Nach meinem Eindruck meint die Redax das.
Das heißt müßte sie das Wort Realismus austauchen würde sie eher von "phantastischer Bodenständig" sprechen als von "phantastischer Plausibilität".
Da ich außerhalb dieses Threads noch nie "Bodenständigkeit" als Synonym für "Realismus" gesehen habe, ist das nicht zu erwarten...
Hesha hat sich mit diesem Terminus sehr an einer einzelnen Passage in der Charakterisierung des literarischen Realismus (die deutlich als grobe Vereinfachung gekennzeichnet war) in dem von mir verlinkten Video aufgehängt. Aber ein geringes "Powerlevel" ist lediglich eine häufige Begleiterscheinung einer realistischen Erzählweise und kein definierendes Charakteristikum. In "Krieg und Frieden" geht es um welterschütternde politische und militärische Ereignisse, die im Wesentlichen aus der Sicht höchster Adelskreise geschildert werden. Aber trotzdem ist das ein, wenn nicht das, Paradebeispiel des literarischen Realismus. So gesehen...
Hesha schrieb:
Wobei ich auch Magier und zB Rondrageweihte schon ziemlich episch finde. Ebenso Spielerelfen.
... ist das hier in dieser Definition von Realismus völlig egal. (Auch wenn man es auf das Video bezieht. Von den genannten ist Geralt im Grunde genommen alles zusammen.) Im Realismus sind eher diese Dinge wichtig, wobei ich jetzt auch mal das Wort "plausibel" verwende:
- Plausible Charaktere. Das ist im Grunde genommen das A und O. Der Realismus verwendet vielschichtige, komplexe Charaktere mit Fehlern ja nicht zum Selbstzweck, sondern in der Annahme, dass echte Menschen (ob die kurz sind oder spitze Ohren haben, spielt keine Rolle) nun mal so sind.
- Plausibles Verhalten. Ganz besonders sieht man das an den Redeformen. Direkte Rede wird ziemlich häufig verwendet und versucht (ob erfolgreich, steht auf einem anderen Blatt) reales Sprechen nachzuahmen. Es gibt keine poetische Verfremdung oder ähnliches.
- Plausible Details. Sehr wichtig in der Literatur: Die Schilderung von Alltagsdetails in einer nüchternen, genauen Weise.
- Plausible Ereignisse. Gar nicht mal das Wichtigste, aber auch üblicherweise enthalten.
Und jetzt der Clou:
Diesen Realismus findet man bei DSA recht gut wieder. Das gute alte "hartwurstige" DSA, in dem man Holzlöffel und Federhut einzeln kauft, laienschauspielerisch sein "Travia zum Gruße, mein guter Mann!" verlauten lässt und in dem das Kreaturenbuch detaillierte Werte für verschiedene Arten von Haushunden, Rindern und Ziegen enthält - das alles verströmt
Realismus. Auch die früher obligatorischen schlechten Eigenschaften, Talente wie "Kochen" und "Holzbearbeitung" und die umfangreichen Hintergrundoptionen bei Charakteren spielen da hinein.
Weniger eine Rolle spielt es, ob die Helden rattenfangende Bauern oder Heere anführende Veteranenkrieger sind. Klar, es gibt auch hier eine Grenze: Bei Fähigkeiten auf Superheldenniveau ist eine lebensnahe, psychologische Plausbilität der Charaktere kaum noch zu erreichen. Aber in allen bisherigen DSA-Regelvarianten ist selbst der mächtigste Spielercharakter noch Mensch genug, um dieses Problem gar nicht erst aufkommen zu lassen. Das ist übrigens ein ganz genereller Punkt: Das typische Rollenspiel eignet sich für eine realistische Erzählweise an sich besser als für eine heroische, weil sich facettenreiche Charaktere mit Fehlern, die durch Pech, falsche Entscheidungen oder mangelnde Fähigkeiten auch mal scheitern können, von ganz alleine ergeben. (Weswegen ich mir auch immer wieder an den Kopf fasse, wenn Leute diese simple Eleganz künstlich aus den Angeln heben wollen.)
Das ist ein phantastischer Realismus, wie er sich bei DSA findet und wie er (für mich) funktioniert.
Hingegen ist
das hier:
"Phantastischer Realismus heißt, dass es auch für das Phantastische und Wunderbare Erklärungen und Gesetzmäßigkeiten innerhalb der Welt gibt und dass die phantastischen und die realistischen Elemente der Welt miteinander verzahnt sind." (via Wiki Aventurica)
... einfach Etikettenschwindel. Das kann man schon ganz leicht an einer Sache festmachen: Am Regelsystem. Die Art, in der zwei der wichtigsten "phantastischen und wunderbaren" Elemente in Aventurien funktionieren, nämlich Magie und göttliches Wirken, hat sich schon etliche Male drastisch geändert, ohne dass das auch nur annähernd einen entsprechend drastischen Widerhall in der Spielwelt gefunden hätte. Und bevor jetzt jemand "Retcon" sagt: Wenn das geretconned worden wäre, hätte man auch entsprechende Änderungen in der Welt retconnen müssen.
Hat man aber nicht.