Living City

Swafnir

Glücksbärchi-Squirrelgirl-Thor-Chimäre
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Im "Play Dirty"-Thread wurd "Living City" als Spielleiterwerkzeug genannt. Ich kannte den Ausdruck bis dato nicht (wohl aber das prinzip in Grundzügen). Eigentlich finde ich das aber sehr interessant. erzählt mir doch mal genau woher das kommt und was es so auszeichnet.
 
Living City kommt aus den RPGA-Runden in den ausgehenden Achtzigern. Die erste Living City war in den Forgotten Realms angesiedelt.

Dieses Konzept der Living City und der Living Campaign ist eines, das besonders für Organized Play gedacht ist, bei welchem man die Bewohner der Living City (die SCs) eben von Event zu Event mitnehmen kann und sie ihre Historie und ihren Platz in der Living City beibehalten.

Was Wick unter "Living City" versteht, ist etwas anderes, als was dieser Begriff seit über 25 Jahren bedeutet. - Wick versteht darunter, daß der SL sich eine grobe Skizze eines NSCs überlegt, diesen aber dann einem Spieler in die Hand drückt, damit er als Spielleiter "entlastet" wird und der Spieler auch in Szenen, in welchen sein Charakter nicht anwesend ist, irgendetwas zum Spielen hat. - Was der Spieler mit der NSC-Skizze beim Ausspielen macht, wird dann zu einem FAKT in der Spielwelt und der Spielleiter verwendet somit diese Fakten für sein weiteres Führen der Kampagne.

Es ist nichts anderes als einfach mal einen NSC von einem Spieler spielen zu lassen.

Anders z.B. bei Dresden Files und anderen Rollenspielen mit GEMEINSAMER Setting-Erschaffung: Hier werden die NSCs auch VON DEN SPIELERN erschaffen! - Wick hingegen beläßt die eigentliche Gestaltungsmacht (ganz seinem sonstigen Spielleitungsstil nach Gutsherren Art treu) stets beim Spielleiter. Und nur der Spielleiter "gibt" und "nimmt", d.h. als Spielleiter kann er, wenn er Lust hat oder zu faul ist einen NSC zu spielen, diesen einem Spieler geben, damit der ihn in einer Szene weiterspielt. Aber der SL muß das nicht tun. Er kann auch einen SC lange Zeit in-game im Gefängnis hocken lassen und den Spieler nur am Tisch ZUSCHAUEN lassen, ohne ihm irgendeine Mitspielmöglichkeit über einen NSC zu bieten. Das ist das ERZIEHUNGS- und BESTRAFUNGS-Konzept in der Wick'schen Art das Spiel zu leiten.

Daß Spieler NSCs im Spiel übernehmen, sie auch längere Zeit führen, ja für sie ihre - meist vom SL gesetzten - Ziele aktiv verfolgen lassen, das ist NICHTS NEUES.

Das hat man schon bei altem D&D so gemacht, u.a. wenn der Auftraggeber mal mit der Gruppe mitreist oder die Henchmen&Hirelings von den Spielern übernommen und ausgespielt wurden.


Zusammenfassend:

Living City - Charakterkontinuität im Rahmen des Organized Play der RPGA, bekannt seit Ende der Achtziger und bis heute im D&D-Umfeld praktiziert.

"Living City" - von John Wick so mißverständlich "getauftes" Übergeben eines vom SL entworfenen NSC an einen Spieler zur Entlastung der SL-Aufgaben und zum Überbrücken von Mitspiellücken durch Abwesenheit des SC in den gespielten Szenen.
 
Also als Konzept die Spieler zu beschäftigen, wenn die Gruppe getrennt ist, find ich das eigentlich sehr schön (unabhängig ob die Spieler einen NSC ausgedacht haben oder der SL).

Bei meiner letzten Dragon Age-Runde haben wir ein Turnier angefangen. Da haben in der Quali immer 4 Kämpfer gegeneinander gekämpft. Und da hab ich die nicht involvierten Spieler dann die gegnerischen Kämpfer spielen lassen. Ich glaub das kam ganz gut an.

Ich kann nur leider mit den von dir erwähnten "RPGA"-Runden nichts anfangen. Generell freue ich mich aber auch über jeden von den Spielern erschaffenen NSC in meinen Kampagnen.
 
Damals, im finsteren Mittelalter, als die Spielleitung bei uns noch rotiert hat, hatte jeder einen festen Bestand an NPCs. Wen man als SL eingeführt hat, den hat man auch als Spieler bei einem anderen SL verkörpert, wenn der NPC wichtig war. Das hat dazu geführt, dass sich in Situationen mit einer höheren Anzahl an NPCs auch gerne mal plötzlich nur noch NPCs miteinander unterhalten haben und die PCs irgendwo in der Masse als vermisst gemeldet wurden. Das war schon drollig.

Mittlerweile ist das eigentlich nicht mehr so, weil die Spielleitung auf eine magere Person geschrumpft ist. Allerdings spielen wir nach wie vor gerne mal mehr als einen Charakter in der Kampagne, was eine Light Version darstellt.
 
Das Übernehmen von NSCs - auch für längeren Zeitraum - durch die Spieler ist ja altbekannte Praxis.

Für mich aus alten D&D-Zeiten, wo eine Gruppe eben weit mehr als nur die SCs umfaßt hatte, schon selbstverständlich, ebenso in Traveller, wo man nicht mehr jede Position an Bord eines Raumschiffs mit SCs besetzen konnte, sondern die gesamte Mannschaft - inklusive der NSCs - komplett in Spielerhänden lag, über RuneQuest, wo man seine Familienmitglieder und seine "Entourage" als Spieler gefälligst selbst nicht nur verwaltet, sondern auch gespielt hat.

Savage Worlds hat ja auch gerade das Übernehmen von NSCs durch die Spieler im Grundregelwerk als übliche Praxis unterstützt. - Das hatte bei unseren teils längeren Kampagnen zur Folge, daß man auch einmal eine halbe Spielsitzung eine ergebnisoffene Cut-Scene, in der NUR NSCs (gegeneinander) agierten von den Spielern hat ausspielen lassen. Die SCs, welche teils erst viel später auf die Ergebnisse dieser Cut-Scene gestoßen sind, bzw. von deren Auswirkungen betroffen wurden, wußten natürlich nicht, was genau dort vorgefallen ist, aber die SPIELER, die dabei waren und mit den NSCs gelitten hatten, für die war das ein ganz besonderer Moment.

Eigentlich wird das Übernehmen von NSCs durch die Spieler nur dann problematisch, wenn diese NSCs wirklich WESENTLICHE ROLLEN im Geschehen spielen sollen. Wesentlich im Sinne von: "sie machen den SCs das Rampenlicht streitig", wenn sie in all der Breite und mit all dem Einfluß von einem Spieler gespielt werden.

Statt so etwas über einen SL-erzeugten, an einen Spieler delegierten NSC umzusetzen, lasse ich dann doch lieber GLEICH die SCs als GEGENSPIELER erschaffen, so daß eben nicht ein "Spieler-gespielter NSC", sondern gleich ein echter SC gegen einen anderen SC agiert. Das ist dann klassisches PvP, Charakter-Drama, Soap, usw. und die Identifikation des Spielers mit dem SC ist einfach GRÖSSER als mit einem "aus SL-Faulheit delegierten" NSC.

Wenn LÄNGERE Szenen aufkommen, in denen manche Mitspieler zum stundenlangen Zuschauen verdammt wären, dann gibt es ANDERE Möglichkeiten damit umzugehen. - Gegenschneiden mit anderen Szenen, in denen die jeweils anderen SCs beteiligt sind. Das ist der Klassiker schlechthin, wenn man szenengesteuert spielt. - Einzel- oder Teilgruppen-Spielsitzungen, bei denen eben solche stundenlangen, nur einen einzelnen Spieler oder nur einen kleinen Teil der Gruppe betreffende Szenen durchgespielt werden können. - VERMEIDEN solcher überlanger "Auszeiten" durch Zusammenfassen, Konzentrieren auf das Wesentliche, Reduktion des "Drumherum"-Gelabers aus Gründen der schnelleren Wiederbeteiligung der anderen Mitspieler. Und weitere Methoden.

Man muß also nicht einen NSC an einen Spieler abgeben, weil sonst dieser Spieler sich stundenlang mit Handy-Spielen die Zeit vertreiben muß, da er effektiv AUS DEM SPIEL ist. - Aber es ist EINE von vielen unterschiedlichen Möglichkeiten mit NSCs (leichter mit minderwichtigen als mit Hauptrollen-NSCs) umzugehen.
 
Dann sollte man in diesem Thema auch nicht das "Troupe Play" unerwähnt lassen.

Z.B. in Ars Magica oder Marvel Heroic spielt man nicht nur einen einzigen Charakter, sondern MEHRERE Charaktere mit sehr unterschiedlichen Funktionen in der Gruppe.

Das sind unterschiedlich mächtige bzw. politisch (bei MHR Civil War) unterschiedlich assoziierte Charaktere, mit denen man andere Facetten der Spielwelt erschließen und ins Rampenlicht rücken kann.

Aber es sind ALLES Spielercharaktere!
 
Ich versuchs mal.

Living Cities bedeutet NSC in die Hand der Spieler zu geben. Diese können von der SL in groben Zügen erdacht sein oder selber von Spielern.
Der Zweck ist zum einem der SL arbeit abzunehmen. Er muss eben nicht jeden NSC bis ins Detail ausarbeiten(soll solche SL´s geben).Aber dient auch dazu alle Spieler immer in der Szene zu halten um Leerlauf zu vermeiden.

Die Funktion lief bei mir immer so: Wenn ein NSC eingeführt wurde der von einem Spieler gespielt werden sollte bekamm einer der Spieler eine Karteikarte von mir. Die sah ungefähr so aus.

Beispiel Shadowrun

Lucas "Firehawk" William
Ganger bei den Helloweenern (Mittlere Ebene)
Undercover Cop
witziger Bursche

Mit den Angaben sollte ein Spieler dann diesen NSC zum Leben erwecken. Der Spieler sollte dem NSC seine Motiviation geben und selber handeln. Ich als SL habe dann nie wirklich eingegriffen. Meißt habe ich das auf Connections angewendet.

System Matters hat auch einen Podcast dazu gemacht. Der ist auch empfehlenswert.

mfg
 
Ist ein recht cooles Konzept. Bisher haben wir das nie versucht, werds mal bei ner kleineren Runde vorschlagen und gucken, wies ankommt. Danke für die Aufklärung!
 
Gefällt mir ebenfalls; und kommt mir beim sandboxing eigentlich auch schön entgegen, gerade bei gesellschaftlichen Anlässen etc.

Danke fürs Vorstellen!
 
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