III. Theoretische Dimensionierung
Der Begriff ‚Szenen’ verweist auf Gesellungsgebilde, die nicht aus vorgängigen gemeinsamen Lebenslagen oder Standesinteressen der daran Teilhabenden heraus entstehen, die einen signifikant geringen Verbindlichkeitsgrad und Verpflichtungscharakter aufweisen, die nicht prinzipiell selektiv und exkludierend strukturiert und auch nicht auf exklusive Teilhabe hin angelegt sind, die aber gleichwohl als thematisch fokussierte vergemeinschaftende Erlebnis- und Selbststilisierungsräume fungieren. Wesentlich für die Bestimmung von Szenen ist darüber hinaus, dass sie Gesellungsgebilde von Akteuren sind, welche – und das unterscheidet Szenen zumeist von Lebensstilformationen – sich selber als zugehörig zu einer oder verschiedenen Szenen begreifen. Gegenüber anderen, sozusagen ‚anrainenden’ Gesellungsgebilden zeichnen sich Szenen generell durch fehlende oder zumindest sehr ‚niedrige’ Ein- und Austrittsschwellen und durch symptomatisch ‚schwache’ Sanktionspotentiale aus. Von Subkulturen z.B. unterscheiden sich Szenen wesentlich durch ihre Diffusität im Hinblick auf Inklusion und Exklusion; von Milieus wesentlich durch ihren geringen Bezug auf vorgängige biographische Umstände; von Cliquen wesentlich durch deutlich geringere Altershomogenität, durch geringere Interaktionsdichte und durch Translokalität.
In Szenen suchen vorzugsweise juvenile Menschen das, was sie in der Nachbarschaft, im Betrieb, in der Gemeinde, in Kirchen, Verbänden oder Vereinen immer seltener, und was sie auch in ihren Familien und Verwandtschaften, und immer öfter noch nicht einmal mehr in ihren Intim-Partnern finden: Verbündete für ihre Interessen, Kumpane für ihre Neigungen, Partner ihrer Projekte, Komplementäre ihrer Leidenschaften, Freunde ihrer Gesinnung. Die Chancen, in Szenen Gleichgesinnte zu finden, sind signifikant hoch, denn Szenen sind thematisch fokussiert. Jede Szene hat ihr ‚Thema’, auf das hin die Aktivitäten der Szenegänger ausgerichtet sind. Dieses Thema kann z.B. ein Musikstil sein, eine ästhetische Neigung, eine Sportart, eine technische Faszination, eine politische Idee; dieses Thema können auch spezielle Konsumgegenstände oder es kann ein ganzes Konsum-Stil-Paket sein, gepaart in der Regel mit einer mehr oder minder diffusen Weltanschauung.
Und Szenegänger teilen nun eben das Interesse am jeweiligen Szene-Thema. Sie teilen im weiteren auch typische Einstellungen und entsprechende Verhaltensweisen und Umgangsformen. Eine Szene lässt sich somit auch als ein Netzwerk von Akteuren definieren, die bestimmte materiale und mentale Formen der kollektiven Selbst-Stilisierung teilen, um diese Teilhabe wissen, und die diese Gemeinsamkeiten kommunikativ stabilisieren, modifizieren oder transformieren. Weit weniger scheint uns dabei also Gleichaltrigkeit das wesentliche Vergemeinschaftungskriterium zu sein als vielmehr die (relative) ‚Gleichartigkeit’ von Interessen, die in der Regel teilzeitlich begrenzt relevant und ‚ausgelebt’ werden.
Szenen sind also zu begreifen als so etwas wie ‚Gefäße’, in die man die Suche nach der ‚eigenen’ Lebensidee füllen kann, die dieser Suche sozusagen eine Form geben. Sie sind Gesellungsgebilde, welche die Entwicklung von Welt- und Daseinskonzepten bei individualisierten Akteuren, insbesondere aber bei Jugendlichen, maßgeblich beeinflussen. Denn die mannigfaltigen Pluralisierungs- und Individualisierungsprozesse, die wir alle – teils sehr intensiv, teils eher beiläufig – erfahren, führen augenscheinlich zu symptomatischen Um-Strukturierungen der Lebensorientierung in wohlfahrtsstaatlich verfassten Gesellschaften. Das hat nicht zum wenigsten damit zu tun, dass die Vergemeinschaftungsangebote herkömmlicher 'Agenturen' der primären und sekundären Sozialisationen dem – insbesondere bei Jugendlichen – steigenden Bedarf nach sozialer Geborgenheit immer weni¬ger gerecht werden. Infolgedessen entwic¬keln, verstetigen und vermehren sich eben diese neuen bzw. neuartigen Ver¬gemeinschaf¬tungsformen, deren wesent¬lichstes Kenn¬zeichen darin be¬steht, dass sie auf der Verführung prinzipiell hochgradig individualitäts¬bedachter Einzel¬ner zur habituellen, intellektuellen, affektuellen und vor allem zur ästheti¬schen Gesin¬nungsgenossenschaft basieren.