Löwenclub Kann es Anarchie geben?

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Tannador

formerly known as wjunky
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Gentlemen.

Beim Entwickeln einer Spielwelt kam mir die Frage auf: kann es Anarchie geben und wenn ja, wie lange?

Damit die Diskussion sich nicht in Definitionsfragen verrennt: unter Anarchie verstehe ich das Fehlen einer herrschenden Macht, die auch gegen das Einverständnis der Beherrschten Regeln durchsetzt und gleichzeitig keine Familie ist.
Beispiele:
- Eine Gang ist keine herrschende Macht, solange sie nur raubt und terrorisiert. Erst wenn sie beginnt Regeln gegen Unwillige (möglicherweise auch Mitglieder) erfolgreich durchzusetzen, wäre sie eine herrschende Macht.
- Ein Richter mit Knarre und Hang zu schnellen Prozessen qualifiziert nicht. Eine Gruppe von Richtern, die organisiert die gleichen Regeln (Abweichungen durch unterschiedliche Auslegung) durchsetzt qualifiziert.

Die Ausgangssituation soll dabei eine zusammengebrochene Zivilisation von Menschen sein. Kann sich Anarchie dauerhaft etablieren oder wird es immer Gruppen geben, die einen Herrschaftsanspruch durchsetzen können? Und welche treibenden Elemente beeinflusst die Bildung solcher Gruppen? Welche Annahmen muss man machen, um eine "stabile Anarchie" zu erzeugen? Geht das nur mit einer "alle sind Happy" oder nur mit einer "Bürgerkriegs-" Anarchie?

Gentlemen, ich erwarte Ihre Beiträge.
 
AW: Kann es Anarchie geben?

Wäre eine Gruppe die ihre Regeln auch gegen den Willen einzelner Mitglieder durchsetzen kann, die Regeln aber über demokratische Vorgänge findet noch Anarchie?
Wenn ja, dann kann es Anarchie geben, sogar unbegrenzt lange, aber nur für Kleingruppen.
Wenn es schlicht keine Macht gegen darf die Regeln durchsetzen kann oder durchsetzen will oder Regeln hat, dann ist Anarchie nicht möglich, denn Menschen geben sich immer Regeln.
 
AW: Kann es Anarchie geben?

ich plädiere ja einfach für den begriff anomie. das erspart dann auch die politdiskussionen.
 
AW: Kann es Anarchie geben?

Beim Entwickeln einer Spielwelt kam mir die Frage auf: kann es Anarchie geben und wenn ja, wie lange?
Ja, es kann eine Anarchie geben, wenn die Umwelt dafür sorgt, dass abweichendes Verhalten praktisch einem Todesurteil gleichkommt. Eine Regel, die es verbietet, in Lava zu baden, braucht nicht durchgesetzt werden, weil die Lava schlicht und ergreifend jeden zu Asche verbrennt, der es tut. Solange also die natürlichen Umweltbedingungen nur eine sehr begrenzte Anzahl von Handlungsweisen erlauben, ist eine Anarchie möglich, da hier keine Herrschaft im politischen Sinne erforderlich bzw. möglich ist.

Wäre eine Gruppe, die ihre Regeln auch gegen den Willen einzelner Mitglieder durchsetzen kann, die Regeln aber über demokratische Vorgänge findet, noch Anarchie?
Nein. Das wäre eine Form der Demokratie.
 
AW: Kann es Anarchie geben?

Na, wie auch immer man es nennt, den gewünschten Zustand hat wjunky ja beschrieben.

Ich denke nicht, dass es so etwas mittel- oder langfristig geben kann.

1. Fall: "Bürgerkrieg"
Jeder gegen jeden. Sehr schnell werden sich Leute zusammenraufen und gegenseitig beschützen. Und dann gibt es auch sehr schnell Regeln, damit man nicht aus der "Selbsthilfegruppe" fliegt. Das liegt IMO in der Natur des Menschen.

2. Fall: "Alle sind glücklich"
Nicht nur praktisch, sondern auch theoretisch ein unmöglicher Zustand. Der Mensch ist ein endliches Wesen, deshalb hat er immer mindestens ein unerfülltes Bedürfnis: ewig (bzw. länger) Leben. Sobald Leute nicht vollkommen zufrieden sind, lassen sie ihre schlechte Laune an anderen Menschen aus bzw. versuchen ihre Situation auf Kosten anderer zu verbessern. Es gibt sicher Gegenbeispiele, aber auf eine ganze Gesellschaft gesehen, gibt es eine starke Tendenz in dieseer Richtung. Und dann ist es nur noch ein kleiner Gedankenschritt bis zum organisierten Schutz vor dem Mitmenschen... natürlich mit Regeln.

Fazit: In Kleinstgruppen ohne Außeneinwirkung durch andere Menschen und unter idealen Bedingungen (fast alle Bedürfnisse perfekt befriedigt) theoretisch denkbar, ansonsten wird sehr schnell irgend eine Form von Organisation auftreten. Mit Regeln.
 
AW: Kann es Anarchie geben?

unter Anarchie verstehe ich das Fehlen einer herrschenden Macht, die auch gegen das Einverständnis der Beherrschten Regeln durchsetzt und gleichzeitig keine Familie ist.
Ob es das geben kann?

- Nein, einer Gesellschaft, in der Kinder in familiären Strukturen mit natürlicher Hierarchie aufwachsen und in dieser an seine Instinkte angepasste Art sein Bewusstsein entwickelt, spreche ich jede Fähigkeit zur Anarchie ab. Einzelpersonen - ja - die werden reflektiert und ambitioniert genug sein sich davon lösen zu können, aber eine ganze Gesellschaft? Dazu sind wir viel zu sehr vom hierarchischen Denken geprägt. Das scheint mir in etwa so wahrscheinlich wie eine atheistische Gesellschaft, in der alle nach christlichem Glauben erzogen werden und deren Bestehen ausschließlich auf der Hoffnung beruht, dass der Nachwuchs dann halt auch irgendwie seinen Glauben fallen lässt.
 
AW: Kann es Anarchie geben?

- Nein, einer Gesellschaft, in der Kinder in familiären Strukturen mit natürlicher Hierarchie aufwachsen und in dieser an seine Instinkte angepasste Art sein Bewusstsein entwickelt, spreche ich jede Fähigkeit zur Anarchie ab. Einzelpersonen - ja - die werden reflektiert und ambitioniert genug sein sich davon lösen zu können, aber eine ganze Gesellschaft? Dazu sind wir viel zu sehr vom hierarchischen Denken geprägt. Das scheint mir in etwa so wahrscheinlich wie eine atheistische Gesellschaft, in der alle nach christlichem Glauben erzogen werden und deren Bestehen ausschließlich auf der Hoffnung beruht, dass der Nachwuchs dann halt auch irgendwie seinen Glauben fallen lässt.
Ich denke Erziehung ist nicht der Punkt.
Ich denke das geht viel tiefer.
Wann immer Menschen einander treffen verhalten sie sich zu einander und wenn es zu Konflikten kommt, gibt es immer einen der sich unterordnet oder sich unterordnen muss, eben weil kein perfekter Kompromiss möglich ist.
Anarchie im Sinne einer Gesellschaft ohne formelle Strukturen oder mit sehr flachen Hierarchien mag möglich sein.
Leben ohne Hierarchien ist uns Menschen aber alleine auf Grund unserer Ursprünge nicht möglich.
 
AW: Kann es Anarchie geben?

Leben ohne Hierarchien ist uns Menschen aber alleine auf Grund unserer Ursprünge nicht möglich.
Sag ich doch. Die einzige Konstellation, in der ich mir eine solche Organisationsstruktur vorstellen könnte, wäre eine Gesellschaft, die mit dem Ursprung bricht, die von Anbeginn der Bewusstseinsbildung neuer Gesellschaftsmitglieder deren Fähigkeit zur emotionalen Willensbildung unterdrückt und in der die letzten Reste von Diversitäten durch zum Beispiel hierarchische Strukturen gar nicht erst als mehr als nur ein primitiver, krankhafter Reflex betrachtet werden, und jeder weiß, dass es diesen zu unterdrücken gilt und das "die Krankheit" einer entsprechenden Medikation bedarf.

Menschen funktionieren hier nicht anders wie Maschinen, kleine Zahnrädchen in einem großen Getriebe. An der Spitze steht kein Mensch, kein Wesen mit einem eigenen Willen oder etwas vergleichbarem. Eine kalte Logik ohne eigenes Bewusstsein, die Entscheidungsprozesse maschinell und kalt und eindeutig nach den von den Stiftern dieser Schönen neuen Welt vorgegebenen Prinzipien unter Berücksichtigung aller bekannten Faktoren, Argument und Aspekte berechnet. Nennen wir sie Supercomputer. Nennen wir sie Gott. Geschmack und spezifisches Setting erledigen den Rest.

Zugegeben: Ich relativiere den Begriff des persönlichen Willens massiv. Um zu klären, ob Anarchie möglich ist, muss erst geklärt werden, was der persönliche Wille ist.
 
AW: Kann es Anarchie geben?

Vielen Dank, Gentlemen.

Ich werde dann von reiner Anarchie Abstand nehmen und statt dessen Bürgerkriegsverhältnisse mit Banden und Splittergruppen der ehemaligen Armeen zusammenbauen.
 
AW: Kann es Anarchie geben?

Ich glaube nichtmals in den vorgenannten Kleinstgruppen kann es eine so eng gefasste Anarchie geben. Das würde nur bei ungruppierten Einzelindividuen funktionieren.
wjunky schrieb:
Eine Gang ist keine herrschende Macht, solange sie nur raubt und terrorisiert. Erst wenn sie beginnt Regeln gegen Unwillige (möglicherweise auch Mitglieder) erfolgreich durchzusetzen, wäre sie eine herrschende Macht.
Wenn der erste mit der "Gang" (dessen Gedankengut und Tätigkeit) anfängt und der zweite hinzustößt, hast du ja schon einen Ideologietransfer, der eine Abhängigkeitssituation bzw eine Rangfolge etabliert.
 
AW: Kann es Anarchie geben?

Solange alle Mitglieder alles Freiwillig tun und sich auch mal "ne Auszeit" nehmen können. Zugegeben, dass ist nicht besonders realistisch, aber hey...

Aber ich habe mich von der Anarchie abgewendet und gehe einfach zu Bürgerkrieg über. Das scheint mir auch besser zu passen.
 
AW: Kann es Anarchie geben?

Ich finde die Bürgerkriegsvariante auch besser. Man kann bestimmt eine Situation konstruieren unter der keine Gruppe in der Lage wäre die Oberhand zu gewinnen, aber Bürgerkrieg beschreibt die Situation doch besser glaube ich. Normalerweise gibt sich auch die wildeste Gang nach innen eine Struktur und eine Ideologie.
 
AW: Kann es Anarchie geben?

kann es nicht
nur eine hypothetische millisekunde lang
danach greift automatisch das recht des Stärkeren
 
AW: Kann es Anarchie geben?

Nein, dann hätte man Anomie, und sobald es einen sicheren Stärksten gibt irgend eine andere Herrschaftsform.

Ob Anarchie möglich ist vermag ich nicht zu sagen, sehe das Konzept aber wegen der geradezu notwenig totalitären Form der Ideologie nicht unkritisch. Aber hier ist das entsprechende Kapitel aus Alexander Berkmanns ABC des Anarchismus. Vielleicht hilft die Lektüre eines anarchokommunistischen Werkes dabei, sich eine Meinung zu bilden.
 
AW: Kann es Anarchie geben?

Ich würde sagen, Anarchie als dauerhafter sozialer Zustand läuft der Natur des Menschen als staatenbildendes Wesen entgegen. Folglich müsste man "nur" diesen Aspekt der menschlichen Natur ändern. Damit wäre freilich nicht nur die Zivilisation untergegangen, sondern es würde auch keine neue mehr entstehen.
 
AW: Kann es Anarchie geben?

Anarchie schlägt mMn im Zwifelsfall innerhalb von kürzester Zeit in Despotie um. Die Frage ist einfach, wann wie auch immer "geordnete" Gruppen genug Masse erreichen, um als "gesellschaftlichee Kraft" wahrgenommen zu werden, da sind sie aber fast immer.
 
AW: Kann es Anarchie geben?

Ich würde sagen, Anarchie als dauerhafter sozialer Zustand läuft der Natur des Menschen als staatenbildendes Wesen entgegen. Folglich müsste man "nur" diesen Aspekt der menschlichen Natur ändern. Damit wäre freilich nicht nur die Zivilisation untergegangen, sondern es würde auch keine neue mehr entstehen.
Die natur des menschen ist schlicht und ergreifend eine unbeweisbare konstruktion.
das was man an sozialen gemeinschaften hat, ist ja nun einmal nicht seit menschheitsentstehen 'staatlich'. Wenn du den staatsbegriff aber so weit fasst, dass auch die ursippe im staat lebt, kannst du auch die anarchie als "gemeischaftlichen zusammenhang" ebenso als staat begreifen. die anarchistische staatskritik hat aber eben einen bestimmteren staatsbegriff der sich primär in der fehlinterpretation des neu entstehenden bürgerlichen (national)staat als Feudalstaat herausgebildet hat.

Die zivilisation wäre ohne staat freilich 'uintergegangen' stammt doch der zivilisationsbegriff vom civis -dem staatsbürger- ab.

alles in allem setzt du die faktizität "staat" voraus um deren nichtexistenz als paradox denunzieren zu können, bist dabei aber voraussetzungsvoll was den zivilisationsbegriff sowie den menschheitsbegriff angehst und bleibst in denkformen der staatlichkeit befangen, die tatsächlich einen begriff von staatlosigkeit verunmöglichen...

du sagst also mehr über die heutige denkform (staat als apriori etc.) aus,als über die (un)möglichkeit von herrschaftsfreier assoziation...
 
AW: Kann es Anarchie geben?

Wenn du den staatsbegriff aber so weit fasst, dass auch die ursippe im staat lebt, kannst du auch die anarchie als "gemeischaftlichen zusammenhang" ebenso als staat begreifen.

Ich rede von "staatenbildend" im biologischen Sinne. Obwohl es da natürlich primär auf Staaten im insekten-Sinne benutz wird (1 königin, viele Arbeiter, etc). Aber selbst, wenn man es zu "rudelbildend" abmindert, ist der Drang des Menschen sich zu Gemeinschaften zusammen zu finden doch eine Konstante und Abweichungungen sind extreme Ausnahmen.
Kooperation und Spezialisierung sind eine Grundvoraussetzungen funktionierender Zivilisationen. Und selbst in ihrer einfachsten und primitivsten Urform, dem Rudel, ist dergleichen zu beobachten. Nur braucht Kooperation auch Organisation, damit aus der Spezialisierung keine allzu großen nachteile erwachsen. Und Organisation funktioniert am effektivsten durch Regeln.
und da ein postapokalyptisches Setting eher auf eine Mangelversorgung hindeutetet, wird sich die Gemeinschaft am erfolgreichsten durchsetzen, die die vorhandenen Kräfte am effektivsten einsetzt. Und das ist die, die Spezialisierung betreibt und sich in einer Weise organisiert, dass diese Spezialisierungen die wenigsten Nachteile beinhaltet.
Und ab einem gewissen Wachstumsstand einer solchen Gesellschaft bilded sich da unweigerlich ein klar strukturiertes, abstraktes Gesetzeswerk heraus, dass von Exekutivspezialisten durchgesetzt wird.

Eine anarchische Geselsschaft wäre da im Vergleich IMO wenig druckresistent und könnte nur für kleine, isolierte Gruppen realisiert werden, die somit wenige externem Druck ausgesetzt sind und wenig internen Druck aufbauen.
 
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