AW: Ist UA ein "Fall für die Tonne"?
Junge, atme mal ein wenig durch und entspann dich.
Ich seh schon, dass es nix für dich ist, weil es deiner Art zu spielen nicht entgegen kommt. Aber dennoch stimmt dein Rundumschlag einfach nicht - oder du verstehst das System nicht.
Ich bin durchaus entspannt in dieser Diskussion. Mir liegt weder etwas daran, das System runter zu machen noch daran, es zu promoten. Ich stelle einfach fest, dass der Großteil der Regeln sehr schlecht gemacht sind, mit einer glänzenden Ausnahme, nämlich dem wirklich hervorragenden Sanity-System. Das hat auch nichts mit meinen persönlichen Spielpräferenzen zu tun, sondern bezieht sich einzig und allein auf die Funktionalität der Regeln.
Ob ich verstehe, was sich die Autoren bei dem Spiel gedacht haben, weiss ich nicht, kann ich auch nicht wissen. Ich weiss aber, dass ein gutes Spiel (ob Rollenspiel, Brettspiel, Kartenspiel, Trinkspiel oder sonstwas) ein Spielziel hat und Regeln, die auf dieses Spielziel hinarbeiten. Allein mit dieser Messlatte gelange ich zu dem Schluss, dass der Großteil der UA-Regeln absoluter Mist ist, das UA-Sanity-System andererseits mit Abstand das am besten funktionierende Sanity-System ist, das ich je gesehen habe.
Die vier Attribute in UA geben nur die allgemeine Begabung einer Figur in vier relevanten Bereichen wider: Körperliche Auseinandersetzungen in Bezug auf Wucht und Ausdauer (Körper), reaktionsabhängige Auseinandersetzung in Bezug auf Schnelligkeit und Geschicklichkeit. Verstand bedeudet Intelligenz und Willenskraft, Seele bezieht sich auf emotionale Auseinandersetzungen.
Letztendlich versteckt sich dahinter nicht viel anderes als die klassische Elementenaufteilung: Erde für Körper, Feuer für Schnelligkeit, Luft für Intelligenz und Wasser für Emotionen.
Und diese Aufteilung ist wofür nützlich?
So ist es sehr einfach auszuloten, in welche Richtung der Charakter tendiert und wo seine Stärken liegen. Die "Standardfähigkeiten" von UA decken nichts weiter ab als die typischen Aufgaben und Herausforderung, die sich in einem Thriller-orientierten Spiel stellen.
Geht es um Aufgaben und Herausforderungen oder nicht?
Wenn es um Herausforderungen geht: Warum fehlen die eindeutigen Meßskalen?
Wenn es nicht darum geht: Wofür herausforderungsorientierte Skills? Warum der ganze Aufwand mit den vielen Zahlen, die eh nichts bringen?
Am Anfang des Spiels kann mein Charakter schon mal in so ziemlich allen Situationen das, was er können muss - nur in risikoreichen und vor allem lebensgefährlichen Situaitonen steht's schlimm für ihn. Also steigert man seine entsprechenden Fähigkeiten, in denen man auch mit guter Wahrscheinlichkeit bestehen möchte, während der Charakter um sein Leben kämpft.
Damit soll was bezweckt werden? Steigern und lernen von Skills wie "Auto fahren" bringt keinen Horror, in UA eher überhaupt nichts.
Gerade dieses Element wird von vielen Leutchen nicht verstanden: Der von dir postulierte Erzählcharakter von UA konzentriert sich darauf, dass man als Spieler Situationen schafft, in denen der Charakter glänzen kann, ohne das die Würfel ins Spiel kommen - verliere ich als Spieler die Kontrolle über die Situationen, bin ich auf die Würfel, den Zufall und die von mir veranschlagten Erfolgswerte angewiesen.
Bewährte Idee für ein Erzählspiel, schlechte Umsetzung. Zufall und Kontrollverlust braucht keine Skills. Andere, erzählerischere Mechanismen wären sinnvoller gewesen.
Vielleicht sagt dir die Skalierung und die Granularität eines Prozentsystems persönlich nicht zu - aber dafür ist es transparent: Hab ich eine Fertigkeit, gelingt diese immer in normalen Situationen. Ist ein Risiko dabei, liegt die Chance je nach Begabung zwischen 30 und 70 Prozent. Geht's um Leben oder Tod, so stellen meine Fertigkeitswerte die Erfolgschance dar (zwischen 15 und 55% Prozent bei einem Einsteigercharakter).
Nein, für Transparenz bräuchte man objektive Schwierigkeitsskalen.
Die Granularität des Systems dient sonst auch nur dazu, auf einfache Weise eine langsame Steigerung der Fähigkeiten zu bekommen: Spieler bekommen zwischen 6-10 Erfahrungspunkte pro Spielsitzung und können ihre Fähigkeiten pro Spielsitzung um bis zu 3 Punkte steigern. Damit die Spieler aber nicht einzelne Fähigkeiten hochboosten können, müssen sie erst den Attributswert steigern, da die Fertigkeit das Attribut nicht übersteigen kann: Das bedeutet, dass Spieler nach einigen Spielabenden sich darauf konzentrieren, eine ihrer Begabungen nach oben zu steigern, um in diesem Bereich wirklich exzellent zu werden.
Ist mir klar & gegen diese Mechanismen an sich will ich nichts sagen. Nur sind sie in UA ein Griff ins Klo, weil es kein wettbewerbsorientiertes Spiel ist.
Ich beschäftige mich seit rund 8 Jahren mit UA - und ich weiß ehrlich nicht so genau, was dieses von dir postulierte Spielziel von UA ist. Horror erleben? Die Welt verbessern? Sein Ding durchziehen? Emotional ansprechende und mitreißende Storys erleben?
Was ist denn der Fokus des Spiels? Für die einen ist es persönlicher Horror, für die anderen ein humoresker Roadmovie, für die nächsten ein grotesker, vielleicht sogar übernatürlicher Thriller wie im Computerspiel Fahrenheit oder in Se7en, für die letzten ist es ein Krimi des Hardboiler-Genres mit fiesen Schlägern und geheimnisvollen Damen.
Soweit ich das Regelwerk richtig deute, soll es ein erzählerisches Horrorspiel sein. Wie dieser Horror auszusehen hat, soll variabel sein. Leider liefert das Regelwerk weder Erzählung noch Horror, von dem Sanity-System abgesehen.
Man kann UA getrost den Vorwurf machen, dass es eben diesen starken Fokus nicht hat - aber einen Fokus zu postulieren und dann nachzuweisen, dass es eben diesen nicht erfüllt, führt halt nicht weiter.
Es geht mir nicht um die Schärfe des Fokus, sondern um die
Richtung, die das Spiel einschlägt und wie konsequent diese umgesetzt wird. Die Regeln gehen ein paar Schritte in Richtung Simulation und bleiben dann plötzlich stehen als hätte man die Entwicklung mittendrin abgebrochen. Es ist kein Erzählspiel, sondern ein halbfertiges Simulationsspiel.
Ich mag Simulationsspiele, aber dieses ist nicht vollständig und auch nicht gut durchdacht.
Bei UA sieht es so aus als hätte jemand sehr viel Mühe in ein gutes Sanity-System gesteckt, das dann aus dem ursprünglichen System herausgerissen, ein paar zufällig ausgewählte Standardregeln hinzugeworfen ("Hmm... Was nehm ich? ... D20, D6, D100... D100... Prozentsystem...
Pro-zentsystem... Mann, das klingt gut... und so oft benutzt wurde das auch noch nicht... und dann brauch ich noch ein Kampfsystem, glaub ich... jedes Rollenspiel braucht eins, oder? ... Das mach ich dann so ähnlich, aber mit Extraregeln für Erdrosseln und für vom Auto überfahren Werden.... ja, das ist gut, das hat D&D nicht..."), einmal kräftig umgerührt und dann behauptet, es sei ein Spiel. Und weils zwar knapp über 300 Seiten sind, aber keinen Inhalt hat, ists ein unfokussiertes, SL-basierendes Erzählspiel.
Und das UA nach einer starken Spielleiterrolle verlangt, kann einen persönlich nerven, wenn man eben keinen guten SL zur Verfügung hat und total auf Meta-Konzepte wie Spotlightdauer und aufgeteilte Erzählrechte abfährt. Kein Problem, dann ist sowas wie Dread mit nem Jenga-Turm als Spielsystem bestimmt besser für dich. Aber einem Löwen vorzuwerfen, dass er kein Hai ist, ist halt auch nicht so zielführend. Man muss es nicht mögen, aber man sollte auch nachvollziehen können, das andere Leute gerade die "Krücke" des SL-Entscheids sehr wohl eher als spielbildendes Gerüst denn als Behinderung betrachten.
"Der Spielleiter entscheidet"
reicht nicht für ein Spiel. Dafür braucht man sich kein Buch kaufen und erst recht keine 300 Seiten lesen. Wenn ich ein System kaufe, dann will ich nicht auf jeder Seite bloß lesen "entscheide selber", sondern will lesen,
wie, dann dass ichs tue, ist auch ohne Buch klar.
UA ist eben kein Erzählspiel mit verteilten Erzählerrollen und ausgeprägten Metastrukturen. Es ist weitgehend ein klassisches Rollenspielsystem mit einigen Mechanismen, die es dem Spieler gestatten, in Situationen zu glänzen, die für seinen Charakter emotional signifikant sind. Nicht mehr, nicht weniger.
Nein, es ist überhaupt kein Spiel. Es ist weder ein Erzählspiel noch ein klassisches Rollenspiel. Es ist der Überrest eines klassischen Rollenspielsystems. Nicht mehr, nicht weniger.
Aber ich geb dir auch in ein paar Punkten recht: UA steht historisch an der Wasserkante zwischen klassischem Rollenspiel und Erzählspielen neuerer Philosophie. Für die einen macht UA schon zu viel (igitt, freie Fertigkeiten), für andere geht's lange nicht weit genug (deine "kläglichen Überreste eines simulativen Spiels"). Und für manche - wie mich - funktioniert dieser kleine Freak beim Spielen einfach hervorragend. Pax.
Die Diskrepanz zwischen Viel und Wenig ist es ja, die so nervt. Es gibt haufenweise Werte ohne Regeln, wie diese genau eingesetzt werden. Entweder ist man so konsequent, die Werte mit Regeln zu versehen oder so konsequent, sie zu streichen. Hinzu kommt, dass die vorhandenen Werte überhaupt nicht zum Spielziel passen, sondern aus willkürlichen esoterischen Gründen vorhanden sind. Mit Ausnahme des Sanity-Systems erfüllt der gesamte Regelkomplex
überhaupt keine Funktion.