AW: Anti-Klimax ist Scheisse
Wenn ein BEWUSST antiklimatisches Ende vorbereitet und aufgebaut wird, dann kann das durchaus bedeutend und erinnerungswürdig sein (siehe die von Zornhau genannten Beispiele).
Und auch wenn - wie im Midgard-Beispiel - NICHTS vorbereitet, NICHT bewußt ein antiklimatisches Ende angestrebt wurde, sondern diese wirklich durch reinen Zufallseinfluß entstand, kann das durchaus bedeutend und erinnerungswürdig sein.
Für eine erinnerungswürdige Spielbegebenheit ist nicht nur der dramatische Ansatz nach "Drehbuch" verantwortlich. Prinzipiell kann eine Spielbegebenheit wie ein Kampagnenende aus den unterschiedlichsten Gründen erinnerungswürdig sein. Und ob das Ende nun bewußt angestrebt und ggf. im Voraus so geplant wurde, oder ob es aus der Laune des Moments oder aus Würfelergebnissen zustande kam, ist für die Intensität des Miterlebens, des Mitfühlens und des Erinnerns unbedeutend.
Das Problem ist nun, dass die Leute gerne Drama mit allen möglichen anderen Sachen verwechseln
Glaube ich nicht. - Drama bzw. ein dramatisch aufgesetztes Spiel ist ja nur eine von vielen Möglichkeiten ein Szenario, eine Kampagne zu spielen. - Manche Rollenspiele sind genau auf solche Ausrichtungen hin geschrieben worden (Cinematic Unisystem, die DTA-Reihe für Savage Worlds, usw.). Andere nicht, was nicht heißt, daß man mit ihnen nicht auch dramatisches Rollenspiel betreiben kann, solange sie dem nicht mit anderen Eigenschaften im Wege stehen (so ist SW z.B. sehr zufallsorientiert und kann somit durch einen krass explodierten Würfelwurf der Dramatik der Situation unangemessene Ergebnisse hervorbringen - daher ist für ein sehr auf das Drama ausgerichtetes Spiel eine Setting- oder Genre-Regel notwendig, die den Zufallseinfluß (gerade von unwichtigen Quellen, wie namenlosen Schergen) zurückdrängt; dies ist eine z.B. bei Pulp-Abenteuern der DTA-Reihe notwendige Regelanpassung, weil eben der SW-Regelkern nicht primär auf das Spiel nach dramatischen Gesichtspunkten ausgerichtet ist, diese Abenteuer jedoch schon).
Dagegen werde ich NIE vergessen, wie wir (bei Feng Shui) ...
Hätten wir jetzt "gescouted", die Fortress schon früher bemerkt und unseren Plan auf Vermeidung einer direkten Konfrontation ausgelegt, so wäre uns diese extrem coole Szene entgangen.
Bei Feng Shui und verwandten Rollenspielen wäre ein "scouten" auch sehr wahrscheinlich ein Bruch des Genres gewesen.
Wenn ich Two-Fisted Pulp-Heroes spiele, dann dürfen, nein, dann SOLLEN sie auch mal ohne zu überlegen mitten in die absehbare Höhle der Bösewichter stolpern. Sie werden eh nicht ohne Gelegenheit zu den coolsten Szenen zu bekommen abtreten, und sie werden nicht vor Ende des Szenarios oder der Kampagne abtreten, und sie werden das Ende gebeutelt und zerschlagen erreichen - ganz wie in den Tips zum Schreiben von Pulp-Romanen empfohlen.
Ich finde es hier nicht so recht sinnvoll Genres mit ganz unterschiedlichen Konventionen, mit ganz unterschiedlichen Ausrichtungen hinsichtlich der Betrachtung über Kampagnenhöhepunkte in einen Topf zu werfen.
Die cinematischen Genres wie in den die Gun-Fu-Filmvorlagen nachbildenden Spielen Feng Shui oder Wushu, die TV-Serien nachbildenden Angel RPG und BtVS, und anderen Rollenspielen vertreten, LEBEN vom Drehbuch.
Genres, wie z.B. militärisches Rollenspiel (Weird Wars, Necropolis, usw.) hingegen wird nicht nach "Drehbuch" gespielt, sondern das LEBT von der Taktik. Und eine gute wie eine schlechte Taktik kann zu ausgesprochen "un-cinematischen" Ergebnissen führen. Bei guter Taktik vermeidet man - in SPANNENDER SPIELSITZUNG! - den Feindkontakt und kann unentdeckt infiltrieren, gezielt, ja geradezu "chirurgisch" zuschlagen und sich wieder zurückziehen. Dieses Genre hat eben ganz andere typische Versatzstücke als die "hochoktanige" Action-Kino-Variante sie hätte.
Ein detektivisches Rollenspiel wird auch nicht nach Drehbuch und rein dramatischen Erwägungen gespielt (ansonsten wäre es weniger auf die Detektivarbeit, weniger auf Ermittlung und mehr auf die Detektiv-FILM-Vorlage ausgerichtet - mit allen Detektiv-Film-Versatzstücken, die so ganz anders sind als es eine eher nüchterne, dadurch auch mehr Glaubwürdigkeit vermittelnde nicht-cinematische Detektiv-Kampagne bietet). Hier sind die Indizien, die Hinweise, die Ermittlungsarbeit und die Kombinationsgabe entscheidend. Der Höhepunkt kann mal eine Verfolgungsjagd sein, ist aber viel wahrscheinlicher eine konsequente Folge des Zusammensetzens der Beweise und ein unspektakulärer "Zugriff" (auf einen eventuell eh sehr kleinen Verdächtigenkreis).
Ein Rollenspiel, welches allein aus den Beziehungen und Beziehungsproblemen der Charaktere untereinander lebt, entzieht sich auch klassischen dramatischen Strukturen. Hier entsteht das "Drama" erst durch die aktuell laufende Interaktion der miteinander in Konflikt stehend generierten Spielercharaktere. So etwas wird gerne bei Sorcerer oder DitV gesehen. Ein DitV-Finale kann bei Würfelglück und geschickter Biete-Taktik sehr unspektakulär, ja geradezu wie "Unsere Kleine Farm" in allseitiger Harmonie ausfallen - oder es geht ab wie im wüstesten Deadlands-Italo-Western-Stil mit filmreifen Einlagen, die aus dem verzweifelten Herausquetschen noch der allerletzten Würfel herrühren. Hier hat aber eine Vorab-Planung der Dramaturgie keinen Platz. - Das ist kein "Storytelling" in dem Sinne, daß die Spieler nur "Publikum" mit Interaktionsmöglichkeit sind, sondern hier wird die "Story" im Moment des Spielens erst "geschrieben" - und zwar von allen Mitspielenden.
Diese "Vermischung" von Spielzielen ist irgendwie komisch. Früher hatte doch niemand ein Problem damit, dass die Spiele "one-trick-ponies" waren, welche genau auf einen Spielstil zugeschnitten waren.
Dieses "Früher" ist eher ein "mittelaltes" Früher. - Genauer: Mit dem Aufkommen der echten One-Trick-Ponies aus der Forge-Ecke gab es erstmals die Rollenspiele, die WIRKLICH nur genau EINE Sache konnten.
Davor war es üblich, daß ein Rollenspiel eine grundsätzliche "Robustheit" mitbrachte. Robustheit ist hier zu verstehen als die Eigenschaft, daß es auch abseits der offensichtlichen und eventuell als Zielrichtung sogar im Text des Rollenspiels genannten Richtung spielbar ist, OHNE auseinander zu brechen, ohne das Spiel zu behindern oder es unmöglich zu machen. - Klassisches Beispiel: D&D in allen alten Ausprägungen.
Altes D&D sieht nur für manche Leute heutzutage aus, als würde es nur auf genau EIN "Spielziel" ausgerichtet sein. - Aber hat man das damals denn tatsächlich so gespielt?
Natürlich nicht!
D&D wie auch Traveller oder RuneQuest konnten schon immer sehr unterschiedlich gespielt werden. - Und jede "normale" Spielgruppe hatte ja auch immer einen MIX an Zielen beim Spiel verfolgt und war nicht eine Spielziel-Monokultur, die erst mit den "forge"-igen Forderungen, daß man halt die Spieler, die nicht den eigenen Spielzielen folgen wollen, heimschicken soll, aufkam.
So viele Spieler, daß man bei der Gruppenzusammensetzung eine solche Auswahl hatte treffen können, gab es eh nicht (und gibt es bis auf Ausnahmegruppen auch heute nicht - selbst im Verein ist die Auswahl nicht endlos und man möchte einen Vereinskameraden auch nicht aus der Gruppe vergraulen, wenn der doch mit einem spielen will).
Die alten - und auch die meisten Nicht-One-Trick-Ponies unter den neuen - Rollenspiele hielten solche Gruppen gemischten Interesses in Kampagnen gemischter Spielziele einfach aus. Das ging alles unter einen regeltechnischen Hut. - Und im Laufe einer Kampagne wechselten die Schwerpunkte bei den verfolgten Zielen auch öfter mal, weil die damals typischen jahrelangen Kampagnen ja eh alle als Endloskampagnen ausgelegt waren und man hier so oder so KEIN ABSEHBARES ENDE hatte (oder auch nur wollte!). - Mal spielte man mehr taktisch herausfordernd, bis das langweilig wurde und man - inspiriert von Filmen, Comics, Büchern - auch mal andere Aspekte in den Vordergrund rücken wollte. Je nachdem, ob und wie der aktuelle Spielleiter (die ja in derselben Kampagne öfter mal gewechselt haben) bestimmte Aspekte rüberbringen konnte, ergaben sich allein dadurch schon auffällige Stil-Wechsel, ja beinahe schon Genre-Wechsel. - Und die Charaktere und die Spielwelt und das Rollenspiel blieb aber dasselbe.
Warum plötzlich das Bedürfnis irgendwie beweisen zu müssen, dass die präferierte Spielweise viel "ergebnisoffener" sei, dass Zufall viel dramatischer als hausgemachtes Drama ist oder dass die behandelten Themen viel thematischer, als in thematischen Spielen seien?
Ich kann dieses Beweis-Bedürfnis nicht erkennen.
Zufall ist halt Zufall. Zufall führt aber AUCH zu erinnerungswürdigen Spielen. Und noch so "hausgemachtes" Drama kann eine erinnerungswürdige Kampagnen-Final-Sitzung auch nicht garantieren.
Ich habe eher den Eindruck, daß sich "Dramatiker" und "Thematiker" von den "Ergebnisoffenen" irgendwie in ihrer jeweiligen Nische angegriffen fühlen könnten, weil die "Ergebnisoffenen" eine alte, nicht-separierende Spielweise bevorzugen, in welcher ALLES seinen Platz findet (je nach aktuellem Interesse der Spielenden). - Die "Trennkost", die erst über die Forge "schmackhaft" und als das "bessere" Rollenspiel propagiert wurde, ist etwas neueren Datums, welches sich nicht mit dem "Vollkost"-Ansatz der "old school"-igen Spielgepflogenheiten verträgt. - Daher mag bei den Forge-Anhängern der Eindruck entstehen, daß die bösen Alt-Spielweisen-Schurken nun alles, was sie mühsam - nach der jeweiligen Mode, die die paar Theoretiker gerade zu pflegen geruhten - streng geteilt hatten, durch den Zauber des "Einfach Abenteuer Erlebens" wieder gebunden haben. Jahrelange Spaltarbeit wird durch den Ansatz des "Schweizer-Taschenmesser-Rollenspiels" verdorben.
Zumindest habe ich bei dem Vorwurf der "Spielzielvermischung" diesen Eindruck. - Die Spielziele, Spielinteressen, Spielweisen waren SCHON IMMER eine Mischung. Und das ist auch der "natürliche Zustand", den eine Spielgruppe ohne verkopftes Hineinregeln und sich Verkrampfen hat.
P.S.: selbst beim A-Team gibt es immer in letzter Sekunde überraschende Wendungen
Das A-Team ist ein Fernsehserie, die nach Drehbuch abläuft. - NATÜRLICH kann man da eine "überraschende" Wendung reinschreiben. - Die passiert dann und NUR dann, wenn es das Drehbuch vorsieht. - Wenn ich aber KEIN Drehbuch habe, dann kann eine überraschende Wendung TATSÄCHLICH ÜBERRASCHEND kommen. Durch Spielerfindigkeit, die man nicht vorhersehen konnte. Durch Zufallseinflüsse. Durch Lust und Laune (oder auch Unlust!) einzelner Spieler. - Die Wendung ist immer überraschend, jedoch führen sie oft zu sehr unterschiedlichen Endzuständen. Die Planbarkeit des Finales ist nicht mehr gegeben.
Wenn man sich als Spielleiter auch mal überraschen lassen will, wie eine Kampagne ausgeht, dann ist das Spiel OHNE Drehbuch nicht die schlechteste Möglichkeit. Man muß nur darauf verzichten wirklich IMMER ALLES unter der eigenen Kontrolle halten zu wollen. Dann klappt das Rollenspiel in erinnerungswürdigen Runden auch ohne vorbestimmten "dramatischen" Ausgang.