Der Wind pfeift über die schwarzen Flachdächer

Sanguis

Sanguis de Alá
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30. Oktober 2003
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Der Wind pfiff über die schwarzen Flachdächer der Sozialbauten, die sich wie graue Stümpfe in den dunklen Himmel erhoben. Das schwache Licht einer alten, eisernen Straßenlaterne warf sich kegelförmig auf den dreckigen Asphalt. Hundescheisse, Kaugummis und Glasscherben lagen auf dem Fußgängerweg und ein penetranter Geruch von Alkohol lag in der Luft. Eine kaputte Sitzbank stand am Rande des Wegs. Sie hatte den Umtrieben einiger betrunkener Halbstarker nicht lange standgehalten und un lagen die zersplitterten Holzlatten auf dem Boden. Der Park am Straßenrand war leer und verlassen. Schon lange hatte die Stadt kein Geld mehr für die Erhaltung dieses Ortes ausgegeben. Der Wildwuchs wucherte in den einst so gepflegten Gartenbeeten und die im Licht der Nacht schwarzen Sträucher waren in einem Zustand jenseits von Gut und Böse. Ein toter Sperling lag auf dem Kiesweg und sein rotes Blut sickerte auf dem Boden. Eine Gestalt kniete vor ihm und verbarg das Gesicht in den Händen. Kleine, rote Flecken waren an ihren Händen. Bei näherem Hinschauen konnte man erkennen, dass es sich um einen bleichen Mann handelte. Seine Fingernägel waren ungewöhnlich lang und spitz, und eine Wolke des Aasgestanks ging von ihm aus. Wildes, verfilztes Haar bedeckte seinen Kopf und die Schulterpartie. Seine Kleidung war alt und dreckig. Nur ein billiger Overall, eine zerknitterte Jeans und lose Ledeschuhe. Als der Mann die Schritte hinter sich hörte blickte er erschrocken auf und in die Gesichter dreier Jugendlicher. Ihre gläsernen Augen zeigten einen nicht lange zurückliegenden Alkoholmissbrauch. Sein Blick traf sich mit dem des Anführers, jedenfalls schien er der Anführer zu sein. Gleichsam schockiert wichen sie beide zurück. Der Mann vor den blitzartig gezückten Messern, der Anführer vor dem Anblick, den der Mann bot. Sein Mund war mit rotem Blut beschmiert und seine Augen waren weiß, ohne ein einziges Pigment Farbe. Die Jugendlichen fingen sich als erstes, der erste stürmte auf den Mann zu und rammte ihn sein Messer in das Brustbein. Mit einem Seufzen sackte der Mann zusammen und rührte sich nicht mehr. Die Bande ging in einem sicheren Abstand um ihn herum. Er rührte sich nicht. Mit einer perversen Mischung aus Alkohol, Erleichterung und Genugtuung gingen sie langsam fort. Mit einem Knacken erhob sich der Mann. Sein Blick traf die Stelle am Brustbein, wo die Wunde gewesen war. Doch sie war nicht mehr. Er blickte den drei gehenden hinterher. Fast unmerklich veränderte sich seine Haltung. Er saß nun, wie ein Tier bereit zum Sprung. Wie ein wildes Raubtier entblösste er seine Fänge. Sein starrer Blick traf die Rücken der Bande - und ihre Hälse. Der Wind pfiff laut über die schwarzen Flachdächer. Einen Sprung hätte man nicht gehört, so laut pfiff der Wind.
 
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