AW: Dark vs. Horror
Tellurian schrieb:
und "Dark" bedrückendere, düstere Version von bestehendem Genre, daß ohne "Dark" eben heller und freundlicher wäre.
Also könnte man ohne jeglichen Informationsverlust und ohne jegliche Begriffsverzerrung das "dark" mit "deprimierend" oder "depressiv" (je nach Blickrichtung) ersetzen?
Dark Future = Deprimierende Zukunftsgeschichten?
Dark Fantasy = Deprimierende Fantasy-Geschichten?
Dark Steampunk = Deprimierende Dampfzeitaltergeschichten?
Dark Horror = Deprimierende Schauergeschichten?
Wenn es bei "dark" wirklich so ist, daß es das Gegenteil von "hellerer und freundlicherer" Ausprägung desselben Genres sein soll, wie sähe dann das Gegenteil von "dark" <Genre-Bezeichnung einfügen> aus?
Freundliche Zukunftsgeschichten?
Helle Fantasy-Geschichten?
Optimistische Dampfzeitaltergeschichten?
Nicht wirklich schreckliche Schreckensgeschichten?
Für mich geht das Versetzen eines - wie auch immer wohldefinierten (oder eben auch nicht) - Begriffs mit dem "dark"-Wort allzu oft davon aus, daß der nicht-"darke" Begriff stets etwas Leichtes, Luftiges, Optimistisches, Heile-Welt-Predigendes, Happy-End-Lastiges, Disney-Channel-Artiges darstellen würde, wovon man sich durch das Verwenden des d-Wortes abheben, abgrenzen, entfernen möchte.
Aber ist das denn so?
Ist Fantasy - also "plain vanilla" Fantasy ohne jegliches "darke" davor - wirklich nur Friede-Freude-Eierkuchen?
Ist Sci-Fi - ohne den d-Subraumverzerrer - wirklich die Jetsons treffen Alf und Mork vom Ork?
Ist Steampunk - ohne "dunkel-munkel" - wirklich Castle Falkenstein trifft die Sozialutopisten, die Dampf ohne Ruß und ohne Kinderkohlenarbeiter möglich machen?
Ist Horror - ohne "Ich weiß, was Du letzten Sommer 'gedarkt' hast" - denn überhaupt noch Horror?
Ich sehe zum einen die Notwendigkeit des sich Absetzens durch "dark"-Verwendung in die hinterste, "darkste" Ecke der jeweiligen, übergeordneten Genre-Schublade überhaupt nicht.
Zum anderen sehe ich "dark" als tatsächlich NICHT definiert, als keinerlei Sinngehalt, der nicht im eigentlichen - ja absichtsvoll bereits als recht dehnbaren Begriff verwendeten - Genrebegriff automatisch mitenthalten ist, tragend, und als durch andere, klar(er)en Sinngehalt transportierende Adjektive jederzeit ersetzbaren Bezeichner an.
Wenn jemand ein einem Detektiv-Genre (was ja durchaus recht breit ist) unbedingt noch eine feiner granulare Unterteilung zuteil werden lassen möchte, so ist "Ein Dark Detective Rollenspiel" nichts, worunter man sich etwas vorstellen kann. - "Ein Detektiv-Rollenspiel in einer zutiefst korrupten und amoralischen Welt." Ja, das wäre ein Untertitel, der etwas aussagt über die Hauptgeschichten, die man in diesem Rollenspiel erspielen soll (also vermutlich - aber nicht sicher! - mehr bei Mike Hammer als bei Hercule Poirot angesiedelt - wobei das natürlich auch wieder nicht stimmt, wenn man 'Mord im Orient-Express' heranzieht).
Überhaupt ist ja die Frage, in wie weit sich die "Hauptanwendungsfälle", die Hauptgeschichten, um die es sich in einem bestimmten Rollenspiel dreht, nun ändern, wenn man "dark" verwendet?
D&D-Fantasy-Hauptanwendungsfall: Eine Gruppe mit Fähigkeitsmix geht in einen Dungeon, tötet dort Monster einschließlich des oder der Boss-Monster, nimmt Schätze und magisches Zeug mit, kommt aus dem Dungeon in die nächste Stadt, verbessert die Fähigkeiten/erlernt neue Fähigkeiten, und geht in den nächsten Dungeon, ...
Was ist bei einem "Dark"-D&D-Fantasy-Setting nun an Hauptanwendungsfall anders?
Ein (zwangsläufig nicht ernstgemeinter) Versuch: Eine depressive Gruppe mit von Anfang an absehbar unzulänglichen Fähigkeiten geht in einen deprimierenden Dungeon, tötet dort unter Gewissensbissen und gegen ihren eigenen Willen Monster um beim Boss-Monster letzlich zu versagen, nichts an der schlechten Ausgangssituation ändern zu können, dafür auch kaum brauchbare Schätze mitnehmen zu können und von den meisten magischen Sachen in der Regel einen Fluch abzubekommen, den sie von den kargen Schätzen in der nächsten Stadt wieder entfernen lassen müssen, während der Rest der Gruppe zu einem Seelenklempner geht, um wieder aus dem Zwangjackenkettenhemd rausgeschweißt werden zu können, dabei sinken ihre Fähigkeiten oder wachsen so insignifikant, daß eh keine Hoffnung auf mehr Erfolg beim nächsten Dungeon besteht, worauf die Gruppe sich in internen Depressions-Tieftauch-Wettkämpfen-Ohne-Atemgerät selbst zerschlägt und die Welt von dem ungeschlagenen Boss-Monster aus dem Dungeon übernommen und für immer ins Unglück gestürzt wird, worüber noch nichtmal irgendjemand traurig ist.
Das ist "Dark Fantasy". Genau so ist das mit "dark" als synonym zu "deprimierend", zu "das Gegenteil von 'nicht-darker' Fantasy ".
Für mich hat die Kombination "Dark Fantasy" wirklich keinen Mehrwert gegenüber "Fantasy". Ich kann D&D als - noch mehr mißverstandene englische Begriffe - "grim&gritty" Fantasy spielen, oder als "chivalrous&heroic" Fantasy, oder als "high-powered-whupp-ass"-Fantasy, oder als "political&diplomatic" Fantasy, oder als "lighthearted swashbuckling"-Fantasy, oder ... spielen. D&D kann wie Thieves World / Sanctuary sein (hart, erbarmungslos, intrigant, geradezu paranoid und menschenverachtend), oder es kann wie der legendäre Tomb of Horrors sein (sportlich, "ich will diesen Dungeon bezwingen, weil er DA ist", "die Falle muß erst noch erfunden werden, die ich nicht austricksen kann"). - Ist Thieves World nun "dark"? Und "Tomb of Horrors" dann 'un-dark', also strahlend hell, schön, freundlich, optimistisch, laßt-uns-miteinander-Lieder-singen?
Natürlich nicht.
Thieves World hat in seinen Hauptanwendungsfällen andere Geschichten, als die typischen Old-School-D&D-Dungeon-Crawls. Es ist aber immer noch D&D - nur eben ein mehr auf politische Intrigen, knallharte Verbrechen (Diebstahl, Mord, Vergewaltigung, ... - oft aus politischen Motiven), und einen Fokus auf die schmuddeligere Seite einer eh schon als Dreckloch konzipierten Fantasy-Stadt ausgerichtetes D&D.
Wir haben ja Sanctuary als Setting schon lange vor der aktuellen D20 Thieves World Ausgabe bespielt und uns dabei nicht "dark" gefühlt. Das Gefühl war eher eines einer reinen Diebes/Hitmen/Betrüger-Runde statt einer "ausgewogenen" typischen Dungeoneer-Gruppe (mit dem typischen Schweizer-Offiziers-Messer-Fähigkeitsprofil). Die Szenarien waren anders gelagert, und das "darkeste" daran war, daß sie meist in ihren kritischen Szene bei NACHT spielten, so daß man nicht so leicht entdeckt werden konnte.
Das wäre tatsächlich die einzige sinnvolle Verwendung von "dark": man meint damit ein Rollenspiel-Setting, das in seinen Hauptgeschichten, oder zumindest den Schlüsselszenen dieser Geschichten vorzugsweise bei Nacht oder unter anderen lichtarmen Verhältnissen spielt. - Das ist WIRKLICH "dark". (Und deshalb ist auch z.B. Evernight "dark fantasy" - da geht nämlich das (Sonnen-)Licht aus. Duster ist's. Mann ist das "dark" hier!)
Und was den Threadtitel "Dark vs. Horror" anbetrifft: Man könnte, wenn man über viel zu eingeschränkten Wortschatz verfügte, Thieves World als "dark" bezeichnen. Aber garantiert nicht als Horror-Setting. - Evernight hat auch seine Guts-Checks (ähnlich wie bei Deadlands), aber es ist KEIN Horror-Setting (trotz Guts-Checks). "Dark" ist Evernight nur, weil es dunkel ist (im Sinne von "man sieht die Hand nicht mehr vor Augen"-dunkel).
Wenn also "Dark Fantasy" nichts mit Horror zu tun haben muß, was hat dann "Dark Future" mit Horror zu tun?
Genau.
Nix.
Also ist Horror auch gewißlich kein MUSS-DA-SEIN-SONST-NICHT-DARK.
Somit wären wir wieder da, wo wir schonmal waren.
"Dark" ist da, wo die Sonne nicht scheint. Und Horror ist eine Genreschublade mit viel Platz für unterschiedlichste Rollenspiele.