Ioelet
I am Iron Man!
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Forsaken Colony – Anfänger-Rollenspiel (?)
Qualvolle Verkostung eines Gedankensalats [Team-Rezi] von Ioelet
„Rollenspiel für Anfänger direkt aus der Box“
„Hilfsmittel wie Spielkarten, Marker und Spielplanteile, die deine Vorstellungskraft unterstützen“
„völlig freie Spielwelt, die lediglich von deiner Fantasie begrenzt ist“
„fesselnde Spielwelt“
„dein ganz persönliches Abenteuer“
„vereinfacht dabei den Spielablauf durch das bekannte TV-Serienformat“
Was das Spiel auf der eigenen Homepage verspricht, klingt doch schon einmal recht nett – und ein Blick auf die Verpackung lässt doch schon einmal auf ein schönes Artwork beim erwähnten Spielmaterial hoffen, oder?
Sehen wir uns das doch einmal näher an...
Aufmachung und Umfang
Die schöne auf der Homepage und eben auch hier abgebildete Box gibt es in der Realität leider garnicht – insofern ist auch das versprochene Material lediglich digital vorhanden. Schade, aber verständlich, da es sich um kein professionelles Produkt handelt, auch wenn das Artwork auf den ersten Blick etwas anderes vermuten ließ.
Die digitale Box gibt es auf der Homepage des Spieles kostenlos zum Download (http://www.forsakencolony.de/). Ich habe mir bereits die volle Ladung gegönnt und mir auch sonst noch alles herunter geladen, was der Downloadbereich hergibt, aber bleiben wir doch einmal beim Inhalt der Basisbox. In einem unnötig verschachtelten Zip-Ordner bietet sie nach anfänglicher Verwirrung, warum mir nicht einfach direkt ein Grundregelwerk-PDF ins Gesicht blinzeln kann, schließlich folgendes:
Basisregeln
Das Themenheft „Die Welt von Teloora“
Leere Charakterbögen
Charakterbögen und Flufftexte für 8 vorgefertigte SCs
Das Spielmaterial (insgesamt 78 Spielkarten, wenn ich mich nicht verzählt habe, sowie 2 Spielpläne)
Das Startabenteuer (Season 1, Episode 1) „Countdown auf der Durathror“
Von den erwähnten Markern fehlt übrigens jede Spur.
Insgesamt 141 PDF-Seiten zum selbst ausdrucken sind geboten – und hübsch aussehen tun sie auf jeden Fall schon einmal. Sehen wir uns aber einmal an was hinter der schönen Fassade steckt.
Was bisher geschah
Das Deckblatt der 52-seitigen Basisregeln zeigt das selbe Artwork wie die fiktive Box: Eine Gruppe von Raumschiffen, die einen Planeten, besser gesagt einen Mond, anfliegen. Auf den ersten Seiten nach dem Inhaltsverzeichnis erfahren wir, dass es sich dabei vermutlich um den fernen erdähnlichen Mond Teloora handelt. Nachdem im Jahr 2210 ein Meteorit mit der Substanz Itherium auf die Erde geprallt war, hat es eben diese Substanz ermöglicht zu eben jenem Mond zu fliegen um dort noch mehr von eben dieser Substanz abzubauen. Inzwischen haben sich Menschen dort vermehrt angesiedelt und fiese Konzernbosse sorgen dafür, dass die Arbeits- und Lebensbedingungen dort natürlich schrecklich mies sind. Ob es dort auch dreibrüstige Mutanten-Prostituierten und blaue Aliens gibt, wird leider nicht erwähnt. Packen konnte mich die lieblos auf einer halben Seite heruntergeschriebene und wenig originelle Ausgangslage bis hier hin auf jeden Fall nicht.
Der Autor nimmt sich noch eine weitere Seite um noch einmal zu betonen, dass die Konzerne wirklich voll mächtig und gierig sind und die Kolonialregierung im Griff haben – zumindest bis eine Rebellenbewegung anfängt Ärger zu machen.
Dann taucht noch irgendsoein geheimnisvolles Artefakt auf, das (ich zitiere) „etwas Seltsames“ macht, so dass eine elektromagnetische Impulswelle den Mond erschüttert und das anwesende Forscherteam spurlos verschwinden lässt. Im Austausch gegen einen lahmen Wissenschaftler mit skurrilem Nachnamen bekommt das Setting hier nun wenigstens ein paar „mit geheimnisvollen Schriftzeichen versehene Monolithen“ verpasst, die „mithilfe eines automatischen Verteidigungsmechanismus“ neugierige Passanten töten.
Klinge ich lustlos? Mag sein – und ich orientiere mich dabei so gut es geht an der Vorlage, die es allen Ernstes geschafft hat mir trotz der Vorfreude auf die Anwendung des Spielmaterials, trotz der schicken Aufmachung der Titelseite und trotz des hübschen durchgehend farbigen und mit stimmungsvollen Bildern präsentierten Artworks des Regelheftes, bereits nach nur 7 Seiten bzw. eineinhalb Seiten Settingbeschreibung jegliche Lust an diesem Setting zu nehmen. Der Tonfall des Regelwerkes schreit geradezu danach an jeden Satz ein Sternchen anzuhängen und die letzte Seite mit einer Fußnote zu beenden:
„* Blabla… man kennt das ja… ihr wisst schon, so Science-Fiction-RPG-Zeug eben.“
Und dieser Tonfall wird uns, besser gesagt mir, bis zum Ende erhalten bleiben. Durro, ich finde ich habe es mir verdient ein cooles Brettspiel zum Rezensieren zu bekommen.
Das Spiel
Was nun folgt, kennen wir ja alles schon: Das Übliche zum Thema „Was ist ein Rollenspiel?“, „Wer hat welche Aufgaben?“, „Wie funktioniert das ganze?“. Da sich FC (kürzen wir das Spiel mal so ab) selbst die Anfänger-Freundlichkeit auf die Fahne geschrieben hat, können wir hier also einen besonders motivierenden und ausführlichen Einstieg erwarten.
Nein, können wir nicht.
Die komplette Erklärung, was denn nun ein Abenteuerspiel sei, reduziert sich auf eine kleine flapsig (aber dennoch nicht humorvoll) formulierte Anekdote nach dem Motto „Wär doch schön, wenn man in ner TV-Serie entscheiden könnte, was die Charaktere machen“, einer Anmerkung, dass FC so ähnlich wie eine solche Serie ist, aber auch ein bisschen Brettspiel und das einer den Erzähler spielen muss und dann eine ganze Menge zu tun hat. Das war’s.
Und nein, das war’s nicht vorerst – nein, das war absolut alles was das gesamte Basisregelwerk überhaupt zum Thema Rollenspiel zu sagen hat. Das gesamte Heft erwähnt nicht ein einziges Mal wie Rollenspiel praktisch aussehen könnte oder sollte, wann und wozu wir im Folgenden die ganzen Regeln brauchen werden. Das Spiel ist eindeutig absolut nicht für Rollenspieleinsteiger geeignet. Bis hierher und auch später werden wir wieder und wieder feststellen müssen, dass wesentliche Rollenspielbegriffe und –prinzipien nicht erklärt, nicht eingeführt und nicht motiviert werden, sondern stattdessen immer wieder in kleinen Anmerkungen auftauchen, wie „da es bei FC keine Charakterstufen im herkömmlichen Sinn gibt“. Kein Anfänger kann mit einer solchen Aussage etwas anfangen. Ich gehe sogar soweit zu behaupten, dass kein Anfänger mit diesem gesamten Machwerk etwas anderes anfangen kann als sich dadurch motiviert zu fühlen, die Frage zu stellen, ob es nicht irgendein Spiel gäbe, das so ähnlich sei, aber auch tatsächlich die Dinge bietet, die Forsaken Colony von sich behauptet.
Forsaken Colony lügt. Es lügt bei den wesentlichen Aussagen darüber, was es selbst ist, worauf es selbst wert legt und was es den Spielern bieten will.
Ich will dem Autoren hiermit keine Absicht unterstellen. Vielleicht denkt er tatsächlich, sein Spiel würde das Versprochene leisten - aber dann auch an ihn: Tut es nicht! Es lügt.
An dieser Stelle stehe ich nun vor einer Entscheidung:
Soll ich darüber hinwegsehen, dass mir das Spiel insgesamt 141 Seiten lang plump und dreist oder aus Unfähigkeit heraus direkt ins Gesicht gelogen hat und das Spiel auf Basis dessen rezensieren, was es in meinen Augen tatsächlich leisten kann – oder soll ich es beim Wort nehmen und ihm die Abreibung verpassen, die dieser verlogene regelfokussierte Brettspiel-Hybride für Rollenspiel-Insider dafür verdient hat, ein gutes Grundkonzept auf geradezu epische Weise mehrmals frontal gegen die Wand klatschen zu lassen?
Da ersteres den noch immer aufgeschlossenen Lesern Information vermitteln kann, während letzteres dem Unterhaltungswert dieser Rezension dienen dürfte, entscheide ich mich für beides.
Die Regeln
Die Regelmechaniken als solche sind sehr einfach (und wirklich das einzige, was erahnen lässt woher das „für Anfänger“-Label kommt) und auch gut und präzise erklärt – allerdings in keinster Weise motiviert, in keinen Maßstab und keine Relation gesetzt. Die komplett fehlenden Stimmungstexte im Regelwerk werden somit ein wenig dadurch ausgeglichen, dass die Regeln völlig zusammenhanglos Science-Fiction-gerecht durch den schwerelosen Raum treiben. Das „bekannte TV-Serienformat“ das so angepriesen wurde, bedeutet nichts anderes, als dass Szenen eben Szenen heißen, eine Spielsitzung eine Episode ist und mehrere Episoden Teil einer Kampagne sind, die hier eben Staffel genannt wird. Ulisses und Pegasus, haltet euch fest – dies könnte eine Revolution auf dem RPG-Markt auslösen, die alles Dagewesene erschüttern wird.
Zuerst werden die verschiedenen Archetypen eingeführt (als Erklärung, was das überhaupt sei, wird auf „viele Computerspiele“ verwiesen – sollen die doch die Drecksarbeit machen):
Der Taktiker – die Kämpferklasse
Der Techniker – für die Bastelarbeiten zuständig
Der Wissenschaftler – der Charakter für geistige Aufgaben
Die Klassen bieten geringe Attributsboni und schalten die Möglichkeit frei gewisse Spezialfertigkeiten in der späteren Entwicklung auf höhere Werte steigern zu dürfen. Insgesamt 9 Attribute bilden die Ausgangssituation für einige abgeleitete Charakterwerte, nämlich Angriffs- und Verteidigungswerte für Nah- und Fernkampf, Lebenspunkte und einen PSI-Wert.
(Muss ich noch extra erwähnen, dass man als Erklärung, was PSI überhaupt sei, sich mit folgendem abspeisen lassen muss: „Dieser Wert wird verwendet, um die Stärke des paranormalen Potenzials darzustellen – mit Intelligenz hat dies erstmal nichts zu tun.“ ?)
Die Attribute bilden dann eine Grundlage für jeweils 3 also insgesamt 27 Fertigkeiten, was bedeutet, dass sie einerseits bei der Erschaffung in einem durch den Attributwert festgelegten Rahmen bewegen dürfen und andererseits bei der Anwendung stets zu dem Wert des zugrundeliegenden Attributes hinzugerechnet werden. Die Erschaffung wird als Punktekaufsystem abgewickelt und gestaltet sich sehr einfach dadurch, dass man für einen Punkt bei der Attributsvergabe eben jeweils genau einen Attributspunkt erhält und entsprechend auch bei den Fertigkeiten.
Die Attribute nehmen Werte zwischen 1 (Startwert ohne Klassenboni) und 4 an und können im Spielverlauf nie mehr gesteigert, sondern nur über Ausrüstung zeitweilig bis auf 5 erhöht werden. Die Fertigkeiten beginnen, je nachdem ob man sie bei der Erschaffung gekauft hat zwischen 0 und 4 und dürfen im Verlauf der Staffel bis auf 5 gesteigert werden – für die fünf Spezialfertigkeiten der verschiedenen Charakterklassen sogar bis auf 9.
Interessant ist dies insbesondere deshalb, weil, sobald die erste Fertigkeit, die einem Attribut untersteht, auf 5 erhöht wird, der Charakter als kleinen Bonus noch eines von pro Attribut jeweils drei „Spezialgebieten“ wählen darf – kleine Sonderregeln, wie z.B. das Agilitäts-Spezialgebiet „Schnelle Reaktion“, das einen Bonus auf den Initiativewurf gewährt.
Steigert man eine weitere Fertigkeit, die zum selben Attribut gehört auf 5, erhält man kein weiteres Spezialgebiet. Um auf diese zugreifen zu dürfen muss eine Fertigkeit einen Wert von 7 bzw. später 9 erreichen – und da dies, wie erwähnt, ausschließlich bei den klassebedingten Spezialfertigkeiten möglich ist, kommt es hier nach einigen Steigerungen zu einer interessanten Differenzierungsmöglichkeit der Charaktere.
Proben werden schließlich über einen einfachen Wurf mit einem W20 gelöst. Attribut + Fertigkeit +/- Modifikatoren nach Schwierigkeit der Aufgabe liefern einen Wert, der unterwürfelt werden muss. Nach welchen Kriterien der Erzähler die Schwierigkeit festlegen soll, damit wird er allerdings völlig allein gelassen, eine kleine Liste erwähnt lediglich, dass es acht Schwierigkeitsgrade gäbe, die solch aussagekräftige Namen wie „sehr leicht“ bis „Hardcore“ tragen.
Kämpfe sollen bei Forsaken Colony laut Aussage des Regelwerkes nur einfache Actionsequenzen für zwischendurch sein, während der Fokus auf dem guten Erzählen von Geschichten liegen soll – davon merkt man allerdings herzlich wenig, da das Regelwerk (und auch das Settingheft) völlig auf Stimmungstexte verzichtet, aber das Glanzstück des Spiels ganz klar das umfangreiche Spielmaterial zur Abwicklung der Kämpfe ist.
Einfach ist es allerdings tatsächlich: Eine lockere Einteilung in (sinngemäß) „direkt neben meiner Figur bedeutet Nahkampf, alles andere solang eine undurchbrochene Sichtlinie besteht Fernkampf“ ohne weitere Distanzklassen oder -modifikatoren beschleunigt einen Kampf ungemein. Für Waffen, Rüstungen und PSI-Manöver gibt es schön und übersichtlich gestaltete Karten aus denen sich jeder Spieler sein eigenes passendes Kartendeck zusammenstellt und die Karten auf einer kleinen Schablone vor sich in die jeweils passenden Felder auslegt. Ganz nebenbei wird durch Gewichtsangaben auf den Karten das alte „kann ich das alles tragen“-Thema abgehakt, neben den Modifikatoren sind noch direkt sämtliche Sonderregeln der jeweiligen Gegenstände darauf verzeichnet.
Ein einziger lässiger Initiativewurf, der, von obig erwähntem Spezialgebiet abgesehen, aus einem einfachen unmodifizierten W20-Wurf besteht legt die Reihenfolge für den kompletten bevorstehenden Kampf fest. Jeder Charakter darf pro Runde auf der Battlemap zwei Felder laufen und eine Aktion durchführen, wie natürlich ein Angriff, einen verlängerten Sprint, PSI-Manöver, Erste Hilfe oder was die SCs eben noch so währenddessen zu erledigen haben.
Angriffe werden durch einen Wurf, diesmal mit dem W10, durchgeführt, zu dem der eigene Angriffswert addiert wird. Übertrifft man damit den gegnerischen Verteidigungswert richtet man Schaden an, den man ebenfalls den schicken Waffenkarten entnehmen kann – natürlich abzüglich der Rüstungwerte, die man von den schicken Rüstungskarten abliest.
Dazu noch ein paar nette PSI-Manöver mit denen man Gegner durch den Raum schleudert, sich teleportiert oder auch einfach Schaden verursacht. Als Gummipunkte gibt es außerdem noch das „Adrenalin“ für Vereinfachung von Proben oder gar automatische Erfolge – und fertig ist das kleine Actionbrettspiel.
Zugegeben: Für meinen Geschmack ist es ein wenig zu einfach. Als alleinstehendes Brettspiel wäre es mir zu langweilig, aber als Tabletop-Kampfabwicklung für ein Rollenspiel mit Fokus auf die Erzählung ist es genau das Richtige.
Immersives Erzählspiel ohne Grenzen
Falls es mir bis hierhin gelungen sein sollte die Rezension nicht in einen kompletten Verriss abdriften zu lassen, befürchte ich, dass dies spätestens im folgenden Abschnitt unweigerlich bevorsteht. Ich möchte mich hier nun nämlich mit der Zielsetzung und dem Ergebnis von Forsaken Colony auseinandersetzen, insbesondere mit der Frage, was der Autor uns hier als Spiel vorsetzt, nachdem wir die Regeln verstanden haben.
Das Regelwerk verirrt sich hier so tief in vermutlich unbeabsichtigte Selbstironie, dass man es sich eigentlich schon allein deswegen zulegen sollte. Zur Eigenbezeichnung als „völlig freie Spielwelt, die lediglich von deiner Fantasie begrenzt ist“ möchte ich dem Freund des gepflegten Facepalms Seite 33 der Regeln ans Herz legen bzw. an die Stirn knallen:
Oben finden wir „zwei Spielpläne für Kampfszenen“, besser gesagt, die Erklärung dass der Box zwei eben solche beiliegen. Zwei ist zwar nicht grenzenlos, aber darauf möchte ich garnicht herumreiten – es ergänzt sich nur so schön mit dem zweiten Hilfsmittel, dass hier (nicht) präsentiert wird.
Die mysteriöserweise angekündigten aber nicht enthaltenen Spieler- und NSC-Marker „helfen den Spielern und dem Erzähler dabei, Kämpfe auf den Spielplänen auszutragen. […] Marker können zum Beispiel Münzen, Pappteile oder sogar Miniaturen sein. Hier sind deiner Fantasie keine Grenzen gesetzt.“.
Wie bitte?
Da drückt der Autor des Spieles uns in Regeln und mehrseitiger Sonderbeilage seine vorgefertigten SCs mit Artwork ins Gesicht, aber als Antwort auf die Frage, wo denn die vollmundig angekündigten Marker seien, jubelt er uns etwas von grenzenloser Freiheit zu?
…ich denke ich muss hier noch etwas erklären:
Diese Seite für sich betrachtet besticht natürlich nüchtern betrachtet lediglich aus einer der zahlreichen unfreiwillig unpassenden Formulierungen, die man wirklich auf jeder Seite mindestens ein- bis zweimal findet. Jedoch ist dies leider wirklich die einzige Stelle im gesamten Regelwerk plus Beispielabenteuer, die etwas kreative Freiheit erahnen lässt.
Die Welt von Teloora
Aber mal zur Kreativität des Autors:
Auf 24 Seiten soll uns das Heft „Die Welt von Teloora“ den Mond schmackhaft machen… glaube ich zumindest.
Das Ganze präsentiert sich trotz seiner Kürze als erschreckend lang, wenn man berücksichtigt, dass es ein einziges Namedropping von verschiedenen Gegenden, Organisationen und Personen ist, die alle oberflächlich kurz angerissen werden ohne zumindest bei mir sonderlich Interesse wecken zu können. Das wirkt so motivationslos hingeklatscht, als hätte der Autor einfach keine Lust gehabt sein Setting zu präsentieren – und hätte ich nicht eine Rezension schreiben wollen, hätte ich mich niemals hindurchgequält.
Also:
Auf Teloora „herrschen fast gleiche Bedingungen wie auf unserem Blauen Planeten“, d.h. „fast zwei Drittel der Oberfläche“ bestehen aus spärlich bewachsenen Felslandschaften. Außerdem sind die Tage dort sehr lang, die Nächte aber dauern nur vier bis fünf Stunden. Hä? Ja, dachte ich mir auch – die Antwort, wie das klappt, hat vermutlich was mit der Doppelsonne zu tun, die sich im Mittelpunkt dieses Sonnensystems befindet. So ganz überzeugt bin ich dennoch nicht.
Außerdem gibt’s noch sehr viel Regenwald.
Ob’s auch Wasser gibt, weiß ich nicht – wird ein wenig eng – dafür gibt’s aber eine Menge bläulich schimmerndes Itherium.
Aus irgendeinem Grund scheint es relevant zu sein, dass es Schweineratten und insektenfressemde Giraffen gibt. Wie viele Menschen es gibt oder wie groß Teloora ist hingegen erfahren wir nicht, sondern können wir nur ganz grob anhand von schwammigen Angaben abschätzen.
Kleiner als die Erde, weniger als 400.000 Menschen.
Die meisten Menschen scheinen innerhalb eines Sci-Fi-Bahnnetzes zu leben. Viele einzelne Siedlungen und noch viel mehr Industriegebiete mit verschiedenen Schwerpunkten liegen verteilt über einer Fläche unbekannter Größe.
Bei den Organisationen haben wir es primär mit einer Aufzählung von Konzernen zu tun, die auf ihrem Gebiet alle ein Monopol zu haben scheinen. Waffen, Drogen, Fahrzeuge… das übliche eben.
Außerdem werden diverse bewaffnete Gruppen, wie z.B. die Rookerz erklärt. Ich geb‘s zu, dass ich nicht ganz verstanden habe ob das jetzt Freiheitskämpfer oder Konzern-Ganger sind, aber sie werden mehrmals erwähnt und scheinen irgendwie wichtig zu sein.
Insgesamt habe ich das Gefühl, dass sich bei der Welt schon jemand etwas gedacht hat – aber völlig unfähig ist das stimmungsvoll, strukturiert und verständlich aufs Papier zu bringen.
Countdown auf der Durathor
Die Rezension wird inzwischen zwar etwas lang, aber dennoch will ich das Abenteuer noch mit hinein packen. Ich hatte wiederholt den völligen Verzicht auf Stimmungstexte, Erzählhinweise oder auch sonst irgendwas kritisiert, dass irgendwie andeuten könnte, wie der Autor auf die Idee kommt sein Brettspiel als Rollenspiel mit Erzählfokus zu vermarkten. Ich denke er hat die Chance verdient das hier ein wenig nachzuholen.
Und zumindest von der Idee her, wollte er das wohl auch.
…und hat leider auch hier versagt.
Zwar werden am Anfang Tipps für den Erzähler gegeben, aber diese schaffen es trotz langer Ausformulierung kaum über eine Aneinanderreihung von Floskeln hinauszugehen. Die Regeln sollte man können, auf die Spieler eingehen, ausführlich beschreiben (sogar „so ausführlich es geht“ – der Typ saß wohl noch nie am Spieltisch mit nem klassischen Märchenonkel-SL), improvisieren lernen und natürlich NSCs zum Leben erwecken.
Etwas spezieller werdend wird immerhin betont, dass man flexibel auf die Pläne der Spieler/SCs reagieren sollte. Dass Spieler es allerdings zu schätzen wissen, wenn man NSCs übertrieben darstellt, halte ich für ein Gerücht.
Das eigentliche Abenteuer ist sehr übersichtlich strukturiert. Anleitungstexte zum richtigen Spielleiten, Vorlesetexte, Spielleiterinformation und ausformulierte wörtliche Rede der NSCs sind farblich unterschiedlich hervorgehoben und in verschiedenen Schriftarten getippt. Das ist zwar sicherlich gut gemeint und wirkt erstaunlich motiviert und ausgearbeitet, aber verfehlt leider meiner Meinung nach völlig das Ziel.
Die Texte lassen sich zum Teil aufgrund der seltsamen Schriftarten und Farbgebung weit weniger flüssig lesen und die komplette Ausformulierung von nahezu allem, was der SL stimmungstechnisch zu sagen braucht, sind sicherlich nicht geeignet um einen Neuling zu kreativem und flexiblem Selbstbeschreiben anzuregen. Die Anleitungstexte betonen, dass die Spieler „alle Freiheiten haben“ um ein Problem zu lösen, nur um im selben Atemzug zu raten, dass der SL ihnen notfalls Lösungstipps geben soll. Denn wie an der folgenden Auflistung von Schwierigkeiten und Lösungen zu sehen ist, ist nahezu überhaupt kein kreativer Spielraum vorhanden.
Die SCs erwachen auf einem Raumschiff aus dem Kälteschlaf als der Alarm losgeht. Explosionen erschüttern das Schiff. Was danach folgt ist eine komplett gerailroadete Abfolge von Szenen. Sicherlich ganz nett als spielbares Tutorial, aber die Selbstverständlichkeit mit der dabei von Freiheit, Offenheit und Flexibilität geschrieben wird, erweckt den Eindruck, dass der Autor niemals in seinem Leben selbst ein Rollenspiel gespielt hat. Ich will nicht bestreiten, dass es natürlich auch Spaß machen kann ein solches Abenteuer zu spielen – aber frei und offen ist daran offensichtlich nichts.
Fazit
Es ist nicht sehr einfach Forsaken Colony zu bewerten. Ich habe im Internet gelesen dem Autor sei häufig vorgeworfen worden, das Spiel sei nicht Fisch und nicht Fleisch, weil nicht Rollen- und nicht Brettspiel.
Das sehe ich anders. Es ist ganz klar etwas dazwischen – und daran sehe ich auch kein Problem. Nicht Fisch nicht Fleisch, dann eben ein Delfin.
…allerdings ein Delfin der elendig erstickt, während er über die Vorteile seiner Kiemenatmung schwafelt.
Wie bewertet man einen Weitspringer, der in Footballausrüstung an den Start geht, den Anlauf kriechend zurück legt und den Sandkasten leerfuttert?
Forsaken Colony macht einige Sachen wirklich gut und schön. Das Kampfspielchen ist locker-flockig und elegant. Die Charaktererschaffung sorgt zwar dafür, dass man in erster Linie ziemlich unfähige Pfeifen erstellt, aber es ist ebenfalls sehr einfach und bekommt mit den Spezialgebieten erstaunlich einfach eine Vielseitigkeit verpasst. Die Karten für die Ausrüstung und überhaupt das ganze stylische Artwork runden das System wunderbar ab und machen richtig Lust auf ein kleines Spielchen.
Der Rest ist Schrott.
Ich habe mir noch einmal überlegt, wie ich das freundlicher und fairer formulieren kann, aber musste feststellen, dass jede freundlichere Formulierung unfair wäre. Das Setting mag möglicherweise interessant sein, wenn man es stimmungsvoll präsentiert bekommt. Dieser lieblos hingeklatschte Konzernmond, der mir als Leser jedoch präsentiert wird lässt meine Fantasie genauso trocken zurück wie die weiten Canyons Telooras.
An jeder einzelnen Stelle der Bücher, wo es darum geht Stimmung zu erzeugen oder etwas abseits der reinen Regelmechaniken zu erklären, versagt der Autor hoffnungslos. Die Texte sind flapsig, unsauber formuliert, aber dennoch nicht locker, sondern verkrampft als seien sie von jemandem verfasst worden, der einfach keine Freude am Schreiben hat – und nehmen mir die Freude am Lesen. Alles klingt irgendwie nach „kennt man ja“ und „ihr wisst doch was ich mein“.
Nein, verdammt – das ist ein „Rollenspiel für Anfänger direkt aus der Box“. Das soll, nein, das MUSS man verstehen können, ohne zu wissen, was sonst so üblich ist, was man aus PC-Spielen kennen sollte oder was ja in TV-Serien auch so ist.
FC liest sich wie die Ansammlung von Brainstorming-Notizen aus einem Thread eines RPG-Forums mit dem Titel „Sci-Fi-Rollenspiel mit Karten für Anfänger“. Gutes Brainstorming, das allerdings nie über den Urzustand ungeordneten Gedankensalats hinausgekommen ist.
Würde auf dem Cover Beta-Version stehen, würde ich euch wohl von einem interessanten Projekt berichten, aber dass man so etwas als fertiges Produkt mit so vielen starken Sprüchen anpreist, finde ich einfach nur peinlich.