregeln ZUSAMMEN umzugehen!
Wie oben schon gesagt: Soziale Fähigkeiten sind mit Charisma-Attribut und Travellers "Strauß" an sozialen Skills und RuneQuests-Skill-System schon LANGE verbreitet, gebräuchlich und waren KEIN "Evolutionsschritt".
Solche sozialen Fertigkeiten kommen aus dem Bedürfnis UNSICHERHEITEN, die schicksalsabhängig (Fate) sind, auch in sozialen Interaktionen ins Spiel zu bringen, weil - Plausibilität - jeder SPIELER das ja so kennt, daß er auch mal in einer eigentlich harmlosen Kommunikation das falsche Wort gesagt hat, oder genau das Richtige! Diesen Zufallseinfluß kann man mit rein Karma-basierter Entscheidung aufgrund der Vorgeschichte und Vorbereitung nicht abbilden, sondern dazu bedarf es eben eines Zufallsmechanismus.
Der kann ganz einfach so aussehen wie der Wurf auf einer NSC-Reaktionstabelle (ggf. modifiziert aufgrund von bestimmten Attributen, Fähigkeiten, Gegenständen, Herkunft, usw. - Eben alle Einflüsse, die man in diese NSC-Reaktion einbeziehen möchte.). Oder wie eine Attributsprobe auf das Attribut Charisma/Ausstrahlung/usw..
Ob es nun FERTIGKEITEN für soziale Interaktionen gibt oder nicht: den BEDARF nach Zufallseinfluß bei sozialer Interaktion gab und gibt es, seit es Rollenspiele gibt. - Dieser kann so oder anders regeltechnisch oder hausregeltechnisch umgesetzt werden, aber irgendwie MUSS es geregelt werden, wenn man die FAIRNESS im Spiel lassen möchte.
Ausspielen war von Anfang an schon immer eine VERZIERUNG des Spiels. Nicht nötig, aber GERNE GEMACHT. - Am Ausspielen hatte man allein nicht wirklich Entscheidungen festgemacht, die eines Zufallseinflusses bedürfen. Waren sie aber nicht zufällig, dann war das Ausspielen für das BESTIMMEN von Reaktionen der Spielwelt
GLEICHBERECHTIGT mit dem expliziten Entschärfen von Fallen, dem findigen Schildern von Kampfmanövern in abstrakten Kampfsystemen und anderen VOM SPIELER EINGEBRACHTEN und ERBRACHTEN Problemlösungen!
Es ging und geht IMMER um den SPIELER!
Der eine Spieler kann verdammt gut Kartenzeichnen und hat hier im Spiel seine Glanzstunden. Der andere ist findig beim Ersinnen von Mechanismen und wie man diese funktionsunfähig machen kann und hat beim Fallenentschärfen und bei mechanischen Rätseln (z.B. obskuren Öffnungsmechanismen für Türen usw.) seine Glanzstunden. Und der nächste Spieler ist sprachlich begabt und kann in sozialen Szenen die richtigen Worte zu selbst den übellaunigsten Gegnern im "Parley" finden, daß sie die Gruppe unbehelligt passieren lassen.
JEDER Spieler kommt hier ANDERS zum Zuge. Unterschiedliche Stärken der Spieler, unterschiedliche Interessen der Spieler, unterschiedliche Schwerpunkte der Spieler haben GLEICHBERECHTIGT ihren Platz im Rollenspiel.
Das war es, was früher und auch heute noch Rollenspiel zu so einem attraktiven Hobby macht.
Wo ich oben gerade "mechanische Rätsel" in Form von Öffnungsmechanismen von Türen usw. erwähnt habe:
Ein Bereich in dem Rollenspiel ähnlich schizophren (im ugs. Sinne) ist wie bei Rätseln, da (im Gegensatz zu anderen Bereichen) auf einmal der Spieler gefragt ist, nicht sein Charakter...
Ja, Rätsel werden IMMER den SPIELERN gestellt! - Das war noch nie anders!
Richtig. Deswegen bin ich kein wirklicher Freund solcher Rätsel - entweder ist es der Spieler, der dies mit seinem Wissen bewältigt oder es ist ein Wurf, was aber sehr unspektakulär ist.
KEIN WURF! - Das LÖST das Rätsel ja nicht, sondern beseitigt nur ein Problem mit einem Challenge Rating, einer DC und einem XP-Wert! - Das ist ÖDE LANGEWEILE! - Das ist MODERNES D&D!
Old School und auch GUTE moderne Rollenspiele stellen nicht etwa Herausforderungen an die "Charaktere"!
Wie denn auch?
Die Charaktere existieren doch garnicht!
Die SPIELER sind es doch, die das Spiel gerade eben jetzt spielen!
Und an die SPIELER müssen sich ALLE, WIRKLICH ALLE Herausforderungen wenden.
Tun sie das nicht, dann läuft das Spiel im "Bildschirmschoner-Modus" ab, wo sich die Charaktere und die Spielwelt ohne jegliche Spielerbeteiligung mit sich selbst beschäftigen.
Das ist NICHT das Rollenspiel, welches ICH als Hobby seit 28 Jahren betreibe und was mich solange BEGEISTERN konnte!
Ob das der lahme Goblin in der Höhle nebenan ist, oder der Schwarze Drache von Übelhausen, JEDE Herausforderung gilt den SPIELERN. - Die SPIELER sind gefordert mit ihren Charakteren, d.h. mit den BEGRENZTEN MITTELN, die ihre Charaktere zur Einflußnahme auf die Spielwelt darstellen, diese Herausforderungen anzunehmen, anzugehen und zu bewältigen. Dazu müssen die SPIELER alle Register ihrer sozialen, kämpferischen, technischen, moralischen usw. Fähigkeiten und Neigungen ziehen und diese gefiltert über ihre Charaktere in die Spielwelt bringen um dort etwas zu bewegen.
Das Spiel spielt sich - anders als manch ein Computerspiel - eben NICHT selbst.
Es geht IMMER und AUSSCHLIESSLICH um die SPIELER!
Wenn man also ein Schach-Rätsel in einem Dungeon stellt, dann nur deshalb, weil man davon ausgehen kann, daß den SPIELERN Schach soweit vertraut ist, daß sie dieses Problem angehen und lösen können. - Man stellt ihnen KEIN Rätsel in einem obskuren, nur aus dem Setting-Fluff der Spielwelt erwähnten aber den Spielern von den Regeln her NICHT BEKANNTEN In-Game-Spiel, sondern IMMER ein Rätsel, was die SPIELER SELBST verstehen und dann ggf. auch lösen können.
VERSTEHEN müssen sie es auf alle Fälle können, sonst kann man sich das Rätsel gleich sparen und nur auf Intelligenz würfeln lassen, oder - wenn sie es eh für das Fortkommen der Geschichte lösen müssen - das Rätsel einfach für gelöst erklären oder es weglassen.
Das GANZE SPIEL wendet sich an die SPIELER. - Und es ist (wie ich gestern bei Sundered Skies, einem SEHR "old-school"-igen Savage Worlds Fantasy-Setting erleben konnte) tatsächlich die GENIALITÄT der Spieler, die konzentriert und mit Elan die Herausforderungen angehen und auf Lösungen jenseits dessen, was man sich als Spielleiter, vor allem aber was man sich als Szenario-Autor ausdenken mag, kommen!
DAS ist Old School.
DAS ist ROLLENSPIEL.