AW: Der Hofrat und DSA
Skills zu nehmen die man nie benutzt ist totale Zeitverschwendung. Warum die Mühe machen sie dann aufzuschreiben? Die kann ich auch einfach so ausspielen. Wenn ich einen Bauern spielen will, dann schlägt sich das in meiner darstellung nieder, also, was soll ich mit Ackerbau?
Diesen Punkt haben ja andere Regelsysteme durch Ausblenden dieser im Normalfalle dessen, was man tatsächlich spielen wird, eher unwichtigen Fähigkeiten gelöst.
Bei HeroQuest ist das, was jeder, der aus einem bestimmten Volk, aus einer bestimmten Kultur stammt, als Grundkenntnisse mitbringt,
mit dem Schlüsselwort abgedeckt. Wenn man also schreibt "Heortling", dann weiß man, daß der Charakter ALLES, was er aus seiner Volkszugehörigkeit zum Volk der Heortlinge kann (wie z.B. Vieh treiben, Ackerbau, Schweine schlachten, Holzschnitzereien anfertigen, bergauf rennen, usw.).
Dieses Schlüsselwort wird quantifiziert - in der Regel für Anfängercharaktere liegt der Wert bei 17 (im "würfele mit W20 unter dem Wert"-Würfelsystem von HeroQuest). Wenn nun ein Charakter als Profession z.B. Schreiber hat, dann bleiben alle seine Kenntnisse, die er nicht explizit gegenüber dem Durchschnitt eines Heortlings verändern möchte, auf dem Wert des Schlüsselworts (also 17). Wenn der Charakter hingegen sich als Profession Bauer ausgesucht hat, dann wird sein Ackerbau EXPLIZIT mit einem HÖHEREN als dem kulturellen Basiswert notiert.
Da das Herkunfts-Schlüsselwort ALLES, was in dieser Herkunft Allgemeinwissen ist, abdeckt, muß man sich nicht eine Fülle an Fertigkeiten notieren, die man im Spiel-Leben des Charakters nie verbessern werden wird. Alles hat den (nicht berauschenden) Mindestwert von 17 und gut ist's.
Bei Savage Worlds, wo es in einem Setting nur Fertigkeiten gibt, wenn diese mindestens jede zweite Spielsitzung angewandt werden sollen, ist die
Fertigkeitsliste gröber und kürzer als bei ausführlicheren Systemen wie DSA4. Die Kürze und Grobgranularität der Fertigkeiten bei Savage Worlds läßt sowohl Spieler wie Spielleiter mit sehr geringem Zeitaufwand kompetente Charaktere erstellen. Wozu feinste Unterschiede bei Waffenfertigkeiten, bei Kampfmanövern, etc. machen, wenn diese im Spieleffekt eh keinen großen Unterschied darstellen werden und eher ein "Trapping", eine Ausschmückung des Charakters darstellen? Bei Savage Worlds gibt es viele
Regelmechanismen, die den Spieler viel mehr frei definieren lassen, wie etwas aussieht.
Ob ein Takedown eines Gegners mittels Fußfeger, durch Ringertechnik, durch ins Leere laufen lassen, durch einen Selbstfallwurf, oder was auch immer erzeugt wird, ist vom Spieleffekt egal: der Gegner liegt am Boden. Wie das gekommen ist, darf der Spieler selbst in der laufenden Aktionsrunde schildern. Das generische, grobgranulare Kampfmanöver dazu kann eh jeder Charakter ausführen (aber nicht jeder erfolgreich!).
Daher muß man dort nicht eigens Kampfmanöver erlernen, die man einmal in zehn oder zwanzig Spielsitzungen benötigt.
Das Ganze wird bei Savage Worlds vom
Konzept des Common Knowlege Wurfs abgerundet. Der Charakter kann (ähnlich wie bei HeroQuest) ALLES, was zu seinem Charakterkonzept gehört, was nicht explizit als separate Fertigkeit für das betreffende Setting ausgewiesen ist, mittels seines Common Knowledge Wurfes abdecken.
Ich kann nur vermuten, daß hinter solchen offensichtlich kulturabhängigen Fertigkeiten wie Ackerbau oder Sprachen
bei DSA4 eine ähnliche Absicht vorlag: der Charakter soll nicht ein kultur- und herkunfts-loses Combat Monster sein, das in der Spielwelt eigentlich als asozial und nicht überlebensfähig einzustufen wäre.
Die Lösung bei DSA4 geht nur in eine andere, detailliertere Richtung - somit in sich konsistent zum Rest des Regelsystems. DSA4 ist eben feingranularer als z.B. Savage Worlds. Und wer dieses Mehr an Details mag, für den ist das auch der richtige Detailierungsgrad und der wäre mit einem gröberen System eventuell unglücklich.
Es bleibt mir bei der aktuellen Wendung, die diese Diskussion genommen hat, nur zu registrieren, daß aufgrund des höheren Detaillierungsgrades bei DSA4 manche Spieler die Charaktererschaffung und die Charakterspielwertpflege als zu aufwendig empfinden. - Das ist, wie immer, ein sehr individuelles Empfinden. Feststellbar ist jedenfalls, daß Spielwerte mitgezogen werden müssen, die kaum je einmal im aktiven Spiel angewandt werden.
Interessanterweise nehmen manche also diese Spielwerte nicht so recht als "stimmigkeitsfördernd", als "Kulturbezug herstellend" wahr, sondern nur als unnützen Ballast.
Hier sehe ich eine Möglichkeit
die als unnütz empfundenen Dinge herauszukürzen, so wie das schon ein paar Beiträge hier angeregt haben. Vieles, was aus dem eigentlich nicht in Spielwerte gefaßten Charakterkonzept kommt, läßt sich ja "einfach so" spielen. Der Bauersjunge, der zum Krieger wird, hat früher tatsächlich beim Melken geholfen und weiß immer noch, wie er Milch aus einer Kuh bekommt. Auch ohne einen expliziten Spielwert dazu.
Ich kann beide Sichten, die detailorientierte und die grobgranulare, nachvollziehen.
So sehr ich Savage Worlds als Regelsystem für meine aktuellen Spielneigungen als geeignet auffasse, so wenig zufrieden bin ich mit dem deutlich gröberen Ansatz bei der Deadlands-Umsetzung in Deadlands:Reloaded. Mir ist da vieles ZU GROB behandelt worden. Bei Deadlands WILL ich MEHR Crunch haben, mehr Fertigkeiten, mehr Details. Das bietet mir das alte Deadlands-Regelsystem. Aber es ist aufwendiger, es ist im Kampfsystem langsamer, es hat hier und da gewisse Macken. - Wie immer, so ist es hier auch ein von meinem persönlichen Geschmack getriebener Kompromiß aus Details und Spielbarkeit, der mich für Deadlands das alte Regelsystem favorisieren läßt, aber z.B. für Firefly das neue Savage Worlds Regelsystem.
Aus anderer Perspektive, nämlich der eines Anhängers der Spielwelt im Gegensatz zum Regelsystem: die Welt Glorantha wurde mit RuneQuest 1, RuneQuest 2, RuneQuest 3, HeroWars, HeroQuest und - neu - Mongoose RuneQuest zum Bespielen angeboten. - Es gibt sehr viele Glorantha-Freunde, die mit den neueren Regelsystemen NICHTS anfangen konnten und immer noch RQ 2 darauf spielen.
Was spricht denn dagegen DSA weiterhin nach alter, knapperer, aber vielleicht zufriedenstellenderer Regelfassung zu bespielen (was natürlich ein Umarbeiten der Spielwerte für DSA4-Publikationen oder einen Verzicht auf ein Einbeziehen derselben impliziert)?
Wenn mein Auge mich stört, dann reiße ich es heraus. Wenn mein neues Regelwerk mir zu umfangreich und zu umständlich ist, dann verwende ich weiterhin das alte. - Beides sind bewußte (und ggf. schmerzliche) Entscheidungen. Aber es sind Entscheidungen, die einem das Setting, die Spielwelt mit allem, was man daran mag, behalten lassen, während man nicht jede Regeldetailvertiefung mitmachen möchte.