Rezension Forsaken Colony

Ioelet

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Forsaken Colony – Anfänger-Rollenspiel (?)

Qualvolle Verkostung eines Gedankensalats [Team-Rezi] von Ioelet

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„Rollenspiel für Anfänger direkt aus der Box“
„Hilfsmittel wie Spielkarten, Marker und Spielplanteile, die deine Vorstellungskraft unterstützen“
„völlig freie Spielwelt, die lediglich von deiner Fantasie begrenzt ist“
„fesselnde Spielwelt“
„dein ganz persönliches Abenteuer“
„vereinfacht dabei den Spielablauf durch das bekannte TV-Serienformat“

Was das Spiel auf der eigenen Homepage verspricht, klingt doch schon einmal recht nett – und ein Blick auf die Verpackung lässt doch schon einmal auf ein schönes Artwork beim erwähnten Spielmaterial hoffen, oder?

Sehen wir uns das doch einmal näher an...

Aufmachung und Umfang

Die schöne auf der Homepage und eben auch hier abgebildete Box gibt es in der Realität leider garnicht – insofern ist auch das versprochene Material lediglich digital vorhanden. Schade, aber verständlich, da es sich um kein professionelles Produkt handelt, auch wenn das Artwork auf den ersten Blick etwas anderes vermuten ließ.
Die digitale Box gibt es auf der Homepage des Spieles kostenlos zum Download (http://www.forsakencolony.de/). Ich habe mir bereits die volle Ladung gegönnt und mir auch sonst noch alles herunter geladen, was der Downloadbereich hergibt, aber bleiben wir doch einmal beim Inhalt der Basisbox. In einem unnötig verschachtelten Zip-Ordner bietet sie nach anfänglicher Verwirrung, warum mir nicht einfach direkt ein Grundregelwerk-PDF ins Gesicht blinzeln kann, schließlich folgendes:

Basisregeln
Das Themenheft „Die Welt von Teloora“
Leere Charakterbögen
Charakterbögen und Flufftexte für 8 vorgefertigte SCs
Das Spielmaterial (insgesamt 78 Spielkarten, wenn ich mich nicht verzählt habe, sowie 2 Spielpläne)
Das Startabenteuer (Season 1, Episode 1) „Countdown auf der Durathror“

Von den erwähnten Markern fehlt übrigens jede Spur.
Insgesamt 141 PDF-Seiten zum selbst ausdrucken sind geboten – und hübsch aussehen tun sie auf jeden Fall schon einmal. Sehen wir uns aber einmal an was hinter der schönen Fassade steckt.

Was bisher geschah

Das Deckblatt der 52-seitigen Basisregeln zeigt das selbe Artwork wie die fiktive Box: Eine Gruppe von Raumschiffen, die einen Planeten, besser gesagt einen Mond, anfliegen. Auf den ersten Seiten nach dem Inhaltsverzeichnis erfahren wir, dass es sich dabei vermutlich um den fernen erdähnlichen Mond Teloora handelt. Nachdem im Jahr 2210 ein Meteorit mit der Substanz Itherium auf die Erde geprallt war, hat es eben diese Substanz ermöglicht zu eben jenem Mond zu fliegen um dort noch mehr von eben dieser Substanz abzubauen. Inzwischen haben sich Menschen dort vermehrt angesiedelt und fiese Konzernbosse sorgen dafür, dass die Arbeits- und Lebensbedingungen dort natürlich schrecklich mies sind. Ob es dort auch dreibrüstige Mutanten-Prostituierten und blaue Aliens gibt, wird leider nicht erwähnt. Packen konnte mich die lieblos auf einer halben Seite heruntergeschriebene und wenig originelle Ausgangslage bis hier hin auf jeden Fall nicht.

Der Autor nimmt sich noch eine weitere Seite um noch einmal zu betonen, dass die Konzerne wirklich voll mächtig und gierig sind und die Kolonialregierung im Griff haben – zumindest bis eine Rebellenbewegung anfängt Ärger zu machen.

Dann taucht noch irgendsoein geheimnisvolles Artefakt auf, das (ich zitiere) „etwas Seltsames“ macht, so dass eine elektromagnetische Impulswelle den Mond erschüttert und das anwesende Forscherteam spurlos verschwinden lässt. Im Austausch gegen einen lahmen Wissenschaftler mit skurrilem Nachnamen bekommt das Setting hier nun wenigstens ein paar „mit geheimnisvollen Schriftzeichen versehene Monolithen“ verpasst, die „mithilfe eines automatischen Verteidigungsmechanismus“ neugierige Passanten töten.

Klinge ich lustlos? Mag sein – und ich orientiere mich dabei so gut es geht an der Vorlage, die es allen Ernstes geschafft hat mir trotz der Vorfreude auf die Anwendung des Spielmaterials, trotz der schicken Aufmachung der Titelseite und trotz des hübschen durchgehend farbigen und mit stimmungsvollen Bildern präsentierten Artworks des Regelheftes, bereits nach nur 7 Seiten bzw. eineinhalb Seiten Settingbeschreibung jegliche Lust an diesem Setting zu nehmen. Der Tonfall des Regelwerkes schreit geradezu danach an jeden Satz ein Sternchen anzuhängen und die letzte Seite mit einer Fußnote zu beenden:
„* Blabla… man kennt das ja… ihr wisst schon, so Science-Fiction-RPG-Zeug eben.“

Und dieser Tonfall wird uns, besser gesagt mir, bis zum Ende erhalten bleiben. Durro, ich finde ich habe es mir verdient ein cooles Brettspiel zum Rezensieren zu bekommen.

Das Spiel

Was nun folgt, kennen wir ja alles schon: Das Übliche zum Thema „Was ist ein Rollenspiel?“, „Wer hat welche Aufgaben?“, „Wie funktioniert das ganze?“. Da sich FC (kürzen wir das Spiel mal so ab) selbst die Anfänger-Freundlichkeit auf die Fahne geschrieben hat, können wir hier also einen besonders motivierenden und ausführlichen Einstieg erwarten.
Nein, können wir nicht.

Die komplette Erklärung, was denn nun ein Abenteuerspiel sei, reduziert sich auf eine kleine flapsig (aber dennoch nicht humorvoll) formulierte Anekdote nach dem Motto „Wär doch schön, wenn man in ner TV-Serie entscheiden könnte, was die Charaktere machen“, einer Anmerkung, dass FC so ähnlich wie eine solche Serie ist, aber auch ein bisschen Brettspiel und das einer den Erzähler spielen muss und dann eine ganze Menge zu tun hat. Das war’s.

Und nein, das war’s nicht vorerst – nein, das war absolut alles was das gesamte Basisregelwerk überhaupt zum Thema Rollenspiel zu sagen hat. Das gesamte Heft erwähnt nicht ein einziges Mal wie Rollenspiel praktisch aussehen könnte oder sollte, wann und wozu wir im Folgenden die ganzen Regeln brauchen werden. Das Spiel ist eindeutig absolut nicht für Rollenspieleinsteiger geeignet. Bis hierher und auch später werden wir wieder und wieder feststellen müssen, dass wesentliche Rollenspielbegriffe und –prinzipien nicht erklärt, nicht eingeführt und nicht motiviert werden, sondern stattdessen immer wieder in kleinen Anmerkungen auftauchen, wie „da es bei FC keine Charakterstufen im herkömmlichen Sinn gibt“. Kein Anfänger kann mit einer solchen Aussage etwas anfangen. Ich gehe sogar soweit zu behaupten, dass kein Anfänger mit diesem gesamten Machwerk etwas anderes anfangen kann als sich dadurch motiviert zu fühlen, die Frage zu stellen, ob es nicht irgendein Spiel gäbe, das so ähnlich sei, aber auch tatsächlich die Dinge bietet, die Forsaken Colony von sich behauptet.

Forsaken Colony lügt. Es lügt bei den wesentlichen Aussagen darüber, was es selbst ist, worauf es selbst wert legt und was es den Spielern bieten will.
Ich will dem Autoren hiermit keine Absicht unterstellen. Vielleicht denkt er tatsächlich, sein Spiel würde das Versprochene leisten - aber dann auch an ihn: Tut es nicht! Es lügt.

An dieser Stelle stehe ich nun vor einer Entscheidung:
Soll ich darüber hinwegsehen, dass mir das Spiel insgesamt 141 Seiten lang plump und dreist oder aus Unfähigkeit heraus direkt ins Gesicht gelogen hat und das Spiel auf Basis dessen rezensieren, was es in meinen Augen tatsächlich leisten kann – oder soll ich es beim Wort nehmen und ihm die Abreibung verpassen, die dieser verlogene regelfokussierte Brettspiel-Hybride für Rollenspiel-Insider dafür verdient hat, ein gutes Grundkonzept auf geradezu epische Weise mehrmals frontal gegen die Wand klatschen zu lassen?

Da ersteres den noch immer aufgeschlossenen Lesern Information vermitteln kann, während letzteres dem Unterhaltungswert dieser Rezension dienen dürfte, entscheide ich mich für beides.

Die Regeln

Die Regelmechaniken als solche sind sehr einfach (und wirklich das einzige, was erahnen lässt woher das „für Anfänger“-Label kommt) und auch gut und präzise erklärt – allerdings in keinster Weise motiviert, in keinen Maßstab und keine Relation gesetzt. Die komplett fehlenden Stimmungstexte im Regelwerk werden somit ein wenig dadurch ausgeglichen, dass die Regeln völlig zusammenhanglos Science-Fiction-gerecht durch den schwerelosen Raum treiben. Das „bekannte TV-Serienformat“ das so angepriesen wurde, bedeutet nichts anderes, als dass Szenen eben Szenen heißen, eine Spielsitzung eine Episode ist und mehrere Episoden Teil einer Kampagne sind, die hier eben Staffel genannt wird. Ulisses und Pegasus, haltet euch fest – dies könnte eine Revolution auf dem RPG-Markt auslösen, die alles Dagewesene erschüttern wird.

Zuerst werden die verschiedenen Archetypen eingeführt (als Erklärung, was das überhaupt sei, wird auf „viele Computerspiele“ verwiesen – sollen die doch die Drecksarbeit machen):

Der Taktiker – die Kämpferklasse
Der Techniker – für die Bastelarbeiten zuständig
Der Wissenschaftler – der Charakter für geistige Aufgaben

Die Klassen bieten geringe Attributsboni und schalten die Möglichkeit frei gewisse Spezialfertigkeiten in der späteren Entwicklung auf höhere Werte steigern zu dürfen. Insgesamt 9 Attribute bilden die Ausgangssituation für einige abgeleitete Charakterwerte, nämlich Angriffs- und Verteidigungswerte für Nah- und Fernkampf, Lebenspunkte und einen PSI-Wert.
(Muss ich noch extra erwähnen, dass man als Erklärung, was PSI überhaupt sei, sich mit folgendem abspeisen lassen muss: „Dieser Wert wird verwendet, um die Stärke des paranormalen Potenzials darzustellen – mit Intelligenz hat dies erstmal nichts zu tun.“ ?)

Die Attribute bilden dann eine Grundlage für jeweils 3 also insgesamt 27 Fertigkeiten, was bedeutet, dass sie einerseits bei der Erschaffung in einem durch den Attributwert festgelegten Rahmen bewegen dürfen und andererseits bei der Anwendung stets zu dem Wert des zugrundeliegenden Attributes hinzugerechnet werden. Die Erschaffung wird als Punktekaufsystem abgewickelt und gestaltet sich sehr einfach dadurch, dass man für einen Punkt bei der Attributsvergabe eben jeweils genau einen Attributspunkt erhält und entsprechend auch bei den Fertigkeiten.
Die Attribute nehmen Werte zwischen 1 (Startwert ohne Klassenboni) und 4 an und können im Spielverlauf nie mehr gesteigert, sondern nur über Ausrüstung zeitweilig bis auf 5 erhöht werden. Die Fertigkeiten beginnen, je nachdem ob man sie bei der Erschaffung gekauft hat zwischen 0 und 4 und dürfen im Verlauf der Staffel bis auf 5 gesteigert werden – für die fünf Spezialfertigkeiten der verschiedenen Charakterklassen sogar bis auf 9.

Interessant ist dies insbesondere deshalb, weil, sobald die erste Fertigkeit, die einem Attribut untersteht, auf 5 erhöht wird, der Charakter als kleinen Bonus noch eines von pro Attribut jeweils drei „Spezialgebieten“ wählen darf – kleine Sonderregeln, wie z.B. das Agilitäts-Spezialgebiet „Schnelle Reaktion“, das einen Bonus auf den Initiativewurf gewährt.
Steigert man eine weitere Fertigkeit, die zum selben Attribut gehört auf 5, erhält man kein weiteres Spezialgebiet. Um auf diese zugreifen zu dürfen muss eine Fertigkeit einen Wert von 7 bzw. später 9 erreichen – und da dies, wie erwähnt, ausschließlich bei den klassebedingten Spezialfertigkeiten möglich ist, kommt es hier nach einigen Steigerungen zu einer interessanten Differenzierungsmöglichkeit der Charaktere.

Proben werden schließlich über einen einfachen Wurf mit einem W20 gelöst. Attribut + Fertigkeit +/- Modifikatoren nach Schwierigkeit der Aufgabe liefern einen Wert, der unterwürfelt werden muss. Nach welchen Kriterien der Erzähler die Schwierigkeit festlegen soll, damit wird er allerdings völlig allein gelassen, eine kleine Liste erwähnt lediglich, dass es acht Schwierigkeitsgrade gäbe, die solch aussagekräftige Namen wie „sehr leicht“ bis „Hardcore“ tragen.

Kämpfe sollen bei Forsaken Colony laut Aussage des Regelwerkes nur einfache Actionsequenzen für zwischendurch sein, während der Fokus auf dem guten Erzählen von Geschichten liegen soll – davon merkt man allerdings herzlich wenig, da das Regelwerk (und auch das Settingheft) völlig auf Stimmungstexte verzichtet, aber das Glanzstück des Spiels ganz klar das umfangreiche Spielmaterial zur Abwicklung der Kämpfe ist.

Einfach ist es allerdings tatsächlich: Eine lockere Einteilung in (sinngemäß) „direkt neben meiner Figur bedeutet Nahkampf, alles andere solang eine undurchbrochene Sichtlinie besteht Fernkampf“ ohne weitere Distanzklassen oder -modifikatoren beschleunigt einen Kampf ungemein. Für Waffen, Rüstungen und PSI-Manöver gibt es schön und übersichtlich gestaltete Karten aus denen sich jeder Spieler sein eigenes passendes Kartendeck zusammenstellt und die Karten auf einer kleinen Schablone vor sich in die jeweils passenden Felder auslegt. Ganz nebenbei wird durch Gewichtsangaben auf den Karten das alte „kann ich das alles tragen“-Thema abgehakt, neben den Modifikatoren sind noch direkt sämtliche Sonderregeln der jeweiligen Gegenstände darauf verzeichnet.

Ein einziger lässiger Initiativewurf, der, von obig erwähntem Spezialgebiet abgesehen, aus einem einfachen unmodifizierten W20-Wurf besteht legt die Reihenfolge für den kompletten bevorstehenden Kampf fest. Jeder Charakter darf pro Runde auf der Battlemap zwei Felder laufen und eine Aktion durchführen, wie natürlich ein Angriff, einen verlängerten Sprint, PSI-Manöver, Erste Hilfe oder was die SCs eben noch so währenddessen zu erledigen haben.

Angriffe werden durch einen Wurf, diesmal mit dem W10, durchgeführt, zu dem der eigene Angriffswert addiert wird. Übertrifft man damit den gegnerischen Verteidigungswert richtet man Schaden an, den man ebenfalls den schicken Waffenkarten entnehmen kann – natürlich abzüglich der Rüstungwerte, die man von den schicken Rüstungskarten abliest.

Dazu noch ein paar nette PSI-Manöver mit denen man Gegner durch den Raum schleudert, sich teleportiert oder auch einfach Schaden verursacht. Als Gummipunkte gibt es außerdem noch das „Adrenalin“ für Vereinfachung von Proben oder gar automatische Erfolge – und fertig ist das kleine Actionbrettspiel.

Zugegeben: Für meinen Geschmack ist es ein wenig zu einfach. Als alleinstehendes Brettspiel wäre es mir zu langweilig, aber als Tabletop-Kampfabwicklung für ein Rollenspiel mit Fokus auf die Erzählung ist es genau das Richtige.

Immersives Erzählspiel ohne Grenzen

Falls es mir bis hierhin gelungen sein sollte die Rezension nicht in einen kompletten Verriss abdriften zu lassen, befürchte ich, dass dies spätestens im folgenden Abschnitt unweigerlich bevorsteht. Ich möchte mich hier nun nämlich mit der Zielsetzung und dem Ergebnis von Forsaken Colony auseinandersetzen, insbesondere mit der Frage, was der Autor uns hier als Spiel vorsetzt, nachdem wir die Regeln verstanden haben.

Das Regelwerk verirrt sich hier so tief in vermutlich unbeabsichtigte Selbstironie, dass man es sich eigentlich schon allein deswegen zulegen sollte. Zur Eigenbezeichnung als „völlig freie Spielwelt, die lediglich von deiner Fantasie begrenzt ist“ möchte ich dem Freund des gepflegten Facepalms Seite 33 der Regeln ans Herz legen bzw. an die Stirn knallen:
Oben finden wir „zwei Spielpläne für Kampfszenen“, besser gesagt, die Erklärung dass der Box zwei eben solche beiliegen. Zwei ist zwar nicht grenzenlos, aber darauf möchte ich garnicht herumreiten – es ergänzt sich nur so schön mit dem zweiten Hilfsmittel, dass hier (nicht) präsentiert wird.
Die mysteriöserweise angekündigten aber nicht enthaltenen Spieler- und NSC-Marker „helfen den Spielern und dem Erzähler dabei, Kämpfe auf den Spielplänen auszutragen. […] Marker können zum Beispiel Münzen, Pappteile oder sogar Miniaturen sein. Hier sind deiner Fantasie keine Grenzen gesetzt.“.

Wie bitte?
Da drückt der Autor des Spieles uns in Regeln und mehrseitiger Sonderbeilage seine vorgefertigten SCs mit Artwork ins Gesicht, aber als Antwort auf die Frage, wo denn die vollmundig angekündigten Marker seien, jubelt er uns etwas von grenzenloser Freiheit zu?

…ich denke ich muss hier noch etwas erklären:
Diese Seite für sich betrachtet besticht natürlich nüchtern betrachtet lediglich aus einer der zahlreichen unfreiwillig unpassenden Formulierungen, die man wirklich auf jeder Seite mindestens ein- bis zweimal findet. Jedoch ist dies leider wirklich die einzige Stelle im gesamten Regelwerk plus Beispielabenteuer, die etwas kreative Freiheit erahnen lässt.

Die Welt von Teloora

Aber mal zur Kreativität des Autors:
Auf 24 Seiten soll uns das Heft „Die Welt von Teloora“ den Mond schmackhaft machen… glaube ich zumindest.

Das Ganze präsentiert sich trotz seiner Kürze als erschreckend lang, wenn man berücksichtigt, dass es ein einziges Namedropping von verschiedenen Gegenden, Organisationen und Personen ist, die alle oberflächlich kurz angerissen werden ohne zumindest bei mir sonderlich Interesse wecken zu können. Das wirkt so motivationslos hingeklatscht, als hätte der Autor einfach keine Lust gehabt sein Setting zu präsentieren – und hätte ich nicht eine Rezension schreiben wollen, hätte ich mich niemals hindurchgequält.

Also:
Auf Teloora „herrschen fast gleiche Bedingungen wie auf unserem Blauen Planeten“, d.h. „fast zwei Drittel der Oberfläche“ bestehen aus spärlich bewachsenen Felslandschaften. Außerdem sind die Tage dort sehr lang, die Nächte aber dauern nur vier bis fünf Stunden. Hä? Ja, dachte ich mir auch – die Antwort, wie das klappt, hat vermutlich was mit der Doppelsonne zu tun, die sich im Mittelpunkt dieses Sonnensystems befindet. So ganz überzeugt bin ich dennoch nicht.
Außerdem gibt’s noch sehr viel Regenwald.

Ob’s auch Wasser gibt, weiß ich nicht – wird ein wenig eng – dafür gibt’s aber eine Menge bläulich schimmerndes Itherium.

Aus irgendeinem Grund scheint es relevant zu sein, dass es Schweineratten und insektenfressemde Giraffen gibt. Wie viele Menschen es gibt oder wie groß Teloora ist hingegen erfahren wir nicht, sondern können wir nur ganz grob anhand von schwammigen Angaben abschätzen.
Kleiner als die Erde, weniger als 400.000 Menschen.

Die meisten Menschen scheinen innerhalb eines Sci-Fi-Bahnnetzes zu leben. Viele einzelne Siedlungen und noch viel mehr Industriegebiete mit verschiedenen Schwerpunkten liegen verteilt über einer Fläche unbekannter Größe.

Bei den Organisationen haben wir es primär mit einer Aufzählung von Konzernen zu tun, die auf ihrem Gebiet alle ein Monopol zu haben scheinen. Waffen, Drogen, Fahrzeuge… das übliche eben.
Außerdem werden diverse bewaffnete Gruppen, wie z.B. die Rookerz erklärt. Ich geb‘s zu, dass ich nicht ganz verstanden habe ob das jetzt Freiheitskämpfer oder Konzern-Ganger sind, aber sie werden mehrmals erwähnt und scheinen irgendwie wichtig zu sein.

Insgesamt habe ich das Gefühl, dass sich bei der Welt schon jemand etwas gedacht hat – aber völlig unfähig ist das stimmungsvoll, strukturiert und verständlich aufs Papier zu bringen.

Countdown auf der Durathor

Die Rezension wird inzwischen zwar etwas lang, aber dennoch will ich das Abenteuer noch mit hinein packen. Ich hatte wiederholt den völligen Verzicht auf Stimmungstexte, Erzählhinweise oder auch sonst irgendwas kritisiert, dass irgendwie andeuten könnte, wie der Autor auf die Idee kommt sein Brettspiel als Rollenspiel mit Erzählfokus zu vermarkten. Ich denke er hat die Chance verdient das hier ein wenig nachzuholen.
Und zumindest von der Idee her, wollte er das wohl auch.

…und hat leider auch hier versagt.
Zwar werden am Anfang Tipps für den Erzähler gegeben, aber diese schaffen es trotz langer Ausformulierung kaum über eine Aneinanderreihung von Floskeln hinauszugehen. Die Regeln sollte man können, auf die Spieler eingehen, ausführlich beschreiben (sogar „so ausführlich es geht“ – der Typ saß wohl noch nie am Spieltisch mit nem klassischen Märchenonkel-SL), improvisieren lernen und natürlich NSCs zum Leben erwecken.
Etwas spezieller werdend wird immerhin betont, dass man flexibel auf die Pläne der Spieler/SCs reagieren sollte. Dass Spieler es allerdings zu schätzen wissen, wenn man NSCs übertrieben darstellt, halte ich für ein Gerücht.

Das eigentliche Abenteuer ist sehr übersichtlich strukturiert. Anleitungstexte zum richtigen Spielleiten, Vorlesetexte, Spielleiterinformation und ausformulierte wörtliche Rede der NSCs sind farblich unterschiedlich hervorgehoben und in verschiedenen Schriftarten getippt. Das ist zwar sicherlich gut gemeint und wirkt erstaunlich motiviert und ausgearbeitet, aber verfehlt leider meiner Meinung nach völlig das Ziel.
Die Texte lassen sich zum Teil aufgrund der seltsamen Schriftarten und Farbgebung weit weniger flüssig lesen und die komplette Ausformulierung von nahezu allem, was der SL stimmungstechnisch zu sagen braucht, sind sicherlich nicht geeignet um einen Neuling zu kreativem und flexiblem Selbstbeschreiben anzuregen. Die Anleitungstexte betonen, dass die Spieler „alle Freiheiten haben“ um ein Problem zu lösen, nur um im selben Atemzug zu raten, dass der SL ihnen notfalls Lösungstipps geben soll. Denn wie an der folgenden Auflistung von Schwierigkeiten und Lösungen zu sehen ist, ist nahezu überhaupt kein kreativer Spielraum vorhanden.

Die SCs erwachen auf einem Raumschiff aus dem Kälteschlaf als der Alarm losgeht. Explosionen erschüttern das Schiff. Was danach folgt ist eine komplett gerailroadete Abfolge von Szenen. Sicherlich ganz nett als spielbares Tutorial, aber die Selbstverständlichkeit mit der dabei von Freiheit, Offenheit und Flexibilität geschrieben wird, erweckt den Eindruck, dass der Autor niemals in seinem Leben selbst ein Rollenspiel gespielt hat. Ich will nicht bestreiten, dass es natürlich auch Spaß machen kann ein solches Abenteuer zu spielen – aber frei und offen ist daran offensichtlich nichts.

Fazit

Es ist nicht sehr einfach Forsaken Colony zu bewerten. Ich habe im Internet gelesen dem Autor sei häufig vorgeworfen worden, das Spiel sei nicht Fisch und nicht Fleisch, weil nicht Rollen- und nicht Brettspiel.
Das sehe ich anders. Es ist ganz klar etwas dazwischen – und daran sehe ich auch kein Problem. Nicht Fisch nicht Fleisch, dann eben ein Delfin.
…allerdings ein Delfin der elendig erstickt, während er über die Vorteile seiner Kiemenatmung schwafelt.

Wie bewertet man einen Weitspringer, der in Footballausrüstung an den Start geht, den Anlauf kriechend zurück legt und den Sandkasten leerfuttert?
Forsaken Colony macht einige Sachen wirklich gut und schön. Das Kampfspielchen ist locker-flockig und elegant. Die Charaktererschaffung sorgt zwar dafür, dass man in erster Linie ziemlich unfähige Pfeifen erstellt, aber es ist ebenfalls sehr einfach und bekommt mit den Spezialgebieten erstaunlich einfach eine Vielseitigkeit verpasst. Die Karten für die Ausrüstung und überhaupt das ganze stylische Artwork runden das System wunderbar ab und machen richtig Lust auf ein kleines Spielchen.

Der Rest ist Schrott.
Ich habe mir noch einmal überlegt, wie ich das freundlicher und fairer formulieren kann, aber musste feststellen, dass jede freundlichere Formulierung unfair wäre. Das Setting mag möglicherweise interessant sein, wenn man es stimmungsvoll präsentiert bekommt. Dieser lieblos hingeklatschte Konzernmond, der mir als Leser jedoch präsentiert wird lässt meine Fantasie genauso trocken zurück wie die weiten Canyons Telooras.
An jeder einzelnen Stelle der Bücher, wo es darum geht Stimmung zu erzeugen oder etwas abseits der reinen Regelmechaniken zu erklären, versagt der Autor hoffnungslos. Die Texte sind flapsig, unsauber formuliert, aber dennoch nicht locker, sondern verkrampft als seien sie von jemandem verfasst worden, der einfach keine Freude am Schreiben hat – und nehmen mir die Freude am Lesen. Alles klingt irgendwie nach „kennt man ja“ und „ihr wisst doch was ich mein“.

Nein, verdammt – das ist ein „Rollenspiel für Anfänger direkt aus der Box“. Das soll, nein, das MUSS man verstehen können, ohne zu wissen, was sonst so üblich ist, was man aus PC-Spielen kennen sollte oder was ja in TV-Serien auch so ist.

FC liest sich wie die Ansammlung von Brainstorming-Notizen aus einem Thread eines RPG-Forums mit dem Titel „Sci-Fi-Rollenspiel mit Karten für Anfänger“. Gutes Brainstorming, das allerdings nie über den Urzustand ungeordneten Gedankensalats hinausgekommen ist.

Würde auf dem Cover Beta-Version stehen, würde ich euch wohl von einem interessanten Projekt berichten, aber dass man so etwas als fertiges Produkt mit so vielen starken Sprüchen anpreist, finde ich einfach nur peinlich.
 
haha zu cool

ist das dann ein Fanprojekt oder will der damit Geld verdienen?

Danke für die Rezi, war interessant zu lesen, was man sich alles antun kann ^^
 
Es gibt RPGs, die nutzen das, es gibt welche, die machen das nicht. Es ist also kein Fehler per se, es nicht zu tun. Im Gegenteil, ich brauch die Stimmungstexte dort, wo sie hingehören.

Ansonsten regt sich die Rezi über viele Dinge auch, die, nüchtern konsumiert, bei weitem nicht so schlecht sind, wie sie gemacht werden.

"Das Spiel lügt!" Ja, ist klar ;)
 
Es ist der Klappentext ... Lies Dir mal die Pathfinder-Klappentexte durch.

Und zumeist gilt: Es ist völlig subjektiv, ob diese Punkte erfüllt sind.

Gut, als Rezensent kann ich ja schreiben, was ich will, das einzige was ich sagen will: Ich würde mir an Eurer Stelle einen eigenen Eindruck verschaffen, das Spiel ist imho deutlich besser als die Rezi suggeriert.
 
Ich habe das an anderer Stelle schon einmal geschrieben (üblicherweise immer dann, wenn sich über eine Rezension aufgeregt wird), aber gerne noch einmal auch hier:

Als Rezensent ist man Diener zweier Herren: Zum einen ist man es dem Autor/Verlag des Spiels schuldig, sein Produkt fair zu bewerten. Zum anderen ist man es dem Leser schuldig, ihm eine ehrliche Meinung und ggf. eben auch eine "Produktwarnung" auszusprechen.
Ioelet hat seine Rezension nach bestem Wissen und Gewissen verfasst und trotz der ein oder anderen dramaturgisch wertvollen Formulierung meiner Meinung nach das Produkt faktisch bewertet.

Dass das Fazit oder gar der Gesamteindruck des Produktes bei einem anderen Rezensenten ein anderes sein könnte, steht hierbei gar nicht in Frage. Das ist nur zu verständlich. Schließlich ist man als Rezensent ja gehalten, seine Meinung zu schreiben. Das geht schwerlich, ohne einen Funken Subjektivität.
 
Ich hab ja bekanntlich auch die ein oder andere Rezi geschrieben ^^

Insofern sei es nochmals betont: Aus Rezensetensicht darf ich vieles schreiben, dass will ich nicht angreifen.

Aber wer nach dem Fazit das Gefühl hat, juckt mich nicht die Bohne, sollte entweder den direkten Blick wagen - oder zumindest eine zweite Meinung heranziehen.

Mir gefiel das Ding ausdrücklich gut! Auch teils aus den genannten Gründen (knappe, fokussierte Beschreibung ohne viel Labberei, für mich mehr als ein dickes Plus und ein durch Hilfsmittel-unterstütztes Erzählspiel, doppelter Applaus!).
 
Du vermisst in einem Regelbuch Stimmungstexte? Wirklich?

Ich geh nicht mit der Rezi konform und kann nur jedem raten, sich selbst ein Bild zu machen.
Es gibt Stimmungstexte... nur dass die sich so lesen als hätte sie ein 8-jähriger geschrieben.
Was ich vermisse ist, dass Texte Stimmung machen.
Eine Settingbeschreibung vermittelt IMMER Stimmung - wenn man mit Sprache umgehen kann - selbst wenn sie nur eine Aufzählung von Fakten ist.
Der Autor versucht das sogar auch - er scheitert aber grandios.

Wenn die Präsentation des Spiels nicht mal seinem eigenen propagierten Standard gerecht werden kann, dann schon… :rolleyes:
Genau das meine ich. Ich denke, dass ich schon recht deutlich auch die positiven Seiten des Spieles erwähnt habe. Die hat es.

Aber am Ende muss sich ein Produkt eben auch anhand seiner Werbung messen lassen. Mag ja sein, dass man auf dem Motor des neuen Fiats richtig gute Spiegeleier brutzeln kann, aber wenn das Ding als Auto verkauft wird, muss es auch fahren können.
FC leistet nicht, was es behauptet.

Und zumeist gilt: Es ist völlig subjektiv, ob diese Punkte erfüllt sind.

Gut, als Rezensent kann ich ja schreiben, was ich will, das einzige was ich sagen will: Ich würde mir an Eurer Stelle einen eigenen Eindruck verschaffen, das Spiel ist imho deutlich besser als die Rezi suggeriert.
Da es auch nichts kostet, spricht da wirklich nichts dagegen. Man sollte nur mMn wissen, dass von den 6 Klappentext-Punkten kein einziger erfüllt wird.
„Rollenspiel für Anfänger direkt aus der Box“
„Hilfsmittel wie Spielkarten, Marker und Spielplanteile, die deine Vorstellungskraft unterstützen“
„völlig freie Spielwelt, die lediglich von deiner Fantasie begrenzt ist“
„fesselnde Spielwelt“
„dein ganz persönliches Abenteuer“
„vereinfacht dabei den Spielablauf durch das bekannte TV-Serienformat“
Warum schreiben die nicht "einfacher Brettspiel-RPG-Hybride für ein schnelles gerailroadetes Fertigabenteuer für den erfahrenen Rollenspieler, der mal Lust auf nen No-Brainer hat"?

Und zwischen der offensichtlichen Subjektivität von Rezensionen und der Behauptung alles sei "völlig subjektiv" sehe ich schon auch noch einen Unterschied.

Bei welchem konkreten Kritikpunkt, würdest du mir denn widersprechen?
 
(knappe, fokussierte Beschreibung ohne viel Labberei, für mich mehr als ein dickes Plus und ein durch Hilfsmittel-unterstütztes Erzählspiel, doppelter Applaus!).
Knapp, ja.
Fokussiert?
Ohne viel Laberei?

Auszug?
So fängt das Ding an:

Im Jahre 2210 entdeckten kanadische Forscher auf einem Meteoriten eine Ansammlung von Kristallen, die in der Lage waren Unmengen an Energie zu liefern. Aufbauend auf diesem Wissen, entsandte die International Space Alliance hunderte von Forschungssonden, um in den Tiefen des Universums nach weiteren Vorkommen der Substanz mit dem Namen Itherium zu suchen. Vier Jahre nach dem Beginn dieser Mission entdeckte eine dieser Sonden in einem weit entfernten Sektor des Universums einen erdähnlichen Mond, auf dessen Oberfläche sich mehr Itherium befand, als man sich jemals hätte vorstellen können. Dieser Mond wurde wenig später Teloora genannt.
Eine RPG-Settingbeschreibung ist mMn ein kreatives schriftliches Werk. Da erwarte ich ein wenig mehr Sprachgefühl als... sowas.
So nen Sprachstil hab ich drauf, wenn ich den Erstentwurf zu nem Text schreibe oder mal wieder das B! zuspamme. Wenns knapp sein soll, dann doch bitte ne geordnete Timeline oder von mir aus auch eine Liste mit Stichpunkten, die mal knackig auf einer Seite ein komplettes Setting beschreibt, aber doch nicht so ein unmotiviertes Geschwafel, dass außer 3 erfunden Begriffen, die alle nicht erklärkt werden, keine Erkenntnis liefern außer
"Wir spielen im 23. Jahrhundert auf Teloora, einer Mondkolonie weit weg von der Erde, wo ein energiestarker Rohstoff namens Itherium gefördert wird."
DAS wäre knapp ohne Laberei - alles andere IST Stimmungstext. Nur eben keiner der Stimmung macht.
 
Die Beschreibung verdient keinen Grimme-Preis, ist jetzt aber auch nicht so unterirdisch. Da hab ich schon zig mal deutlich schlimmeres und vor allem deutlich längeres mit weniger Aussagekraft gelesen.

Es wird doch relativ schnell klar, welche Eckpunkte auf dem Mond ne Rolle spielen (Konzerne, Ressourcen, Untergrundbewegung).

Die sechs Punkte:
„Rollenspiel für Anfänger direkt aus der Box“ - trauen wir den Anfängern ruhig mal ein bisschen was zu ... Gerade die Brettspielelemente und das erste railroadige Abenteuer machen ein Einstieg einfacher als sagen wir mit der DSA-Basisbox. Natürlich gibt es bessere Produkte, aber gut, dass ist ja nicht gefragt ...
„Hilfsmittel wie Spielkarten, Marker und Spielplanteile, die deine Vorstellungskraft unterstützen“ - Ähh, ja, gut, ich hab gelesen, dass die Marker fehlen bzw. es werden abstrakte Marker genutzt. Also stimmt die Aussage min. zu 66%.
„völlig freie Spielwelt, die lediglich von deiner Fantasie begrenzt ist“ - Jut, was genau begrenzt denn die Spielwelt? Du kannst mit der beschriebenen Welt genauso gut oder schlecht wie mit jeder anderen Deinen Spaß haben.
„fesselnde Spielwelt“ - Wenn man das nicht als Werbeplattitüde erkennt, weiß ich auch nicht. Völlig subjektiv.
„dein ganz persönliches Abenteuer“ - Ja, so nennt man das wohl im Rollenspiel ...
„vereinfacht dabei den Spielablauf durch das bekannte TV-Serienformat“ - Man mag ja zu der Umsetzung stehen, wie man will, vielleicht ist auch ihre erste Folge misslungen, zumindest ist es mir möglich diesen Punkt anzuerkennen. Was schade ist, dass sie nicht schon ne Mini-Kampagne - dann hoffentlich mit weniger Railroadingkram reingepackt haben.
 
Liefert ihr Euch jetzt wirklich Quoting-Battles?

Mir reichen Eure Beiträge schon um fest zu machen, dass ihr unterschiedliche Meinung habt. Warum verschwendet ihr Eure Zeit damit, herausfinden zu wollen, wer recht hat ?

Ist doch ohnehin subjektiv...
 
Liefert ihr Euch jetzt wirklich Quoting-Battles?

Mir reichen Eure Beiträge schon um fest zu machen, dass ihr unterschiedliche Meinung habt. Warum verschwendet ihr Eure Zeit damit, herausfinden zu wollen, wer recht hat ?

Ist doch ohnehin subjektiv...
Mein Problem ist nicht, dass das Fazit (natürlich) subjektiv ist. Ich denke nur, dass es auch bei Textkritik objektive Kriterien gibt.

Subjektiv kann man gerne sagen "ach, ist doch nicht so wild - mir gefällts trotzdem", aber dass der Autor sich ziemlich häufig selbst widerspricht, wenn man seine allgemeinen Parolen und konkrete Aussagen miteinander vergleicht, ist mMn nicht nur subjektiv.

„Rollenspiel für Anfänger direkt aus der Box“ - trauen wir den Anfängern ruhig mal ein bisschen was zu ... Gerade die Brettspielelemente und das erste railroadige Abenteuer machen ein Einstieg einfacher als sagen wir mit der DSA-Basisbox. Natürlich gibt es bessere Produkte, aber gut, dass ist ja nicht gefragt ...
Die Regeln sind wirklich anfängerfreundlich. Ja.
Der Sprachstil, der immer wieder darauf hinweist, dass ein Mechanismus genauso ist, wie man es auch sonst kennt eher nicht. Woher soll denn ein Anfänger sowas kennen?

„Hilfsmittel wie Spielkarten, Marker und Spielplanteile, die deine Vorstellungskraft unterstützen“ - Ähh, ja, gut, ich hab gelesen, dass die Marker fehlen bzw. es werden abstrakte Marker genutzt. Also stimmt die Aussage min. zu 66%.
Korrekt. Zu 66%.

„völlig freie Spielwelt, die lediglich von deiner Fantasie begrenzt ist“ - Jut, was genau begrenzt denn die Spielwelt? Du kannst mit der beschriebenen Welt genauso gut oder schlecht wie mit jeder anderen Deinen Spaß haben.
Och ne... du argumentierst jetzt aber nicht über "wenn man Dinge weglässt, ist die Welt freier", oder? Das Beispielabenteuer ist übrigens der engste Dungeon, den ich je gesehen hab.
Und die Spielwelt ist nicht "frei", sondern einfach nur zu einem lächerlich kleinen Teil beschrieben. Unter "freier Spielwelt" stelle ich mir vor, dass das Spiel den SL dabei unterstützt diese Welt selbsständig zu füllen - denn sonst ist die Welt bei einem Anfänger-SL auf das Beschriebene reduziert... und damit bleiben wir im Beispieldungeon, denn der Rest ist so ungenau beschrieben, dass ein Anfänger-SL sich damit SEHR schwer tun dürfte.
„fesselnde Spielwelt“ - Wenn man das nicht als Werbeplattitüde erkennt, weiß ich auch nicht. Völlig subjektiv.
Naja, ich erwarte dann zumindest, dass mir die Spielwelt stimmungsvoll präsentiert wird - also irgendein erkennbarer Versuch die Spielwelt als Ganzes emotional greifbar zu machen. Was für ein Setting ist das? Welche Stimmung herrscht da? Was spielt man da überhaupt? Das sind Fragen, die nur sehr beiläufig behandelt werden.
„dein ganz persönliches Abenteuer“ - Ja, so nennt man das wohl im Rollenspiel ...
NIRGENDS in diesen Regeln wird erklärt, was der SL tun soll/kann um das Abenteuer zu personalisieren. "Freiheit" und "persönliches Abenteuer" werden anhand des Beispielabenteuers konkret erklärt:
Die SCs sind in einem abgesperrten Raum "völlig frei" zu tun, was auch immer sie wollen... aber raus kommen sie nur auf die eine vorher festgelegte Weise.
Vergiss nicht:
Das Spiel soll für Anfänger geeignet sein. Ich weiß nicht, wie man die ohne Anleitung (abgesehen von DIESEM Beispielabenteuer) zum flexiblen Erzähl-SL erziehen will, der dann eine völlig freie Spielwelt ganz persönlich für seine Runde aus dem Ärmel schüttelt.
Irgendwas passt da nicht zusammen.

Siehst du da keinen Widerspruch?

„vereinfacht dabei den Spielablauf durch das bekannte TV-Serienformat“ - Man mag ja zu der Umsetzung stehen, wie man will, vielleicht ist auch ihre erste Folge misslungen, zumindest ist es mir möglich diesen Punkt anzuerkennen. Was schade ist, dass sie nicht schon ne Mini-Kampagne - dann hoffentlich mit weniger Railroadingkram reingepackt haben.
Das ganze TV-Serienformat ist absolut garnichts. Das ist ne Reihe von Bezeichnungen, die am Spielablauf nichts verändern. Eine Szene "Szene" zu nennen oder ein Abenteuer eine "Episode" vereinfacht vielleicht in den ersten 5 Sekunden, aber wenn das dann als Ausrede genommen wird um einem Anfänger-SL seine Aufgabe völlig schwammig SO zu erklären...
Einer deiner Freunde, oder du selbst, spielt die Rolle des Erzählers. Er verkörpert die Spielwelt,
erweckt Nicht-Spielercharaktere zum Leben und leitet die Spieler durch die zahlreichen Abenteuer.
Seine Aufgabe ist die des Drehbuchautors, Regisseurs, Kameramanns und Darstellers aller Nebenrollen.
Er bereitet das Abenteuer anhand von Beschreibungen vor und präsentiert es, sodass die
anderen Mitspieler – die Hauptdarsteller – es erleben können. Das hört sich alles sehr kompliziert
an, aber wir können dir versichern, dass es das nicht ist. Für alle angehenden Erzähler gibt es ein
spezielles Erzähler-Tutorial, welches Schritt für Schritt die Aufgaben erklärt.
...dann ist das Serienformat ein schlechter Witz.

...und ja: Das genannte Erzähler Tutorial ist auch nur eine Aneinanderreihung von schwammigen Parolen. Gefühlt hängen geblieben ist davon bei mir:
"Versucht ein guter SL zu sein, also macht so die Sachen, die man so als SL machen soll: Gut improvisieren, spannend beschreiben und die NSCs cool ausspielen. Das übliche halt. Wie im Fernsehen."

Ich mag ja diese Perle:
"Einen griesgrämigen Händler beispielsweise solltest du harsch und übertrieben grimmig darstellen."
:confused:


Oh Gott, ich muss das PDF nur öffnen und kann schon wieder nicht mit dem Kopfschütteln aufhören.
 
Ich gebe zu, dass man sich als erfahrener Spieler/SL da schon einige Dinge rauspicken kann, das Setting sich locker-leicht selbst weiterspinnen lässt und Verständnisprobleme sich leicht mit den Erfahrungen aus anderen RPGs beheben lassen - aber für sich als alleinstehendes Werk halte ich es für einen Anfänger für absolut nichtmal ansatzweise so erlernbar, dass er ein freies, völlig offenes Abenteuer in einem spannenden Setting erlebt, indem Kämpfe nur was kurzes für Zwischendurch sind, während man eine gute Geschichte erzählt.
(alles zitiert aus Aussagen des FC-Autors)

Das einzige was das Spiel einem beibringt sind die Regeln, mit starkem Fokus auf die Kampfregeln.
Aber um Kämpfen geht es laut eigener Aussage in FC garnicht. Nein, es geht nach eigener Aussage um das gute Geschichten-Erzählen.
Anhand dieser Aussagen bewerte ich das Spiel.

Im Spiel geht es darum, dass Anfänger gut Geschichten erzählen sollen - aber das Spiel erklärt nirgends, wie ein Anfänger eine gute Geschichte erzählen kann. (Es bietet noch nicht einmal einen einzigen guten Stimmungstext, von dem man sich inspirieren lassen könnte.)
Also ist es ein Spiel, das für seine Zielgruppe nicht wie vorgesehen spielbar ist.
Daran sehe ich nichts subjektives.
 
Liefert ihr Euch jetzt wirklich Quoting-Battles?

Mir reichen Eure Beiträge schon um fest zu machen, dass ihr unterschiedliche Meinung habt. Warum verschwendet ihr Eure Zeit damit, herausfinden zu wollen, wer recht hat ?

Ist doch ohnehin subjektiv...

Du hast natürlich durchaus recht, hilf vermutlich keinem von uns. Andererseits, wenn es ein wenig Aufmerksamkeit auf das Spiel zieht und der ein oder andere einen zweiten Blick würdigt, ist das durchaus ein Gewinn.

Außerdem bin ich immer so höflich zu antworten ^^ Zumindest solange es sich nicht im Kreis dreht, aber ich hab das Gefühl, dass das noch nicht vollständig geschieht.

Mein Anliegen ist auch _nicht_, den Rezensenten anzugreifen und ihn in eine Vetteidigungshaltung zu drängen, sondern eher, "Halt mal, dass sehe ich jetzt durchaus anders!"
 
@Ioelet: Na, sagen wir es mal so: Wenn Du jede der sechs Aussagen zugleich auf Einsteiger beziehst, ja, dann kann man sagen, Ziel eher verfehlt - vielleicht nutzt man auch die Kritik und feilt hier nach.

Aber ich seh eigentlich nur die erste Aussage damit verknüpft und den Rest relativ harsch ("Das System lügt!") beurteilt!

Ich denke aber, hier ist ja abschließend unser beider Position klar und erläutert.

PS.: Würde ich Einsteiger-RPGs aus Einsteigersicht beurteilen, gibt es nur ganz wenige, die es echt gut machen.
 
@Ioelet: Na, sagen wir es mal so: Wenn Du jede der sechs Aussagen zugleich auf Einsteiger beziehst, ja, dann kann man sagen, Ziel eher verfehlt - vielleicht nutzt man auch die Kritik und feilt hier nach.
Ja, genau - ich kritisiere hier das Werk vollständig (aber nicht ausschließlich) hinsichtlich der Marketing-Aussage "Einsteiger-Erzählspiel", die ja auch innerhalb der Regeln öfter erwähnt wird. Deswegen das "Das System lügt!"-Fazit.

Dass man sich gezielt einige gute Aspekte rauspicken kann, ist mir bewusst - wenn du meine Forenposts sonst so kennst, glaubst du mir sicher, dass ein reiner Verriss noch deutlich schlimmer hätte ausfallen können.

Und ja:
Einen Blick kann man da wirklich mal drauf werfen - v.a. sieht es ja hübsch aus. Und das Brettspiel-im-Spiel ist ganz nett.

PS.: Würde ich Einsteiger-RPGs aus Einsteigersicht beurteilen, gibt es nur ganz wenige, die es echt gut machen.
Kommt natürlich auch auf die Standards und den Einsteiger an. Ich stand früher auf Fantasy, auf (natürlich völlig gerailroadete) Abenteuerspielbücher und komplexe/komplizierte Strategiespiele. DSA hatte da bei mir offene Türen eingerannt und ich hab sofort verstanden, was die von mir wollen.

Aber der selbsternannte Erzähl-Fokus bei FC wird einfach nicht angemessen unterrichtet. Schau mal in die oWoD, wie viele Seiten es da einzig und allein zu Dingen wie "interessante Geschichten konstruieren", "Stimmung erzeugen", etc. gibt.
Hinsichtlich "Erzählspiel" ist das deutlich einsteigerfreundlicher.

Zentral in meiner Rezension ist der Absatz
An dieser Stelle stehe ich nun vor einer Entscheidung:
Soll ich darüber hinwegsehen, dass mir das Spiel insgesamt 141 Seiten lang plump und dreist oder aus Unfähigkeit heraus direkt ins Gesicht gelogen hat und das Spiel auf Basis dessen rezensieren, was es in meinen Augen tatsächlich leisten kann – oder soll ich es beim Wort nehmen und ihm die Abreibung verpassen, die dieser verlogene regelfokussierte Brettspiel-Hybride für Rollenspiel-Insider dafür verdient hat, ein gutes Grundkonzept auf geradezu epische Weise mehrmals frontal gegen die Wand klatschen zu lassen?

Da ersteres den noch immer aufgeschlossenen Lesern Information vermitteln kann, während letzteres dem Unterhaltungswert dieser Rezension dienen dürfte, entscheide ich mich für beides."

Hätte ich allein das erste fett-gedruckte gemacht, wäre es wohl eine Rezension gewesen, die deinem Eindruck mehr entsprechen würde.
 
Ich find diese Diskussion durchaus interessant. Und letztlich bietet Greifenklaue so wenigstens das, was er anfangs indirekt forderte. Die zweite Meinung für den Leser meine ich.
Es ist ja jedem die Möglichkeit gegeben selbst eine Rezi zu schreiben. So durch die Diskussion haben wir zwar keine zweite Rezi im herkömmlichen Format, aber vielleicht trotzdem etwas in der Art.

Ich schätze, wenn es um die Frage geht, wer recht hat, dann landet man irgendwo dazwischen. Ich kann es anhand der Ausschnitte bisher nur bewerten und kann Iolets Standpunkte nachvollziehen. Gerade wenn es eben kein Druck-Werk ist, ist es leicht noch Korrekturen vorzunehmen- zB in Bezug auf versprochene Marker oder der Stimmung (die mit dem Schreibstil wirklich nicht gerade aufkommen will).
Was die Einsteigerfreundlichkeit angeht: Ich finde durchaus, dass man ein Buch nach diesem Maßstab bewerten kann. Ich finde auch durchaus, dass man das als hohle Werbephrase abtun kann, und guckt, was es sonst so bietet.

Mal sehen, vielleicht tu ich mir das ganze ja auch demnächst mal an, und mal schauen, vll gibt es dann einen Fürsprecher mehr, oder jemanden, der das ganze ebenso kritisch sieht. Vielleichtj a auch was ganz anderes ;-)
 
@Ioelet:Vermutlich!

Ich hab diese Einsteigerfokussierung nicht so wahrgenommem, wahrscheinlich weil ich eine Version gelesen habe, die noch keinen Klappentext hat, der das (mehr oder minder) betont.

Ich bin jedenfalls gespannt auf ihre weiteren Abenteuer und denke, dass das nicht so gerailroaded bleibt. Cool wäre eine PPKampagne im Stik von Necropolis.
 
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